Читать книгу Keine Keyboarderin zum Küssen - Jennifer Schreiner - Страница 10
Kapitel 1
ОглавлениеVorsichtig und zögerlich klopfte ich an die weiße, unscheinbare Tür und kam mir trotzdem wie ein Störenfried vor. Am liebsten hätte ich auf dem Absatz kehrt gemacht und wäre denselben Weg wieder nach unten gegangen, den ich eben noch in die andere Richtung gegangen war. Ich musste wirklich verrückt sein, herzukommen!
»Herein!« Die Stimme hinter dem Holz klang vertraut und natürlich wusste ich, dass mir die Frau nicht gleich den Kopf abreißen würde, nichtsdestotrotz nahm das unwirkliche Gefühl in meinem Inneren weiter zu, wurde drängender, fast bezwingend.
Gerade als ich die Hand nach der Tür ausstreckte, wurde diese aufgerissen, so heftig, dass ich zusammenzuckte. Fast genauso schnell wurde ich in das Büro gezogen und saß, bevor ich mich von meiner Überraschung erholen konnte, auf dem Stuhl, der vor dem Schreibtisch stand.
»Entschuldige, den … heftigen Empfang«, meinte Joanna und setzte sich mir gegenüber an ihren Tisch und beäugte mich neugierig. Da ich keine Anstalten machte, zu reden – dazu war ich noch nicht in der Lage – fügte sie hinzu: »Ich hatte nach dem Telefonat den Eindruck, du bräuchtest noch ein wenig Unterstützung.«
»Ja, danke!« Ich sah mich nervös um, aber auch dieser Raum war harmlos und ganz normal eingerichtet. Ein Büro eben, ohne Hinweis darauf, dass ich mich in den Sündenpfuhl herabgelassen hatte.
»Wir sind uns schon einmal begegnet«, meinte Joanna, um das Eis zu brechen. Ich tat ihr den Gefallen und sah sie an, überlegte, ob sie die Wahrheit sagte, musste aber schließlich den Kopf schütteln. »Ich erinnere mich nicht.«
»Auf der letzten Release-Party von ‚Bad, Bed, Music‘«, erklärte mir die Chefin des Office-Escorts ohne jeden Tadel in der Stimme. Dabei war ich mir sicher, dass die attraktive Blondine normalerweise keinerlei Probleme hatte, im Gedächtnis der Leute zu bleiben. »Ich war in Begleitung von Trish und Ava dort.«
Ich biss mir auf die Unterlippe, aber so langsam wusste ich wirklich, wer sie war – und auch die Erwähnung der beiden Frauen, die seit kurzem den Leadsänger unserer Band und den Drummer glücklich machten, ergab auf einmal einen Sinn.
»Sind Trish und Ava …?«, begann ich, traute mich aber nicht, die Frage zu Ende zu stellen.
»Bezahlte Begleiterinnen?«, vervollständigte Joanna für mich. »Eine Frage, die du besser den beiden stellst, oder Alex und Jacob.«
Ich nickte. Alex und Jacob. Die beiden konnten wirklich was erleben! Schließlich hatten mich deren Empfehlungen hierher geführt. Wieder sah ich mich um. »Ich weiß eigentlich gar nicht, was ich hier mache«, gab ich schließlich zu. Hauptsächlich, weil Joanna keine Anstalten machte, das Schweigen abermals zu unterbrechen. Unsicher trommelte ich auf der Stuhllehne und versuchte meine Gedanken zu sammeln.
»Alex hat mir von einer Fantasie erzählt, die er schon immer in die Tat hatte umsetzen wollen«, murmelte ich endlich, wagte es aber nicht, die Blondine anzusehen. »Er meinte, ihr hättet ihm geholfen.«
»Die Jagd?«, erkundigte sich Joanna. Ihre Stimme war wertfrei und sie wirkte nicht halb so pikiert, wie ich mich fühlte. Offensichtlich war sie wirklich einiges an erotischen Wunschvorstellungen gewohnt. Ich sah auf und traf auf einen Blick, der mich voll ehrlichem Interesse musterte.
»Ich weiß, dass ihr eigentlich ein reiner SM-Begleitservice seid, der sich hauptsächlich auf Office- oder sonstige Job-Spiele fokussiert«, erklärte ich. Inzwischen konnte ich die Beschreibung auf der Webseite und die Regeln beinahe auswendig, hatte sie verinnerlicht, wie ein gutes Mantra. »Aber als mir Alex von der Jagd erzählt hat, wusste ich, dass ihr vielleicht die einzigen seid, die mich nicht auslachen.«
Joanna nickte. »Die Jagd war spannend.«
Ich konnte spüren, wie ein kurzes Lächeln meine Lippen umspielte. »Spannend« klang fast wie die Untertreibung des Jahrhunderts. Vor allem, wenn ich davon ausging, dass Alex dort Trish kennengelernt hatte. Die Frau, die er schon direkt im Anschluss an das erotische Spiel als »die Liebe seines Lebens« bezeichnete.
Bei der Vorstellung auf so ein sinnlich-romantisches Zusammentreffen entrang sich mir ein leises Seufzen. Und das, obwohl ich zurzeit schon froh gewesen wäre, das ständig präsente Prickeln meiner Libido loszuwerden. Die ständige Geilheit.
»Also gehe ich davon aus, dass deine Fantasie nicht in einem geschlossenen Büro stattfindet und auch nichts mit SM zu tun hat?«, erkundigte sich Joanna und legte ihre Hände zusammen. Eine Geste, die nachdenklich wirkte.
»Nein.« Ich schluckte und wünschte mir zum hundertsten Mal in dieser Woche, die Wunschvorstellung einfach abschütteln zu können. »Zumindest glaube ich das nicht.«
»Die Jagd war sehr aufregend, hat mir persönlich gut gefallen«, urteilte Joanna. »Die meisten Menschen haben sexuelle Fantasien und die meisten kann man überraschend einfach umsetzen – sobald man von ihnen weiß.« Sie zwinkerte mir zu, so als wären wir Verbündete auf derselben Seite. Konnten wir aber nur werden, wenn ihre Vorstellungskraft der meinen ebenbürtig war.
»Aber meine Fantasien sind noch finsterer als die von Alex«, gab ich zerknirscht zu. Dann sprudelten die Worte, die ich mir vorher so sorgsam zurecht gelegt hatte aus mir heraus, als hätten sie nur auf jemanden gewartet, der zuhörte. Ich erzählte von dem Traum, der mich in der letzten Nacht heimgesucht hatte und noch von einigen anderen zuvor, ohne auch nur ein einziges, schmutziges Detail auszulassen.
»Du hast Recht, man könnte es als SM-Spiele bezeichnen. Rollenspiele, die immer ein Dominanzgefälle haben und die viel mit Unterwerfung und inszenierter Vergewaltigung zu tun haben.« Die Blondine nickte andächtig. »Aber eigentlich sind wir keine Wunscherfüller in dieser Richtung.«
»Mir ist klar, dass die Umsetzung meiner Träume heikel ist und die Realität anders aussieht.«
»Besonders, weil der Grad zwischen strafbarer Handlung und genau das, was der Kunde will, wirklich hauchdünn ist«, erklärte die Chefin des Escort-Service. »Es hat auch etwas von einem Tunnelspiel.«
»Man kann nicht mehr zurück, wenn man die Grenze überschritten und das Spiel begonnen hat?« Jetzt war ich diejenige, die zustimmend nickte.
»Hast du dir das wirklich gut überlegt? Was, wenn du erst hinterher den Absturz hast und dich fragst, wie zum Teufel du solche Sachen in dieser Situation genießen konntest?«
Ich schwieg und suchte nach einer Erklärung, die nicht nur mich überzeugte. Schließlich meinte ich: »Ich habe diese Träume seit Jahren, aber seit einem Monat sind sie unerträglich, sie verfolgen mich, sie nutzen jede Unachtsamkeit, um sich in mein Leben zu stehlen, inzwischen sogar jede freie Minute. Ich bin fast so weit, jeden Mann anzuspringen, der sich mir zur Verfügung stellt, aber es nutzt nichts. Ich kann diese Fantasien nicht mehr verdrängen und will wissen, wie es sich anfühlt, überwältigt zu werden, hilflos zu sein, ausgeliefert. Kein Mitspracherecht mehr zu besitzen und vom Willen anderer abhängig zu sein.« Wieder trommelten meine Finger wie von selbst auf der Armlehne. »Es ist kein harter Sex, nach dem ich verlange, es ist unkontrollierbarer Sex. Zumindest für mich unkontrollierbar.«
Joanna nickte stumm, aber ihr Blick ließ mich immer noch nicht frei. Deswegen fuhr ich fort: »Ich will mich nicht hingeben … ich will dazu gezwungen werden, mich hinzugeben. Ich will all diese Dinge in die Tat umsetzen – umsetzen lassen. Aber ich bin nicht dumm und ich hätte gerne ein Sicherungsseil, ein Safeword.«
»Ich habe jemanden, der mir einen Gefallen schuldet«, murmelte Joanna so leise, dass ich mir nicht sicher war, ob ihre Worte wirklich für mich bestimmt waren.
»Das wäre schön«, meinte ich trotzdem. »Denn der Office-Escort ist die einzige Institution, deren Ruf und deren Reputation gut genug ist, um überhaupt in Frage zu kommen.« Ich zögerte, weil mir ein weiteres Detail förmlich unter den Fingern brannte, fügte es aber schließlich doch hinzu: »Und auf deren Verschwiegenheit man sich verlassen kann.«
»Natürlich!« Joanna tat meine Bedenken mit einem Lächeln ab. »Wir sind nicht umsonst die Besten und der Marktführer.«
Ich erwiderte ihre Geste. Das wusste ich natürlich. Vom Office-Escort wussten nur die wenigen Glücklichen etwas, die mit ihm zu tun hatten. Und obwohl es eine Webseite gab, fand man diese nur, wenn man von den Glücklichen eingeweiht wurde, reine Mundpropaganda zwischen den Einflussreichen und Schönen dieser Welt. Außerdem wurde jeder potentielle Kunde auf Herz und Nieren durchleuchtet. Wahrscheinlich wusste Joanna zurzeit auch mehr über meinen aktuellen Gesundheitsstand, als ich selbst.
Wieder konnte ich ein Lächeln auf meinen Zügen spüren, während Joanna nach dem Telefon griff. Nach wenigen Momenten meinte sie: »Hallo, Callista! Ich bin es, Joanna.« Sie lachte leise, wohl auf eine Antwort ihrer Gesprächspartnerin. »Ja, genau. Du schuldest mir einen Gefallen. Sag mal … hat deine Schwester eigentlich schon ihr ‚Wunscherfüllerhotel für Frauen‘ fertig?«
Ich starrte die Blondine an und konnte spüren, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete. Ich wollte in kein Wunscherfüllerhotel, konnte aber auch schlecht in ein Telefonat hineinquatschen. Schließlich wusste ich ja noch gar nicht, ob Joanna mich falsch verstanden hatte, oder auf Umwegen zum richtigen Ziel gelangen wollte.
»Ja, genau.« Joanna nickte. »Aber es geht mir eher um eine bestimmte Sorte Mann.« Sie schwieg kurz, bevor sie weitersprach. »Natürlich habe ich schon jemanden im Hinterkopf, würde ich sonst anrufen?« Wieder lachte sie. »Natürlich weiß ich das, aber du schuldest mir den Gefallen und ich weiß auch, dass … ja, ich höre ja schon auf.« Ein gewisses Maß an Zufriedenheit gepaart mit Schadenfreude zeichnete sich auf Joannas schönen Zügen ab. »Also fragst du?«
Die Blondine warf mir einen kalkulierenden Blick zu. »Ja, die genauen Aufgaben, das Profil und die Wunschvorstellungen kommen noch.«
Ich nickte, wie zur Bestätigung und hörte zu, wie Joanna mit ihrer Gesprächspartnerin noch einige Floskeln wechselte und sich zu einem privaten Termin verabredete, der aber noch in einiger Zukunft lag. Erst dann legte sie auf und wandte sich wieder mir zu.
»Ich denke, wir haben einen Mitspieler«, erklärte sie mir und sah mich ernst an, als erwartete sie einen Rückzieher.
Ich schluckte, hielt ihrem Blick aber stand, obwohl immer noch Fragen in mir brannten: Wollte ich das wirklich? Wollte ich es so?
»Keine Sorge, Callista ist eine Freundin und trotz ihrer Arbeit ist sie extrem verschwiegen.«
Wieder nickte ich. »Reden wir von der Produzentin?« Ich erinnerte mich an die letzte Sendung, für die sie verantwortlich gewesen war. Um sie ins Fernsehen zu bekommen, hatte sich Callista sogar zu einem Deal entschlossen und war selbst Kandidatin in ihrer Live-Erotik-Game-Show geworden, die ein wenig wie eine Mischung aus einem Sexvideo und Big Brother anmutete, nichtsdestotrotz aber Millionen Zuschauer vor die Bildschirme gelockt hatte. Um ehrlich zu sein, hatte auch ich mich dem Spektakel nicht entziehen können und war selbst jetzt noch versucht, Joanna lieber um eine intime Session mit dieser faszinierenden Verführerin zu bitten, als um irgendeinen Kerl, der meine Wünsche in die Tat umsetzte.
Eine Idee, der ich nur mühsam widerstehen konnte. Und erst als Joanna mir einige Zettel in die Hand drückte, wurde mir klar, dass die attraktive Blondine schon seit einer ganzen Weile geredet haben musste.
Als spürte sie meine nun wieder vorhandene, vollständige geistige Anwesenheit, fing sie plötzlich an zu lachen und meinte: »Du hast kein bisschen zugehört, oder?«
»Entschuldigung.« Ich sah beschämt zu Boden.
»Kein Problem, ich denke, du hast gerade noch einmal darüber nachgedacht, was du hier eigentlich tust?«
Ich verzog die Lippen, nickte aber, denn irgendwie hatte ich das ja auch wirklich gemacht.
»Es ist ein schwerer Schritt und du kannst jederzeit abbrechen«, erklärte Joanna. »Unsere Preise kennst du, das Safeword nun auch und alles andere«, sie deutete auf die Papiere, »liegt jetzt in deiner Hand.«
Ich starrte auf das oberste Blatt und dann auf das darunter – und das nächste. In der Tat waren die meisten Papiere selbsterklärend. Etwas, was Joanna zu wissen schien, denn ihr Lächeln war kontinuierlich in die Breite gewachsen. Erst als ich auf der letzten Seite ankam, deutete sie auf das weiße Papier und meinte, indem sie mir einen Stift reichte: »Wir brauchen zusätzlich noch deine Fantasien, so ausführlich wie möglich, dann die Freistellungserklärung, die ich dir gleich geben werde. Das Profil und die anderen Listen schaffst du auch ohne mein Zutun.«
»Natürlich«, stimmte ich zu und nahm die Erklärung in zweifacher Ausfertigung entgegen.
»Die Erklärung brauche ich im Original, am besten jetzt und den Rest kannst du mir per Fax schicken.«
Ich überflog den kurzen Text, der präzise auf den Punkt brachte, was ich alles ausschloss und wofür ich alles selbst Sorge trug und unterschrieb beide Blätter, bevor ich Joanna ein Exemplar aushändigte.
»Wie gesagt, wenn du es dir anders überlegst, kannst du jetzt noch kostenfrei abbrechen, sobald ich den unterschriebenen Auftrag und alle Zettel zurück habe, geht es los.«
Meine Libido, die sich in den letzten Minuten verdächtig ruhig verhalten hatte, begann sich zu regen, wie ein Tier, das lediglich auf der Lauer gelegen hatte und nun spürte, dass das einzige, was den nagenden Hunger in seinem Inneren befriedigen konnte, in Greifweite war.
Joanna reichte mir die Hand und allein diese Berührung reichte beinahe aus, um mich die Beherrschung verlieren zu lassen. Fast hätte ich sie zu mir gezogen und geküsst – um anschließend heißen Lesbensex auf ihrem Schreibtisch zu haben. Einzig der Umstand, dass ich das Safeword wie ein Mantra wiederholte, still und leise, zusammen mit dem Versprechen auf baldige Umsetzung meiner Traumfantasien, half mir, ohne sexuellen Zwischenfall aus dem Büro zu gelangen – und nach Hause, ohne meinen Trieben nachzugeben.