Читать книгу Schwarzmarkt Magie - Jek Hyde - Страница 10

VOLL PORNO

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An diesem hellen, aber grauen Tag fuhr Alex ohne bestimmtes Ziel durch die Gebäudeschluchten, Windungen und Ecken von Leipzig, als ihr Samsung klingelte und die Surfermelodie „Out of limits“ von den Royale Aces spielte. Alex schaute auf den Bildschirm, während aus dem Radio „Road to Nowhere“ von den Talking Heads schallte. Nur einen einzigen Namen ohne Bild sah sie bei dem flüchtigen Blickes auf das Handy: Mr. Knochen.

Alex konnte nicht sagen, ob sie gerade den jetzt hören wollte, doch als die Ampel vor ihr auf Rot schaltete und sich der Verkehrsfluss rapide verlangsamte, nahm sie den Anruf an und hörte die feste, raue Stimme: „He, Alex. Wo bist du gerade?“

„Irgendwo in Leipzigs Eingeweiden vor einer Ampel, warum?“

„Ich mache es kurz, wir brauchen dich.“

„Ich habe noch genug Geld. Und so billig verkaufe ich mich auch nicht. Habt ihr keine andere Shemale da, die das machen kann?“

„Nein“, sagte Mr. Knochen. Alle nannten ihn so, weil er es war, ein harter Knochen. Wegen eines, sagen wir, fehlgeschlagenen Drehs war er fast verurteilt worden, doch Nino Goldfinger hatte Knochens alten Arsch aus der Sache rausgeholt. „Nein, haben wir nicht. Wir brauchen eine echte Shemale wie dich. Unsere letzte hat sich den Traum von der einzig wahren Weiblichkeit erfüllt und für eine weitere She ohne male haben wir hier keine Verwendung. Du bist eh gerade in Leipzig, du weißt, wo, also komm vorbei.“

„Ihr braucht eine echte Shemale?“, hakte Alex nach.

„Ja“, bestätigte Knochen knochentrocken.

Demnach konnte Alex sich denken, worum es sich handelte. „Ich will eine Perücke und übertriebene Schminke, so leicht will ich es den Leuten mit der Wiedererkennung nicht machen.“

„Du könntest was Großes werden, Alex. Echte Zwitter haben wir nicht viele. Die meisten sind einfach nur Transen und die halten nicht so lange, da sich die meisten irgendwann das, was sie besonders machte, unterm Hintern wegschneiden lassen.“

„Das ist keine Bestätigung.“

Knochen schluckte. „Okay, du kommst vorher in die Maske, bist du jetzt zufrieden? Also, schwing deinen Arsch her, in vierzig Minuten geht’s los!“ Er legte auf, oder Alex, je nachdem, wer schneller war.

Die Ampel besaß endlich die Freundlichkeit, auf Grün umzuschalten. Der träge Verkehr, diese klebrige Masse an Autos setzte sich wieder in Bewegung. „Road to Nowhere“ endete und Alex bog ab. Eigentlich konnte sie Mr. Knochen nicht leiden. Er war ein Mensch ohne Prinzipien. Sie erinnerte sich an sein grobes Gesicht mit den kleinen schmalen Augen, der Glatze, der dicken Nase und dem beinahe lippenlosen schmalen Mund und der glänzenden, kupfernen Solariumsbräune, die an Künstlichkeit kaum zu toppen war. Er trug schwarze Kleidung und war um fast einen Kopf kleiner als sie. Es erinnerte Alex an den Tag, an dem sie eine weinende Frau gesehen hatte, die der Anforderung, die in diesem Gewerbe an sie gestellt wurde, nicht mehr standhalten konnte, und an Mr. Knochen, der sie anschrie, sie solle sich nicht so anstellen.

Wenn sie eine echte Frau mit Schwanz brauchten, dann war Alex klar, dass es um eine einfache Solosache ging, und das dürfte kein Problem sein. Und wenn sie Mr. Knochen noch ein wenig in die Richtung manövrierte, in der sie ihn brauchte, würde es auch noch mehr Geld geben, denn so jemand wie Mr. Knochen rief nur an, wenn er einen wirklich brauchte, wenn seine Stimme den Unterton an Verzweiflung und Zeitdruck professionell unten hielt und er versuchte, gerade so die Zügel in den Händen zu behalten, während ein wütender Stier, geformt aus komplizierten Darstellern, speziellen Anforderungen und Stress, unter ihm tobte. Davon abgesehen griffen Mr. Knochen und Nino ihr damit gewaltig unter die Arme, sodass sie im Meer von Nirgendwo nicht finanziell unterging. Sie hatte noch genug Geld übrig, aber Scheine auf der hohen Kante konnte eine Reisende wie Alex immer gebrauchen.

Ob Nino da war? Alex würde sich gern mal wieder mit dem Kerl unterhalten. Sie kannte ihn schon so lange. Er war vielleicht nicht derjenige gewesen, der den Startschuss für ihre Reise nach Nirgendwo gegeben hatte, aber er war eindeutig der Trainer, der ihr während dieses imaginären Boxkampfes das Handtuch um die Schultern gelegt und ihr Wasser hingehalten hatte.

Sie erinnerte sich noch so gut an den Tag, als sie ihn das erste Mal getroffen hatte. Das war alles so verdammt lange her. Es war der Tag, an dem sie ihr Zuhause allein, mit einer vollgestopften Reisetasche verließ, um nie zurückzukehren. Über Feldwege. Weit weg. Irgendwo an einer großen Straße stellte sie sich neben die Leitplanke, in Jeans und dunkler Kapuzenjacke, und hielt ein Pappschild, das sie aus einem großen Karton geschnitten hatte, in die Luft. Darauf prunkte ihr Reiseziel: Nirgendwo. Alex dachte, wenn sie „Nordsee“ schriebe oder was auch immer, würde sie niemand mitnehmen, aber „Nirgendwo“? Wer schrieb auf ein Anhalterschild schon „Nirgendwo“? Sie hoffte jedenfalls, dass es das Interesse von irgendjemandem wecken würde, und so war es auch.

Nachdem einige Autos an ihr vorbeigerauscht waren, hielt ein wuchtiger, weißer Wagen ohne Automarke, der das Wort „Glamour“ förmlich ausstrahlte. Die Tür ging auf und am Steuer saß eine dünne Gestalt mit spitzem Kinn, schulterlangen, lockigen Haaren und einer wuchtigen Sonnenbrille, die über die Hälfte des Gesichtes einnahm. Der Mann trug ein rosarotes Hemd, das leicht geöffnet war, und lauter Ringe und Kettchen an seinen Fingern. Die kurz geschnittenen und rund gefeilten Nägel waren golden lackiert. Auf der Rückbank lagen ein dicker, weißer Pelzmantel und ein weißer Hut mit einem ebenso rosaroten Hutband mit Leopardenflecken und einer spitzen, roten Feder. Nicht gerade die vertrauenerweckendste Gestalt, der man begegnen konnte, aber irgendetwas ging von ihr aus. Etwas Selbstsicheres. Dieser Mann stand mit seinem strahlenden Schlachtschiff einfach an der Leitplanke, hatte das Warnblinklicht eingeschaltet und die Autos fuhren um ihn herum, allerdings mit einer leichten Verärgerung.

Unbeholfen stand Alex da. Er klopfte mit seinen gebräunten Händen – echte Bräune, nicht wie die von Mr. Knochen – auf den Beifahrersitz. „Was ist nun, Kleine? Springst du rein oder bleibst du wie eine Salzsäule stehen?“ Alex stand immer noch da, das Schild in den Händen, und schaute diese Erscheinung an. „Hey, mach schon! Ich stehe hier auf einer Straße, ich halte alles auf. Also, steigst du ein oder bleibst du stehen?“ Die Reaktion darauf würde Alex’ Leben verändern, so viel war ihr klar. Ob zum Guten oder zum Schlechten, sie würde richtungweisend sein.

Alex stieg ein.

Sie schloss die Tür, warf das Schild auf die Rückbank und wusste, als der Wagen sich in Bewegung setzte, dass sie wahrscheinlich den größten Fehler ihres Lebens begannen hatte. Aber was sollte es? Zur Not konnte sie ihm ins Lenkrad greifen und beide würden in einem schrecklichen Unfall sterben. So war Alex damals, zu allem entschlossen, entwurzelt, desillusioniert und achtzehn Jahre alt.

Als sie fuhren und er die Warnblinklichter zum Schweigen gebracht hatte, fragte er: „Also, Kleine, wie heißt du? Und was verfickt noch mal wichtiger ist: Warum willst du nirgendwohin?“

„Alex. Und eigentlich will ich zur Nordsee.“

„So, so. Warum?“

„Ich muss ans Meer und darüber nachdenken, wie mein Leben weitergehen soll.“

„Hast du keine Familie?“

„Nicht zwingend“, entgegnete Alex.

Er brüllte los vor lachen, riss das Maul auf wie der böse Wolf, der er gern wäre. „Das ist ja irre!“ Er hielt ihr seine Hand rüber. „Ich bin Nino Goldfinger, ich bin tätig in der Erwachsenenunterhaltung“, stellte Nino sich vor. Alex schüttelte seine Hand. „Okay, Alex“, sagte er, als er seine Hand zurückzog. „Warum läufst du denn weg? Probleme in der Familie?“

„So ähnlich“, sagte Alex, die Reisetasche mit ihrem Leben auf dem Schoß haltend.

„Hey, wenn dein Vater was Unartiges gemacht hat, dann kann ich ein paar richtig miese Typen zu ihm schicken, die ihm mal so richtig den Arsch aufreißen.“

Alex musste schmunzeln. Was war das für ein irrer Freak, an den sie da geraten war? Aber irgendwie erweckte er ihr Vertrauen. „Äh … Sie drehen Pornos?“

„Jo, genau das tue ich. Im Handschuhfach liegt mein erster Film, ist ein Glücksbringer.“

Alex griff über ihre prall gefüllte Reisetasche hinweg und öffnete mit etwas Mühe das Handschuhfach. Sie ertastete die Kassettenhülle und zog sie hervor. Es war ein rotes Bild mit drei Frauen – eine weiße in der Mitte und zwei grün angemalte mit künstlichen Antennen auf dem blonden Kopf daneben. In aufgeplusterten, gequollenen, stechend pinkfarbenen Buchstaben stand dort: „Lesbische Gladiatorinnen vom Mars; eine Goldfinger Produktion.“ Alex schaute sich die Rückseite an, auf der stand: „Die Astronautin Erika landet nach jahrelanger, unbefriedigender Reise auf dem Mars, wo sie auf die geilen, lesbischen Gladiatoren trifft. Neunzig Minuten.“

„Eh, du hast doch sicher schon mal einen Porno gesehen, oder? Weißt du, was mich stört?“

„Äh … nein. Was denn?“

„Dass es größtenteils billige Clips sind. Das ist eine Kunstform, Baby, und ich werde ihr aus diesem Urschleim an Billigclips heraushelfen! Ich werde sie hoch hinaufhieven, zu den abendfüllenden Programmen! Es wird in Berlin so eine Art Oscar-Nacht für Pornos geben, wo der Goldene Ständer verliehen wird. Das ist mein Traum, Alex. Hast du auch einen Traum?“

„Ich weiß nicht.“ Alex legte die Kassette zurück und schloss behutsam das Schubfach. „Ich muss darüber nachdenken, wie mein Leben weitergehen soll.“

„Ach so … Ich hatte vorhin nicht verstanden, warum du weggelaufen bist.“

Alex konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie diesem auf verdrehte Art liebenswerten Freak vertrauen konnte. Sie war ohnehin schon so weit gegangen, also los: „Ich, äh … bin ein … Zwitter“, murmelte sie.

„Du bist ein echter Intersexueller?“, fragte Nino.

„Äh … ja“, gab Alex etwas beschämt zu.

„Darum bist du weggelaufen?“

„Na ja, ich …“ Sie dachte nach. „Intersexueller?“ Das Wort hatte sie noch nie gehört.

„Klar, das bedeutet Zwitter. Oder Hermaphrodit. Warum bist du deswegen weggelaufen? Es gibt in Deutschland eine ganze Menge vom dritten Geschlecht.“

„Ja, äh …“ Alex fasste Mut und ging aufs Ganze: „Meine Eltern wollten einen Jungen, also haben sie meine … du weißt schon … wegmachen lassen.“

„Das ist übel“, meinte Nino. „Wie geht’s dir?“

„Ganz gut. Die haben es schon vor langer Zeit weggemacht, als ich noch ein Baby war. Ich wusste nicht, dass ich ein Herm… äh?“

„Hermaphrodit“, half Nino.

„Ja, Hermaphrodit bin. Hab es erst vor Kurzem erfahren. Ich mag das Meer, dachte, ich gehe hin und denke nach, wie ich weitermache.“

„Hm …“ Nino überlegte. „Egal, wie du dich entscheidest, du wirst Geld brauchen. Was hältst du davon, bei einem meiner Pornos mitzuspielen?“

„Was?!“

„Keine Angst, Alex. Ich habe schon eine Idee und suche nach Hermaphroditen, die mitmachen wollen. Es soll um ein Mädchen gehen, das sich wünscht, von seiner besten Freundin gefickt zu werden. Und der Wunsch geht eben in Erfüllung. Du könntest die beste Freundin spielen. Ich habe schon die Dialoge und das Drehbuch fertig.“

„Ein Drehbuch für … einen Porno?“

„Jo, ich sage doch, ich will aus den Clips abendfüllende, ernst zu nehmende Filme machen. Du könntest auch bei Lesbische Gladiatorinnen vom Mars 2: Jetzt wird es doppelt so geil mitspielen.“

Als Alex in diesem Moment darüber nachdachte, während sie auf dem Parkplatz nahe des grauen, groben Gebäudes in eine Parklücke fuhr, musste sie wegen dieses verrückten Typen, der in seiner eigenen Welt lebte, den Kopf schütteln. In einer Welt, in der man die Geschichte nicht wegspulte. „Was für ein Träumer“, sagte sie, aber sie musste zugeben, dass sie diesem Träumer einiges verdankte, den Ford Escort EXP zum Beispiel, in dem sie gerade saß und dessen Motor sie abstellte.

Alex schwang ihre Beine heraus, schlug die Tür hinter sich zu und schloss ab. Sie ging um den alten, grauen Kasten von einem Gebäude herum zu dem kleinen Eingang, durchquerte einen Raum mit wuselnden Leuten, Stühlen und Möchtegern-Pornostars, die gleich das Trauma ihres Lebens erleben würden, durchschritt einige weitere Räume und betrat schließlich einen großen Raum, der zur Hälfte aus einem blendend hellen Weiß bestand. Er war wie dafür gemacht, jeden kleinen Winkel auszuleuchten, seien es Gegenstände oder Körper, nichts sollte im Dunkeln bleiben. Auf der dunklen Seite des Raumes standen eine Menge Klappstühle, auf denen eine Menge Kerle saßen, alle in schwarzen T-Shirts und mit Skimasken. Sie standen auf und ließen ihre Hosen herunter, einige kamen mit ihren dicken Arbeitsschuhen jedoch nicht aus der Hose. Ganz in der weißen Hälfte, noch vor den Kameramännern, stand Mr. Knochen, wie üblich ganz in Schwarz, mit seiner gebräunten Glatze, die in den Scheinwerferlichtern schimmerte. Er sah Alex mit seinen kleinen, zusammengekniffenen Äuglein und kam gleich auf sie zu.

Alex konnte ein gewisses Unbehagen in sich spüren, das Gefühl, das ihr sagte, dass nichts so laufen würde, wie es sollte. An der kleinen Narbe neben ihrem Glied konnte sie ein Prickeln spüren. Normalerweise spürte sie diese Narbe nur, wenn das Wetter umschlug, und wer sagte, dass es das nicht tat? Es schlug um. Nur nicht außerhalb des Raumes, sondern darin. Alex fühlte eine Schwere auf ihren Beckenboden sinken, kurz gesagt: Es war ihr nicht ganz geheuer.

Trotzdem schüttelte sie diesem Kerl die Hand.

„Schön, dass du da bist, Alex. Hör zu, wir haben ziemlichen Zeitdruck, für dein Make-up und die Perücke bleibt keine Zeit.“

Na gut, scheiß auf das Make-up. Der Film wird eh untergehen in den Fluten an Pornos, die die Algenschicht und die Schlacke am Boden des Internets darstellen.

Dann fiel ihr der Kerl auf, der die ganze Zeit in der Ecke gestanden hatte. Sein Pimmel hing wie ein Wasserschlauch herab. Er hatte merkwürdig scharfe Gesichtszüge, ähnlich eines Haifischs. Vermutlich war er das in dieser Branche auch. Er kam zu ihr herüber. Die Typen, die sich eben ihrer Hosen entledigt hatten, gingen auf die weiße Hälfte des Raumes, die Kameramänner machten ihre Kameras bereit.

„Okay, was geht hier vor?“, fragte Alex nun, als sie spürte, dass sie eingekreist wurde.

Der Typ blieb mit verschränkten Armen neben Mr. Knochen stehen, der sagte: „Also, zieh dein Zeug aus“, sich umdrehte und auf die Ansammlung von an der falschen Stelle halbnackten Typen deutete. „Du gehst da rüber und lässt es dir von Joe hier besorgen, derweil machen die Spritzer ihre Arbeit.“

Alex zog die Brauen zusammen und schaute zu den „Spritzern“ hinüber, die erwartungsvoll dastanden. Dann blickte sie zu dem Kerl neben Mr. Knochen, der sie anlächelte und sich auf die Sache sicher schon freute. Schließlich sah sie zu Mr. Knochen. „Worauf wartest du, Alex?“, fragte dieser.

„Ich dachte, du brauchst einen echten Zwitter?“

„Klar, wir brauchen auch einen. Schließlich ist unser letzter weg“, erklärte er.

„Okay, okay“, begann Alex. „Also, noch mal zusammengefasst: keine Zeit für Perücke oder Make-up.“ Mr. Knochen nickte. „Ich soll mich von Gartenschlauch-Joe hier ficken lassen, obwohl ich euch Typen schon gesagt habe, dass mein Arsch tabu ist.“ Mr. Knochen nickte. „Gleichzeitig soll ich mich von den Pennern da drüben noch bespritzen lassen.“ Mr. Knochen nickte. „Und dazu brauchst du einen echten Zwitter? Warum hast du dir für so einen Scheiß keine der Transen gesucht?“

Mr. Knochen verleierte die Augen. „Die Leute wollen was Echtes. Wäre nett, wenn du auch einen hochkriegen würdest. Und jetzt zieh dich aus.“

„Fick dich!“, rief Alex. „Bei so einer Scheiße mache ich nicht mit.“

„Hm“, meinte Mr. Knochen, die Informationen verarbeitend. „Zu spät, es ist schon alles bereit und in der Zeit hätte ich was anderes drehen können. Also zieh dich aus und lass dich da drüben ficken!“ Er deutete mit dem Daumen auf die Spritzer, immer noch wartend.

„Einen Dreck werde ich tun!“

„Willst du mich verarschen, Mädchen!“, brüllte Mr. Knochen sie an. „Ich habe den ganzen Vormittag alles dafür zusammengekratzt, während ich was anderes hätte drehen können! Jetzt mach endlich, die Zeit drängt!“ Er klatschte ein paarmal in die Hände, um Alex Beine zu machen, aber es klappte nicht. Sie blieb stehen.

„Die macht das nicht, kann ich jetzt schon sehen“, kommentierte der Kerl neben Mr. Knochen. „Ich hole mir einen Kaffee, soll ich was mitbringen?“

„Du bleibst da, du Affe!“, donnerte Mr. Knochen. „Und du gehst jetzt dorthin und machst, wofür ich dich bezahle, verdammt!“

Alex beugte sich vor, sodass nur noch wenige Zentimeter Platz zwischen ihr und Mr. Knochens Visage waren. „Ich mach deinen Scheiß nicht! Dafür bin ich nicht hergekommen!“

„Wofür bist du dann hergekommen?“, fragte er. „Für Solonummern habe ich genug Leute, sei froh, dass wir dich gerade für keinen SM-Scheiß brauchten.“

„Dabei mache ich auch nicht mit.“ Alex verschränkte die Arme und lehnte sich wieder zurück. „Ihr könnt abhauen, Jungs! Heute findet hier nichts mehr statt!“, rief sie den Spritzern zu.

Die wollten gerade wieder zu ihren Hosen schlurfen, als Mr. Knochen zurückbrüllte: „Ihr bleibt, wo ihr seid!“ Also blieben sie stehen, begannen sich über Fußball zu unterhalten und outeten sich als Bayernfans. „Was soll das jetzt? Stell dich nicht wie ein Mädchen an!“, schrie er.

„Tja, mein Freund, ich bin kein Mädchen“, widersprach Alex.

„Genau das bist du! Hör zu, Alex, nur, weil du Ninos Liebchen bist und der hier das Geld überschreibt, gibt dir das keine Narrenfreiheit. Du siehst aus wie eine Frau und deshalb wirst du dich von dem Prachtkerl hier ficken lassen, weil Frauen wie du sich nun mal ficken lassen! Das wollen die Leute sehen! Die Frau unten und der Mann oben, wie Mütterchen Natur es eingerichtet hat. Sei froh, dass wir so einem Freak wie dir Arbeit geben!“

„Ich bin ein Intersexueller! Das ist weit entfernt von einer Frau!“, schrie Alex zurück.

„Hör zu“, begann Mr. Knochen jetzt wieder ganz ruhig. „Entweder man ist ein Mann, wie Gartenschlauch-Joe hier, oder man ist eine Frau. Dazwischen gibt es nichts! Es gibt nur Männer und Frauen und Dinge! Wenn du lebst, bist du kein Ding, sondern ein Mann oder eine Frau. Und wenn ich dich so ansehe, dann sehe ich da keinen Mann! Nur, weil du bei einem von Ninos weichgespültem Mist mitgemacht hast, glaubst du, dass du ein ganz großer Star bist und dich wie eine Diva aufführen kannst. Ich habe eine Überraschung für dich: Du bist einfach ein Fehler der Natur! Ohne uns würde deinesgleichen nicht überleben!“

Er sprang hoch, während er schrie, seine künstlich gebräunte Rübe schwoll rot an und seine Adern traten hervor. Alex spuckte ihm auf die Glatze und war überrascht, dass ihre Spucke nicht sofort verdampfte. Mr. Knochen fasste sich auf die Glatze und betrachtete Alex’ Spucke an seinen Fingern. Mit einem Mal schoss er wie die Abrissbirne, die er auch war, voran. Joe hielt ihn gerade noch zurück. „Du dreckiger Freak! Ich mach dich fertig!“

„Hey, lass gut sein, Mann! Ist doch ihre Sache, wenn sie nicht mitmachen will“, versuchte Joe ihn zu beruhigen, doch es klappte nicht.

Die Spritzer hörten auf, über ein unklares Tor und die Entscheidung des Schiedsrichters zu diskutieren, und schauten die beiden streitenden Recken an.

Langsam kriegte sich Mr. Knochen ein. „Ich habe alles vorbereitet, Missie, jetzt gibt es kein Zurück mehr, also mach deinen Job!“, befahl er schroff.

Alex zog ihr Samsung aus der Tasche und wählte Ninos Nummer. Dieser meldete sich: „Hallo, Alex, lange nichts mehr von dir gehört! Was ist los?“

„Was los ist? Dein Mr. Knochen hat mich für eine Solonummer bestellt und jetzt steht er hier mit Gartenschlauch-Joe und einer Bande von Spritzern.“

„Was wird das?“, fragte Mr. Knochen.

Er starrte Alex weiter wütend an, während sie telefonierte. Dann legte sie auf. „Klär das mit Nino!“, sagte sie, zog sich einen der Klappstühle zurück und pflanzte sich mit verschränkten Armen darauf. Nun gingen die Spritzer wirklich zu ihren Hosen zurück und zogen sich an.

„Was soll das werden?!“, schrie Mr. Knochen.

„Ich warte darauf, dass Nino dir die Hölle heiß macht“, antwortete Alex und blieb lächelnd sitzen.

Mr. Knochen griff sich an die Stirn und begann herumzulaufen. „So eine verdammte Scheiße habe ich in meiner ganzen Laufbahn noch nicht erlebt“, sprach er zu sich selbst.

Einer der Spritzer stand plötzlich neben Alex und schaute auf sie hinunter. „Und, äh … du hast wirklich einen Schwanz?“

„Ja“, sagte Alex, nicht ganz sicher, was das werden würde.

„So von Geburt an oder …“

„Ja, so von Geburt an.“

„Und … du bist keine Transe?“

„Nein, bin ich nicht.“

Kurze Stille, dann: „Cool“, und er ging wieder.

Schließlich flog die Tür auf und Nino Goldfinger stürzte herein, mit dickem, fettem Pelzmantel um die dürren Glieder, schicken, violett glänzenden Schuhen, einem weißen Hut mit pinkfarbenem, leopardengemustertem Hutband, dicker, goldener Elvis-Sonnenbrille im Gesicht und dem markanten spitzen Kinn. Alex stand auf und ging zu ihm hinüber. Er breitete die Arme aus und nahm Alex zur Begrüßung in die Arme: „He, Alex, du kannst dich ruhig öfter melden! Was ist los?“

„Also“, begann Alex, „dein Mr. Knochen ruft mich zur Solonummer und sagt zu Perücke und Make-up zuerst okay. Dann bin ich da und es heißt: Sorry, Mädchen“, äffte sie ihn nach, „wir haben keine Zeit für Perücke und Make-up. Also lass dich von Gartenschlauch-Joe in den Arsch ficken und von den Pennern dabei anspritzen und … oh, bevor ich es vergesse, wäre nett, wenn du auch einen hochkriegen würdest, das war verdammt noch mal los!“

Nino stakste auf Mr. Knochen zu. „Hey, stimmt das?“

„Ruhig. Ja, größtenteils ja“, gab Mr. Knochen zu.

„Alex macht so was nicht mit, war dir doch bewusst, oder?“

Mr. Knochen massierte seine Nasenwurzel. „Nino, du weißt, dass die Leute was besonders Widerliches und Abartiges sehen wollen, weil wir sie sonst verlieren.“

„Porno ist mehr als das!“, führte Nino an.

„Nino, du weißt, dass ich dich immer geschätzt habe, aber davon hast du keine Ahnung mehr“, sagte der kleine zu dem großen Kerl. „Du bist irgendwo in der Vergangenheit hängen geblieben. Heute heißt das hop oder top und deine Alex hat mir top schon zugesichert, also überzeug sie bitte.“

„Nein, das werde ich nicht. Was drehst du hier überhaupt?“

Mr. Knochen stöhnte auf. „Okay, Alex wird von Joe hier rückwärts genommen, während die Spritzer auf sie spritzen. Punkt.“

Nino dachte kurz nach. „Wie soll es denn zu so was kommen?“

„Nino“, sagte Mr. Knochen ruhig.

„Was ist das denn für eine Handlung? Ich meine, worum geht’s in diesem Porno?“

„Nino“, sagte Mr. Knochen erneut.

„Und diese Location, hast du zum Drehen keine Strandvilla oder so?“

„Nino!“, schrie er jetzt. „Es gibt keine Handlung, außer das Ficken!“

„Wir waren uns doch einig, dass wir was Besseres bringen wollen als den üblichen Scheiß. Wir bringen Kunst, Mann.“

„Tut mir leid, das sagen zu müssen, aber du hast keinen Durchblick mehr. Was du gedreht hast, war weichgespülter Softporno-Dreck und die Einzigen, die sich deine Lesbischen Gladiatorinnen vom Mars angeschaut haben, waren Idioten, die einfach mal grüne Schlampen mit Antennen sehen wollten. Denkst du, auch nur ein Mensch auf Erden hat sich die Dialoge angehört? Bei so was spult man weiter! Das will keiner sehen! Wir sind hier nicht in Hollywood! Die Leute wollen nur den Sex sehen und der soll so dreckig und deutlich wie möglich sein, der ganze Rest ist Zeitverschwendung! Dein Traum, aus Pornos Kunst zu machen, ist der letzte Dreck! So was will keiner sehen! Du bist veraltet, Alter!“ Nino stand da wie ein gerügter Junge, während Mr. Knochen weitersprach: „Was du machen willst, gucken sich nicht mal Feministinnen an. Wir haben nur Geld, weil ich drehe, was die Leute sehen wollen! Der Rest ist Mist. Denk doch mal über die erste Sache nach, die du mit Alex gedreht hast …“

Nino blieb weiter stumm mit gesenktem Haupt stehen und Alex ahnte nichts Gutes. Sie ging langsam auf die beiden zu. Es würde tatsächlich einen Wetterumschwung geben, sie konnte das Unwetter bereits spüren, von ihrer Narbe bis in ihre Gedärme hinein.

„Denk an diesen Mist“, fuhr Mr. Knochen fort. „Ein Mädchen träumt davon, von ihrer Freundin gefickt zu werden, und findet eine Wunderlampe, aus der Joe hier mit viel Rauch und einem falschen Schnauzbart kommt und ihrer Freundin einen Schwanz dranzaubert!“ Er schlug sich vor die Stirn. „Dann ficken sie das erste Mal nach dreißig Minuten. Die Fingerszene am Anfang war der reinste Müll! Und sie diskutieren mit ihren Eltern und hauen schließlich ab. Und – oh, ja – treiben es am Ende im Sonnenuntergang! In welcher Welt lebst du Schwachkopf überhaupt? Dein Traum vom abendfüllenden Hollywood-Porno wird niemals wahr! Irgendwann wird einer meiner Pornos einen Oscar kriegen“, äffte Mr. Knochen Nino nach. Die Sexszenen werden eher stören, weil alle wissen wollen, wie es weitergeht!“ Er lachte.

Als Mr. Knochen wieder aufsah, hatte Nino schon die goldene Beretta gezogen und drückte sie gegen dessen künstlich gebräunte Stirn. Mit weit aufgerissenen Augen schrie er: „Was verfickt machst du kranker Idiot da?!“

„Du hast recht“, meinte Nino. „Mein Traum wird nie etwas, nicht in dieser Welt. Aber ich werde einen Schmierfleck wie dich ganz sicher nicht weiter rumlaufen lassen.“

„Scheiße, das meinst du nicht ernst!“

Alex war mit ihren Cowboystiefeln am Boden festgefroren. Ebenso wie die Spritzer. Nino verkniff sich die Tränen unter seiner riesigen Sonnenbrille.

Dann kam der Sturm.

Die Mündung flammte auf und schickte eine vom Drill angedrehte Kugel voran, die in Mr. Knochens künstlich gebräunte Stirn eintrat, dessen Augen in diesem traumatischen Moment in zwei verschiedene Richtungen starrten. Die Kugel bahnte sich ihren Weg, sein Hinterkopf explodierte und zog einige rosafarbene Schlangen an Gehirnwindungen mit sich, die wie ein Vektor auf dem Boden aufschlugen und zum Ausgang zeigten. Der Rest des Körpers folgte dem Pfeil aus Hirnmasse und schlug mit dem Kopf voran auf.

Die dünnen Krallen mit den langen goldenen Fingernägeln zitterten, während sie verkrampft die Pistole hielten. Einige Blutspritzer waren auf seinem Mantel und seinem Hut wie auch auf seiner Sonnenbrille gelandet. Langsam senkte er die Pistole und schaute zu Alex. Zum ersten Mal, soweit sie sich erinnern konnte, nahm er die Elvis-Sonnenbrille ab und Alex konnte seine traurigen, dunkel umrandeten Augen sehen.

Sie wussten beide, dass es das Ende war.

Alex löste ihre Stiefel vom Boden, während die Spritzer paralysiert dastanden und nichts zu tun wussten. Sie würden, sobald es vorbei war, diesen schrecklichen Ort verlassen und nie zurückkehren. Seit dem Knall verließen bereits alle das Gebäude, bis auf diejenigen in diesem Raum. Der tote Mr. Knochen starrte mit einem Auge die Spritzer an und mit dem anderen Alex, die seinem losgelösten Blick entging, indem sie zu Nino lief, der dort weinend und verloren stand, und ihn in die Arme nahm. Nino weinte und ließ die Brille fallen, die auf dem Boden aufschlug.

„Tut mir leid, Nino“, sagte Alex, ohne so recht zu wissen, was. Sie löste sich von ihm.

Nino deutete auf die Exit-Tür, wo eine Tasche stand. „Ich habe es gewusst.“

„Was?“, fragte Alex.

„Dass es so kommen würde. Ich habe es gewusst.“

In dieser Melancholie standen sie da, inmitten des Porno-Sets.

„Was willst du jetzt tun?“

„Ich könnte mich erschießen oder …“

„Oder was?“

„Oder mich ergeben … was ich nicht tun werde“, fügte er hinzu. „Oder …“

„Oder?“

„Oder ich fahre dorthin, wo ich es schaffen kann. Wenn ich schnell genug fahre, komme ich an, ehe ich losgefahren bin.“

Alex sagte nichts, vor allem, weil sie Nino nicht so recht folgen konnte.

„Die Tasche an der Tür ist für dich. Da ist mein Geld drin. Ich brauche es nicht.“ Er berührte ihre Schultern, schaute sie an und ging schließlich ein paar Schritte zurück. „Ich erinnere mich noch, wie du damals am Straßenrand standest und ein Schild hochhieltest, auf dem Nirgendwo stand. Ich dachte einen Moment darüber nach, einfach vorbeizufahren, bin aber froh, dass ich es nicht getan habe. Du bist schließlich noch nicht angekommen, was?“ Er beugte sich herab und hob seine Sonnenbrille auf. Sie hatte einen spinnennetzartigen Sprung und war mit einigen Blutflecken besprenkelt. „Gehen wir?“

Alex nickte. Sie gingen an Mr. Knochen vorbei, Alex beugte sich herunter und hob die Tasche im Gehen auf. Gemeinsam durchschritten sie die Exit-Tür und alle darauffolgenden.

Draußen sah Alex, dass Ninos Wagen – derselbe, in dem er sie damals aufgelesen hatte – zwei Parkplätze neben ihrem stand. Beide gingen zu ihren Autos, öffneten die Türen und warfen sich einen letzten Blick zu. Nino lächelte. „Wir sehen uns bei der Oscar-Verleihung“, sagte Alex lächelnd. Beide stiegen ein.

Alex warf die Tasche auf die Rückbank und startete den Wagen mit dem Gefühl, dass Nino in seinem Gefährt die Überschallgeschwindigkeit erreichen könnte und sich die Erde unter seinen Reifen langsamer drehen würde, als beide hinaus in Leipzigs Gedärme schossen. Hinaus aus der Stadt auf die langen, leeren Straßen der Nacht.

Alex fuhr ein ganzes Stück. Halb in Trance registrierte sie irgendwann, dass es bald Morgen werden würde. Also bog sie von der Straße auf einen langen Feldweg ab und tuckerte in ihrem Ford Escort EXP dahin. Der Himmel hellte sich langsam auf. Der einzig sichtbare Lichtfleck war das weiße Mondgestein. An einem alten Kirschbaum bog sie ein und fuhr ein Stück. In dem langsam weiß-blau werdenden Himmel zeichneten sich kreuz und quer Karos aus wunderschönen Chemtrails ab. Schließlich hielt sie den Wagen an, wo die Umgebung noch immer grau war. Rund herum ragten riesige, dünne Windräder in den Himmel. Sie stieg aus, holte eine Jacke aus dem Kofferraum, platzierte sie so auf der Motorhaube ihres treuen Fords, dass sie den Lack unmöglich zerkratzen konnte, und setzte sich darauf. Nur ein dünner, verschwommener, roter Ring zog sich über die Landschaft. Bald würde die Sonne aufgehen. So hell, wie der Streifen war, musste der Rand der Sonne jeden Moment über die Erde lugen.

Wie weit von zu Hause war sie wohl entfernt? Nicht von dem Ort, sondern von der Zeit, als sie das Haus mit ihrer vollgestopften Reisetasche verlassen, sich an die Straße gestellt und das Schild mit ihrem Reiseziel Nirgendwo hochgehalten hatte? Es musste sehr weit weg sein.

Sie erinnerte sich, wie sie zum ersten Mal hinter dem Steuer eines Wagens gesessen hatte. Sie musste damals elf oder zwölf gewesen sein. Damals hatte sie nicht einmal geahnt, ein Zwitter zu sein. Ihre Eltern hatten ihr weisgemacht, sie wäre ein Junge, und so war sie auch aufgewachsen. Damals hatte sie kurz geschorenes Haar getragen. Wenn sie jetzt daran dachte, war es, als wären es gar nicht ihre Erinnerungen, sondern die eines anderen. Die Erinnerungen von jemandem, der jetzt erwachsen war, vielleicht eine kleine Familie hatte und mit den Kumpels in den Club Blue Monday zum Saufen ging. Dieser Jemand war nicht sie.

Ihr Vater war ein ziemlich großer Kerl, der gern Holzfällerhemden trug und als Mechaniker arbeitete. Neben ihrem Haus hatte er seine kleine Werkstatt. Als Junge glaubte Alex, als Erwachsener genau so auszusehen. Mit diesem stoppelbärtigen, gespaltenen Kinn, dem länglichen Gesicht, den schmalen Augen und dem dunklen Haar. An diesem einen Morgen sagte er zu ihr: „Sohn –“ Immer, wenn er irgendeine Ankündigung machte, die Alex betraf, sagte er „Sohn“, nie „Alex“, und zwar mit einer gewissen Aufbruchstimmung in der Stimme. Er sagte also: „Sohn, heute werde ich dir zeigen, wie man ein Auto fährt. Na, was hältst du davon?“ Und es gab keine Antwort außer: „Das ist spitze, Paps“, die ihn nicht verärgert hätte.

Also gingen sie an diesem Morgen hinaus zu seinem Chevrolet Balzer, diesem schwarzen Monster von Auto. Er warf ihr den Schlüssel zu und Alex fing ihn etwas ungeschickt auf. Damals war ihr Vater noch ganz anders, als er noch einen Sohn hatte, den er zu einem Prachtexemplar von Mann formen konnte, wie er selbst eines war. Alex schloss den Wagen auf und kletterte auf den Fahrersitz. Es war ein eigenartiges Gefühl, dort zu sitzen, von hier aus sah die Welt ganz anders aus als vom Beifahrersitz.

Wie oft schon hatte er ihr während der Fahrt die Armaturen erklärt? Wie oft hatte Alex ihm zugesehen, während er diesen Wagen fuhr. Seine Augen, die immer zielgerichtet geradeaus gestarrt hatten, während er erzählte. Nun saß sie selbst hinter diesen gewaltigen, cremefarbenen Armaturen, legte die Hände um das große, schwarze Lenkrad, in dessen Mitte ein Kreuz prangte, als ob dies hier ihre Religion wäre. Als ob Autos sie für den Rest ihres Lebens begeistern würden.

Ihr Vater nahm auf dem Beifahrersitz Platz und schaute wie immer zielgerichtet geradeaus, als würde er die brachiale Zukunft in Augenschein nehmen. „Ich habe dir alles erklärt, Sohn“, sagte er. „Rechts ist das Gas, in der Mitte die Bremse und links die Kupplung.“ Alex drehte den Schlüssel im Zündschloss, schob ihren im Turnschuh steckenden rechten Fuß auf das Pedal und den anderen auf die Kupplung. Sie musste lächeln, als sie an das Gefühl dachte, wie der Wagen sich aufgebäumt hatte, um kurz darauf mit einem gewaltigen Ruck zu ersterben.

Alex saß zwischen den beiden Lichtern auf der Motorhaube und schaute sich den Sonnenaufgang in der nebligen, unscharfen Frühe an. Sie sah, wie sich der gesamte Himmel rot färbte und das erste glühende Stück Sonne aus dem roten Wolkenmeer auftauchte. Die Windmühlen glänzten und die ersten warmen Strahlen erstreckten sich über den holprigen Weg und die Felder. Alex setzte nun die Pilotensonnenbrille auf, die sie die ganze Zeit in den Fingern gedreht und gewendet hatte, während die Sonne träge und wabernd aufstieg.

Die Erinnerung an die leichten, aber tiefen Vibrationen des Wagens, den sie damals endlich zum Leben erweckt hatte, strömte auf sie ein. Vorsichtig, geradezu ängstlich drehte sie das Lenkrad nach rechts, während der Chevrolet über die Gittersteine aus der Ausfahrt vor der Garage rollte. Sie fuhr den grob asphaltierten Weg nach rechts, den sanften Hügel hinauf. Der Anstieg war kaum merklich, doch Alex fühlte sich, als würde sie eine Achtzig-Grad-Steigung hinauffahren und das Auto fast umkippen. „Nur zu, Sohn, gib etwas mehr Gas“, wies ihr Vater sie an und Alex verstärkte den Druck auf das Pedal. Der Chevrolet rollte murrend und knurrend hinauf, den Gärten und Feldern entgegen, wo die ersten elfenbeinweiß strahlenden Windräder standen, die sich in den darauffolgenden Jahren karnickelgleich vermehren sollten. Alex’ Augen huschten für den Bruchteil eines Augenschlags zu den schwarzen Anzeigen, doch als sie wieder den weiten, blauen und von jeder Wolke befreiten Himmel über dem Feldweg sah, hatte sie bereits vergessen, was sie gesehen hatte. Es war ein langer, steiniger, staubiger Weg, fast wie der, auf dem Alex jetzt stand und der Sonne beim Aufquellen zusah. Rundherum erhellte sich der Himmel.

„Gib noch etwas Gas, komm schon, Junge, trau dich!“, forderte ihr Vater und Alex gab noch mehr Gas. Als der dunkle, lavasteingleiche Asphalt endete und in die staubige Straße überging, gab es ein kurzes Auf und Ab. Alex beschleunigte. Es waren vielleicht 50 Kilometer pro Stunde, aber ihr kam es vor wie 220. Langsam erwachte dieses merkwürdige Glück in ihr, das Monstrum aus Stahl und Kunststoff endlich zu beherrschen, dass sie die Zügel fest in der Hand hatte und es ihren Befehlen folgen würde, egal, wie auch immer diese lauten würden. Alex begann, unsicher zu lachen. Ihr Vater grinste, zufrieden mit ihr, seinem Sohn.

Von diesem Tag an fuhr Alex für einen Teenager unheimlich oft und bald schon bis zum Kaufhaus oder zu den kleinen Läden in der Nähe. Bis irgendwann mit siebzehn oder achtzehn – überraschenderweise konnte Alex sich nicht mal mehr genau erinnern, wie alt sie gewesen war – die wirklichen Schwierigkeiten anfingen. Als ihr Becken sich eher in die weibliche Richtung entwickelte und ihre Brüste zu wachsen begannen, wurde ihr klar, dass sie nicht einfach nur ein Junge war. Damals war das Fahren das Einzige, was ihr eine gewisse Stabilität gab, während die Welt um sie herum zusammenbrach, als ihr eröffnet wurde, dass sie kein einfacher Junge war, sondern halb und halb.

Alex machte sich erst spät Gedanken über die dünne Narbe, die neben ihrem Penis verlief. Ihre Mutter erklärte ihr damals, dass die Narbe von einer „offenen Stelle“ herrührte, die kurz nach der Geburt geschlossen werden musste. „Du musst dir deshalb keine Sorgen machen“, fügte sie hinzu, während sie Alex an sich drückte und umarmte. Ungläubig fragte Alex: „Wirklich?“ Wegen der Gefahr, die von dieser Narbe ausging, war sie sich nicht ganz sicher. Ihr Vater antwortete darauf: „Du lebst doch noch, oder etwa nicht?“

Das hatte Alex viele Jahre gereicht, bis sie sich eben zu verändern begann. Dann eröffnete man ihr, dass sie mit zwei Geschlechtern geboren wurde und der Arzt, der bei der Geburt dabei gewesen war, ihre Eltern fragte, was sie lieber haben wollten, da man das Kind in so einem „Zustand“ nun mal nicht belassen konnte. Also entschlossen sich ihre Eltern, auf besonderem Wunsch des Vaters, für einen Jungen und glaubten in ihrer geistigen Einfachheit und der Angst, dass es sich damit erledigt hatte. Wer hätte schließlich damit rechnen können, dass sich Alex’ restlicher Körper ganz abrupt in die weibliche Richtung entwickeln würde? Das Unheil war wie die Sonne zu einem Oval aufgestiegen, schwer und schwabbelnd.

Alex erinnerte sich gut, wie ihr Vater sie drängte, sie solle sich Medikamente besorgen, um die weiblichen Hormone zu unterdrücken. Doch Alex entschied sich dagegen, was ein Glücksgriff sein sollte, denn überraschenderweise harmonierte ihr Körper, kurzum: Ihr Körper formte sich weiblich, während ihr Prügel sich verhielt, wie man es von ihm erwartete. Jede hormonelle Therapie hätte sie aus dem Gleichgewicht gebracht.

Ihr Vater sprach sie damals mit „Alexander“ an, als könnte er sie mit dieser Zauberformel beherrschen. Das Schlimmste an allem aber waren die Einfachheit und die Leichtfertigkeit der Entscheidung, dass sie ein Junge sein sollte. Das darauffolgende Übel brachte das Fass endgültig zum Überlaufen: Der Arzt riet ihr, sich „umwandeln“ zu lassen. Zuerst hatten sie ihr einfach das weibliche Geschlecht genommen und nun wollte man ihr auch noch ihren kleinen Freund wegschneiden und durch eine künstliche Vagina ersetzen, nur, damit sie sich der Gesellschaft anpassen konnte, weil sie sonst niemand akzeptieren würde.

Ihr Vater wäre sicher stolz auf seinen Sohn, wenn er wüsste, mit welch schicken und geschmackvollen Fräuleins sie auf so männliche Weise verkehrte. Das jedenfalls dachte sich Alex, während sie zusah, wie die Sonne sich langsam und zäh vom Boden löste. Eines nämlich fürchtete ihr stolzer Vater mehr als alles andere: dass sein Sohn eine Schwuchtel sein könnte. Sicher würde es ihn wenigstens etwas ermutigen, wenn er wüsste, dass Alex’ Arsch auch weiterhin eine Einbahnstraße bleiben würde. Bei diesem grotesken Gedanken hätte sie fast gelacht. Nun war sie ihrem Vater äußerlich wie innerlich so unähnlich. Das Einzige, was vermutlich wirklich noch zu ihm gehörte, war das fast unmerklich gespaltene Kinn.

Das Rot setzte sich langsam ab und immer mehr helles, von Wolken zerschnittenes Blau ergriff vom Himmel Besitz. Die Sonne wurde allmählich weiß, das Licht schwappte über den Rand der Welt und floss die Felder hinab. Es wurde Tag. Ein neuer, sehr junger Tag. Wohin sollte sie nun fahren? Wie ging es weiter? Von hier aus konnte die Reise fast überall hingehen, vielleicht sogar zu den Far Lands, wo der Leveleditor der Welt die ersten Fehler machte. Wo die Naturgesetze langsam ausgehebelt wurden. Vielleicht würde sie auch mitten ins Nirgendwo fahren, so wie immer …

Eines aber war ihr spätestens jetzt klar: Der Sonnenaufgang war voll porno.

Schwarzmarkt Magie

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