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Schicksalhafte Begegnung

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„Tut mir leid, aber sie hat sich geweigert in eine Klinik zu gehen.“

„Ja, ich weiß, seit dem Tod ihrer Mutter krieg’ ich sie zu keinem Arzt mehr. Haben Sie den Verband gemacht?“

„Nein, das war meine Freundin.“

Kylie betrat gemeinsam mit einem Mann im maßgeschneiderten Anzug das Wohnzimmer.

Er reichte Cassy die Hand, dann erst schien er sie zu erkennen.

„Die hilfsbereite Dame vom Bahnhof. Dann bekomm’ ich endlich meine Chance mich bei Ihnen für Ihre Hilfe zu bedanken.“

Sprachlos sah Cassy ihn an. Sich bedanken? Wenn er das wirklich gewollt hätte, dann hätte er das doch schon längst tun können, schließlich wusste er wo sie arbeitete! Wahrscheinlich war es nichts weiter als eine höfliche Floskel, was hätte er auch sagen sollen?

„Sandras Arm ist nicht gebrochen, aber bestimmt verstaucht. Sie wird heute Nacht sicher ziemliche Schmerzen bekommen.“

Als er darauf nichts erwiderte, fuhr Cassy fort:

„Ich würde Ihnen eine kühlende Salbe und ein leichtes Schmerzmittel empfehlen.“

„Ich schluck’ keine Tabletten“, ging Sandra sofort dazwischen.

„Brauchst du auch nicht, mein Schatz!“ versicherte ihr Vater sofort.

Erst wollte Sandra zu keinem Arzt und dann weigerte sie sich, Tabletten zu schlucken. Cassy fand dieses Verhalten seltsam.

„Guck mal, Papa!“ Sandra zeigte auf das große Pflaster an ihrem Knie.

Der Mann pustete kurz, dann küsste er das Pflaster. Seine Tochter strahlte ihn an.

Der Mann war so warmherzig zu seiner Tochter, das beeindruckte Cassy, passte aber einfach nicht zu dem Rest des Bildes, das sie über ihn hatte.

„Gehst du schon mal runter, Schatz?“

Sandra lief fröhlich los.

„Ich bezahle Ihnen natürlich die Zeit“, wandte er sich an Kylie, die bereitwillig sein Geld entgegen nahm. Danach drehte er sich zu Cassy, seine Brieftasche noch in seiner Hand.

„Sie wissen gar nicht, wie sehr Sie mir geholfen haben, ich…“

Cassy sah gerade wie er ein paar Scheine aus seiner Brieftasche zog. Sofort nahm sie eine abwehrende Haltung an.

„Ein einfaches ‚danke’ reicht mir völlig!“

Wahrscheinlich überraschte ihn ihre unfreundliche Art. Es war eben nicht jeder käuflich, das musste ein Mann wie er wohl erst noch lernen.

„Aber ich…“

„Besorgen Sie Ihrer Tochter davon ein Schmerzmittel, die gibt es für Kinder auch als Saft“, erwiderte Cassy heftiger als sie eigentlich wollte, als der Typ ihr tatsächlich Geld entgegen streckte. Dann ging sie einfach an ihm vorbei nach draußen.

Dort traf sie Sandra.

„Spielst du mal wieder mit mir?“ fragte sie Cassy.

„Gerne.“

„Gleich Morgen?“

„Sandra, es gibt auch Menschen, die arbeiten müssen…“, begann ihr Vater, der hinter ihnen aufgetaucht war.

Sauer ging Cassy davon. Natürlich, dieser Schlipsträger gehörte auch zu der Sorte Mensch, die auf andere herab blickten. Ja, sie hatte es nötig zu arbeiten, um über die Runden zu kommen, aber dafür musste man sie ja nicht verurteilen!

„Kann ich Sie mitnehmen?“ rief der Mann ihr noch hinterher.

Sie ignorierte das einfach. Auch wenn sie einen weiten Fußmarsch vor sich hatte, würde sie sich von ihm bestimmt nicht fahren lassen.

Erstaunt sah David der Frau hinterher. Warum war sie nur so abweisend? Er hatte sich schon lange bei ihr bedanken wollen, allerdings hatte er sie morgens nicht mehr am Bahnhof finden können. Selbst die Dame aus dem Servicecenter, die ihm damals die Tickets nach Hamburg ausstellte, hatte ihm nicht weiter helfen können. Und da er den Namen der Frau nicht kannte, hatte er sie auch nicht finden können.

„Weißt du, wie sie heißt?“ fragte er seine Tochter.

„Cassy.“

„Und weiter?“ hakte er nach.

„Einfach nur Cassy.“

David musste über seine Tochter lächeln, natürlich interessierten sie mit ihren sechs Jahren Nachnamen noch nicht. Aber er würde das schon noch herausbekommen, schließlich kannte sein Kindermädchen diese Cassy.

„Kann ich dich auch wirklich allein lassen?“

Kylie schien ein schlechtes Gewissen zu haben, weil Cassy ihre Lampen alleine anbrachte.

„Solange du was Essbares mitbringst, ist das schon in Ordnung.“

Kurz darauf saß Kylie in ihrem neuen Wagen. Im Möbelhaus war heute Ausverkauf und sie wollte noch mal schnell hin, um sich ein neues Bett zu kaufen. Eigentlich hatte sie dieses Bett schon gestern entdeckt, aber es war nicht ganz billig und sie hatte all ihr Erspartes bereits in die neue Wohnung gesteckt. Aus dem Grunde hatte sie gestern Abend ihren Chef gefragt, ob er ihr aushelfen würde und er hatte dem sofort zugestimmt.

Das Bett war das letzte Teil ihrer alten Sachen, wenn das weg war, konnte sie endlich mit ihrer Vergangenheit abschließen, zumindest hoffte Kylie das.

Cassy hockte gerade auf der Küchenarbeitsplatte, als es an der Wohnungstür klingelte. Hatte Kylie ihren Schlüssel vergessen?

Kaum hatte sie auf den Türsummer gedrückt, schon hörte sie Sandra fröhlich pfeifend die Treppe hochkommen.

„Hallo Sandra!“

„Hej Cassy!“ äußerte sie nur und lief in die Wohnung.

Cassy schloss die Wohnungstür.

„Ist Kylie gar nicht da?“

Anscheinend war sie gerade im Wohnzimmer. Während Cassy wieder in die Küche ging, rief sie zurück:

„Nein, leider nicht.“

„Was machst du da?“

Cassy hockte mittlerweile wieder auf der Arbeitsplatte in der Küche und Sandra stand vor ihr.

„Ich versuch’ die Lampe anzubringen.“

„Du?“ fragte Sandra erstaunt.

„Mein Papa meint, das ist Männerarbeit“, plapperte sie weiter, als Cassy nichts erwiderte.

Ja, das passte zu diesem Kerl, seiner Tochter so einen Blödsinn weis zu machen.

„Kylie hat aber keinen Mann“, versuchte Cassy freundlich zu erwidern.

„Dabei sag’ ich ihr immer, dass sie Papa heiraten soll!“

„Und was sagt Kylie dazu?“

„Sie will nicht. Sie meint, alle Männer sind doof.“

„Aha.“

„Ja, aber das kann gar nicht stimmen!“

„Glaubst du nicht?“

„Nein, mein Papa ist nämlich gar nicht doof!“

„Aber vielleicht ein bisschen zu alt für Kylie“, gab Cassy zu Bedenken.

„Das hat Papa auch gesagt.“

„Was ist mit deiner Mama?“

„Mama wohnt im Himmel!“

Cassy hielt mit ihrer Arbeit inne und sah das Mädchen an.

„Und von da passt sie genau auf mich auf, sagt Papa.“

„Da hat dein Papa Recht.“

Cassy hörte keine Traurigkeit aus der Stimme des Mädchens, dennoch guckte sie sie mit großen Augen an.

„Frag ruhig, Sandra!“ forderte Cassy sie auf.

„Papa sagt, Mama war richtig hübsch…“

„War sie hübsch?“ hakte Cassy nach, als Sandra wieder stockte.

„Ich weiß nicht.“

Das klang als hätte sie ein schlechtes Gewissen.

„Warum nicht?“

Sandra blickte unruhig zu Boden.

„Glaubst du, meine Mami ist mir böse, wenn ich nicht mehr weiß wie sie…“

Nun liefen Tränen über ihre Wangen. Schnell ging Cassy zu ihr und nahm sie in ihre Arme.

„Ich weiß auch nicht mehr, wie meine Mama aussah“, verriet Cassy ihr.

„Nein?“

Cassy sah Sandra an und schüttelte den Kopf.

„Wohnt deine Mama auch im Himmel?“

Cassy nickte.

In dem Moment hörten sie einen Schlüssel in der Wohnungstür. Kylie kam zurück. Freudestrahlend lief Sandra zu ihr, das Gespräch schien vergessen.

„Das ging aber schnell!“ war Cassy erstaunt.

„Das Bett wird in ein paar Tagen geliefert.“

„Was ist das?“ Sandra schnupperte an der Tüte, die Kylie bei sich hatte.

„Hast du auch Hunger?“

„Immer!“ erwiderte Sandra.

Kurz darauf aßen sie gemeinsam.

Als Cassy sich später verabschiedete, zog sie Sandra zur Seite und gab ihr einen Rat:

„Frag doch mal deinen Papa, ob er sich Fotos von deiner Mama mit dir anguckt!“

Ihr hatte das als Kind sehr geholfen, über den Verlust hinweg zu kommen.

An der Wohnungstür meinte Kylie zu Cassy:

„Ihr Vater hat übrigens nach dir gefragt.“

„Ach!“ erwiderte sie wenig begeistert.

„Er will sich für irgendwas bedanken und wollte deine Adresse haben.“

„Du hast doch nicht etwa…?“

„Nein, keine Sorge, ich hab’ ihm gesagt, dass ich dich erst fragen muss bevor ich irgendwelche Daten rausgeb’.“

„Kann ich ihm wenigstens verraten, dass du am Bahnhof arbeitest?“ fragte sie, als Cassy stumm blieb.

„Das dürfte keine Neuigkeit für ihn sein.“

David klingelte mal wieder an der Tür seines Kindermädchens. Seitdem sie in dieser Gegend wohnte, war Sandra oft bei ihr. Er hatte schon Bedenken, dass Kylie das zuviel werden könnte, aus dem Grund zahlte er peinlich genau für jeden Moment, den seine Kleine bei ihr war. Ihm war bewusst, dass es nicht gut war, wenn Sandra sich so sehr an das Kindermädchen klammerte, aber für den Moment fiel ihm einfach keine bessere Lösung ein.

„Hallo Kylie! Wie lange ist Sandra schon hier?“

„Sie kam, als ich noch einkaufen war. Cassy hat sie reingelassen.“

„Haben Sie Ihre Freundin gefragt?“

„Sie hat es nicht so gerne, wenn ich ihre Adresse verrate. Und sie meinte, wo sie arbeitet wüssten Sie bereits.“

Das mit der Privatadresse konnte David nachvollziehen, aber er hatte keine Ahnung wo sich ihr Arbeitsplatz befand.

„Ich hab’ keine Ahnung.“

„Sie arbeitet am Bahnhof.“

Das erklärte, das David sie dort sooft angetroffen hatte. Aber warum dann die Wochen nach der Gerichtsverhandlung nicht mehr?

„Wo da?“

„Sie ist Raumpflegerin.“

„Danke, Kylie. Wie lange bist du schon hier, Schatz?“ wandte David sich an seine Tochter, die gerade zu ihnen kam.

„Schon ganz lange, ich hab’ Cassy getroffen“, verriet sie.

Totenschein auf Bestellung

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