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Eins

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Ein ganz normaler Morgen, an dem nichts Ungewöhnliches anstand. Der Tag würde beginnen und enden wie immer. Allerdings wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sich ab hier vieles für mich ändern sollte. Aber ich fange lieber ganz von vorne an – am besten beim klingelnden Wecker, der mich daran erinnerte, dass ich meinen müden Hintern endlich aus dem Bett schwingen sollte.

„Verdammter Mist!“, fluchte ich, nachdem ich sah, dass ich mal wieder zu spät kommen würde. Ich schmiss voller Frust die Bettdecke beiseite, setzte meine Brille auf und raste ins Bad. Dort machte ich die notwendige Katzenwäsche, band meine langen, braunen Haare wie fast jeden Morgen zu einem Zopf zusammen, klaubte meine Jeans und mein schwarzes Shirt vom Boden auf, zog es über und stürmte aufgebracht in die Küche.

Daphne erwartete mich bereits mit einem spöttischen Lächeln. „Na? Mal wieder zu spät dran?“ Sie lehnte in ihrem sehr knappen rosa Morgenmantel an der Küchenzeile und hielt mir bereits einen Becher mit heißem Kaffee entgegen. Im Vorbeieilen schnappte ich danach, trank einen Schluck und trat an den Kühlschrank. „Vielen Dank“, gab ich erleichtert von mir, nachdem der Kaffee seine Wirkung zeigte. „Ich weiß auch nicht, wie das ständig passieren kann.“

„Na, ich schon“, erklärte sie spöttisch. „Wer bis spät abends mit der Nase in seinen Büchern hängt, der verpennt auch oft.“

„Toll, dass du das so im Blick hast“, spottete ich und griff nach meiner Wasserflasche.

Daphne, die ihren Namen wie die Pest hasste und darauf bestand, dass man sie nur Daph nannte, warf ihre blonden, langen Haare gekonnt nach hinten und legte seufzend den Kopf schief. Mit ihren braunen Augen musterte sie mich beinahe besorgt. „Du bist der einzige Streber, den ich kenne, der regelmäßig zu spät in die Uni kommt.“

„Und wie viele Streber kennst du?“, fragte ich, als ich atemlos an ihr vorbei sauste und meine Tasche neben der Couch vom Boden aufhob.

„Hm, nur dich, denke ich.“ Sie kicherte und beobachtete mich mit einem schelmischen Grinsen.

„Na, dann solltest du deinen nerdigen Freundschaftskreis vielleicht erweitern“, riet ich ihr, drückte sie kurz und verließ eilig die Wohnung. Mit einem Ohr vernahm ich noch ein „Ich denke drüber nach“ und schwang mich auf mein klappriges Fahrrad.

Die Stadt war wie jeden Morgen völlig überfüllt, und nur mit Mühe schaffte ich es, die Menschen, die meinen Weg kreuzten, nicht wie Kegel beiseite zu räumen. Gott sei Dank wohnte ich nicht allzu weit von der Uni entfernt, was aber keine Entschuldigung dafür war, ständig auf den letzten Drücker loszufahren. An der Uni angekommen, parkte ich meinen Drahtesel direkt vor den anderen Rädern, schloss es ab und eilte in das Universitätsgebäude. Dank der Sonneneinstrahlung spürte ich den Schweiß, der sich auf meiner Stirn sammelte. Warum musste es in Boulder auch immer so warm sein? Manch anderer hätte sich gefreut. Ich hingegen empfand das wenig abwechslungsreiche Wetter eher als lästigen Zustand.

Fluchend drängelte ich mich an schlendernden Studenten vorbei, die es sichtlich weniger eilig hatten als ich. Endlich erreichte ich den Hörsaal. Es war keine Seltenheit, dass Studenten zu spät in den Saal platzten, aber ich wusste, dass Professor Quentin mir sofort einen bescheuerten Spruch reindrücken würde, und so machte ich mich mental für seinen Empfang bereit und trat durch die Tür hinein ins Elend. Wie erwartet, unterbrach der nette Professor mit dem viel zu langen Bart seine Rede und drehte entgeistert seinen Kopf in meine Richtung. Genau wie fast alle Studenten in dem Saal. Das war so ein typischer Moment, wie man ihn aus Filmen kennt – wenn etwas Peinliches passiert und man das Gefühl hat, eine zu Boden fallende Stecknadel zu hören.

Mit hochrotem Kopf nickte ich entschuldigend in seine Richtung und suchte eilig nach einem freien Platz, der sich selbstverständlich ziemlich weit oben im Saal befand. Noch so ein typischer Filmmoment. Klasse! Ein elendig langer Weg, damit mir die anderen Studenten blöde Blicke zuwerfen konnten, dachte ich und trat schnell die Stufen empor. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, was gar nicht so einfach war, da meine Gesichtsfarbe für sich sprach.

„Und das, meine lieben Studenten, ist etwas, was mir gar nicht zusagt“, hörte ich seine zynischen Worte in meinem Nacken. „Ms Walters, das kommt in Zukunft nicht mehr vor, nehme ich an?“

Das studentische Publikum kicherte, einige verdrehten die Augen, andere spotteten. Der ideale Start in den Tag. Genervt schob ich mich auf einen der freien Plätze, legte meine Tasche auf den Platz neben mir. „Sie können annehmen, so viel Sie wollen, Idiot“, nuschelte ich leise vor mich hin und rückte meine Sachen zurecht.

„Wie bitte? Ich habe Sie nicht verstanden, Ms Walters. Ich hätte gerne eine Antwort, damit ich den Studenten, die tatsächlich etwas lernen möchten, das nötige Wissen beibringen kann.“ Der Unterton in seiner widerlichen Stimme klingelte in meinen Ohren wie ein Tinnitus. „Selbstverständlich kommt das nie wieder vor“, presste ich mit einem aufgesetzten Lächeln heraus. Seine Aufmerksamkeit mir gegenüber verebbte endlich, und so widmete er sich wieder seiner trockenen Vorlesung. Neben mir hörte ich ein leises Lachen − offensichtlich jemand, der sich über mich lustig machte. Entnervt sah ich zu ihm rüber und blickte in die vermutlich schönsten Augen, die ich jemals in meinem Leben gesehen hatte.

***

Zwei stahlblaue Augen. Lippen, die so voll waren, dass sie beinahe untypisch waren für einen Jungen. Moment, Junge war auch nicht richtig, irgendwie schien der hübsche Typ neben mir etwas älter zu sein. Er hatte noch keine Falten unter den Augen, aber Anfang zwanzig war er definitiv nicht mehr. Seine hellbraunen Haare fielen ihm etwas in die Stirn.

Skeptisch sah ich ihn an. „Was ist so lustig?“ Ich kannte es zwar zur Genüge, dennoch mochte ich es nicht besonders, wenn Leute über mich lachten. Als „Streber“, wie Daph mich gerne bezeichnete, oder als „Nerd“, wie andere mich gerne bezeichneten, war ich froh, in Ruhe gelassen zu werden und nicht der Mittelpunkt irgendeines fröhlichen Gelächters zu sein. Schon gar nicht an einer Uni, die voll von hübschen und aufgetakelten Mädchen war. Lieber saß ich alleine da, lernte, hörte zu, schrieb mit und fiel am besten gar nicht weiter auf. Heute war das irgendwie anders.

Er räusperte sich kurz und schüttelte den Kopf. „Nichts, ich finde nur, das war der perfekteste und gleichzeitig peinlichste Auftritt für jemanden, der scheinbar nicht gerne im Mittelpunkt steht. Ich danke dir dafür, so hatte man hier wenigstens kurz was zu lachen.“ Seine Stimme war warm und angenehm anzuhören. Sie gefiel mir, und ich wollte gerne noch mehr davon hören. Zumal es nicht üblich war, dass ein Typ wie er mit einem Mädchen wie mir sprach. Er lächelte immer noch, sah aber wieder nach vorne zum Professor. „Der kann dich nicht sonderlich leiden, oder?“

„Merkt man das?“, fragte ich leise und schlug meinen Block auf, den ich inzwischen aus meiner Tasche gekramt hatte.

„Geringfügig“, bestätigte er mir.

Professor Quentin mochte mich wirklich nicht. Warum, konnte ich mir in den vergangenen drei Semestern nicht erklären. Sonst stand ich immer ganz oben auf der Lieblingsstudenten-Liste der Professoren, aber er mochte mich einfach nicht. Idiot!

„Und du? Bist du einer seiner Lieblinge? Ich habe dich hier noch nie gesehen“, stellte ich fest und behielt den stinkigen Professor im Blick.

„Ja. Ich bin sozusagen neu hier. Und glaube mir, ich bin definitiv nicht sein Liebling.“

„Was heißt denn ‚sozusagen‘?“

Er kritzelte etwas auf seinen Zettel und sah dann wieder zu mir. „Ich habe vor einer ganzen Weile schon einmal hier studiert. Das ist schon ein bisschen her, und durch eine glückliche Fügung konnte ich das Studium wiederaufnehmen. Ist aber eine lange Geschichte.“

„Deswegen siehst du auch schon so alt aus“, stellte ich schroff fest, was mir aber sofort leidtat.

„Was soll das denn heißen? Ich bitte dich. Mit siebenundzwanzig ist man noch nicht wirklich alt, oder? Sehe ich so alt aus? Das gibt mir jetzt zu denken.“ Er schien etwas entsetzt über meine direkte Bemerkung und warf einen Blick in sein Smartphone, um sich eingehend zu betrachten. Er war so anders als die anderen Jungs hier an der Uni, die ich kannte und die zudem nicht so gut aussahen wie er. Lustig, aufgeschlossen und nicht herablassend. Komischer Vogel, dachte ich und lachte leise in mich hinein, beobachtete ihn jedoch von der Seite. Wieso war er so nett? Je länger er mir seine Aufmerksamkeit schenkte, umso mehr fragte ich mich das.

„Äh, Ms Walters? Ich dachte, Sie wären endlich fertig, nachdem Sie schon einmal diese Vorlesung gestört haben. Wie mir scheint, sind Sie noch mittendrin oder wie darf ich Ihr lautes Gelächter deuten?“, schaltete sich der Professor wieder ein. Ich seufzte und schüttelte den Kopf. „Lautes Gelächter …“, fluchte ich leise, aber der Typ neben mir schien das zu hören und lachte wieder. Irgendwie steckte sein Lachen mich an, und so konnte ich es mir ebenfalls nicht mehr verkneifen, lachende Laute von mir geben. Ich presste angestrengt die Lippen zusammen, aber mein Körper bebte. Unten stemmte Professor Quentin die Fäuste in die Hüften und fluchte etwas, was ich nicht verstand. Ich konnte nicht mehr an mich halten und lachte wie mein Sitznachbar laut auf.

„Sie verlassen jetzt auf der Stelle meine Vorlesung. Haben Sie gehört? Ihr Sitznachbar kann gleich mitgehen“, befahl er plötzlich entschieden lauter, sodass der Typ neben mir und ich innehielten und uns entsetzt ansahen. Ich in Schockstarre, er kurz vor einem totalen Lachanfall.

„Na los, gehen Sie!“

Die anderen Studenten drehten sich zu uns um und bedachten uns mit fragenden Blicken. Mein Gesicht gewann an Farbe, und mir wurde mit einem Mal sehr heiß. Ich wollte hier nur noch raus. Verkrampft schob ich meine Brille wieder etwas höher, packte schuldbewusst meine Sachen und erhob mich. Gott, war mir das unangenehm. Erst der Auftritt, als ich zu spät kam, und jetzt der peinlichste Abgang meines Lebens. Mit gesenktem Kopf eilte ich die Stufen herunter, die mir plötzlich ewig lang vorkamen. Dicht gefolgt von ihm – dem gutaussehenden, lustigen Typen, der mit mir aus der Vorlesung geworfen wurde. Was Professor Quentin noch von sich gab, hörte ich nicht mehr, da mir vor Aufregung das Blut in den Ohren rauschte. Das sah mir so gar nicht ähnlich. Ich, die Streberin − aus einer Vorlesung geworfen? Der Tag nahm komische Ausmaße an.

Er sollte noch viel merkwürdiger werden.

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