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Kapitel 6
ОглавлениеCorentin Murat stand immer noch in seinem Atelier und malte wie ein Besessener. Die bereits fertiggestellten Bilder standen an der Mauer hinter seiner Staffelei und waren mit vergleichsweise wenig Farbe bedeckt. Rote breite Pinselstriche führten quer über die Leinwand. Die davon abgehobenen grünen Farbflecke schienen verloren auf der Fläche.
Corentin hatte, seitdem die beiden Polizisten ihn bei der Arbeit gestört hatten immerhin sieben neue Kunstwerke geschaffen. Sein Pensum war allerdings noch nicht erreicht. Es mussten noch sechs weitere fertig werden bis zum Abend. Für die nächste Lieferung nach Peking brauchte seine Galerie in Paris 50 Bilder. Dafür würde er immerhin ungefähr fünf Millionen erhalten. Als er vor zwei Jahren mit dem Malen begonnen hatte, fand er eine Galerie in Paris für eine erste Veröffentlichung. Er wusste bereits, dass alle seine Bilder verkauft würden, aber die Galerie ahnte davon nichts. Er leistete eine Menge Überzeugungsarbeit um den Galeristen dazu zu bewegen seine Bilder auszustellen. Erst als Corentin garantierte, 30.000 € zu bezahlen wenn die Galerie nicht auf ihre Kosten käme, sagte der Galerist zu. Corentin Murat stellte dann seine Bilder dort aus und bereits bei der Vernissage kaufte ein Chinese alle Bilder, obwohl die Preise bei etwa 10.000 € pro Gemälde lagen. Danach ging es Schlag auf Schlag. Die Galerie bekam einen Vertrag mit einem chinesischen Händler und der kaufte alle Bilder von Corentin auf. Als der Galerist ihm andere Künstler vorstellen wollte, die auch auf dem chinesischen Markt Erfolg haben könnten, lehnte er kategorisch ab. Es mussten die Bilder von Murat sein, was anderes kam nicht in Frage. Der Galerist konnte sich den Erfolg von Corentin Murat nicht erklären. Er verstand genug von Kunst um beurteilen zu können, dass die Bilder von diesem Autodidakten nicht gerade umwerfend waren, aber sie kamen scheinbar sehr gut an bei den chinesischen Käufern. Diese waren bereit, schon nach wenigen Wochen das Doppelte, das Dreifache und jetzt bereits das Zehnfache der ursprünglichen Preise zu bezahlen. Wenn es so weiterginge, dann würde dieser Corentin mit seinen Preisen an die alten Meister herankommen, für die man bekanntlich Millionen auf den Tisch legen musste.
Corentin Murat sah auf seine Uhr. Es war inzwischen kurz nach 15 Uhr. Er hatte noch einige Stunden Zeit, die Lieferung für den Abend fertigzustellen.
Nachdem er sich aus der Küche Wasser und ein Stück Baguette geholt hatte fuhr er mit seiner Arbeit fort. Gedanklich war er allerdings bei seiner Schwester, die in Mexiko lebte und die er schon seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte. Früher fehlten ihm die Mittel um sie zu besuchen, jetzt fehlte ihm die Zeit. Sobald er aber die Vereinbarungen mit den Chinesen beendet haben würde, wollte er nach Mexiko reisen.
Seine Schwester Monique lebte schon seit Jahren im Umland der Hauptstadt Mexiko City. Sie war nach ihrem Kunststudium nach Mexiko gereist um an der dortigen Kunsthochschule ihre Studien zu vervollständigen. Wie das Leben so spielt, lernte sie einen mexikanischen Maler kennen und verliebte sich in ihn. Nach der Heirat begannen sie ein Haus zu bauen, auf einem hoch über der Stadt gelegenen Grundstück. Seine Eltern waren Bauern gewesen und hatten ihm das Land vererbt. Anders als in der Stadt, die beständig unter einer Glocke von Abgasen lag, war die Luft hier draußen frisch und angenehm. Von dem Hügel aus konnte man die Hochhäuser der Millionenstadt Mexiko City sehen. So angenehm die Luft hier draußen war, so nachteilig war die Lage die Infrastruktur betreffend. Strom, Wasser oder Abwasserkanäle gab es nicht. Die Elektrizitätswerke hatten auf ihre Anfrage hin nur geantwortet, dass sie wohl noch warten müssten, bis sich weitere Menschen in der Umgebung niederließen, damit sich eine Stromleitung rentieren würde. So war ihnen nichts anderes übriggeblieben, als einen Brunnen zu bohren und ein Leben ohne die Annehmlichkeiten der europäischen Zivilisation zu führen. Damit war allerdings auch klar, dass sie weder Telefon noch Computer betreiben konnten. Einen Kühlschrank oder fließendes warmes und kaltes Wasser gab es auch nicht. Das Leben war das eines Ureinwohners vor mehr als hundert Jahren. Irgendwie gewöhnte Monique sich aber an dieses Leben. Die beiden bekamen zwei Töchter und als die Mädchen in die Schule kamen, nahmen sie ihre Ponys um die wenigen Kilometer zur Schule zu reiten. Ein alter VW-Käfer, den sie sich nach ihrer Heirat gekauft hatten ermöglichte, dass sie regelmäßig zum Einkaufen fahren konnten. Ohne die Möglichkeit Lebensmittel gekühlt zu lagern, waren sie beinahe täglich auf frische Lebensmittel angewiesen.
Die nächsten Nachbarn wohnten ungefähr einen Kilometer entfernt und auch sie lebten so wie die beiden Künstler.
Beim Bau ihres Hauses hatten sie bereits eventuell fortschrittliche Entwicklungen mit eingeplant. Das Badezimmer war weitgehend eingerichtet und auch die Stromleitungen waren installiert. Es fehlte lediglich der Anschluss ans Stromnetz.
Als einige Jahre später eine Stromleitung unweit ihres Hauses gezogen wurde, aber immer noch kein Anschluss für ihr Haus vorgesehen war, legte ihr Mann eine eigene Leitung, über etwas mehr als dreihundert Meter und schloss das Haus somit an die Trasse an. Der Anschluss bestand aus einer Art isoliertem Haken, der über die Leitung gelegt wurde und der jederzeit rasch wieder entfernt werden konnte. Der Strom war natürlich geklaut, was ihn nicht weiter störte. Er hatte jahrelang gebeten, ihm eine Leitung zu legen.
Die anschließende Bitte an die Telefongesellschaft nach einem Anschluss wurde sofort erfüllt und keiner kam auf die Idee, nach dem Stromanschluss zu fragen.
Nun konnten sie sich einen Kühlschrank zulegen und ein Telefon, einen Computer und einen Boiler für die Warmwasseraufbereitung. Damit trat ein wenig Normalität in ihr Leben. Seltsamerweise hatten sie sich so an das Leben ohne diese Annehmlichkeiten gewöhnt, dass sie weiterhin beinahe täglich in das nahegelegene Dorf einkaufen fuhren. Telefon und Computer fanden schnell ihren Platz in Moniques Alltag.
Über das Internet hielt sie den Kontakt zu ihrem Bruder, der sie, seitdem er zu Reichtum gelangt war, auch finanziell unterstützte. Er freute sich bereits darauf, seine Schwester zu sehen. Seine Schwester war mehr als erstaunt als er ihr schrieb, dass er in China ein sehr erfolgreicher Maler sei. Sie wusste natürlich, dass er durchaus das Talent dazu besaß, allerdings lag seine Stärke immer bei der Grafik. „Welch eine Ironie,“ hatte sie ihm einmal geschrieben „ich habe Kunst studiert und das Malen zu meinem Lebensinhalt gemacht und du verdienst das große Geld damit. Ich freue mich schon, wenn ich ein Bild für 500 $ verkauft bekomme und du würdest dafür wahrscheinlich nicht einmal den Pinsel in die Hand nehmen.“
Corentin Murat konnte ihr nur recht geben. Aber er konnte ihr nicht die Wahrheit schreiben.
Es wird schon noch eine Zeitlang dauern bis ich dich sehen kann, liebe Monique, dachte er, als er sich wieder intensiv dem Malen zuwandte.