Читать книгу Das Ding im Kopf - Pinealiszyste - Jens Schumacher - Страница 6

Kapitel 3

Оглавление

Wie soll ich das nur durchstehen?, frage ich mich, während ich auf der kleinen Ledercouch in meinem Büro liege und versuche einzuschlafen. Eigentlich würde ich jetzt in meinem großen Bett neben Petra liegen und mich auf die Nacht freuen. Aber meine Frau machte mir mit einem Für dich ist heute Abend in diesem Bett kein Platz-Blick klar, dass ich mir einen anderen Schlafplatz suchen musste.

Und jetzt liege ich hier und weiß nicht, welche Position ich einnehmen soll, um nicht auf dem Boden zu landen. Bei jeder noch so kleinen Bewegung knirscht die Couch, als würde sie um Hilfe schreien. Eigentlich steht das Teil nur zur Zierde in meinem Büro. Dazu kommt noch, dass das bodentiefe Fenster kein Rollo hat und heute Nacht Vollmond ist. Dieser steht direkt vor dem Fenster hoch am Himmel und sorgt für genügend Licht in meinem Büro.

Du bist selbst dran schuld, erinnert mich eine tiefe Stimme in meinen Gedanken. Das weiß ich selbst, gebe ich ihr zur Antwort. So weit ist es also schon gekommen, dass ich mich mit mir selbst unterhalte. Brummend drehe ich mich auf den Rücken und trete nach der Decke, welche auch viel zu klein für meinen langen Körper ist. Das ist genug Strafe und ich habe es auch verstanden.

Bevor wir alle schlafen gingen und ich mich in meinem Büro ein wenig abreagieren konnte, startete ich einen Versöhnungsversuch, welcher jedoch kläglich scheiterte. Schon als ich mein Büro verließ, kam mir Lilli auf dem Flur entgegen. Mit zusammengekniffenen Augen starrte sie mich böse an und sagte mir so, dass sie voll und ganz auf der Seite ihrer Mutter steht. Ich hätte auch nichts anderes von ihr erwartet. Sie streiten zwar Tag und Nacht, aber wenn es drauf ankommt, können sie sich doch aufeinander verlassen.

„Warte mal“, hielt ich sie zurück, als sie wortlos an mir vorbeilief. „Wo ist deine Mutter?“

Lilli dreht sich genervt zu mir herum und stemmt ihre Hände in die Hüften. „Echt jetzt?“, fragt sie mich und verdreht die Augen. „Hast du heute nicht schon genug Stress gemacht? Das ging ja mal gar nicht, Papa.“

Ich mochte es gar nicht, wie sie mit mir sprach. Ich ging nicht auf ihr Verhalten ein, auch wenn ich ihr gerne eine Standpauke gehalten hätte. „Ist sie unten oder schon im Bett?“, frage ich erneut. Zu meinem Erstaunen ist meine Stimme ganz ruhig.

Lilli schnaufte laut aus und deutete die Treppe hinunter. „Sie ist noch in der Küche“, murmelte sie, drehte sich herum und ging in ihr Zimmer am Ende des Flurs. Ihre Wut auf mich machte sie mir nochmals klar, indem sie die Tür hinter sich mit einem lauten Knall zufallen ließ.

Kopfschüttelnd ging ich langsam die Treppe hinunter und lugte zuerst ins Wohnzimmer. Dort war jedoch niemand. Ich zuckte zusammen, als ich in der Küche Töpfe und Teller hörte. Ich musste zugeben, dass ich ein wenig aufgeregt war. Mich zu entschuldigen oder mir ein falsches Verhalten einzuräumen, fiel mir noch nie leicht. Also lockerte ich meine Schultern, atmete tief durch und lief ohne weiteren Zwischenstopp in die Küche.

Dort angekommen, räumte Petra gerade die Spülmaschine aus. Als sie mich bemerkte, hielt sie kurz inne und sah mich zornig an. Anschließend nahm sie ohne ein Wort ihre Arbeit wieder auf und ignorierte mich gekonnt.

Entschlossen ging ich einen Schritt auf sie zu und streckte meinen Arm nach ihr aus. „Schatz. Können wir bitte noch einmal reden?“, bat ich sie um ein klärendes Gespräch.

Aber sie schüttelte nur den Kopf. „Ich dachte, du hast genug“, wiederholte sie meine letzten Worte, die ich am Tisch sagte, bevor ich mich verzog.

Verlegen senkte ich den Blick und war immer wieder darüber erstaunt, wie gut sich Frauen die Ansagen und Wörter ihrer Männer merken konnten. „Ich habe noch einmal über alles nachgedacht und … Ich habe mich falsch verhalten und was ich gesagt habe, war auch nicht in Ordnung.“ Gott, wie konnte man nur so tief sinken. Ich fühlte mich in diesem Moment wie ein kleines Kind, dass sich versuchte zu erklären, weil es ein Spielzeug aus Versehen kaputt gemacht hatte.

Petra stellte laut einen Topf auf der Arbeitsplatte ab, worauf ich ihr gerne gesagt hätte, dass sie das nicht tun sollte, da sie sonst verkratzt und die Töpfe waren auch nicht gerade günstig. Aber ich hielt mich zurück, damit würde ich nur noch mehr Salz in die Wunden streuen und Petra wollte schließlich etwas sagen.

„Willst du dich für etwas entschuldigen?“, fragte sie mich mit großen und wartenden Augen.

Ich nickte nur.

Wieder schüttelte sie den Kopf und räumte weiter auf. „Das ändert leider nichts daran, dass du dich so verhalten hast, wie du dich verhalten hast und dass du das gesagt hast, was du gesagt hast“, erwiderte sie mit einem festen Ton. „Ich kann dir das jetzt noch nicht verzeihen“, fügte sie noch hinzu, dabei wurde ihre Stimme sanfter.

„Das verstehe ich“, entgegnete ich ihr und räusperte mich. „Wann kommst du ins Bett?“

Auf meine Frage hin lachte Petra in die Luft und funkelte mich böse an. „Du glaubst ja nicht im Ernst, dass ich heute Nacht neben dir schlafen werde, oder? Für dich ist heute Abend in unserem Bett kein Platz, Toni.“ Sie sprach mit mir so, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Abwertend und so, als wäre ich Müll, was mich sehr verletzte.

In dem Augenblick wurde mir klar, dass ich heute nicht mehr gegen sie ankam und dass jeder weiterer Versuch einer Kommunikation keinen Sinn mehr machte. Also fügte ich mich meinem Schicksal. „Ich bin dann in meinem Büro, falls etwas sein sollte“, teilte ich ihr mit einer brüchigen Stimme mit, senkte geschlagen den Kopf und machte mich wieder auf den Weg nach oben.

Immer wieder muss ich jetzt an dieses Gespräch denken und es beschäftigt mich mehr als die Tatsache, dass ich in ein paar Monaten wieder Vater werde. Ich sehe Petra selten so enttäuscht und verletzt. Und ich war an allem schuld. Ich bin ihr Ehemann und ich sollte eigentlich hinter ihr stehen, aber irgendwie fällt mir das in dieser Situation auch sehr schwer.

Tief verletzt und von Schuldgefühlen geplagt, schließe ich die Augen und hoffe, dass ich in den nächsten Minuten endlich einschlafen kann. Schließlich muss ich Kraft für den nächsten Tag tanken. Denn die Arbeit steht kurz bevor und natürlich muss ich die ganze Sache auch noch mit Petra klären. Das wird wohl die schwierigste Aufgabe des nächsten Tages sein.

Ich brumme genervt in mein Kissen, als unser kleiner Sohn im Nebenzimmer anfängt zu schreien. Gefühlt war ich erst vor ein paar Minuten bei ihm und habe gefühlte drei Stunden gewartet, bis er wieder eingeschlafen ist. Ich weiß ja, dass Babys anstrengend sind oder sein können, aber er … Nun gut. Vielleicht liegt es auch einfach nur daran, dass wir nun ein paar Jahre älter sind als bei den beiden anderen Kindern.

„Ben weint“, höre ich auch Lillis Stimme. Sie läuft gerade an unserer offenen Schlafzimmertür vorbei, Richtung Bad. Danke für deine tolle Hilfe, denke ich mir, schlage die Decke beiseite und will aufstehen.

Im selben Moment erhebt sich auch Petra. Völlig orientierungslos sieht sie sich mit zusammengekniffenen Augen um und ihr rotes Haar steht in allen Richtungen ab. „Weint er schon wieder?“, fragt sie mit einer hohen Stimme, während sie gähnt.

Ich lache bei ihrem Anblick. „Ja, aber bleib liegen. Ich gehe schon“, erwidere und stehe auf.

„Danke Schatz“, höre ich noch, bevor ich das Schlafzimmer verlasse. Als ich im Flur ankomme, mischt sich der Ton der Toilettenspülung unter das Geschrei unseres Sohnes. Keine drei Sekunden später, stehe ich im Kinderzimmer vor seinem Bettchen und hole ihn heraus.

„Was ist denn schon wieder los?“, frage ich ihn, obwohl ich weiß, dass er mir noch keine Antwort geben kann. Als er meine Stimme hört, beruhigt er sich etwas. Daraufhin erzähle ich ihm irgendeine Geschichte und schockele ihn ein bisschen in meinen Armen.

Als ich merke, dass er ruhiger wird, bin ich voller Hoffnungen, dass ich in ein paar Minuten wieder in meinem Bett liege. Aber Ben lässt das nicht zu. Ich bekomme mit, dass er ein Bäuerchen macht und komisch guckt, einen Wimpernschlag später spuckt er mir direkt auf mein T-Shirt. Noch ein paar Zentimeter weiter oben und ich hätte alles ins Gesicht bekommen.

Für einen kurzen Augenblick starre ich ihn an und frage ihn wortlos, ob das wirklich sein Ernst ist. Er lacht und strampelt mit Armen und Beinen, dabei verschmiert er seine Hinterlassenschaften noch schön auf seinem Strampelanzug und meinem T-Shirt. „Ganz großartig“, knurre ich und erlaube es mir auch einmal meine Augen zu verdrehen, so wie Lilli es immer macht.

„Warum machst du das nicht, wenn deine Mutter oder deine Schwestern dich auf dem Arm haben?“, frage ich ihn und halte ihn von mir weg, als würde er nach Müll stinken. Gut, davon ist er nicht mehr weit entfernt. Eigentlich müsste ich mich daran schon gewöhnt haben, da ich immer derjenige bin, dem er seine Spucke schenkt. Vielleicht will er mir damit auch sagen, dass er mich zum Kotzen findet, weil er mitbekam, wie ich mich damals verhielt, als seine Mutter mir sagte, dass sie schwanger war.

Wie auch immer. Ben scheint die ganze Situation sehr zu amüsieren, worauf ich ihm dann auch nicht mehr lange böse sein kann. Wenn er lacht, geht für mich die Sonne auf, egal in welcher Lage ich gerade stecke. „Dann machen wir uns mal sauber“, sage ich zu ihm und gehe mit ihm ins Bad. Wir sind mit allem ausgestattet, was eine Familie mit einem kleinen Kind braucht. Von daher bin ich auch recht schnell fertig und lege den Kleinen wieder in sein Bettchen. Und er tut mir auch den Gefallen und schläft gleich wieder ein.

Am nächsten Tag ist Petras Mutter zu Besuch. Und wie erwartet, wirft sie mir immer wieder vor, dass ich es nicht gemerkt habe, dass ihre Tochter schwanger war. Diese Frau mit ihrer giftig hohen Stimme und Haaren auf den Zähnen, machte mir das Leben noch nie leicht. Petras Vater ist genau das Gegenteil, er hält sich aus allem heraus und ist ganz neutral. Von daher verstehe ich mich auch ganz gut mit ihm. Wir sitzen zusammen im Wohnzimmer und bespaßen Ben, während die Frauen in der Küche irgendeinen Braten für das Abendessen vorbereiten.

Wir sitzen auf dem Teppich neben Ben und unterhalten uns über Gott und die Welt. Ich mag die Gespräche mit ihm, dabei kann ich manchmal richtig abschalten. „Buh“, sagt Petras Vater auf einmal und wedelt mit seiner Hand vor seinem Gesicht herum. „Toni, ich glaube, da hat jemand die Windeln voll.“

Panisch schaue ich erst meinen Schwiegervater, dann meinen Sohn an. Windelwechseln ist einfach nichts für mich, besonders, wenn sich darin eine braune und stinkende Masse befindet, die mich jedes Mal zum Würgen bringt. Jede Faser in mir schreit, dass ich Petra um Hilfe bitten und sie fragen soll, ob sie das übernimmt. Aber das kann ich jetzt nicht bringen. Denn das wäre wieder ein gefundenes Fressen für ihre fiese Mutter, mich bis Weihnachten damit zu schikanieren. Und darauf habe ich wirklich keine Lust.

Langsam nähere ich mich mit meiner Nase Bens Hinterteil, in der Hoffnung, dass mein Schwiegervater etwas anderes in die Nase bekommen hat. Aber schon aus gefühlten zwei Kilometern Entfernung musste ich feststellen, dass er recht hat. Also lächele ich Ben gespielt freudig an, nehme ihn hoch und sage ihm in einer kindlichen Stimme, dass seine Windel voll ist und ich sie jetzt wechseln werde.

Ben lacht und ich meine zu erkennen, dass das ein sehr hämisches Lachen ist. Hier in diesem Haus verschwört sich einfach jeder gegen mich. „Ich bin gleich wieder da“, sage ich zu meinem Schwiegervater und mache mich auf den Weg nach oben ins Badezimmer. Dabei luge ich kurz in Lillis Zimmer. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch und schaut sich etwas am Laptop an, während Melanie auf dem Bett liegt und ein Buch liest.

Ich lächele, als ich die beiden sehe und freue mich, dass sie sich so gut verstehen. Kurz denke ich daran, dass ich ihnen ihren kleinen Bruder in die Arme drücken könnte, dann müssten sie seine vollen Windeln wechseln. Aber ich entscheide mich dagegen, da muss ich als Vater jetzt durch. Es ist ja nicht so, dass ich das noch nie gemacht habe.

Überglücklich, dass es nur ein kleines Geschäft war, mache ich mich fröhlich mit Ben wieder auf den Weg nach unten. Dabei versuche ich meinen kleinen Sohn so gut es geht zu bespaßen, da er nach dem Windelwechsel immer ein kleines Tief hat. Und mein Tun ist ein voller Erfolg, obwohl ich noch den Geruch von Scheiße in der Nase habe.

Als ich im Wohnzimmer ankomme, lachen wir beide und stellen fest, dass Petra und ihre Mutter nun auch zu uns gestoßen sind. „Schau mal, deine Mama ist auch da“, sage ich zu Ben, nehme seinen Arm und winke Petra zu. „Hallo.“

Eigentlich erwartete ich, dass Petra glücklich darüber ist, ihren Sohn und mich zu sehen. Ich dachte, sie würde aufstehen, zu uns kommen mir vielleicht einen Kuss geben. Aber sie sitzen alle drei nur auf der Couch und starren mich an, als wäre ich nicht mehr ganz dicht. Sind meine Kinderbespaßungen etwa zu viel des Guten? Jedoch hat das Petra bei Lilli und Melanie auch nie gestört. „Ist alles in Ordnung?“, frage ich sie und schaue mich schnell im Raum um, ob ich vielleicht etwas verpasst habe.

Meine liebe Schwiegermutter zieht eingebildet ihre Augenbrauen nach oben und deutet mit dem Finger unter ihr Auge. „Du hast da was und das sieht aus wie Babykacke.“

Nach ihren Worten bleibt für einen Moment die Welt für mich stehen. Stocksteif stehe ich da, als würde ich nicht wollen, dass sich die Hinterlassenschaften meines Sohnes in meinem Gesicht noch weiter ausbreiten. Dann wage ich einen Blick zu Ben. Seine Augen sind gefüllt mit Spott, dabei lacht er lauthals und deutet mit dem Finger auf mich. Petra sieht mich an, als sei ich nicht fähig ein Baby anständig zu wickeln.

Meine Schwiegermutter steht auf und nimmt mir meinen Sohn ab. „Du bist ein unfähiger Vater“, wirft sie mir vor, während sich mein Schwiegervater völlig ruhig und entspannt eine Zigarre anzündet. Petra stellt sich direkt vor mich und verschränkt die Arme vor ihrer Brust. „Bekommst du überhaupt irgendetwas auf die Reihe, Toni?“ Sie schüttelt angewidert den Kopf und sieht mich genauso an.

Ich fange an zu schwitzen, mein Herz rast und mein Puls steigt von Null auf Hundert. Plötzlich sehe ich keine andere Möglichkeit mehr, als meinen Frust einfach herauszuschreien …

„Nein“, schreie ich und schieße hoch. Ich zittere am ganzen Körper und schwitze wie nach einem Doppelmarathon. Benommen sehe ich mich um und nehme wahr, dass ich in meinem Büro bin. Erst dann wird mir klar, dass das alles nur ein schrecklicher Traum war. Es war nicht nur ein Traum, es war ein totaler Albtraum.

Aus Reflex fahre ich mit der Hand unter mein Auge, um zu sehen, ob sich dort noch Babyscheiße befindet. Nein! Gott sei Dank, ich kann Entwarnung geben. „Verdammt“, fluche ich und lasse mich wieder auf die Couch fallen. Tief atme ich durch, damit sich mein Herzschlag wieder etwas beruhigt.

Warum träume ich so etwas? Ja gut, bevor ich eingeschlafen bin, dachte ich an das Wechseln von Windeln, an Babyrücken, die bis fast hoch vollgeschissen sind, an Fläschchen geben und an den Wechselmodus mit Petra. Aber dass daraus so ein Traum entsteht, das wollte ich nicht. Überfordert und total übermüdet drehe ich mich auf die Seite und versuche wieder einzuschlafen. Dabei denke ich diesmal an nichts und hoffe auf eine ruhige und traumlose Nacht.

Das Ding im Kopf - Pinealiszyste

Подняться наверх