Читать книгу Blaues Netz - Jean-Pierre Kermanchec - Страница 3

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Kapitel 1


Die Flut hatte zwar noch nicht ihren höchsten Stand erreicht aber der Aven war bereits wieder schiffbar für einen erfahrenen Skipper. Marc Gourin sah auf seine Uhr. Es war halb sechs und seit mehr als einer halben Stunde wartete er darauf, endlich aus dem kleinen Hafen von Pont Aven auslaufen zu können. Er wollte auf Sardinenfang gehen um wieder etwas Geld in die Kasse zu bringen. Die letzten Wochen waren sehr hart gewesen.

Marc Gourin betrieb seit einigen Jahren eine Muschelzucht am Unterlauf des Aven, bei Kerdruc, auf den Sandbänken des Aven. In den letzten Jahren war es ihm gelungen, sich einen guten Namen als Muschelzüchter zu machen. Doch in den letzten Monaten waren die Verkäufe drastisch eingebrochen. Zuerst war der Preis für seine Muscheln stark gefallen, wegen ihrer zunehmend geringeren Größe und dann hatte auch noch eine seltsame Krankheit seine Bestände stark dezimiert. In den Jahren davor hatten sich die Muscheln prächtig entwickelt und die Ernte war stets sehr gut gewesen. Die Muscheln hatten genau die richtige Größe und die Leute waren bereit, angemessene Preise zu bezahlen.

Marc Gourin gehörte zu den Züchtern, die ihre Ware direkt an den Endverbraucher verkauften. Er betrieb einen kleinen Stand im Hafen von Kerdruc, in Sichtweite seiner Muschelzucht. Die Kunden kamen aus den umliegenden Weilern und Dörfern, auch die Bewohner von Pont Aven und Névez zählten zu seinen Stammkunden. Er war nicht nur wegen seiner Muscheln bestens bekannt in Pont Aven, auch seine Familie lebte schon immer hier. Seine Einnahmen waren beständig gestiegen, so dass er genug verdiente um seine Frau Nicole und seine beiden Kinder Tanguy und Marie zu ernähren.

Sein Sohn war vorgestern zehn Jahre alt geworden und Marc ging davon aus, dass er einmal auch das Handwerk eines Fischers und Muschelzüchters ergreifen würde, so wie er seinem Vater nachgefolgt ist. Dann kam dieser Einbruch. Er konnte es sich nicht erklären.

Er steuerte sein Boot langsam den Aven hinunter. Die zahlreichen Mäander des Flusses verlängerten die Fahrt zum Meer. Aber für Marc gab es keinen schöneren Fluss und keine schönere Landschaft auf der Welt. Pont Aven und der Fluss waren der Mittelpunkt seines Lebens. An beinahe jeder Biegung gab es kleinere und größere Buchten, die teilweise bis ans Ufer mit Bäumen bewachsen waren. Eichen die bereits mehrere hundert Jahre an ihrem Platz standen, ebenso zahlreiche Birken, Kastanien und Buchen. Zwischen den Bäumen schien immer wieder ein Haus auf den Fluss sehen zu wollen.

Als Marc den Unterlauf des Flusses erreicht hatte und an seinen Muschelbänken vorbeikam sah er die langen hölzernen Markierungsstangen in dem abgelagerten Sand stecken. Er wurde wieder sehr nachdenklich und dachte über eine mögliche Ursache der Muschelkrankheit nach. Erste Untersuchungen, die er veranlasste hatten kein brauchbares Ergebnis gebracht. Er war sich sicher, dass die Muscheln durch irgendeine Chemikalie geschädigt worden waren. Das sagte ihm sein Gefühl.

Die Flut tauschte das Wasser regelmäßig aus und falls sich zu irgendeinem Zeitpunkt etwas Schädliches im Wasser befunden hatte, dann war es schon lange wieder verschwunden. Nur seine Muscheln, die hatten die Substanz abgekriegt und aufgenommen. Er würde mehr als ein Jahr warten müssen, bis sich die Bestände wieder erholten.

Da es noch sehr früh am Morgen war und die Flut noch nicht vollständig aufgelaufen war, konnte der Aven noch nicht auf ganzer Länge befahren werden und so waren nur wenige Boote unterwegs. Eine Yacht, die schon ein gutes Stück flussabwärts fuhr, schien früh zu einer längeren Fahrt aufgebrochen zu sein. Durch sein Fernglas konnte er vier Männer auf dem prächtigen Boot sehen. Marc meinte, auch ein blaues Fischernetz zu erkennen, wie es die Fischer rund um Concarneau benützen. Vielleicht täuschte er sich aber auch auf diese Entfernung.

Die vielen Freizeitsegler, die am Aven ihre Boote liegen hatten waren noch nicht unterwegs. In den letzten Jahren hatte sich die Anzahl der Liegeplätze stark erhöht, aber es waren immer noch viel zu wenige. Er könnte seinen Platz für eine große Summe verkaufen. Die Warteliste für einen Liegeplatz in Pont Aven war so lang, dass man bis zu zehn Jahre darauf warten musste. Aber natürlich dachte er nicht daran den Platz zu veräußern. Sein Urgroßvater, sein Großvater und sein Vater waren Fischer gewesen und der Liegeplatz gehörte schon immer zur Familie und daran sollte sich nichts ändern. Sein kleiner Sohn Tanguy würde bestimmt auch einmal Fischer werden.

Das Wetter war heute wieder bretonisch durchwachsen. In der Nacht war ein heftiger Sturm mit ergiebigem Regen über das Gebiet zwischen Bénodet und Lorient niedergegangen und jetzt wehte immer noch ein ordentlicher Wind. Schwarze Wolken schienen im Wettlauf über den Himmel zu ziehen und Marc Gourin konnte sich ausmalen, wie es in einer Stunde im Hinterland aussehen würde.

Marc sah den Wolken zu, während sein Boot sich weiter den Aven hinunter bewegte. Er achtete darauf, sein Boot genau in der Mitte der Fahrrinne des Aven zu halten. Die Fahrrinne war nicht sehr breit und durch grüne und rote Bojen markiert. Wenn man vom Meer heraufkam, dann hatte man die grüne Boje rechts und die rote links des Bootes, jetzt fuhr er den Aven hinunter zum Meer, da war es genau umgekehrt. Die rote Boje war nun auf der rechten Seite. Ihm war das in Fleisch und Blut übergegangen, so dass er sich darüber überhaupt keine Gedanken machte. Er lächelte manchmal, wenn er den Ausflugsbooten auf dem Aven begegnete und den Erklärungen der Bojen für die Touristen zuhörte. Die Lautsprecher an Bord der Boote waren so laut, dass man trotz des Getucker der Motoren alles hören konnte.

Er befuhr gerade eine sehr enge Stelle des Aven bevor dieser in die Anse de Poulguin übergeht, als er den Eindruck hatte, einen menschlichen Körper nahe des Ufers zu sehen. Die Fahrrinne konnte er mit seinem Boot nicht verlassen um näher heran zu kommen, da er ansonsten sofort auf eine Sandbank laufen würde. Er stoppte den Motor und griff erneut zu seinem Fernglas, das immer griffbereit lag. Sorgfältig suchte er das Ufer ab. Ein Ast einer alten Eiche mit ihren weitausladenden Ästen reichte bis ins Wasser des Flusses. In diesem Ast schien sich ein Körper verfangen zu haben. Marc betrachtete das Ufer ganz genau. Ja da lag ein Mensch, Marc Gourin konnte ihn genau sehen. Er griff zu seinem Handy und wählte die Notrufnummer der Polizei.

„Marson, Gendarmerie Pont Aven.“ meldete sich der diensthabende Beamte.

„Marc Gourin hier, ich habe eine Leiche entdeckt am Ufer des Aven.“

„Sie machen Witze, für so etwas bin ich zu so früher Stunde nicht zu haben!“

„Was heißt hier Witze, ich habe eine Leiche entdeckt. Sie müssen sie sofort bergen lassen. Ich kann mit meinem Boot nicht heranfahren.“

„Sie haben tatsächlich eine Leiche entdeckt?“ Marson war jetzt verunsichert.

„Natürlich, ich mache mit so etwas doch keinen Spaß.“

„Wo genau liegt die Leiche?“ fragte Marson.

„Wenn ich das richtig sehe, dann müsste sie ziemlich exakt am Ufer des Aven, genau unterhalb des Lieu dit Coat Melen liegen.“

„Sagen Sie mir nochmals Ihren Namen und wie ich Sie erreichen kann.“

„Marc Gourin, aus Pont Aven. Ich bin zurzeit mit meinem Boot unterwegs zum fischen. Sie erreichen mich über Handy oder über Funk. Mein Boot heißt «Bihan mal».“

Marc Gourin gehörte zu den Bretonen, die Wert auf das Bretonische legten. Übersetzt bedeutete der Name des Bootes «kleiner Mann». Er hatte das Boot von seinem Vater geerbt, der hatte ihm diesen Namen gegeben weil er lediglich 1,55 Meter groß gewesen war, somit ein kleiner Mann.

Marson überlegte nur kurz und entschied sich, sofort die police judiciaire in Quimperlé zu informieren. Zu Marc Gourin sagte er nur, dass er sich nach seiner Rückkehr bei der Gendarmerie in Pont Aven melden sollte, damit man seine Aussage protokollieren könne.

Nachdem Marson erfahren hatte, dass der Commissaire von Quimperlé wegen Krankheit von seinen Kollegen in Quimper vertreten würde, rief er dort an.

Als Marson den Hörer wieder aufgelegt hatte und sich gerade auf den Weg machen wollte, seinen Kollegen zu suchen, der ihn zur Fundstelle am Aven begleiten sollte, trat Claude Ylian in das Zimmer. Frohgelaunt pfiff er ein Liedchen als.

„Wir haben das große Los gezogen, es gibt schon wieder eine Leiche.“ empfing ihn Marson und setzte sich seine Mütze auf.

„Netter Scherz, aber damit kannst du mir meine gute Laune nicht verderben!“ meinte Ylian und wollte zu seinem Schreibtisch gehen.

„Auf geht’s, “ sagte Marson, „das ist kein Scherz, ein Fischer hat auf der Fahrt von Pont Aven nach Port Manec`h eine Leiche gefunden. Er sagt, sie läge ziemlich exakt am Ufer, bei dem Lieu dit Coat Melen.“

„Merde, ich wollte doch heute einmal früher nach Hause. Immer erwischt es uns. Bei den letzten Leichen von Rospico, du kannst dich bestimmt noch erinnern an die Toten mit den Fischabfällen, da waren wir auch immer im Dienst. Der Täter ist ja nie gefunden worden. Als wir dann vor einem Jahr von Névez hierher nach Pont Aven versetzt wurden dachte ich, dass es damit nun ein Ende hätte. In Pont Aven ist doch noch nie etwas passiert. Kaum sind wir hier, fallen die Toten vom Himmel! Wer bearbeitet denn diesmal den Fall bei der police judiciaire?“

„Ich habe keine Ahnung, aber Quimperlé wird es wieder einmal nicht sein. Der Commissaire ist erkrankt. Man wird uns jemanden aus Quimper schicken. Lass uns gehen.“

Marson und Ylian setzten sich in ihren Wagen und fuhren von Pont Aven aus zu der beschriebenen Stelle an der Straße von Coat Melen.

Die beiden Polizisten brauchten nicht lange. Der von dem Fischer beschriebene Ort lag nur wenige Kilometer von Pont Aven entfernt. Nachdem sie ihren Wagen verlassen hatten begannen sie mit dem Abstieg, um von der etwas mehr als zwanzig Meter höher gelegenen Straße hinunter an das Ufer des Aven zu gelangen. Das Unwetter in der Nacht hatte den Boden durchnässt und das Gras war so glitschig wie selten. Sie mussten achtgeben als sie den Abhang hinunterkletterten. Sie brauchten nicht lange zu suchen um die Leiche zu finden. Die Kleider des Toten hatten sich in den unteren Ästen einer Eiche verfangen. Ylian, der das Absperrband mitgenommen hatte um die Fundstelle sofort weiträumig zu sichern, begann mit der Arbeit. Marson versuchte die Leiche näher ans Ufer zu ziehen um ein Abtreiben zu verhindern. Auch ohne größere Erfahrung konnte man sehen, dass es sich um keinen Unfalltot handelte.

„Claude“, rief Marc Marson, „hilf mir zuerst einmal die Leiche an Land zu ziehen. Ich schaffe es alleine nicht.“ Claude Ylian ließ sein Absperrband ins Gras fallen und ging zu seinem Kollegen um ihn zu unterstützen. Nachdem sie die Leiche an das Ufer gezogen hatten, sahen sie sofort, dass der Mann einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen war.

Der Körper wies eine Stichverletzung an der Halsschlagader auf. Ob es noch weitere Einstiche gab konnten sie nicht sehen.

Blaues Netz

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