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1 Der Regelbrecher
ОглавлениеSascha Merdanovic – Höflich Schokolade
„Es hätte nicht Schokolade sein müssen!“ „Nicht?“ hake ich nach. „Du verkaufst doch aber Schokolade. Steht und fällt der Erfolg als Unternehmer nicht damit, ob und wie stark man hinter seinem Produkt steht? Es also mit Leidenschaft kreiert und an den Markt bringt?“ Sascha Merdanovic überlegt, dann schüttelt er den Kopf. Mit einem unumstößlichen „Nein“ bekräftigt er seine Ansicht noch einmal, während er die Tasse mit dem Cappuccino vor sich abstellt. Über eine Stunde sitzen wir zusammen. Sascha erzählt mir seinen Werdegang, erzählt von seinen Ideen und davon, wie er sie umgesetzt hat. Am Ende des Gespräches weiß ich: Vor mir sitzt ein Rulebreaker. Ein Regelbrecher, der Branchen leidenschaftlich aufmischen und sie verändern kann. Einer, der sich weniger um Marktregeln schert, als vielmehr einfach handelt, ausprobiert und seine eigenen Erfahrungen schafft.
In ihrem Buch „Rulebreaker“ schreiben Sven Gábor Jánszky und Stefan A. Jenzowsky: „Rulebreaker gestalten unsere Welt neu. Auch sie stoßen auf Probleme, scheitern, verzweifeln, aber: Sie stehen wieder auf und machen weiter.“ (Rulebreaker – Wie Menschen denken, deren Ideen die Welt verändern, Goldegg Verlag 2010).
Denken Sie an all die innovativen Produkte dieser Welt. Und denken Sie daran, was man den Rulebreakern gesagt hat, als sie ihre Ideen mit ihrem Umfeld teilten. „Das schaffst Du nicht!“, „Das braucht kein Mensch!“, „Das ist doch verrückt!“ oder „Das sind alles Hirngespinste!“ warf man ihnen entgegen. Hätten die Regelbrecher auf diese entmutigenden Worte gehört, gäbe es heute keine Autos, keine Flugzeuge, keine Smartphones und – um mal ein weniger technisches Beispiel zu nennen – keine Post it-Haftzettel. Natürlich sind Knusperpralinen keine weltverändernde Innovation, doch ist es Sascha gelungen, mit diesem Produkt in einen Markt einzutreten, den jeder, von außen betrachtet, als satt oder dicht bezeichnen würde.
Stellen Sie sich die großen Supermarktregale voller süßer Köstlichkeiten vor. Würde Ihnen ein neues Produkt sofort ins Auge stechen? Vor allem dann, wenn es nicht schon vorher wochen- oder monatelang durch aufwendige und teure Produktwerbung in ihren Wahrnehmungsfokus gerückt worden wäre? Sicher nicht. Und gehen wir in der Kette noch einen Schritt weiter zurück. Würden Sie – angenommen, Sie sind Lebensmittelhändler, ein Produkt in Ihr Sortiment aufnehmen, das weder Sie noch Ihre Kunden kennen? Wahrscheinlich nicht.
Alles in allem keine günstigen Voraussetzungen für einen Newcomer im Schokoladenregal. Und trotzdem steht die Höflich Schokolade heute bei Reichelt, bei Edeka und in vielen Souvenirgeschäften, Museumsshops, speziellen Schokoladengeschäften oder in der Galeria Kaufhof am Alexanderplatz, um nur einige zu nennen. Sie wird in einer ungewöhnlichen Verpackung, mit einem auffälligen Design und in manchen Märkten sogar mit einem separaten Aufsteller präsentiert, sodass jeder Kunden sieht: Hier gibt es ein neues Produkt.
Und so lehrt uns diese Gründung nicht nur etwas über die Kunst des Regelbrechens, sondern sie zeigt uns auch, was einen Unternehmer auszeichnet, der es schafft, Klippen zu nehmen, an die sich andere nicht heranwagen. Denn jeder Gründer muss Antworten auf die Fragen finden: „Verfüge ich über das, was man Unternehmerkompetenz nennt?“, „Und wie sieht die überhaupt aus? Reicht es nicht, ein tolles, hochwertiges Produkt zu haben, von dem man ausreichend überzeugt ist? Den Rest kann man doch delegieren, oder?“
Mit dieser Annahme sitzt man prompt in der ersten Falle, denn auch delegieren will gelernt sein und wer bisher als Angestellter anfallende Arbeiten auf Zuruf erledigt hat, dem ist das Abgeben sicher nicht in die Wiege gelegt.
Was einen erfolgreichen Unternehmer auszeichnet, lässt sich unserer Ansicht nach nicht pauschalisieren, denn es ist von der jeweiligen individuellen Gründungssituation abhängig. Es gibt jedoch ein paar Merkmale, die erfolgreiche Unternehmer verbinden.
Auf einen wichtigen Punkt stoßen wir in fast allen Gründergeschichten, die wir für dieses Buch beleuchtet haben. Es ist die „MACHER-Mentalität“. Diese zeichnet sich durch ergebnisorientiertes Handeln aus, das überlegt ist, ohne den Zweifeln und Ängsten zu viel Raum zu geben. Nach dem Motto: „Ja es gibt sicher Probleme, aber die lösen wir und wenn wir sie nicht lösen können, dann suchen wir uns jemanden, der das für uns erledigt.“ Das ist eine komplett andere Herangehensweise als: „Bevor wir das oder das tun können, gilt es erst einmal, die möglichen Probleme zu analysieren.“
Ein Macher weiß, dass sich manches auf dem Weg von selbst erledigt. Dass sich Antworten oft erst dann finden lassen, wenn man begonnen hat. Dass mit den Antworten die Erfahrungen kommen, die den Zug ins Rollen bringen.
Um so agieren zu können, braucht man ein gewisses Grundvertrauen in die eigenen Fähigkeiten, in die seiner Mitarbeiter, aber auch grundsätzlich in das Leben. Das bringt uns gleich zum nächsten Merkmal eines Machers – eine angemessene Risikobereitschaft. Natürlich kann immer etwas passieren, etwas anders laufen, als geplant. Die Frage ist, wie man damit umgeht.
Sascha, wie hast du es geschafft, in einen Markt einzudringen, der doch eigentlich schon unter den Großen der Branche aufgeteilt ist?
Das Ganze hat so schnell eine eigene Dynamik bekommen, dass ich rückblickend selbst manchmal gar nicht mehr sagen kann, wie es alles möglich war. Im gesamten Entstehungsprozess bis zum jetzigen Zeitpunkt gab es wirklich sehr viele Zufälle, die mich und mein Unternehmen vorangebracht haben. Ehrlich gesagt, habe ich mir im Vorfeld über wenig Gedanken gemacht. Und vielleicht war das der Schlüssel.
Du meinst, wie bei dem bekannten Spruch: „Alle sagten, es geht nicht und dann kam einer, der wusste nichts davon und hat es einfach gemacht.“?
Ja, so in etwa. Es wäre vielleicht alles viel schwieriger gewesen, wenn wir gesagt hätten: „So, wir wollen ein Schokoladenprodukt herstellen und damit wollen wir in einen Supermarkt und wir wollen in dem und dem Regal einen Platz haben!“ Wenn wir so rangegangen wären und uns damit lange auseinandergesetzt hätten, dann wären wir vielleicht genau zu dem Ergebnis gekommen zu sagen: „Wahnsinn! Das machen wir lieber doch nicht, weil es eigentlich unmöglich und überhaupt kein Platz im Regal frei ist.“
Aber durch die auffällige Dose, in der die Schokolade ist, durch diesen speziellen Souvenir-Charakter, war der Einstieg fast problemlos. So etwas gab es eben noch nicht. Ich bin mit dem Muster in den ersten Laden hineingegangen, habe dem Einkäufer das Produkt vorgestellt und er hat sofort bestellt. Ich dachte noch, dass das jetzt ein Einzelfall war oder purer Zufall. Dann bin ich in den nächsten Laden hineingegangen und die haben auch bestellt. Und spätestens da habe ich gedacht, na wenn das jetzt so weitergeht, dann kann es vielleicht wirklich funktionieren. Denn bis zu diesem Zeitpunkt war überhaupt noch nicht klar und zu Ende gedacht, in welche Richtung sich das alles bewegt.
Erzähl uns bitte von den Anfängen. Wie bist du darauf gekommen, Schokolade in Souvenirdosen mit Stadtschloss-Motiv zu verkaufen? Bist du Chocolatier oder Konditor?
Nein. Ursprünglich bin ich Schauspieler.
Das ist ja etwas ganz anderes.
Ja, aber die Schauspielerei ist ein Metier, in dem man frühzeitig lernt, wie man sich von der Konkurrenz abheben muss, um nicht unterzugehen. Die Dozenten haben immer gesagt: „Alles ist deine Entscheidung! Egal was du tust, es ist deine Entscheidung. Ob du morgens hier erscheinst, deine Entscheidung. Und wenn du im Bett liegen bleibst, auch deine Entscheidung. Erzähl mir also nicht, warum du erst jetzt kommst.“
Der Ball wurde immer sofort wieder zurückgespielt und man war von Beginn an gezwungen, die volle Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Die Tür war um 9:00 Uhr zu und dann konnte man dem Unterricht von oben von der Tribüne folgen. Die Ausbildung zum Schauspieler ist extrem hart. Wenn also die eigene Motivation und der Wunsch das durchzuziehen nicht groß genug sind, fällt man ziemlich schnell durchs Raster und wird aussortiert. Ich habe in dieser Zeit vieles gelernt, das mir heute zugute kommt. Aber ich habe auch schnell gelernt, dass diese Branche und dieses ewige Klinkenputzen nicht meins sind. Bevor man überhaupt erst einmal dazu kommt zu spielen, hat man Tausend andere Sachen zu tun, um an das Engagement heranzukommen. Und das habe ich, bis ich 30 Jahre alt war, auch gemacht. Dann kam allerdings der Punkt, an dem ich gesehen habe, dass es um mich herum so viele Schauspieler gibt, die auch mit 40 oder 50 Jahren nebenher noch alle möglichen anderen Jobs machen müssen, um zu überleben. Die Aussicht hat mir nicht gefallen. Ich konnte ja auch nicht ehrlich heraus sagen: Ich bin Schauspieler. Ja, ab und an war ich das, aber hauptsächlich musste ich mit irgendwelchen Brotjobs mein Leben finanzieren.
Und dann kam die Idee mit der Schokolade?
Zunächst ging es in eine andere Richtung. Ich absolvierte eine Ausbildung zum Fitnessfachwirt. Das hat mich interessiert, zumal ich schon nebenher auf 400 Euro Basis in einem Club arbeitete. Damals gab es ja diesen Umbruch, bei dem sich ehemalige Mucki-Buden, in denen schwitzende Männer Hanteln stemmten, in Fitnessclubs verwandelten. Plötzlich war das Wort Wellness in aller Munde und es ging nicht mehr darum, den Kunden nur einen Raum und Hanteln zur Verfügung zu stellen, sondern darum ein Lifestyle Gefühl und ein bestimmtes Image zu verkaufen. Also war es der Job eines Fitnessfachwirtes, sich diesem Wandel zu stellen, das Marketing zu ändern, die Kurse zu ändern und alles diesem neuen Trend anzupassen. Das fand ich extrem spannend und so habe ich mich für den Managementbereich einer großen Fitnesskette, die sich in Deutschland etablieren wollte, beworben. Und auch das war, genau wie die Schauspielerei, eine sehr wertvolle Zeit, denn dort habe ich viel über Führungskompetenz gelernt. Ich habe eine Weiterbildung in diesem Bereich absolviert, an diversen Seminaren teilgenommen und Fachliteratur verschlungen. Ich wollte nicht nur wissen, wie man ein bestimmtes Produkt etabliert, sondern wie man Mitarbeiter motiviert und Teams zusammenstellt. Und während ich mich darin vergraben habe, ist mir klar geworden, wie sehr mich das eigentlich interessiert und auch schon immer interessiert hat. Also im Grunde war die Fitnessbranche für mich am Ende Mittel zum Zweck. Es ging mir viel mehr darum, ein Team zu leiten, Mitarbeiter zu führen, eine Struktur aufzubauen, Wertigkeiten zu vermitteln und zu verstehen, wie man gute Teams aufbaut. Dass es zum Beispiel gar nichts bringt, wenn alle im Team die gleichen Stärken haben, sondern dass man Gegensätze zusammenbringen muss.
Und im Rahmen dieser Auseinandersetzung tauchte plötzlich die Frage auf, was ich denn wäre oder was ich tun würde, wenn ich noch einmal ganz von vorn anfangen könnte. Die Antwort war, ich hätte gern Psychologie studiert. Aber ich hatte zu diesem Zeitpunkt meinen 37. Geburtstag schon gefeiert, und da fängt man nicht noch einmal ganz von vorn an. Jedenfalls musste ich mir eingestehen, dass ich die Energie dazu nicht mehr aufbringen wollte. Aber die Veränderung kam trotzdem, denn die Fitnesskette, für die ich gearbeitet habe, ging in die Insolvenz und der Club wurde geschlossen. Zunächst habe ich mich noch in einem Konkurrenzclub beworben. Dort habe ich allerdings für mich keine adäquate Stelle gefunden, jedenfalls keine, die eine neue Herausforderung bedeutet hätte. Und dann hat meine Arbeitsvermittlerin irgendwann zu mir gesagt: „Herr Merdanovic, machen Sie sich doch selbstständig.“ „Womit denn?“ habe ich sie gefragt. Selbstständigkeit oder ein eigenes Unternehmen zu leiten – das war für mich so weit weg. Ich habe mich in meinem Bekanntenkreis umgehört und viel Negatives gehört, was mich abgeschreckt hat. Argumente wie: Du musst Dich um alles selbst kümmern. Oder allein das Schlagwort Steuern. Aber auch andere Sachen, unter denen ich mir einfach nichts vorstellen konnte. Und, ich hatte ja zunächst auch überhaupt keine Idee, bei der ich mir hätte vorstellen können, dass sich damit Geld verdienen ließe.
Wenn man das, was du bisher erzählt hast, zusammennimmt, dann waren doch eigentlich die Grundlagen für den Unternehmer in dir schon angelegt und ausgebildet.
Stimmt. Aber das war mir da noch nicht so bewusst. Erst als ich auf der Internetseite der .garage berlin war, bekam der Gedanke Raum, dass es mich sehr interessiert, wie man ein Unternehmen aufbaut. Und dann spielten mehrere Zufälle zusammen. In dem Haus, in dem ich wohnte, gab es eine Frau, die eine besondere Tortenvariation mit einem historischen Namen kreiert hatte – die Königin Luise Nusstorte. Sie hatte einen Bäcker, der die Torte gebacken hat und es gab eine besondere Verpackung, so eine Art Dose. Irgendwie hat mich die Idee, die dahinter steckte, also auch dieser historische Ansatz, nicht mehr losgelassen. Mehr noch, ich hatte plötzlich den Gedanken, eine eigene Marke schaffen, die das alte Berliner Stadtschloss, das ja nun wieder aufgebaut wird, integriert. Zunächst entwickelte sich meine Idee dahin, dass man unbedingt einen Laden eröffnen müsste, der den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses thematisiert. Der also alles anbietet, was im entferntesten Sinne mit Hofkultur zu tun hat. Aber ich wollte nicht acht Stunden in einem Laden stehen, das konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen.
Konntest du dir zu diesem Zeitpunkt schon vorstellen, Schokolade zu machen?
Darum ging es spannenderweise immer noch nicht. Aber irgendwie bin ich dann auf den Namen „Höflich“ gekommen. Abgeleitet von „Hof“, weil wir überlegt haben, wie man Hofkultur in einem Namen unterbringen kann. So entstand Höflich, das hatte ja auch einen Bezug zum Stadtschloss. Mit der Zeit gefiel mir die Idee, daraus eine eigene Marke zu kreieren immer mehr. Sie sollte die Thematik „höflich sein“, „“sich trauen, höflich zu sein“ transportieren und thematisieren. Das ist ja ein Wert, der heutzutage völlig unterschätzt wird.
Im Grunde stand ich vor derselben Herausforderung wie damals, als ich in der Fitnessbranche gearbeitet habe. Es ging mir darum, eine starke Idee zu transportieren. Eben den Wert „höflich zu sein“ und zwar mit genau dieser Doppelbedeutung. Historisch abgeleitet von der Hofkultur, aber eben auch menschlich im Sinne eines höflichen Umgangs miteinander. Da steckt so viel drin. Ich wollte die Menschen ansprechen, die noch Wert auf einen höflichen Umgang legen. Fairtrade ist auch ein höflicher Umgang – mit den Produzenten. In einem Unternehmen kann es einen höflichen Umgang geben. Und nun schließt sich der große Kreis: Alles, was mich bisher interessiert und angezogen hatte, war plötzlich in dieser Marke verbunden.
Jetzt verstehe ich, warum es nicht unbedingt Schokolade hätte sein müssen. Da schwingt noch etwas Übergeordnetes mit. Eine Art Leitkultur für dich als Unternehmer. Erzähl uns bitte, wie es weiter ging.
Ich tat genau das, was ich immer machen wollte. Ich stellte mir ein Team zusammen und war plötzlich selbst der Kapitän, der das Schiff steuerte.
Aber ohne Erfahrung als Unternehmer. Und wie sah es mit dem Kapital aus?
Das hatte ich nur begrenzt. Aber ich hatte die Gabe, andere von meiner Idee zu begeistern. Zum Beispiel zwei Inhaber einer kleinen Werbeagentur, die ich ganz früh, schon bei der Ausarbeitung, ins Boot geholt habe. Ich bin einfach zu ihnen hingegangen, habe die Idee vorgestellt und habe aber gleich gesagt, dass ich eigentlich kein Geld habe und trotzdem eine grafische Darstellung von dem bräuchte, was ich gern umsetzen möchte. Sie waren von Anfang an so von der Idee begeistert, dass sie gesagt haben, dass sie das gern sponsern wollen. Durch diese Vorleistung hatte ich Präsentationsmaterial, mit dem ich in die Geschäfte gehen konnte. Mein Plus war, dass sie von der Idee so begeistert waren und darum auch bis heute noch dabei sind. Und wenn Höflich Schokolade groß wird, dann bekommen sie natürlich ihren Teil ab.
Und für die Schokolade hast du dir dann auch eine Firma gesucht?
Zunächst habe ich mich informiert, was ich bräuchte, um selbst eine Manufaktur aufzubauen. Ich habe sogar einen Businessplan dafür geschrieben, aber schnell gemerkt, dass mir das über den Kopf wächst und dass es auch gar nicht mein Ziel ist, die Schokolade selbst herzustellen. Also habe ich mir stattdessen überlegt, wie die Schokolade sein soll, damit sie zu Berlin und zu Höflich passt. Meine Vision war es, „die Praline aus Berlin“ zu kreieren. Ein bisschen kantig, aber geschmackvoll. So entstand die Knusperpraline.
Was ist denn dein Geheimrezept, Menschen so einzubinden und für dich zu gewinnen, dass sie sogar bereit sind, in Vorleistung zu gehen?
Ganz ehrlich – das habe ich mich auch schon gefragt. Ich glaube, wenn jemand aus einer eigenen Überzeugung heraus mitmacht, dann ist das etwas ganz anderes, als wenn jemand nur mitmacht, um seine Stunden abzurechnen. Vielleicht habe ich es geschafft, auch bei den anderen die Leidenschaft zu wecken. Für jeden der neu anfängt, ist es wichtig, Menschen zu haben, die wirklich begeistert sind. Die Energie, die dann in die Arbeit hineingesteckt wird, ist eine völlig andere. Es wird nicht einfach nur etwas abgearbeitet. Wenn das Geld da gewesen wäre und ich die Beteiligten einfach nur hätte beauftragen müssen, wer weiß, ob das dann so geworden wäre. So waren alle motiviert. Und das muss man sagen: Die eigene Motivation ist etwas, das man den Leuten nicht mitgeben kann. Sie ist entweder da oder nicht.
Noch einmal zurück zu deiner Theorie, dass man sich als Unternehmer nicht mit dem Produkt als solches identifizieren muss, sondern mit der Vision.
Ich habe immer das Gefühl, dass man das gar nicht laut sagen darf, weil eigentlich jeder erwartet, dass man sich mit Leidenschaft für das Produkt interessiert. Manche behaupten, wenn man leidenschaftlich hinter seinem Produkt steht, dann passiert der Rest von selbst. Und an der Stelle habe ich oft diskutiert und dagegengehalten, weil ich denke, die Leidenschaft muss derjenige haben, der das Produkt fertigt. In meinem Fall muss also der, der die Schokolade macht, die Leidenschaft haben, damit die Schokolade gut ist. Und ich erledige das, was ich mit Leidenschaft mache, nämlich eine Unternehmensvision entwickeln, Menschen zusammenbringen, eine Marke etablieren. Sicher gibt es Fälle, bei denen sich das deckt, bei denen der Hersteller auch der Vertreiber, der Konzepter und der Vermarkter ist. Aber oft ist es anders.
Also musste ich die Leute finden, die das, was ich mir ausgedacht habe, umsetzen können und aufbauen. Aber wie gesagt, es hätte nicht Schokolade sein müssen. Mir ging es auch nicht um den Herstellungsprozess an sich, sondern um das Konzept. Meine Aufgabe war es festzulegen, wie das Produkt aussehen soll. Ich wollte etwas haben, das zu Berlin passen musste, also etwas mit Ecken und Kanten, nicht zu fein. Aber eben hochqualitativ. Das habe ich entschieden. Aber wenn ich mich dann weiter in diesen ganzen Entstehungsprozess der Schokolade vertieft hätte und den auch noch begleitet hätte, dann hätte ich mich mit Sicherheit darin verloren. Meine Aufgabe war es, die zu finden, die das machen und produzieren.
Die andere Sache war das mit dem Schloss. Wie kann man diese Idee thematisch in das Produkt hineinbringen. Wie muss die Verpackung aussehen? Wie kann man dieses Bild vermarkten? Kann man jetzt schon das Schloss aufdrucken, das vermutlich erst 2018 oder 2019 stehen wird? Ja und auch das haben andere dann umgesetzt.
Warum hast du dich für ein Design, beziehungsweise eine Abbildung von etwas, entschieden, was es streng genommen noch gar nicht gibt? Wie reagieren denn die Kunden darauf?
Die Verpackung zeigt jetzt das Panorama der Berliner Stadtmitte, so wie es irgendwann einmal wieder aussehen wird. Natürlich verstehen das viele Menschen, die das Motiv anschauen, noch nicht. Sie kaufen die Dose, weil sie eine gewisse Nostalgie transportiert. Aber das mit dem fertigen Schloss ist ein wichtiger Teil des Marketingkonzepts, denn ich glaube, wir brauchen einfach auch diese Vorlaufzeit, um uns als Marke zu etablieren. Und wenn es uns dann noch gibt, dann sind wir sozusagen die ersten, die das umgesetzt haben. Darauf kann ich jetzt schon hinarbeiten.
Gab es zwischendurch Zweifel? Manchmal kommen die ja erstaunlicherweise, wenn man vom Erfolg überrollt wird.
Ja, so ähnlich war es. Natürlich hatte ich auch zwischendrin immer Zweifel und dachte, wenn jetzt irgendeiner dahinterkommt und merkt, dass ich von dem Markt an sich und vor allem auch von Schokolade überhaupt keine Ahnung habe, was dann? Und viele Fragen bilden sich ja auch erst dann, wenn man mitten im Prozess steckt.
Was hilft dir dann?
Letztendlich muss man einfach MACHEN. Und man muss die richtigen Fragen stellen. Nicht um den heißen Brei herum reden. Ich bin mit meiner direkten Art immer gut gefahren. Die Wege, wie Produkte auf den Markt kommen, sind ja auch so unterschiedlich. Ich hatte halt eine Idee, dann eine klare Vorstellung, dann bin ich mit dem Muster losgezogen. Andere haben schon das fertige Produkt. Und bei mir kam ja noch etwas anderes dazu. Ich wollte ja nicht den Schokoladenmarkt erobern, sondern ich wollte zunächst in den Souvenirbereich. Und da war die Schokolade erst einmal eigentlich zweitrangig. Wichtig war, dass sie schmeckt.
Aber die Schokolade gibt es doch mittlerweile nicht mehr nur in der Souvenirdose, sondern auch in einer anderen Verpackung.
Da hinzukommen war noch einmal ein Weg für sich. Als die Dose schon auf dem Markt war, habe ich bedauert, dass sich über die Verpackung überhaupt nicht transportiert, wie lecker die Schokolade ist. Der Kunde von außerhalb, der Tourist, der kauft nur die Dose und die Schokolade ist für ihn zweitrangig. Also habe ich überlegt, wie ich die Berliner selbst und nicht nur die Souvenirkäufer erreichen kann. Das sind unterschiedliche Strategien. Dem Berliner muss die Schokolade schmecken und sie muss sichtbar sein, denn er kauft in der Regel eher selten Souvenirs. Es ging also darum, noch einmal genau die Zielgruppe zu analysieren und ihre jeweiligen Bedürfnisse. Ich kam zu dem Schluss, dass es unbedingt noch eine andere Verpackung geben muss. Denn bei der Dose war klar, dass der Berliner Kunde für sich selbst, also für den Hausgebrauch, maximal einmal eine Dose kaufen wird. Und dann steht sie auf dem Regal oder im Schrank. Will ich ihm also nicht nur die Dose, sondern auch die Schokolade verkaufen, muss ich das anders aufziehen. Und so haben wir über eine Kartonage nachgedacht, bei der eben die Schokolade und nicht das historische Berlin im Vordergrund steht. Und mit diesem Schritt kamen wieder neue Fragen, wie zum Beispiel: „Willst du jetzt eine Marke haben, die in jedem Supermarkt steht oder soll sie nur für exquisite Geschäfte sein?“ Und so ist das ein fortlaufender Entwicklungsprozess.
Gibt es weitere Erfahrungen, die du mit anderen Gründern teilen möchtest?
Unterschätze nie das Marketing. Der Aufwand ist immens. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man mit dem richtigen Budget wirklich etwas bewegen kann. Wenn ich könnte, würde ich als Nächstes gern einmal ausprobieren, den Spruch: „Traust Du Dich höflich zu sein?“ in ganz Berlin zu plakatieren. Mal sehen.
Und was rätst du jungen Gründern, die sich neu auf einem Markt etablieren wollen?
Das Wichtigste für mich war immer, nicht in Grenzen zu denken. Es heißt ja oft, man müsse ein mutiger Typ sein, wenn man gründet. Aber das trifft auf mich zum Beispiel gar nicht zu. Ich bin sogar eher vorsichtig und habe ein hohes Sicherheitsbewusstsein, überprüfe und kalkuliere lange, bevor ich mich entscheide. Manchmal habe ich sogar Angst, dass ich scheitere, weil ich zu vorsichtig bin. Und trotzdem habe ich immer GEMACHT. Habe mich also nicht von Meinungen und Ansichten beschränken lassen, sondern habe es stets selbst überprüft, indem ich den Weg gegangen bin. Ich bin der Meinung, dass man sich nicht von angeblich herrschenden Marktregeln einschüchtern lassen sollte. Märkte können sich verändern, das ist nicht vorhersehbar.
Gibt es nach wie vor Hürden?
Ja, aktuell stehen Verhandlungen an. Da merke ich, dass es schwierig für mich ist, auf die lange Bank geschoben zu werden. Ich habe es halt gern, wenn die Dinge von allein laufen und ich nicht immer nachschieben muss. Was ich auch als Herausforderung sehe, ist die Warenkalkulation. Oder wenn bestellte Ware nicht pünktlich kommt und ich dann mit den Händlern in Verzug gerate. Aktuell haben wir die Preise angepasst. Jetzt muss ich beobachten, wie das läuft und ich muss eventuell auch mal damit leben, dass etwas ausverkauft ist und ich nicht so schnell nachliefern kann. Dinge nicht 100-prozentig vorausplanen zu können – das empfinde ich manchmal als schwierig. Aber sonst kann man alles irgendwie lösen.