Читать книгу Einfach mal klarkommen - Jennifer Elise Bentz - Страница 4

Kapitel 2

Antilopen bekommen schneller Burn-out

Оглавление

»Ich hätte viel mehr eingekauft und dein Bett bezogen, wenn ich nur gewusst hätte, dass du zu Besuch kommst«, schimpfte meine Mutter, nachdem ich sie begrüßt und mich zu Hause am Küchentisch niedergelassen hatte.

»Mach dir keine Umstände«, sagte ich, »ich will gar nichts essen.«

»Du gefällst mir überhaupt nicht«, sagte meine Mutter und setzte sich neben mich an den Küchentisch, »seit Monaten sage ich dir, dass du Urlaub brauchst.«

»Ich kann erst Urlaub machen, wenn endlich alles so ist, wie ich es haben will«, sagte ich. »Vorher kann ich nicht entspannen.«

»Meinst du, der ganze Stress und der viele Druck tun dir gut?«, fragte sie. »Du weißt, dass du jederzeit zurückkommen und wieder bei uns im Büro arbeiten kannst.«

»Ja, ich weiß.«

»Das wäre zumindest der einfachere Weg.«

»Der einfachere Weg muss aber nicht der richtige sein.«

Oder doch?

»Aber schau doch mal, wie du aussiehst, das bricht einem ja das Herz«, fuhr meine Mutter unbeirrt fort. »Es würde mich nicht wundern, wenn du durch den ganzen Stress krank geworden bist. Lass dich doch wenigstens bei Dr. Herberti mal durchchecken.«

»Nein.«

»Bitte.«

»Später.«

Nach dem Essen ließ ich mich erschöpft auf das Bett in meinem alten, seit Jahren unveränderten Zimmer fallen. Ich hatte es noch nicht einmal geschafft, die Treppe vom Erdgeschoss in den ersten Stock, ohne eine Pause einzulegen, hochzugehen. Je länger ich über die Krankheitstheorie meiner Mutter nachdachte, desto plausibler erschien sie mir. Nach einer halben Stunde Bedenkzeit ging ich bereits von einem seltenen, lebensbedrohlichen Gebrechen aus, das nun beizeiten entdeckt werden musste, um dann auf riskant-dramatische Weise in letzter Sekunde geheilt zu werden. Das würde endlich meine Symptome erklären. Und vor allem würde es bedeuten, dass ich gar nicht leistungsschwach war, sondern die Krankheit an allem schuld war.

Zwei Stunden später, als ich im Wartezimmer meines Hausarztes Dr. Herberti saß, war ich schon so weit, dass ich jede ärztliche Diagnose sofort geglaubt hätte – je fataler, desto einleuchtender. Dr. Herberti vermutete allerdings nur einen »latent-verschleppten grippalen Infekt«.

»Wieso überhaupt latent?«, fragte ich gereizt. »Ich fühle mich eindeutig schlecht. Das ist keine Krankheit, die so tut, als wäre sie nicht da. Im Gegenteil, sie ist ziemlich offen und ehrlich!«

Dr. Herbertis Praxis sah noch genauso aus wie früher. Er sitzt seit jeher neben einem großen, schweren Eichenschrank, der mit unzähligen zerschlissenen Medizinbüchern vollgestopft ist. Das Fenster hinter ihm gibt freie Sicht auf Willie’s Schrottplatz, was nur dann zu Komplikationen führt, wenn Willie ein Mal täglich mit flacher Schirmkappe auf dem Kopf und Zigarette im Mundwinkel auf seinem Turbolader Müll sortiert. Dann ist es nämlich kaum möglich, Dr. Herbertis lange Monologe, in denen er in der Regel völlig unbeirrt fortfährt und aus Prinzip nichts wiederholt, zu verstehen. Das Kunststoffskelett neben dem Tisch war mir seit meiner Kindheit unheimlich; sogar mit dem bunten Halloween-Hut, den es mittlerweile trägt. Auch Dr. Herbertis Eigenheit, seine Patienten grundsätzlich in der dritten Person anzusprechen, selbst wenn er sich allein mit ihnen im Raum befindet, war Bestandteil der vertrauten Welt. Als Kind saß ich an Dr. Herbertis dunklem, zum Eichenschrank passenden Tisch, wenn ich Halsschmerzen hatte, aber die Welt ansonsten in Ordnung war. Oder als Teenie, wenn ich ein Attest brauchte, um nicht nach dem Partywochenende übermüdet zum Schwimmunterricht zu müssen. Dann lächelte ich Dr. Herberti verschmitzt an und er bescheinigte mir mit einem Augenzwinkern eine Mittelohrentzündung.

An diesem Tag blickte ich Dr. Herberti anders an, mit einem seltsamen Mischgefühl aus vorwurfsvoller Resignation und stiller Nostalgie. Alles, was mir früher ein wohliges Heimatgefühl vermittelt hatte, wirkte nun, nach all den Jahren und mit distanziertem Blick, seltsam surreal. Anstatt nach vorne, in die Metropolen dieser Welt, warf mich das Schicksal zurück auf Start, in das Dorf meiner Kindheit, wo ich in den letzten Jahren nur hin und wieder ein Wochenende verbracht hatte. Mit der Zeit hatte ich den Zugang zu dieser Welt verloren. Meine Problematik und Fragestellungen wirkten an einem Ort, an dem jeder einzelne seinen Platz zu kennen schien und nichts infrage stellte, unangemessen. Hier gehörte ich nicht mehr hin. In meiner neuen Welt konnte ich aber auch nicht so richtig Fuß fassen. Ich war und blieb heimatlos.

»Ich meine latent nicht im Sinne von versteckt, sondern ähhh … anders«, antwortete Dr. Herberti und räusperte sich.

»Ja, schon klar, als klangvolles Füllwort, das eigentlich gar nichts kann, keine Bedeutung hat«, sagte ich und sofort tat mir mein aggressiver Tonfall leid. »Tschuldigung.«

»Hat sie denn heute etwas schlechte Laune?«, fragte Dr. Herberti ernst, aber versöhnlich.

»Ich kann nachts überhaupt nicht schlafen«, sagte ich und zwang mich, ruhiger zu klingen. »Und kriege keine Luft.«

»Wie meint sie das?«

»Ich kann nur flach, aber nicht tief einatmen und habe Angst, einzuschlafen, weil ich dann vielleicht ersticke, ohne es zu merken.«

»Da hat sie vermutlich einen bronchialen Infekt, schauen wir einfach noch mal nach.«

Dr. Herberti suchte sein Stethoskop.

»Ich habe gehört, sie macht Filme in ihrem neuen Job?«, fragte er und fand sein Stethoskop in einer der untersten Schubladen seines Eichenschrankes. »Kann man denn damit rechnen, bald was von ihr im TV oder Kino zu sehen?«

»Nein. So weit bin ich noch lange nicht«, antwortete ich. »Ich bin nur Praktikantin. Und schon damit komplett überfordert. Zumindest hatte ich den ersten Zusammenbruch, bevor überhaupt die Einstandsparty gefeiert wurde.«

Dr. Herberti lachte laut auf, trat um den Tisch und drückte den kalten Stethoskop-Kopf an meinen Rücken.

»Einmal tief einatmen und Luft anhalten, bitte.«

Ich tat wie befohlen. Mir fiel auf, dass dem Plastikskelett der rechte Arm fehlte.

»Sie kann doch auch wieder im Büro bei ihren Eltern arbeiten«, sagte Dr. Herberti. »Das wäre –«

»Jajaja, ich weiß, das wäre der einfachere Weg

»Hm«, sagte Dr. Herberti, der soeben mit dem Abhören fertig geworden war, »also ein Infekt ist da nicht drauf.« Fieber fand er auch keins, obwohl mein Kopf permanent glühte.

»Ich will später in der Redaktion auch mal selbst Filme betreuen«, sagte ich. »Das ist zumindest das Endziel.«

»Wenigstens hat sie noch Visionen und viel Abwechslung im Leben«, sagte Dr. Herberti, stopfte das Stethoskop zurück in seine Schreibtischschublade und setzte sich wieder an den Tisch. »Aufregend. Ich beneide sie.«

»Mir wäre weniger Aufregung lieber«, sagte ich, »endlich wissen, wo ich mal ankommen werde, Ruhe und Routine haben. Das bräuchte ich.«

»Sie kann froh sein, dass sie noch ein wenig Spannung hat. Ich sitze hier, tagein, tagaus. Die Leute kommen und wissen schon vorher, welche Rezepte oder Atteste sie wollen.«

Dr. Herberti machte ein deprimiertes Gesicht.

»Sie haben doch eine ganze Bande Enkelkinder«, sagte ich nach einer kurzen, peinlichen Pause, »das sorgt doch auch für Abwechslung.«

»Ja, aber …«, Dr. Herbertis Lippen bewegten sich lautlos weiter, während Willie auf seinem Turbolader ein Mal von rechts und ein Mal von links am Fenster vorbeiraste, »… und die nehmen mich nicht ernst.«

Ich hatte nicht mitbekommen, wer Dr. Herberti nicht ernst nahm. Vielleicht seine Enkelkinder, weil sie im Windelalter noch nicht verstanden, dass man als Subjekt gemeint sein könnte, auch wenn man in der dritten Person angesprochen wird.

»Oh«, sagte ich und stand auf.

»Sie hat’s mal wieder eilig, nicht wahr?«, fragte Dr. Herberti. »Na ja, zumindest sieht sie noch ganz gut aus, obwohl sie nachts nicht schlafen kann.«

»Dr. Herberti«, sagte ich seufzend, »ich habe seit fünfzehn Jahren Hautprobleme, bin aber krankhaft eitel: Ich könnte ein Schnitzel so schminken, dass Sie es entzückend fänden!«

Dr. Herberti fing hysterisch an zu lachen und bestellte mich für den nächsten Morgen zu einem Lungenfunktionstest.

Am Abend schlief ich zum ersten Mal wieder etwas besser ein und mehrere Stunden am Stück durch. Aber mehr als diese eine Nacht war mir nicht vergönnt; morgens lieferte ich bei Dr. Herbertis Lungenfunktionstest ein dermaßen schlechtes Ergebnis ab, dass er mir mit besorgtem Gesichtsausdruck eine Überweisung zum Radiologen ausstellte. Meine Lunge sollte umgehend geröntgt werden. Obwohl ich erst für den nächsten Tag einen Termin beim Facharzt bekommen hatte, war ich mir meiner Diagnose bereits sicher: Lungenkrebs im Endstadium. Wikipedia sagte, das sei die aggressivste Krebsform mit den geringsten Heilungschancen. All meine Symptome erklärten sich plötzlich wie von selbst, sogar der permanent heiße Kopf: Fieber, das vergeblich versuchte, den Krebs zu bekämpfen. Ich verbrachte die qualvollste Nacht meines Lebens, rauchte zwei Päckchen Zigaretten und hegte die inständige Hoffnung, dass die Zeit noch für die Entwicklung einer genialen Antiraucher-Kampagne reichen würde, um irgendwie schnell noch in die Geschichte einzugehen. Oder um das Ausbildungsprogramm zu bekommen und abzuschließen. Oder vielleicht auch, um noch einmal etwas Schönes zu machen. Vielleicht auf ein Rockkonzert zu gehen. Ein unterdrücktes Freiheitsgefühl wimmerte kläglich in irgendeinem verschütteten Seelenwinkel, aber bevor ich es zu einem Funken Lebensfreude transformieren konnte, wurde mir meine dämliche Lage bewusst. Einerseits war mir der Tod auf den Fersen, andererseits rannte ich einer banalen Arbeitsstelle hinterher. Ich erinnerte mich daran, dass mein Freund vor Jahren auch einmal von einem tödlichen Lungenkrebsleiden überzeugt gewesen war. Damals hatte er starke Schmerzen in der Brust gehabt, die sich letztendlich als eine unheilbare, aber harmlose Muskelkrankheit herausgestellt hatten. Er hatte dabei allerdings etwas Wichtiges von seinem Arzt erfahren: Krebs an sich tut nicht weh. Seitdem war er ein Besserwisser auf diesem Gebiet. Hier sah ich einen weiteren Beweis für meine Krebserkrankung: Ich hatte keinerlei Schmerzen in der Lunge.

Als ich am nächsten Morgen in der Facharztpraxis ankam, schwor ich mir, das Rauchen sofort aufzugeben, sollte ich wider Erwarten gesund sein. In eine solche Situation wollte ich durch eigene Dummheit nie wieder geraten. Nach der Patientenaufnahme durfte ich sofort zum Röntgen, anschließend bat mich eine gesichtslose Arzthelferin, im Wartezimmer Platz zu nehmen. Wartezimmer, Wartezeit, Warteschlange. Warten auf den Uni-Abschluss, den Job, den festen Vertrag. Mein ganzes Leben war zu einer Warteschleife verkommen, kreisförmig und ohne Ausweg. Ich verweigerte das extra fürs Warten vorgesehene Zimmer und setzte mich auf einen der beiden weißen Plastikstühle im Flur neben der Rezeption. Von einem leicht rebellischen Blickwinkel aus betrachtet war der Gedanke an den Tod verführerisch – wenigstens hier hielt das Warten ein Ende bereit.

»Das sind ja ganz schön krasse Aufnahmen bei Herrn Schelling«, hörte ich die Arzthelferin, die kurz zuvor noch meine Personalien aufgenommen hatte, durch die dünne Wand sagen.

»Boahhh, stimmt«, hörte ich eine andere, mir bislang unbekannte, rauchige Frauenstimme antworten. »Aber der is’ eh ein Vollidiot, fand ich von Anfang an total daneben.«

»Echt jetzt? Ist doch ganz nett eigentlich …«, erwiderte die erste Arzthelferin.

»Nein wirklich, nicht schlimm um den! Time to say goodbye, würde ich mal sagen«, sagte die zweite Arzthelferin und lachte so frei und beschwingt, dass es den Zuhörer glauben machen könnte, sie hätte einen unschuldigen Kinderwitz zum ersten Mal gehört. In Verbindung mit ihrer Äußerung klang diese Art von Lachen fürchterlich und grotesk. Innerhalb von Sekundenbruchteilen spürte ich, wie sich mein Magen schon wieder zusammenkrampfte. Ein Brechreiz, der sich mit aller Macht nicht aufhalten ließ. Als es mir sauer die Kehle hochschoss, drehte ich meinen Kopf zur Seite und übergab mich auf den Plastikstuhl neben mir.

»Alter, was geht denn hier ab?«, hörte ich die Stimme ebendieser Arzthelferin mit dem grässlichen Humor neben mir fragen. Ich blickte auf und sah ihr Gesicht. Rundlich, grell geschminkt, von schwarz gefärbten, auftoupierten Haaren eingerahmt. Sie blickte mich fragend und gleichzeitig vorwurfsvoll an.

»Tut mir leid«, sagte ich und kämpfte gegen einen weiteren Brechreiz an, »mir war schlecht und ich konnte …«

»Tamara!«, unterbrach sie mich laut und wandte sich schon wieder zum Gehen. »Bring mal bitte ’nen Eimer und ’nen Lappen, hier hat eine hingekotzt!«

Dann verschwand sie kopfschüttelnd um die Ecke und ließ mich beschämt und vor Magenschmerzen gekrümmt im Flur zurück. Nach vorn gebeugt und das Gesicht in den Händen vergraben, konzentrierte ich mich mit aller Kraft darauf, nicht zu weinen oder mich nicht erneut zu übergeben. Als sie zurückkam, konnte ich mich noch nicht aufrichten.

»Hier«, sagte sie laut und in meinem nach unten gerichteten Blickfeld erschien ein halb mit Wasser gefüllter Eimer, auf dessen Oberfläche ein gelber, zerlöcherter Lappen schwamm, »kannste aufwischen. Heut’ Nacht durchgefeiert und gesoffen, he?«

Als ich aufblickte, war sie bereits verschwunden. Ich hätte ihr gern gesagt, dass ich seit Monaten weder Nächte durchgefeiert noch Alkohol getrunken hatte. Und es außerdem ein schreckliches Gefühl ist, damit rechnen zu müssen, dass sich jemand, der mich gar nicht kennt, über meinen qualvollen Tod freuen könnte. Selbst wenn man damit eine kreisförmige Warteschleife austricksen kann. Als ich endlich zum Arzt gerufen wurde, hatte er meine Röntgenbilder schon an die Wand geworfen und fragte mich noch vor der Begrüßung, welche Beschwerden mich überhaupt zu ihm geführt hatten. Bei Krebs im Endstadium würde er das nicht fragen, schoss es mir durch den Kopf. Hatte ich auch nicht. Gar nichts hatte ich an der Lunge. Für diese Information brauchte er zehn Sekunden. Im Anschluss erzählte er mir von seinem letzten Urlaub in Kambodscha, wo er die schönste Zugfahrt seines Lebens gemacht hatte. Dann versuchte er, mich von der Linken als der einzig wählbaren Partei zu überzeugen. Er war einer dieser Menschen, die von selbst, ohne jegliches Zutun eines Gesprächspartners, von einem Thema zum nächsten übergehen. Zum Abschluss erklärte er mir eindringlich, dass die Verdauungs- probleme seiner Frau nach dem Genuss von Vollkornbrot wahrscheinlich mit dem Alter zusammenhingen. Auch wenn sich die Helferinnen nicht über meine Gesundheit freuten, der Arzt tat es schon. Zumindest indirekt das spürte ich, sonst hätte mich all das nicht interessiert.

Erleichterung und Euphorie über meine gesunde Lunge waren kurzlebig – die Atembeschwerden unverändert. Obwohl ich nun endlich etwas Ruhe und Zeit hatte, konnte ich mich weder entspannen noch schlafen. Am nächsten Tag spürte ich wieder das Stechen im Herzen. Wieder half kein Ibuprofen. Wieder hatte ich Angst vor einer lebensbedrohlichen Krankheit, aber diesmal nicht die Lunge, sondern das Herz betreffend. Stündlich musste ich die Versuche meiner Mutter, mich zu einem Arztbesuch zu bewegen, abwehren. Ich fühlte mich einfach zu schlecht, um das Haus zu verlassen. Schon allein die Treppe vom Erdgeschoss in mein Zimmer hatte mir am Morgen erneut Probleme bereitet. Heute war die erste Prüfungsrunde für das TV-Volontariat und ich wäre nicht im Geringsten in der Lage gewesen, daran teilzunehmen. Wieder eine Chance verstrichen. Nun musste ich weiterhin alle Energie auf das Ausbildungsprogramm richten, dachte ich. Aber auch beim Praktikum konnte ich mich in meinem augenblicklichen Zustand nicht blicken lassen. Ich lag in meinem Bett und versuchte, mich zu beruhigen, tief durchzuatmen. Am späten Abend kamen allerdings Herzrasen und Herstolpern hinzu, die dermaßen außer Kontrolle gerieten, dass meine Mutter keine Widerrede mehr duldete und mich in die Notaufnahme des Krankenhauses brachte. Nachdem ich meine Beschwerden beschrieben hatte, durfte ich direkt zum EKG. Ich konnte kaum glauben, dass es keinerlei Auffälligkeiten zeigte, und entschied mich für einen Herzultraschall, um es zu kontrollieren. Da ich nun aber offiziell kein Notfall mehr war, musste ich wieder einmal eine lange Wartezeit in Kauf nehmen. Vielleicht lag es auch daran, dass ich den wahrscheinlich langsamsten und mit Sicherheit ältesten Herzarzt der Welt erwischt hatte.

»Na ja, also Ihr Herz ist jetzt nicht unbedingt … äh … ambitioniert«, sagte er nach dem Ultraschall. »Aber es arbeitet gerade so viel, dass man ihm auch keinen Vorwurf machen kann.«

Was war das denn bitteschön für eine Diagnose?

»Also man kann das Herz ja trainieren«, fuhr der Arzt fort, »zum Beispiel mit Sport. Treiben Sie Sport?«

»Keine Zeit im Moment.«

»Aha, aha …«, sagte er und räusperte sich laut, »nehmen wir mal die letzten drei Tage. Was hat Sie denn davon abgehalten, Ihrem Körper etwas Gutes zu tun?«

Da hatte er mich. Ich entschied, ehrlich zu sein, der Mann war ohnehin bald im Ruhestand.

»Eigentlich gar nichts«, sagte ich resigniert, »außer mich darüber aufzuregen, dass ich gar nichts tue und dabei auch noch nervös und krank bin.«

Der alte Arzt runzelte die Stirn, setzte langsam seine Brille ab und fing an, sie mit seinem Kittelzipfel zu putzen.

»Haben Sie mal daran gedacht, dass Ihre Beschwerden auch psychosomatisch sein könnten?«, fragte er und blickte mich ohne Brille an.

Was? »Ich bild mir das doch nicht ein!«

»Das habe ich auch nicht behauptet.«

»Doch! Ich will einfach nur eine Pille, die diese ganzen Symptome verschwinden lässt! Oder endlich mal eine ordentliche Diagnose!«

»Denken Sie mal darüber nach, ob Ihnen möglicherweise ein Psychotherapeut in irgendeiner Form weiterhelfen könnte.«

Ich fragte mich, ob mir der alte Arzt überhaupt zugehört hatte.

»Wenn sie nix finden, schieben sie es auf den Geisteszustand«, beschwerte ich mich auf der Rückfahrt bei meiner Mutter.

»Ich finde die Idee gar nicht so schlecht«, antwortete sie. »Du bist im Moment wirklich unausgeglichen.«

»Weil auch verdammt noch mal nichts so läuft, wie ich mir das vorstelle!«, schrie ich aufgebracht.

»Siehst du?«

Mit jedem weiteren Wort hätte ich mir selbst die Schlinge nur noch enger um den Hals gezogen. Ich bin klug genug, eine solche Situation zu erkennen, aber nicht, um den Ärger darüber zu kontrollieren.

»Gestern meintest du noch, ich wäre krank und erschöpft, heute hältst du mich schon für verrückt«, sagte ich gereizt. »Entscheide dich doch endlich mal!«

Meine Mutter seufzte und brachte mich wortlos nach Hause.

Beim abendlichen Telefonat mit meinem Freund beschloss ich, ehrlich zu sein, was eine möglicherweise bevorstehende Psychotherapie anging. Zu meinem allgemeinen Gemütszustand bastelte ich ihm allerdings eine kastrierte Version aus Generalisierungen und Stereotypen: »Es ist gerade etwas kompliziert, aber ich hab alles im Griff. Ich fühle mich etwas schlapp, aber das wird schon. Im Grunde geht es mir gut und ich bin optimistisch.« Mein Konstrukt schien aber zur tatsächlichen Täuschung nicht ausgefeilt genug zu sein; er kritisierte mein ständiges Gejammer und äußerte im gleichen Atemzug, dass auch er, wie meine Mutter und der alte Herzarzt, eine Psychotherapie für mich als sinnvoll erachten würde. Ich bedankte mich höflich für das nette Gespräch und beschloss heimlich, ihm das niemals zu verzeihen.

Schlussendlich beugte ich mich dem Druck meines Umfeldes und beschloss, mich um einen Therapieplatz zu bemühen. Aber nicht weil ich, wie alle anderen, glaubte, ich sei verrückt, sondern weil ich beweisen wollte, dass ich es nicht war. Jeder Wühltischpsychologe würde mir sofort attestieren, dass ich körperlich litt, nicht geistig. So hätte ich etwas Offizielles in der Hand. Dr. Herberti hatte mir die Nummer einer psychologischen Vermittlungsstelle besorgt.

»Bitte halten Sie die Verbindung, der nächste freie Mitarbeiter wird sich um Ihre Belange kümmern.« Mittlerweile ist es zehn Minuten nach acht. Die psychedelische Musik in der Warteschleife erinnert mich an die siebziger Jahre im Allgemeinen und an bewusstseinserweiternde Drogen in Andy Warhols Fabrik im Speziellen, obwohl ich zu dieser Zeit noch nicht mal auf der Welt war. Auf der Suche nach Zigaretten laufe ich mit dem Handy am Ohr zur Treppe. »Psychologischer Vermittlungsservice, Frau Müller-Frei am Apparat, was kann ich für Sie tun?« Ich erschrecke. Mein Handy fällt mir aus der Hand. Sekunden später schweift mein Blick über seine Einzelteile, die sich über die komplette Treppe verteilt haben. Manche davon bewegen sich noch. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

Mein zweiter Versuch beim Vermittlungsservice ist erfolgreicher. Allerdings lerne ich, dass man im Durchschnitt 1,5 Monate auf einen Termin für die erste Sitzung warten muss. Zusätzlich wollen die meisten Therapeuten am Telefon nicht nur die gröbsten Symptome hören, sondern auch noch umworben und geradezu zum Probegespräch überredet werden. Ist man als Patient am Anfang dieser Werbungsphase vielleicht noch unsicher, ob man wirklich therapiebedürftig ist, so weiß man es am Ende zu hundert Prozent, schon allein, um die verloren gegangene Würde mühselig zurückzugewinnen. Überraschenderweise bekomme ich meine erste Therapiesitzung nach insgesamt nur zwei Stunden Wartezeit seit dem Telefonat. »Aber das ist wirklich eine Ausnahme«, wird mir von der Sprechstundenhilfe mehrmals in mahnendem Tonfall versichert. Wahrscheinlich hat sich ein anderer Patient vor den Zug geworfen und deshalb ist ein Termin frei geworden. Kein Wunder – wenn man seinen Suizid plant und vorher doch noch mal eine zweite Meinung einholen will, sind sechs Wochen Wartezeit einfach zu lang.

Als mich mein Therapeut, Herr Manke, in sein Behandlungszimmer führt, fällt mir als Erstes auf, dass es keine Couch gibt. Nur zwei kleine Sessel der Marke Ektorb Jennylund, dazwischen ein schnörkelloses, viereckiges Tischlein, dahinter ein paar Regale mit Fachliteratur. Vielleicht liegt es daran, dass Herr Manke ein »TCM« hinter dem Namen führt, das für Traditionelle Chinesische Medizin steht. Möglicherweise funktioniert die fernöstliche Geistesheilkunde ohne Couch, aber mit Ikea. Herr Manke selbst sieht sehr kompetent aus; er ist mittleren Alters mit vollem, weißem Haar und durchschnittlicher Statur. Sein grün und weiß gestreiftes Hemd hat er ordentlich in eine etwas zu weite, mit Hosenträgern fixierte Jeans gestopft. Als wir uns gegenübersitzen, soll ich meine Probleme grob umreißen. Während ich das tue, blickt er nicht auf, sondern schreibt durchgehend auf einem beigefarbenen Vollkornblock mit. Herr Manke schreibt sogar noch, als ich schon längst aufgehört habe zu erzählen. Dann blickt er ganz langsam auf, setzt in aller Ruhe seine Brille ab und beginnt zu sprechen.

»Sie sind … wie soll ich saaagen …«, beginnt er und lässt seinen Blick dramatisch durch die scheinbar unendlichen Weiten des Raumes schweifen, »insgesamt etwas … ähm … jaaa … ich habe den Eindruck …«

»Gestresst?«, unterbreche ich und spüre eine enorme innere Anspannung in mir aufsteigen, wie immer, wenn etwas offensichtlich nicht im Normaltempo vonstattengeht. Ich werde dann nervös, fühle mich gezwungen, der Langsamkeit entgegenzuwirken, und handle dadurch kontraproduktiv – wenn zum Beispiel mein DVD-Player auf Zeitlupe hängen bleibt, ziehe ich den Stecker und verlasse wutentbrannt das Haus.

»Jaaa …«, sagt er und hebt die Stimme am Ende, um mir zu zeigen, dass der Satz noch nicht zu Ende ist, »aber auch … wie soll ich sagen …«

»Nervös?«, unterbreche ich Herrn Manke erneut und ärgere mich über mich selbst. Mein Herz schlägt wieder viel schneller, als es wahrscheinlich müsste. Ich möchte aber auf keinen Fall meinen mühsam erkämpften Therapeuten verärgern.

»Ja, auch das …«, sagt er und atmet lange aus, »Sie lassen mich ja zum Beispiel gar nicht … ähhh …«

»Ausreden?«

»Richtig«, sagt er langsam, »man könnte fast saaagen … Sie sind etwas, ja …«

Ich beiße mir auf die Lippen.

»… ungeduldig«, bringt Herr Manke seinen Satz endlich zu Ende. Diese Diagnose ist nicht unbedingt ihr Geld wert – dass ich unge- duldig bin, weiß mein Bäcker auch. Der verfügt sogar über die wertvolle Zusatzinformation, dass ich auch noch ausfallend werde, wenn ich zu lange warten muss.

»Ich sage Ihnen mal, was so mein erster Eindruck von Ihnen ist«, sagt Herr Manke. Meine Freude über seinen ersten zusammenhängenden Satz weicht schnell der Verwirrung über sein weiteres Vorgehen: Er steht langsam von seinem Sessel auf, streicht in aller Ruhe die Falten aus seiner Hose, geht um den Tisch herum und bleibt stumm vor mir stehen. Dann mustert er mich von oben bis unten, dann von unten nach oben und noch mal zurück. Ich fühle mich seltsam beobachtet und beginne, etwas unruhig auf meinem Sessel hin- und herzurutschen. Mir fällt auf, wie Herr Manke sehr nachdenklich und kaum merklich nickt. Dann dreht er sich um, geht langsam zurück zu seinem Sessel und nimmt Platz.

»Sie haben den Körperbau einer Antilope«, sagt er ruhig in die Stille. Er fährt damit fort, dass Antilopen dünn und drahtig seien und ständig unter Anspannung stünden. Das komme daher, dass hinter jedem Baum ein Tiger lauern könnte, der sie gern auffressen möchte. Sie seien folglich ständig auf der Flucht und können kaum Körpermasse bilden. Die Masse, die ein Lebewesen um sich herum trage, schütze es aber vor der Außenwelt und grenze es ab, erklärt Herr Manke.

»Und da liegt der Unterschied zwischen Ihnen und einem Mammut«, fährt er fort, »das Mammut hat viel Schutzmasse und fühlt sich dadurch stärker. Es kann sich besser von der Außenwelt abgrenzen und muss nicht ständig Angst haben. Das Mammut ist deshalb meist ausgeglichen und gemächlich.«

Ich frage mich, wie ich diese Information in eine praxisorientierte Erkenntnis umwandeln soll. Essen wie ein Mammut und nächstes Jahr wieder zur Therapie kommen, wenn ich Komplexe wegen Adipositas habe? Ich blicke Herrn Manke fragend an.

»Ich habe das Gefühl, Sie erwarten jetzt von mir, dass ich Ihre Probleme löse«, sagt Herr Manke.

Nein! Ich erwarte mehr Insiderinformationen über die exotische und ausgestorbene Tierwelt! Natürlich bin ich hier, um meine Probleme zu lösen. Das streite ich nun aber vehement ab, um Herrn Manke nicht unter Druck zu setzen. Er ist der Meinung, ich müsse insgesamt ruhiger und ausgeglichener werden. Dafür zeigt er mir, nachdem er mir für einen Test Blut abgenommen und mich anschließend wieder zur Rezeption begleitet hat, chinesische Kräuter in einer Plastiktüte, aus denen ich mir einen Tee kochen soll. Sie sehen aus wie ein lustiges Potpourri, das dekorationswütige Omis in kleinen Schälchen im Gemeinschaftshausflur verteilen. Deshalb schaue ich ihn zu einem Großteil belustigt und höchstens zu zehn Prozent schräg an. Als Psychologe ein Fuchs auf diesem Gebiet, durchschaut er meine Skepsis aber sofort.

»Ja, so ist das heutzutage«, sagt Herr Manke aufgebracht und zumindest für seine Verhältnisse ungewohnt schnell. Dann schüttelt er den Kopf und winkt ab. »Dass eine kleine, in Folie verschweißte Pille helfen kann, glaubt jeder! Aber echte Kräuter und Pflanzen, was sollen die schon bewirken! Bis nächste Woche. Machen Sie’s gut.«

Er drückt mir die Potpourritüte in die Hand, nickt mir kurz zu und verschwindet im Flur. Ich habe es tatsächlich geschafft, meinen Therapeuten schon in der ersten Sitzung wütend zu machen.

»Vielleicht helfen dir ja die Kräuter von dem Medizinmann, um etwas entspannter zu werden«, sagt meine Mutter voller Hoffnung, nachdem ich ihr stirnrunzelnd die Potpourritüte gezeigt habe. Sie helfen nicht. Ich habe schon mehrmals meinen verordneten Tee getrunken und fühle mich kein bisschen anders – nur wäre ich jetzt gern ein Mammut. Es ist Samstagmorgen und ich habe eine weitere schlaflose Nacht hinter mir. Wachgehalten hat mich die Wut darüber, dass ein gesamtes Wochenende ohne Termin und Arbeit vor mir liegt und ich trotz allem nicht schlafen kann. Paradox. Aus Angst, noch unruhiger zu werden, verbiete ich mir sogar meine geliebte Tasse Kaffee am Morgen und starte gleich mit Herrn Mankes Psychotee. Das Herzrasen bleibt, mein Körper ignoriert die Ruhekräuter gekonnt. Und versetzt mir noch dazu einen saftigen Adrenalinstoß, als ich eine SMS von Timo lese: Hallo Jenny, schau doch einfach nach deiner Familienfeier mal auf unserer Einstandsparty vorbei! Würde mich freuen!! Welche Familienfeier? Fange ich etwa schon an, Termine zu vergessen? Erleichtert fällt mir ein, dass es sich um das von mir erfundene Alibifest handelt, bei dem ich folglich nicht anwesend sein muss. Die nächste SMS ist von Sam. Sie ist in Mumbai angekommen und hat bereits ihren ersten Arbeitstag hinter sich: Keine normalen Touristen, nur Aussteiger, interessante Künstler und an Kultur interessierte Freigeister. Tolle Party heute Abend! Endlich Abenteuer! Und ich bin einfach nur erleichtert, dass ich nicht das Haus verlassen muss. Weder für das Alibi- noch für das Praktikantenfest. Mein Herz rast und ich muss mich immer noch auf jeden Atemzug konzentrieren, um Luft zu bekommen. Die Verzweiflung über meine Situation lässt kaum noch andere Tätigkeiten zu als Rauchen und Weinen. Gedanklich stecke ich in einer immer schneller werdenden Abwärtsspirale, ein unauflösbares Zugleich aus Selbstmitleid und einem allgemeinen Weltschmerz, die sich bis zur Unkenntlichkeit miteinander vermischen. Das werde ich alles Herrn Manke erzählen.

Hätte ich das alles Herrn Manke mal besser nicht erzählt. Nachdem dieser fleißig mitgeschrieben hat, blickt er auf und informiert mich zunächst über das Ergebnis meines Tests. Er erklärt mein Blut aufgrund von energetisch vorhandenen Viren, Bakterien und Toxinen für »unrein«, was mich unmittelbar an J. K. Rowlings Bezeichnung »Schlammblut« und die damit verbundene Anspielung auf die Nazis erinnert. Es sei aber nichts Schlimmes, versichert mir Herr Manke. Dann stellt er mir eine Überweisung ins Krankenhaus aus. Kurz bevor ich ihn auf dieses Paradoxon ansprechen kann, lese ich auf dem DIN-A5 großen Formular nicht etwa die Worte Herzspezialabteilung oder Ganzkörper Check-up sondern Psychosomatik und Psychotherapie. Ich soll mich um einen stationären Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik bemühen, da eine ambulante Behandlung bei einem »Burn-out diesen Ausmaßes nicht engmaschig genug« sei, erklärt Herr Manke.

»Ich kann gar keinen Burn-out haben, ich habe doch noch gar nicht richtig gearbeitet!«, schreie ich laut und ungehalten.

Es folgt ein etwa fünfminütiger hysterischer Wutausbruch, der mehrmals die Worte Klapsmühle und Irrenanstalt enthält und in dem ich entschieden klarmache, dass ich mir unter keinen Umständen einreden lasse, ich sei verrückt. Burn-out, so weit kommt’s noch! Burn-out haben Topmanager und Spitzensportler, aber doch keine Praktikanten. Nachdem mich Herr Manke im Anschluss an meinen Ausbruch eine gefühlte halbe Stunde lang stumm und ausdruckslos angesehen hat, stürme ich wutentbrannt aus seiner Praxis, nur um mich wenige Minuten später per Telefon bei ihm zu entschuldigen. Er macht mir keinerlei Vorwürfe und versichert mir in ruhigem Ton, dass es sich bei der psychosomatischen Station nicht um eine geschlossene Anstalt handele, sondern um einen rein freiwilligen Aufenthalt, der jederzeit auf eigenen Wunsch beendet werden könne. Selbst meinen Bedenken, durch ein offizielles psychisches Leiden meinen Job zu gefährden, hat Herr Manke etwas entgegenzuhalten: Der Arbeitgeber bekomme lediglich eine Bestätigung über den Aufenthalt im Krankenhaus, einen Grund müsse man nicht liefern, man könne aber, sofern man das wolle, alles Mögliche vorschieben. Bandscheibenvorfälle seien als Psychosomatikerausrede groß im Kommen, erklärt Herr Manke. Ich verspreche, darüber nachzudenken, und lege auf.

Seitdem drehen sich meine Gedanken um die Frage, wie es so weit kommen konnte. So weit, dass ein erfahrener Therapeut tatsächlich der Meinung ist, ich bräuchte noch professionellere Hilfe. All meine ursprünglichen, mit der Therapie verbundenen Endziele, zum Beispiel das einer schnellen Lösung des Problems oder des fachlichen Beweises dafür, dass ich nicht verrückt bin, habe ich nicht erreicht – ganz im Gegenteil. Ich blicke auf den Wecker, es ist kurz nach drei Uhr nachts. Neben meinem Bett steht der fertig gepackte Koffer, morgen beginnt meine stationäre Therapie. Einzig die Gewissheit, dass ich mich dann im Krankenhaus befinden werde, tröstet mich – im Falle eines tatsächlichen Herzinfarktes oder Lungenversagens bin ich umgeben von Spezialisten. Langsam kehren bruchstückhafte Erinnerungen an einen Traum zurück, der offensichtlich von Einer flog über das Kuckucksnest inspiriert worden war. Nur war es in diesem Traum ich gewesen, die unter Höllenqualen ans Bett fixiert und gespritzt wurde. Bis ich tatsächlich mental den Löffel abgab.

Einfach mal klarkommen

Подняться наверх