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Brief (1)

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Tausend Dank! Ich habe mich sehr gefreut, Dich zu treffen, Holger!

Insgesamt gesehen finde ich, daß wir ein richtig schönes Treffen hatten. Ich bin ja inzwischen schon einige Jahre dabei, aber ich glaube, ich bin nie zuvor mit einem so starken Glauben nach Hause gereist, daß wir jetzt eine Politik festgeschrieben haben, für die zu kämpfen es sich wirklich lohnt. Und ich muß sagen, daß dieses Treffen für mich auch rein persönlich sehr zufriedenstellend war. Man kann an politischer Arbeit ja nicht teilnehmen, ohne hier und da ein paar blaue Flecken abzubekommen, und dazu war ich auch bereit, aber ich konnte es kaum verkraften (wie lächerlich es auch ist!), wenn mir einige der alten Herren unterstellten, daß ich eigentlich nur kraft meines Aussehens einen gewissen Einfluß in unserer Partei erlangt habe. Sie sind mir gegenüber so grob gewesen, so stur, daß ich sehr oft halbe Nächte mit Heulen verbracht habe!

Jetzt glaube ich aber doch, daß ich ihnen endlich den Mund gestopft habe. Ich erhielt wirklich so viel warmen Zuspruch von Leuten, die mich für das respektieren, wofür ich stehe. Ich fühlte bei diesem Treffen, daß plötzlich eine neue Atmosphäre entstanden ist, eine reinere Luft, ja ein schönerer Geist! Und auch wenn es immer nett war, ein paar Tage zusammen mit guten Parteifreunden und in schöner Umgebung zu verbringen, so habe ich bei weitem nicht jedes Mal einen Menschen getroffen, mit dem ich so reden konnte, wie wir beiden es taten, Holger!

Aber es gibt ja zum Glück auch andere als mich, die guten Grund haben, sich zu freuen. Wir sind am letzten Abend darauf zu sprechen gekommen, Holger, und seitdem ist es mir nur noch klarer geworden: Dieses Treffen wurde ein entscheidender, vielleicht der entscheidende Sieg für Niels! Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, dann kann ich beinahe hören, daß sozusagen sämtliche Reden an ihn gerichtet waren. Ja, nicht unbedingt direkt, und deshalb war es ja vor Ort auch nicht ganz so offensichtlich, aber in Wirklichkeit war es seine Einleitungsrede, die jeder, der ernst genommen werden wollte, zum Ausgangs- und Bezugspunkt wählen mußte!

Niels hat sich im Zentrum unserer Partei plaziert. Endlich, könnte man sagen, dafür aber nun mit Nachdruck, und das freut mich aufrichtig für ihn. Und für die Partei ganz gewiß auch. Ich weiß ja, daß auch du von seiner Rede begeistert warst. Ich kann mir auch niemand anderen vorstellen, der es hätte besser machen können. Es war sowohl klug als auch kraftvoll, was Niels sagte. Und es war ungeheurer elegant, wie er nicht nur unsere Gewichtung der Umwelt definitiv zementierte, sondern sie auch mit, wie er sie nannte, einer ‘neuen persönlichen Mündigkeit’ verband, die Öffnung hin zu einer größeren individuellen Freiheit und einer spürbareren persönlichen Verantwortung, die den Lebensbedürfnissen moderner Menschen entgegenkommt.

Natürlich habe ich auch festgestellt, daß Niels ein Name in der Presse geworden ist, auch für unsere Gegner. Mit einem Mal ist ihnen aufgegangen, daß wir einen echten Trumpf in der Hand haben! Und ich habe keine Spur eines Zweifels, daß Niels all die Qualitäten hat, die er jetzt benötigen wird. Er ist immer blitzgescheit gewesen, er weiß mehr als die meisten, er kann sich so ausdrücken, daß es die Leute verstehen, sein Engagement wirkt vollkommen echt, und dann ist er ja darüber hinaus ein witziger Kerl, und man muß auch gewiß keine Frau sein, um seinen Charme zu bemerken! Er wird schwer zu schlagen sein. Ich kann mir nicht vorstellen, daß unsere Gegner imstande sein werden, Schwächen bei ihm zu finden, die sie ausnützen könnten und natürlich ausnützen würden. Selbst ich kann es nicht, und ich kenne ihn ja schon ziemlich lange und bin ihm in den letzten fünf, sechs Jahren bei verschiedenen Gelegenheiten sehr nahe gewesen. Niels hat ganz einfach keine Fehler! Abgesehen vielleicht von seiner Hypochondrie!

Aber ich schreibe Dir, Holger, ja nicht, um mich über Niels auszulassen! Ich wollte Dir bloß einen kleinen Gruß schicken und danke sagen! Wenn ich die Augen schließe, mache ich, wieder und wieder, unseren Mondscheinspaziergang im Park, selbst hier am hellichten Tag! Doch es war so wundervoll, der Silberglanz über dem Wasser, und dann miteinander über alles mögliche andere als Politik zu reden. Sich einfach als Mensch auf unserem herrlichen Planeten zu fühlen! Und du hast mich kein bißchen gelangweilt, als du mir von den Sternen erzähltest (und das hast du wohl auch selbst nicht im Ernst geglaubt?). Ich bin in solchen Dingen bloß schon immer recht begriffsstutzig gewesen. Aber du kannst mir glauben, daß ich mir sowohl Sirius und den Großen Wagen als auch Venus und den Löwen eingeprägt habe! Und jeden Abend, bevor ich zu Bett gehe, mache ich jetzt das Licht aus, öffne das Fenster, wende den Blick zum Himmel und repetiere! Ich muß gestehen, daß ich mich wieder ein bißchen wie ein Teenager fühle!

Allerdings, Holger, habe ich auch viel daran gedacht, ob du vielleicht das Gefühl hattest, daß ich Dich abgewiesen habe?? Wenn dem so sein sollte, mußt du wissen, daß dies auf jeden Fall nichts mit Deiner Person zu tun hatte, oder damit, wie ich mich in Deiner Gesellschaft gefühlt habe. Ganz im Gegenteil! Es kann nur meine tief verwurzelte Vorsicht gewesen sein, die überhandnahm, oder vielleicht eine Angst. Ich sagte Dir bestimmt, daß es immer mein Wunsch gewesen ist, meine politische Arbeit und mein Privatleben scharf voneinander getrennt zu halten. Und ich hatte wohl nicht den Mut, dieses Prinzip so plötzlich zu durchbrechen. Habe es vielleicht immer noch nicht (???)!

Holger, ich habe mir durchgelesen, was ich geschrieben habe, und da ist etwas, was ich eigentlich lieber nicht erwähnt hätte, weshalb ich jetzt gezwungen bin, es zu vertiefen: Meine leere Bemerkung, daß Niels Hypochonder ist. Das ist ja nichts, was wir ernst nehmen müssen. Wir, die ihn gut kennen, haben immer nur ein wenig liebevoll darüber gelächelt, und in diesem Sinne wollte ich es Dir auch einfach erzählen. Doch jetzt geht mir plötzlich auf, daß es vielleicht dennoch etwas ist, was wir in Zukunft nicht einfach so herumplappern sollten. Wir können es uns wohl leider nicht erlauben, so naiv zu sein, zu glauben, unsere Gegner würden sich so ein Wissen nicht zunutzemachen, um Niels zu schaden. Was für eine Bagatelle es auch ist, würde es ihnen sicher gelingen, es aufzubauschen. Denn es ist ja wirklich nichts, bloß ein Spleen, fanden wir immer, daß Niels, der ja fast bis ins Schamlose vor Gesundheit strotzt, hier und da solche Ideen bekommen kann, eben daß er mit seiner zarten Gesundheit in äußerster Lebensgefahr schwebt! Ich kann mich zum Beispiel an ein Fest erinnern, auf dem er sich ein ganz kleines bißchen in den Finger geschnitten hatte, und den restlichen Abend war er zutiefst besorgt, sich eine Blutvergiftung zugezogen zu haben! Er hat mir auch anvertraut, daß er es manchmal mit dem Herzen hat. Nervöses Herz heißt das wohl. Aber über all das weißt du ja viel mehr als ich. Und stimmt es etwa nicht, daß dies alles ganz harmlos ist? Oder gibt es Fälle, wo Leute wirklich die Krankheiten bekamen, die zu haben sie sich eingebildet hatten?

Jetzt muß ich aufpassen, damit ich nicht wie eine von denen klinge, über die Du Dich immer amüsierst, die jede Gelegenheit nutzen, um sich eine kostenlose Konsultation zu verschaffen, indem sie Dir von den Symptomen ihrer ‘Freunde’ erzählen! Ich kann Dir versichern, daß ich selbst nicht an nervösem Herzen leide! Jedenfalls nicht in diesem Sinne (?), auch wenn ich in letzter Zeit gerade in diesem Organ Abnormitäten festgestellt habe! Sie vergehen jedoch jedes Mal, wenn ich mich bemühe, an alles mögliche andere als an Sterne und so zu denken. Aber es wird nur schwerer und schwerer, meine Gedanken werden Tag für Tag raffinierter darin, mich zu hintergehen; sie können bald jede beliebige Sache mit einem Mann namens Holger verbinden! Und ich werde immer unsicherer, wer er ist, wie gut ich ihn kenne, was ich im Grunde mit ihm zu tun hatte??? Ich klammere mich an die Hoffnung, daß meine Phantasie mir nur einen Streich spielt, wenn ich mich so deutlich daran ‘erinnere’, ihm sehr nahe zu sein. Und im nächsten Augenblick hoffe ich beinahe, daß es ganz einfach passiert ist, in Wirklichkeit, und daß nicht meine innersten Wünsche im Begriff sind, mir die Macht zu entreißen! Denn was soll ich nur ihnen gegenüber machen? Ja, ich weiß bald weder aus noch ein!

Ich hatte den Brief hier wieder weggelegt. Und ich gehe ihn jetzt noch einmal an, auch wenn ich inzwischen nicht sehr darauf vertraue, daß ich ihn Dir, Holger, irgendwann zu schicken wage! Laß mich aber dennoch versuchen, ein wenig sachlich zu sein. Denn das mit Niels, ich kann auch davon nicht wieder loskommen, seit es mir jetzt in den Stift fuhr. Ich habe gedacht, Holger, ob nicht du als Arzt vielleicht dennoch mit ihm sprechen solltest? Und vielleicht versuchen solltest, herauszufinden, wie tief sie in ihm steckt, diese Hypochondrie?

Hier spreche ich natürlich vor allem davon, was zu Niels( eigenem Vorteil sein könnte, denn es versteht sich ja wohl von selbst, daß dieses ‘Gebrechen’ ihm persönlich sehr lästig sein muß, und wir sollten nichts unversucht lassen, um ihm zu helfen. Andererseits ist ja auch klar, daß wir daran denken müssen, was unserer Partei und unseren gemeinsamen politischen Interessen am besten dient. Wenn du also feststellen mußt, daß Niels an etwas Ernsterem leide als was ich immer als eine unbedeutende Schwäche aufgefaßt habe, so finde ich, daß wir nicht darum herumkommen, Stellung dazu zu beziehen, ob wir es weiterhin mit gutem Gewissen empfehlen können, ihm so entscheidende Posten in unserer Partei anzuvertrauen, wie seine Fähigkeiten und seine Persönlichkeit es ansonsten reichlich rechtfertigen könnten. Ich glaube eigentlich schon fast, daß es das beste wäre, wenn du ihn jetzt, sozusagen sofort, auf die Probe stelltest. Wenn Du ihn versuchshalber in der ‘Einbildung’ bestärktest, daß sein ‘nervöses’ Herz, auf jeden Fall in besonders belastenden Situationen, sein Leben in Gefahr bringen kann, und er sich dann ohne zu zögern bereit erklärt, ein solches Risiko einzugehen, ja, dann wäre unser Glauben an seine Charakterstärke zusätzlich bestätigt. Und der entgegengesetzte Fall wäre eine tiefe Enttäuschung, die zu verleugnen indes besonders unklug wäre. Wir wären verpflichtet, daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.

Ich spüre ganz deutlich, Holger, daß es unmittelbar sehr unangenehm klingen mag, ja, ich schäme mich eigentlich dafür, dies schreiben zu müssen. Aber du mußt verstehen, daß ich es nur tun kann, weil ich es Dir gegenüber tue, weil ich schon so ein eigenartiges, beinahe kindlich grenzenloses Vertrauen zu Dir habe! Ich entblöße mich ja vor Dir jetzt in jeder denkbaren Weise, und ich würde es niemals gegenüber jemand anderem tun können, Dir gegenüber aber traue ich mich, Holger, zumindest glaube ich das??

Doch, ich traue mich! Mich schaudert es nur beim Gedanken daran, daß irgendein anderer Mensch als Du dies hier zu sehen bekommt, aber ich weiß ja auch, daß dies mit Deiner Billigung niemals geschehen wird. Aber würdest Du nicht dennoch, für alle Fälle, so lieb sein und den Brief hier verbrennen? Sobald Du ihn gelesen hast? Versprich mir das!

Ach, es gibt so viel, worüber ich mit Dir reden möchte, Holger! Jeden Tag habe ich daran gedacht, daß ich Dich einladen möchte, mich besuchen zu kommen. Ich würde so gern ein richtig schönes Essen für Dich machen und so gern einen ganzen Abend mit Dir zusammen haben, an dem wir unsere Gespräche vom Parteitag ganz ungestört fortsetzen und einander noch besser kennenlernen könnten! Würdest Du kommen, Holger? Denn ich weiß ja überhaupt nicht, welche Gedanken Du Dir in der Zwischenzeit gemacht hast? Ob es vielleicht etwas gibt, was Du bereut hast??? Aber das glaube ich nun doch nicht, will es nicht glauben! Denn ich kann nichts anderes glauben, als daß das, was ich bei Dir erlebt habe, echt war. Daß Du das, was Du mir gesagt hast, wirklich gefühlt hast. Und daher weiß ich auch, wenn (falls?) wir uns das nächste Mal treffen, daß es dann blutiger Ernst werden könnte, für uns beide. Und das ist ja auch der einzige Grund, warum ich Dich noch nicht eingeladen habe. Ich brauche ganz einfach noch mehr Zeit. Gibst Du mir sie? Ich möchte so gerne vollkommen bereit sein, Dich zu empfangen!

Jetzt habe ich so viel gesagt, Holger, jetzt will ich Dir gegenüber auch vollkommen ehrlich sein. Und mir gegenüber. Bezüglich Niels. Du weißt, daß ich Ihn sehr schätze. Aber dennoch muß ich gestehen, daß das nicht die ganze Wahrheit ist, bezüglich meiner Meinung von ihm, und meiner Gefühle ihm gegenüber. Und ich kann es nicht begründen, ich kann Dir bloß sagen, wie es ist: Ich spüre, daß mit ihm irgendetwas nicht stimmt! Und ich denke dabei nicht bloß an die psychische Krankheit, an der zu leiden er selbst erkannt hat, die könnte ja möglicherweise, für sich genommen, verhältnismäßig unschuldig sein, ich denke an etwas, für das sie eher ein Symptom sein kann: ein Defekt seiner persönlichen Moral. Um wissen zu können, ob seine verschiedenen Defekte überhaupt so zusammenhängen können, dazu fehlt mir natürlich der professionelle Hintergrund; das ist etwas von all dem, was ich von Dir lernen möchte! Ich kann nur sagen, daß ich immer so ein Gefühl gehabt habe, daß Niels eben ein wenig zu perfekt ist. Denn so ‘gut’, wie er ist, kann meiner bescheidenen Meinung nach kein lebender Mensch sein (oder bin wirklich nur ich es, die nicht so ist??). Aber, wie gesagt, ich kann keine Beweise dafür vorlegen, daß er uns allen auf irgendeine Art und Weise etwas vormacht, und ich versuche in keiner Weise, Dich davon zu überzeugen, denn wie sollte ich das können? Außer Du wärst der Ansicht, daß Grund dazu bestehen könnte, meiner psychologischen Urteilskraft und meiner Intuition bloß ein kleines bißchen Wert beizumessen?

Tust Du das, Holger? Dann wirst Du auch mit mir einig darin sein, daß Niels, auch auf diesem Gebiet, furchteinflößend gut ist und er für den Fall, daß er seinen Willen bekommt, ein extrem gefährlicher Mann werden könnte, und zwar nicht bloß für Dich und mich, sondern für unsere ganze Gesellschaft. Keinen Augenblick lang wird Zweifel in Deine Auffassung dringen, daß es jetzt unverantwortlich wäre, ihn mit Samthandschuhen anzufassen. Du wirst auch als Arzt wissen, daß Du über besondere Möglichkeiten verfügst, ihn zu entlarven, und daß Du Dir später kaum wirst vergeben können, wenn Du jetzt nicht Gebrauch machst von ihnen. Und wenn es Dir dann gelingen sollte, ihn durch eingehende ärztliche Gespräche zu einem offensichtlichen Zusammenbruch zu zwingen, dann würde ich dies als einen sehr bedeutenden Sieg ansehen, und zwar weiterhin nicht nur für Dich und mich, sondern für all die Menschen, die wir mögen, für all das Gute und Gesunde, das wir schützen wollen.

Sollte das passieren, Holger, dann darfst Du nicht sofort zu mir kommen und es mir erzählen! Du mußt so lieb sein und mich ein wenig im voraus warnen. Denn ansonsten fürchte ich, daß all meine schönen Prinzipien über Arbeit und Privatleben jämmerlich zu Boden stürzen werden! Bis dahin, Holger, werde ich bloß Dich in meinen Gedanken haben, jeden Augenblick, und jeden Abend, ehe ich zu Bett gehe, werde ich das Fenster öffnen, um Dir, durch die Sterne, einen einzigen, ehrbaren Kuß zu senden!

Brief eines Seelenverkäufers

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