Читать книгу Brief eines Seelenverkäufers - Jens Smærup Sørensen - Страница 5
Der Tag eines Mannes
ОглавлениеJetzt rollte der schwere Körper auf den Rücken und streckte sich im selben Augenblick aus seiner zusammengekrümmten Stellung, unter heiserem Stöhnen, und der Kopf schüttelte sich immer stärker, er schob sich mit einem Mal auf die Ellenbogen und bekam dann erst Augen, blinzelnd klar im weichen Licht der Kammer.
Es war der übliche Traum: Er hatte viel zu tun, hatte zu lange geschlafen, er mußte schnell aufstehen – was nicht alles zu tun war. Stöhnend ließ er sich in die Kissen fallen und schob seine schwere Bettdecke von der Brust, selbst hier an der Nordseite war zu spüren, es würde nicht weniger heiß als gestern werden. Ein paar schöne Schauer wären nicht schlecht gewesen. Obgleich es nicht schlimm war, doch daß er jetzt vierundfünfzig Jahre alt geworden war und immer noch dasselbe träumte und so erwachen mußte? Ja, was sollte das denn? Und man konnte ewig darüber nachdenken; es war dennoch nichts anderes zu machen als liegen zu bleiben und erst einmal ordentlich zu sich zu kommen. Durch den Fenstervorhang sah er die Ulmen und die scharfen Schatten der Blätter. Auch kein Wind. Aber es war wohl schon nach acht.
Ja. Die Haushälterin kam in die Küche. Sie war am Herd, hörte er dann, setzte einen Topf auf, dann schloß sie die Tür zum Hauswirtschaftsraum, der Kartoffeltopf; sie konnte ihn ja nicht mit einem Arm tragen. Sie war draußen gewesen und hatte für Mittag geschält, die Leute waren also drinnen gewesen und hatten ihre Morgensuppe bekommen. Sie waren jetzt auf dem Weg aufs Feld, die Jungen trieben die Kühe auf die Weide. Er konnte sich schon vorstellen aufzustehen.
Es waren minderwertige Kartoffeln, die letzten jetzt, sie mußte das meiste ausschneiden, viel Geschmack hatten sie auch nicht mehr, doch die neuen hatten ja auch schon zu blühen begonnen. Ja, zur Zeit gab es schon viele schöne Dinge, auf die man sich freuen konnte, sie hatte auch schon fast davon gesprochen, er wollte aber noch eine Woche warten, ehe er nach ihnen sähe. Eine Woche, wann wäre das, nächsten Dienstag also, das konnte er ebenso gut gleich festlegen, da würde er hinaufgehen und nach ihnen sehen. Und selbst wenn sie sich noch als ziemlich klein erweisen sollten, und das waren sie sicher, würde er ihr dennoch erlauben, von ihnen zu nehmen, so ging es eben, und sie erwartete auch nichts anderes. Dann würde er ihr diese Freude machen. Nächsten Dienstag.
Sie klapperte mit den Ofenringen. Dann setzte sie den Kessel auf. Er konnte sich erleichtern. Draußen auf dem Fußboden nahm er sich Zeit, seine Glieder zu strecken. Er spannte die Muskeln an, die Waden und Schenkel hinauf, er hatte sich auf Zehenspitzen gestellt, spannte die Muskeln den Rücken und die Schultern hinauf an, er beugte seine Arme. Nein, was die Kräfte anging, war er wohl noch nicht so sehr geschwächt, in Anbetracht seines Alters, nein, was das anging. Wenn es auch nicht dabei bleiben würde.
Acht Jahre her, daß sie gekommen war. Neun waren es jetzt, und anfangs hatte sie wohl gedacht, daß es mehr werden würde als nur Haushälterin. Obwohl jung war ja auch sie nicht mehr. Nahm sich ansonsten aber schon ordentlich aus. Und sie war ihm mit Blicken gefolgt. Wenn er in der Scheune stand. Wenn er in sein Zimmer ging, um sich hinzulegen. Das Dasein war nicht leicht gewesen in jenem Winter, es verging ein halbes Jahr, ehe es ein Ende nahm. Sie wurde jenen Frühling dreißig. Direkt an ihrem Geburtstag war es, als sie sich in sein Bett legte.
Sie hatten gesät, und es war ein milder Abend, er war den frisch gesäten Acker entlang nach oben gegangen, bis ganz zum Waldrand und war erst heimgekommen, nachdem die Sonne längst untergegangen war. Vielleicht hatte ihm schon etwas geschwant, bevor er die Lampe anmachte. Denn da war etwas, da war etwas in seiner Kammer, das da noch nie zuvor gewesen war, als wäre eine neue Luft eingedrungen, vielleicht nicht unähnlich der, die er gerade gespürt hatte, als er an der Steilküste stand und die rote Sonne westlich über dem Fjord untergehen sah. Dennoch machte er die Lampe an, als ob nichts wäre, und bekam sie so zu sehen, wie sie dalag. Sie hatte die Bettdecke zur Seite gezogen und lag da, ohne eine Faser am Leib. Wäre es ein paar Jahre früher gewesen, hätte er sich vielleicht nicht beherrschen können, ja, nicht einmal jetzt war es so abwegig, daß es zu einer Familiengründung gekommen wäre, denn ihr geradezu Geringschätzung zeigen konnte er nicht; das würde er niemals tun, denn sie wollte ja nicht nur haben, das konnte er in ihrem Gesicht sehen, sie wollte ihm auch etwas reichen, und er brauchte etwas Zeit, die richtigen Worte zu finden, um nicht wie ein Flegel dazustehen; es fiel ihm so schwer, daß er schon allein aus dem Grund kurz davor gewesen war, sich zu ihr zu legen. Doch wie auch immer er es angestellt hatte, so hatte er es durchgehalten, und war ans Fenster getreten, mit dem Rücken zu ihr. Es ist wohl besser, hatte er dann hervorgebracht, besser, wenn du in dein Zimmer gehst und dich hinlegst, und er sagte es wohl nicht lauter, als daß man es gerade hören konnte. Doch sie regte sich im Bett dort hinter ihm. Und vielleicht solltest du auch, sagte er dann, darüber nachdenken, ob es nicht am besten wäre, wenn du fortgingest. Er konnte sie zur Tür gehen hören. Wenn du es denn selbst willst, schob er dann nach, so würde ich dich auch gerne behalten. Sie antwortete auf nichts von alledem. Sie schloß die Tür hinter sich.
Am nächsten Morgen hörte er sie wieder in der Küche, und seitdem hatte es nie einen Grund gegeben, die Sache zur Sprache zu bringen. Weder auf die eine noch die andere Weise hatte es einer von ihnen angedeutet, und auch andere hatten es nicht. Er fand das gut und mochte glauben, daß auch sie es gut fand, daß sie das zwischen sich hatten behalten können, denn das war eine Sache, mit der die Leute leicht bei irgendeiner Gelegenheit herausplatzen konnten, leicht irgendjemanden ins Vertrauen ziehen konnten, und wer spielte dann auch schon keine Rolle mehr, wenn es erst einmal so weit gekommen war. Doch sie hatten sich im Zaum gehalten, sowohl sie als auch er selbst, sie hatten da etwas zwischen sich, und wohl auch deshalb lief es wie es lief, es könnte nicht besser laufen. Es konnte ja immer noch passieren, daß er gezwungen war, etwas zu sagen, auch wenn er es ihr überließ, das Haus zu führen, doch es konnte ja passieren, daß sie gern dies oder jenes getan oder gekauft hätte, wofür seiner Ansicht nach die Zeit noch nicht reif war, und er sich durchsetzen mußte. Doch das geschah nur selten, Gott sei Dank, und dann konnte er es auch tun, ohne Angst haben zu müssen, sie murren zu hören. Nie hatte es ein böses Wort zwischen ihnen gegeben.
Gute Strümpfe strickte sie auch. Und noch konnte er ja auf einem Bein stehen und die Strümpfe über die Unterhose hochziehen. Auch das Hemd hatte er im Bett anbehalten, dann mußte er nur noch in die Hose kommen, er zog die Hosenträger über die Schultern, an so einem Tag war nicht viel Kleidung notwendig. Nur die Weste, er zog sie von der Stuhllehne und holte dann die Brieftasche unter dem Kopfkissen hervor und steckte sie in die Innentasche, mußte jetzt wohl für das Tagewerk bereit sein. Er ging hinaus in die Küche.
Na, sagte sie, drehte sich vom Küchentisch weg, nicht ganz zu ihm hin. Der Wasser kocht auch schon! Sie hob einen Eimer vom Boden hoch und füllte die Waschschüssel gut halbvoll, machte ihm Platz. Er beugte sich über die Schüssel und warf sich ein paar Handvoll vom kalten Wasser ins Gesicht. Trocknete sich nicht ab, nur mit den Händen, während er sich aufrichtete, und strich sich die Nässe durch sein graues, kurz geschnittenes Haar, daß es sich am Scheitel aufstellte. Feine Tropfen saßen glitzernd in den zwei Tage alten Bartstoppeln. Nun war es ja so, daß er sich jeden Sonntagvormittag vor dem Kirchgang rasierte, auf dem Weg zum Tisch rieb er sich den Schlaf aus den Augen. Sie hatte ihm eine Tasse kochendes Wasser eingeschenkt und begann zu reden, sobald er sich gesetzt hatte, um es zu trinken.
Etwas redselig war sie ja, das ließ sich nicht leugnen, es war mit den Jahren auch nicht weniger geworden, und sie fragte nach seinen Plänen und ob er dies oder jenes gehört habe und fing dann an zu erzählen, von den Nachbarn und was sie selbst für Schwierigkeiten mit den Hühnern und den Leuten haben konnte. Er antwortete nicht und hörte auch nicht zu, das wäre mehr gewesen, als sie hätte verlangen können, mehr als zumutbar gewesen wäre. Außer wenn er ihrem Gerede sozusagen entnehmen konnte, daß sie wissen wollte, was er von einer Sache hielt, dann hörte er zu und antwortete ihr auch. Wären sie verheiratet gewesen, hätte sie vielleicht versuchen wollen, ihn zu mehr zu zwingen, und dennoch war das, was er tat, vielleicht mehr, als so viele verheirateten Männer taten. Es mußte genug sein, doch jetzt kam dennoch etwas; sie stellte sich dicht zu ihm hin, und er sah zu ihr hoch. Es ging um die neuen Kartoffeln, wie nicht anders zu erwarten war, wie auch gestern, als er ihr geantwortet hatte, daß es viel zu früh wäre, daran auch nur zu denken. Die alten sind noch ziemlich nahrhaft, hatte er gesagt, gestern.
Ja, antwortete er jetzt. Wir kommen dem Zeitpunkt wohl schon näher. In vierzehn Tagen, würde ich fast meinen, können wir anfangen, welche zu nehmen. Sie drehte sich um, nahm die Waschschüssel und ging hinaus. Er wollte nicht sagen nächsten Dienstag, noch nicht, denn so würde sie sich mehr darüber ärgern, eine Woche warten zu müssen, als sich darüber zu freuen, daß er es ihr bereits erlaubte. Er sollte wohl besser bis zum Tag selbst warten, oder bis zum Abend davor, ja Montagabend würde er sagen, daß er vorhabe, morgen früh hoch zu gehen, um nach den Kartoffeln zu sehen, also bloß um zu sehen, wie lange sie wohl noch zu warten hätten, und dann würde sie sagen, daß sie auf keinen Fall zu schälen beginnen würde, ehe er oben gewesen wäre, und es würde ihm vielleicht schwer fallen, sich nichts anmerken zu lassen, wenn sie mit ihrem Grinsen dastünde und sich sicher fühlen würde, daß sie ihren Willen bekäme. Denn schon beim Gedanken daran begann er sich bereits zu amüsieren, besann sich aber eines Besseren, als er sie zurückkommen hörte. Er fuhr sich mit der Hand über den Mund, trank dann den letzten Schluck. Er brauchte keine feste Nahrung, nicht ehe er ein bißchen was getan hatte. Doch schon zur Morgenstunde tat es gut, eine Tasse gekochtes Wasser in den Körper zu bekommen.
In der Brauküche standen die Holzschuhe vor ihm. Der Hut hing dort am Haken. Der Stock stand dort, wo er ihn hingestellt hatte, an die Torfkiste gelehnt. Er stellte sich hinaus auf die Türschwelle. Pflegte dort ein wenig zu stehen und sich die Lungen zu füllen, doch nun war er gezwungen, hinunter hinter den Kuhstall zu kommen. Erst als er die Hose aufgeknöpft hatte, etwas hastig ging es, doch dazu war er gezwungen, erst dann konnte er wieder zur Ruhe kommen, und er starrte vor sich hin, zufrieden, zum Apfelbaum beim Hühnerstall, wenn der jetzt tragen würde, wie er geblüht hatte, und er summt vor sich hin, wie er es früh am Tage so oft tut, summt den Psalm, den sie hier neulich sangen, singt wieder ‘Nun kam unsere Pfingstrosenzeit’, lauter, denn der Sommer ist doch schön, wenn man im Freien stehen und sein Wasser abschlagen kann.
Der Großknecht sollte jetzt schon mitten beim Jäten des letzten Stücks Runkelrüben sein, der zweite Knecht, so war es gedacht, sollte mit dem Schobern von Heu auf der Wiese unten am Fjord beginnen, und der Junge müßte wohl schon zurück von der Weide sein und oben bei den Rüben helfen. Eine der Kühe sollte er nicht auf die Weide ziehen, sondern im Stall stehen lassen, er knöpfte sich langsam die Hosen zu und ging hinein zu ihr, eine Euterentzündung hatte sie bekommen. Es hatte sich seit gestern nicht gebessert, zwei der Zitzen waren rot und geschwollen, sie hatten wohl versucht, sie so gut sie konnten zu melken, hatte denn nicht auch die Haushälterin so etwas gesagt, doch jetzt tropfte es dennoch von der einen Zitze, Milch und Materie wurden eins. Übel war das mit ihr, doch so war es halt, da war immer irgendetwas, und das gab ihm etwas zu tun, die Zeit der Leute war zu kostbar, eine kranke Kuh zu pflegen. Er würde sie hinunter zum Bach ziehen, dort gab es einen Streifen Gras, auf dem sie stehen konnte, und er legte ihr ein Halfter an und löste die Bindung am Pfosten.
Es fiel ihr schwer, sich zu bewegen. Eine halbe Stunde brauchten sie, um über die Flur nach unten zu kommen, wo die Kälber weideten, und ihr tat es weh, doch es bekam ihr wohl trotz allem besser als für sich allein angebunden zu sein. Er machte sie nahe der Überführung fest, so konnte sie trinken, hatte das wohl auch nötiger als zu fressen, um den Tag durchzustehen. Das klare, glucksende Wasser über die runden, glatten Steine. Als Junge, mit den Händen, als machte man Löcher in den Strom, er richtete sich auf und sah hinaus über den Fjord, wie blank er nur dalag und die Stellnetzpfähle spiegelte, der Fischer in seinem Boot; er ging hinauf zur Böschung, wollte sich dort ein bißchen hinlegen. Auf dem Rücken liegend, keine Wolke, hörte er es über dem Bach summen und quieken, im Gras zischen, da war Leben in allerlei Ungeziefer; oben die Krähen zwischen den Kälbern, die Lerche; ein paar schöne Schauer würden jetzt wirklich nicht schaden, die Rüben ließen den Kopf auch schon etwas hängen, und die Kartoffeln; er schloß die Augen. Und sah ihr Gesicht, wie sie es wegdrehte, sie hatte sich bereits abgewandt und war am Gehen, doch ihr Blick und ihr Lächeln blieben gewissermaßen bei ihm, während er sie hinauf zum Haus gehen sah, den Korb an der Hüfte, ihr Gesicht blieb bei ihm, auch als sie verschwunden war, es ist dageblieben, für ihn.
Er hatte bei der Küstenmiliz gedient. Hinter dem Wall gab es Gärtnereien, sie bargen Rote Beete und Karotten, mehrere andere Wurzelgemüse. Erst im letzten Herbst hatte er sie getroffen; sie ging mit dem Korb durch die väterliche Gärtnerei. Und er war dann mit ihr ins Gespräch gekommen, an jedem einzelnen Tag danach, es war ein milder Oktober, und er sollte kurz darauf nach Hause, nach Hause, und wie hatte er sich nicht gesehnt, nach dem Fjord und seinem eigenen Land, doch jetzt, jetzt ging es viel zu schnell. Denn nie hatte er etwas Schöneres gehört, als wenn sie sprach, so rasch und so hell, wie eine Meise am Morgen, es prickelte überall im Körper. Und dann hatte sie ihn gefragt, ob er sich nicht vorstellen könne, dort in der Gegend zu bleiben. Und hatte er ihr eigentlich geantwortet?
Er konnte dort ja nicht bleiben. Sie erwarteten ihn zu Hause. Doch hatte sich das Lächeln auf ihrem Gesicht bereits verzogen, ehe er etwas geantwortet hatte? So daß er sich auch nicht überwinden konnte, sie zu fragen, ob sie denn nicht mit ihm mitkommen wolle? Und sagte sie mehr? Nie hat er sich seitdem erinnern können, ob mehr gesagt worden war, als ob sie stumm geworden wären, alle beide, wie die ganze Welt, die letzten Tage, hatte sie gewiß auch nicht mehr gesehen, vielleicht hatte er sich seitdem nie von seinem Posten weg bewegt. Oder vielleicht war sie weggeblieben, es ließ sich nicht mehr sagen, was was war, er hatte begonnen, sie vor sich zu sehen, sofort, so wie sie aussah, als sie fröhlich war, im Zug, auf dem Dampfer, die ganze Reise nach Hause, und seitdem ist wohl nicht ein Tag vergangen, wie jetzt, an dem er ihr Gesicht nicht so klar vor sich sieht, daß er die Hand ausstrecken und es berühren könnte.
Es geht nicht mehr. Er muß weiter. Ein Darmwind entfuhr ihm, als er sich erhob, und dann drückte es, als er endlich auf die Beine gekommen war, es war wohl an der Zeit. Er legte die Weste ab und zog die Hosenträger herunter. Unten an der Böschung setzte er sich zurecht. Die Kuh stand da und blickte ihn an. Sie hatte noch nicht zu fressen begonnen. Ab und zu zuckte sie ein wenig mit den Hinterbeinen, um die Fliegen von den entzündeten Zitzen fernzuhalten, und stöhnte ein bißchen, so wie auch er. Er riß ein Büschel Gras aus und wischte sich ab. Während er sich anzog, betrachtete er sie, da waren sie also auch, Fliegen und Bremsen, vor mehreren Jahren hatte er in der Zeitung gelesen, was ein Professor über diese Sache schrieb. Sie sollte am besten fest und glänzend sein, die Wurst, sie schrieben ja so viel, doch das hier hatte er sich dennoch zu Herzen genommen, es war für ihn eine feste Gewohnheit geworden, direkt nachzusehen, und Gott sei Dank, selten hatte seine Wurst ihm einen Grund zu großer Besorgnis gegeben.
Er eilte nach Hause. Und sie hatte das Morgenbrot für ihn bereit, eine Tasse gekochte Milch, einen Teller voll Biersuppe und daneben ein Hackbrett mit gekochtem Aal, und ein Messer, denn er pflegte den Aal in passende Scheiben zu schneiden. Während er an ihm herumschnitt, fragte sie nach der Kuh und erzählte ihm, daß sie selbst irgendetwas an der Lende hätte; jeder hätte wohl das seinige zu tragen, sagte er tröstend. Sie ging hinaus. Er sah sie über den Hof gehen, wohl hinaus in die Knechtekammer; machte sie erst einmal deren Betten und räumte dort auf, konnte er in Ruhe dasitzen und es sich schmecken lassen. Er goß die Hälfte der Milch über die Biersuppe und trank dann den Rest aus der Tasse, indem er mit dem Löffel loslegte, es tat gut, etwas in sich hinein zu bekommen, ein paar Löffel voll Biersuppe und dann einen Bissen Aal mit der anderen Hand, und das abwechselnd, bis er fertig war. Bis Mittag waren es wohl noch ein paar Stunden. Er würde genügend Zeit für seine Vormittagstour hinunter durch das Dorf haben, und um in den Konsum zu kommen und zu hören, was es Neues gab. Denn man mußte doch auch das Tun und Lassen anderer Menschen mitverfolgen.
Die meisten waren auf dem Feld. Er schaute durch die Hoftore, die Nachbarsfrau klopfte die Betten aus, sie schwitzte und stöhnte dabei, auf der anderen Seite des Weges spielte der Junge mit ihrem Hund, wie alt mochte er sein, fünf, sechs Jahre, die Zeit verging, und der Köter sprang an ihm hoch und bellte um ihn herum, ein paar Enten nahmen Reißaus, schnatternd hoch in die Luft, eine kunterbunte Schar Entlein schoss hinterher, es sah fast so aus, als ob sie Federn bekämen, selbst hielt er nur Hühner. Weiter oben ging der Postbote, hinein in das Haus, in dem er geboren war und seine Mutter noch lebte, sie hatte wohl einen Schluck Kaffee für ihn warmgehalten, in einem Hof stand der geteerte Schubkarren des Fischers an einer Tür, ja, es war Dienstag, so konnte er auch seinem Mittagsmahl entgegensehen. Flundern wohl oder Aalquappen. Obgleich es wohl auch denkbar war, daß er ein paar Aale gefangen hatte?
Als er beim alten Müller um die Kurve gebogen war, sah er den Gutsbesitzer den Hügel hinauf kommen, der Müller war hinten bei den Bienenstöcken, der Gutsbesitzer hatte den Hannoveraner vor sein blaulackiertes Gig spannen lassen und saß kerzengerade da in hellem Hut und heller Jacke, nie sah man ihn außerhalb seiner eigenen Ländereien zu Fuß. Den Leuten konnte ob seiner Manieren übel werden, sein Vater hatte sich ja nicht aufgespielt, und auch über seine Verschwendungssucht wurde getuschelt. Doch er wußte wohl selbst am besten, was sich für seine Stellung ziemte, und der Hof wurde versorgt, so daß niemand Not litt. Dennoch war es ein Mann, den man respektieren mußte, und auch ein herrliches Tier, es klirrte im Kies unter seinen Hufen, und wie es jetzt den Kopf nach oben riß, als es der Gutsbesitzer an die Kandare nahm, das war sehenswert. Im selben Moment, als sie stillstanden, lüftete der dort oben den Hut, und er griff an seinen eigenen, auf was mochte er wohl aus sein? Er dachte darüber nach, während sie über Wind und Wetter sprachen, es konnte dem Gutsbesitzer sehr wohl einfallen, einen Handel abschließen zu wollen, so galt es, sich zu wehren, er hatte zu seiner Zeit genug gehandelt. Noch konnte er sich selbstverständlich nicht ganz davor drücken, so alt war er auch wieder nicht, er konnte bisweilen gezwungen sein, zu zeigen, daß auch er Handelsblut in den Adern hatte, und er hatte die Brieftasche bei sich und konnte das Geld auf der Stelle hinblättern, wenn es denn sein mußte. Falls es der Hannoveraner war, den er loswerden wollte.
Doch es war die Tierschau. Darauf wollte er hinaus, sie war ja schon in knapp drei Wochen, damit die Ernte niemandem in die Quere käme, er wollte ihn dabeihaben, hatte es früher schon erwähnt, in den letzten Jahren, seit er Vorsitzender des landwirtschaftlichen Vereins war und sagte auch jetzt mit lauter Stimme: Wir sähen es gern, wenn Sie teilnähmen! Ja, Sie mit Ihrem ausgezeichneten Viehbestand! Es wäre jammerschade, wenn Sie sich weiterhin zurückhielten!
Ja, das konnte sein. Doch daran hatte er nun kaum gedacht, in diesem Jahr zumindest, begnügte er sich zu sagen. Sie hatte etwas von einer Plage, diese Tierschau. Der Großknecht hatte auch davon gesprochen, und die anderen beiden ja auch, sie wollten selbstverständlich gerne sagen können, daß sie an einem Ort waren, der etwas vorzuzeigen hatte. Er würde ihnen von morgens an frei geben, sobald sie die Tiere versorgt hätten, dann könnte sie ihnen ja ein schönes Butterbrotpaket schmieren, und einen extra Groschen konnte er ihnen ja auch geben, um sich zu vergnügen, und dann könnten sie bis zum Abend ausbleiben, und vielleicht auch spät melken, dann könnte er selbst die Kühe heimziehen, das mußte genügen.
Früher hatte er selbstverständlich mitgemacht, vor Jahren, viele Male, und auch gar nicht so schlecht abgeschnitten, hatte sogar ein paar Prämien geholt, ein paar Silberlöffel liegen im Schreibschrank, ja vier, fünf Stück waren es wohl geworden, und dann der Becher, den er mit dem Belgierhengst gewonnen hatte. Er war ihn auch teuer zu stehen gekommen, eine Summe, für die man damals einen Großknecht dingen konnte, und eine Haushälterin dazu. Doch nein, er hatte die Lust verloren, sich auszustellen, und die Kühe hatten wohl auch nichts davon, weggezerrt zu werden und was sonst noch, wer sollte sie zur Musterung hinaufführen? Natürlich konnte man das den Großknecht tun lassen, das machten einige, aber er war doch immer der Ansicht gewesen, daß es am Richtigsten war, wenn man wußte, daß der Kerl, der ein Tier führte, auch in der Zukunft derjenige wäre, der dafür die Verantwortung haben würde. Also vielleicht, wenn sein Neffe herangewachsen war, und das war er wohl so gesehen schon, also dann wenn er wiederkommt, aber auch nicht früher, der Gutsbesitzer blieb dabei, daher mußte er so tun, als wäre seine Zeit zu kostbar, als daß er dort stehenbleiben könnte, und er hatte ihm ja auch geantwortet, einmal mußte genügen. Er machte ein paar Schritte, ehe der Gutsbesitzer innehielt, mit der Zunge schnalzte und sich in gestrecktem Trab davonmachte.
Er hatte den Neffen in Gedanken, als er weiter in seine Richtung trottete, dieser sollte jetzt, nach der Landwirtschaftsschule und seiner Lehrzeit, zum Kommiß, ehe er dann zurückkäme, konnten sie sich vielleicht um diesen Krieg drücken, es war doch immer so gedacht gewesen, daß er zum ihm kommen sollte. Er sah an sich herab, etwas anderes hatte er sich ja nie vorgestellt, wollte an überhaupt nichts anderes denken, er sah nicht, wo er ging und war dabei, in ein Mädchen zu laufen. Sie lachte über ihn, und er sammelte sich, um zu grüßen, und hob den Stock.
Wirst du bald heiraten, fragte er, um auch etwas zu sagen, und sie lachte wieder, hinter ihm jetzt, er hatte nicht einmal richtig gesehen, wer sie war. Vielleicht hatte er sie schon einmal danach gefragt, hatte er wohl, auch sie, war wohl schon fast zu einer Art Angewohnheit für ihn geworden, die jungen Mädchen so zu fragen, vielleicht hatte sie sich deshalb über ihn amüsiert. Doch konnte er ihnen diese Freude machen, dann - oder hatte es da einzelne gegeben, denen er damit ein Leid zugefügt hatte, in seiner Gedankenlosigkeit, das konnte sein, er würde sich schon ein bißchen besser in acht nehmen. Obgleich viel ändern konnte er wohl auch nicht, sie hatten ihre Köpfe trotzdem voll damit, so oder so. Ihm da oben oblag es, die Sache für sie zu deichseln, der Ehestand ist ein Joch, doch hat man es erst auf seinen Schultern, lassen sich viele Dinge leichter tragen. Er war bis zur Tür des Konsums gelangt.
Es war niemand im Laden, doch hinten in der Ecke, der Krämer selbst stand da, den Rücken zugewandt, und ein rotbraunes Kopftuch, ihre Stimme war unverkennbar, sie waren zusammen in die Schule gegangen. Er trat zu ihnen, und sie drehten sich weg, der Krämer hatte eine Kiste mit Umschlägen in den Händen, was wollte sie denn, Glanzbilder, sie hielt einen Bogen in der Hand und grinste ihn an. Sind die hier nicht schön, fragte sie, Engel und Rosen waren darauf.
Bist du über diese Narreteien noch nicht hinaus, antwortete er. Also mußte er wohl etwas zu hören bekommen. Was ihr jetzt wohl einfallen würde, um es ihm heimzuzahlen? Zuallererst beeilte sie sich, nicht weniger als drei Bogen zu nehmen, niemand hatte ja jemals daran gezweifelt, daß sie tat, was ihr paßte. Ist dir auch warm genug, kam es dann. Ja, du hast wohl noch nicht einmal deine langen wollenen Unterhosen abgelegt, wenn ich dich recht kenne!
Der Krämer schlich hinüber hinter den Ladentisch, während sie laut auflachte. Dann bekam er zu hören, was sie in einer Illustrierten gesehen hatte, da waren Bilder gewesen, wie sich die Herren im Sommer jetzt anzogen, und zwar von der Unterwäsche angefangen, und da gab es endlich was zum Anschauen. Ich könnte mir denken, daß das ganz nach deinem Geschmack war, sagte er. Ja, bei dir, sie lachte schallend, bei dir hatten wir ja nie das Vergnügen, was das angeht! Kaum daß wir dich in den Fjord haben gehen sehen!
Es gab nicht viele Menschen, von denen er sich so anreden lassen würde. Doch so hatte sie es gehalten, seit sie jung waren, und er reizte sie auch weiterhin dazu, denn zwischen all ihrem Geschwätz konnte ab und zu irgendetwas auftauchen, das zu hören ihm von Nutzen war. Sie war von Kindesbeinen an die Klügere von ihnen beiden gewesen, doch sie hatte ebenso wenig wie er geheiratet.
Zwei Geschwister waren früh gestorben, an Tuberkulose, also war sie es, die den Hof bewirtschaften mußte, nach ihrem Vater, dem alten Dorfschulzen, sie war nicht mehr als ein paar und zwanzig, als er starb, doch mit ihr hatten die Verwalter dennoch nie gut Kirschen essen. Auch wenn die Leute selbstverständlich sagten, daß sie sie ab und zu in ihr Bett kriechen ließ, auch nachdem sie in die Jahre gekommen war. Doch warum sollte sie das auch nicht? Es gibt gewisse Dinge, die Frauen einfach leichter erledigen, und sie hatte sie nie lange behalten.
Viele meinten wohl auch, daß sie hätten zusammenfinden sollen, er und sie. Es war vielleicht auch gar nicht so abwegig, daß es hätte geschehen können. Auch wenn er nie der Eifrigste dabei gewesen war, herumzurennen und sich lieb Kind zu machen, so war es in seinen jungen Tagen doch passiert, daß er die Füße in Leder gesteckt und zum Tanz gegangen war. Und sie hatten sich aneinander gedrückt, und er hatte wohl verstanden, daß sie ihn gern haben wollte, auch wenn sie einen Ulk daraus machte. Doch nach der Militärzeit stand da eine ganz andere in der Gärtnerei ihres Vaters und sah ihn an, und er stellte sich vor, daß er hinüberreisen und sie holen könnte, und daß sie versuchen würde, ihn zu finden, daß sie eines schönen Tages auf dem Hof stünde, ja, was hatte er sich nicht alles zusammenphantasiert. Wußte natürlich, daß es nie etwas werden könnte und war trotzdem, mehrere Jahre, in Träumereien verfallen, bis es ihm, allmählich, dämmerte, daß er wohl dazu ausersehen war, sein Leben als Junggeselle zu leben. Allmählich kam er darauf, und mit seiner Laune war es in dieser Zeit nicht weit her gewesen. Erst als er es endlich mit sich selbst ausgemacht hatte. Da begann er mit einem Mal zu verstehen, daß es andere Dinge gab, für die er da sein konnte und daher ausprobieren mußte. Also nahm er die Bürde auf sich, nur sich selbst zu haben, um der Welt entgegenzutreten.
Der Krämer wog ihr Kaffeebohnen ab, und sie war bereit zu gehen, in der Tür wollte sie ihm nur noch eben sagen, daß er daran denken sollte, seiner Haushälterin ein paar Rosinen mitzunehmen, sie deutete mit ihrer freien Hand auf eine ganz neue Kiste, aus der sie als erste bekommen hatte. Er wartete, nach welchen zu verlangen, bis sie weg war. Die Haushälterin kaufte ansonsten, was sie benötigte, doch ihm fielen auch keine anderen Dinge ein, also konnte er ihr ebenso gut ein Pfund von diesen Rosinen kaufen, sie konnten vielleicht einmal in einem Kuchen Verwendung finden, oder in einer Buttermilchsuppe, oder sie konnte sie einfach naschen.
Der Krämer wog ab und fummelte an der Tüte herum und fragte dann, ob ihm noch andere Dinge fehlten. Gib mir auch ein Dutzend dreizöllige Nägel, antwortete er, oder vielleicht zwei, es wird bald Zeit, die Häuser durchzusehen, und sie hatte auch davon gesprochen, daß sie oben im Hühnerhaus ein paar neue Latten bräuchte. Doch mehr sollte es nicht sein, er ließ den Krämer Rosinen und Nägel anschreiben und die Tüten in ein Stück Papier einschlagen, dann könnte er sie besser tragen, ging ja auch niemanden etwas an, daß er Naschereien kaufte.
Draußen auf der Straße kamen die ersten vom Feld, er mußte sich wohl beeilen, es wurde ja doch nie ein längeres Gespräch mit dem Krämer, er sagte nie etwas Bestimmtes. So armselig war er im Lauf der Jahre geworden. Doch das konnte ihm wohl kaum angelastet werden, vielleicht war er gezwungen, die Nase in seine eigenen Angelegenheiten zu stecken, so lange es im Dorf auch einen Kaufmann gab.
Der Milchkutscher war von der Molkerei zurückgekommen, die Eimer standen am Stallgiebel, und er nahm den kleinen mit Buttermilch und trank ein Schlückchen aus dem Deckel, ehe er hineinging, goß versehentlich etwas daneben, so daß es vom Kinn tropfte. Er wischte sich am Hemdsärmel ab und rülpste angemessen, gut, den Durst gelöscht zu bekommen. Denn es war richtig warm geworden, und er war rasch hinauf durch das Dorf gegangen, hatte sich damit begnügt, links und rechts mit dem Stock zu grüßen, die Leute verstanden ja wohl, weswegen er sich beeilte: Es gab Flundern.
Sie aßen in der Stube, die Knechte saßen auf der Bank, die Haushälterin allein an der anderen Seite des Tisches. Sie hatte eine gute dicke Soße dazu gemacht, er zerdrückte die Kartoffeln darin und bemerkte gleichzeitig, daß die Knechte sich gut bedienten, alle drei, und richtig reinhauten. Sie hatten sich also hier am Vormittag nicht geschont.
Es war wohl auch allgemein bekannt, daß sie an seinem Tisch gut lebten. Und das hatte er auch immer so haben wollen, selbstverständlich auch ohne daß ihn jemand beschuldigen können sollte, daß hier geschlemmt wurde. Zwar war es schön, daß die jungen Menschen darauf erpicht waren, bei ihm in Lohn und Brot zu kommen, doch sie sollten ja auch für andere zu ertragen sein. Und ganz egal, was er ihnen bot und wieviele sich bewarben, so hatte er dennoch nicht jedes Mal eine glückliche Hand gehabt, die besten zu finden, oder bloß einen guten Großknecht. Nein, ein wirklich guter Großknecht war und blieb eine Seltenheit, er war Gold wert, wie der hier, das war ein Arbeitstier. Er konnte an der Spitze gehen, so gut wie er früher selbst, und das bedeutete etwas, denn dann machten die anderen mit, wenn sie auch nur ein Fünkchen Ehre im Leib hatten. Und der zweite Knecht war eigentlich auch ein großer und starker Bengel, doch er brauchte schon manchmal eine Anleitung, wie man Schweiß auf die Stirn bekommt, und der Junge, ja, der war ja nichts anderes als ein Junge, und wenn der Possen machte konnte statt etwas zu schaffen, ja dann tat sich ja nichts, wenn nicht der Großknecht hinter ihm her war. Der vorige hingegen, das war übel, das war eine Plage gewesen. Ein ausgewachsener Kerl, aus einem guten Elternhaus auch, aber er wußte überhaupt nie, womit er es zu tun hatte, man konnte beim Zuschauen schon verrückt werden, viele Male hatte es ihm in den Fingern gejuckt, ihm die Grassense oder den Dreschflegel aus den Händen zu reißen und ihm selbst zu zeigen, wozu sie benutzt werden sollten. Doch er hatte natürlich die Zähne zusammengebissen und ihn bis Ende des Jahres geduldet. Ihm die Tür zu zeigen, konnte er nicht, hatte dies nie jemandem gegenüber tun wollen, denn so wie es um ihn selbst stand, sollte er sich nicht das Recht herausnehmen, den Ruf eines Knechts zu zerstören. Dem Lump hat wohl auch nur die Begabung gefehlt. Er konnte vielleicht dennoch ein anständiger Mann werden. Kurz darauf hatte er die Gegend verlassen. Später soll er angefangen haben, sich zum Kirchendiener auszubilden.
Als Nachtisch hatte sie ihnen Rhabarbergrütze gekocht, das waren halt so ihre Ideen, doch die Leute mochten sie, und sie konnten ihnen wohl auch nicht schaden, jung wie sie waren. Er selbst hatte weder den Willen noch den Mut, seine Gesundheit ihren Ideen auszusetzen, und sie brachte ihm etwas Gerstengraupensuppe, die er statt dessen in sich hineinlöffeln konnte. Nein, über sie konnte er sich nicht beschweren.
Seit fast zehn Jahren war es gut gegangen, und er konnte sich bald auch nicht mehr vorstellen, jemand anderen ins Haus zu nehmen, und sie hatte ihm auch zu verstehen gegeben, daß er mit ihr rechnen konnte, so lange er lebte. Und hinterher, er spekulierte im Winter ziemlich viel darüber, und seither mehrere Male, er wollte etwas geordnet haben, bald schon, vielleicht schon in diesem Jahr, würde er schauen, daß er aufsetzen ließe, worauf er gekommen war. Damit es keine Mißverständnisse gäbe. Denn sein Neffe, wenn er ihn einmal beerbt hätte, wenn alles gut lief, müßte ihr dann ein Haus errichten, drüben auf der Steinkoppel, so daß sie in der Nähe wäre und weiterhin etwas mithelfen könnte, so lange sie wollte und wenn sie sich ansonsten einigen könnten, denn es würde wohl eine junge Frau auf den Hof kommen, auf jeden Fall aber so, daß sie nicht weit gehen müßte, um zu bekommen, was sie zum Leben bräuchte. Nein, es nützte nichts, es zu verschieben. Schon nach der Ernte würde er in die Stadt reisen und es aufsetzen lassen.
Wie der Hunger allmählich gestillt war, wurde auch wieder gesprochen. Sie hatte ihnen bereits erzählt, was der Fischer gesagt hatte, und was der Postbote gesagt hatte, und er fragte dann selbst den Großknecht, wie weit sie mit den Rüben gekommen waren, ob sie bis abends genug zu tun hätten. Sie konnten vielleicht auch dem zweiten Knecht helfen, mit dem Heu fertig zu werden, wurde geantwortet, und er nickte. Das war gut. Dann wurde das getan. Wohl bekomm’s euch, sagte er und stand auf.
Sie hatte ihm die Zeitung auf das Sofa gelegt. Doch ehe er sich ausruhte, mußte er hinaus und Wasser lassen. Als er durch die Küche zurückkam, stand sie da, um abzuwaschen. Der Krämer hat mir eine Tüte Rosinen aufgeschwatzt, sagte er an der Tür zur Stube. Sie liegen draußen auf der Torfkiste. Er schloß die Tür zu ihr.
Vom Krieg las er nichts, auch nichts über die Butterpreise, er las nichts anderes als die Überschriften, bis er einen Absatz über den Hofjägermeister fand. Das war ein großer Absatz, er wurde sechzig, seine Schwester hatte in jungen Jahren auf dem Schloß gedient und dies und das gelernt, was man ihr immer noch anmerken konnte. Und er faltete die Zeitung so, daß er sie vor sich hochhalten und sehen konnte, was da stand, und sie schrieben über sein ganzes Leben und seinen Werdegang, sozusagen ab dem Krabbelalter. Sein Schulbesuch. In Deutschland und England war er mehrere Jahre gewesen. Die Heirat. Die Hofjägermeisterin interessierte sich für das Klavierspiel, hatte seine Schwester gesagt, und Blumen. Doch dann kam endlich der Punkt, als der Hofjägermeister damals begann, das Groninger Vieh einzuführen, ja, er kannte die Art, mehrere seiner eigenen stammten in direkter Linie von einem der ersten ab, Hendryck von Grootegast, war das nicht der erste Zuchtstier, den der Hofjägermeister hergebracht hatte, ja die Groninger. Über die hätten sie ruhig etwas mehr schreiben können. Doch dann die ganze Litanei an Vertrauensposten. Die Schlachterei. Er wurde trotzdem langsam schläfrig. Die Bank. Ach ja. Und zuletzt natürlich die Jahre im Reichstag. Die Revision. Die Zeitung fiel ihm aus der Hand. Die Revision des Jagdgesetzes. Und der Frauen? Was stand da, er ließ die Augen wieder zufallen. Der Frauen? Dennoch schön, von so einem Mann zu lesen, der so. Ein Mann, der wirklich. Ja. Wirklich im Ernst. Schön, so etwas zu lesen. Ein Mann, der so. Ja. Der wirklich. Ja, und er reitet, hinauf unter dem Wald, es ist das erste Mal, es ist das erste Mal, daß er richtig reitet, und er hat keinen Sattel, und er klammert sich mit seinen kleinen Händen an der Mähne fest, und es geht schnell, es geht so schnell, durch nichts, der Oldenburger galoppiert durch die Luft, und er hängt an der Mähne in der Luft, war schon fast am Fallen, was war denn das, die Knechte, sie waren nebenan und bekamen ihren Kaffee, konnte er hören. Waren zu weit draußen, um mitten am Nachmittag nach Hause zu kommen. Doch sie hatten nur jütländische Pferde gehabt, als er ein Junge war. Den Oldenburger. Er nickte wieder etwas ein. Und die Belgier nicht zu vergessen. Es wurde nie viel aus diesem Mittagsschlaf. Ganz auf ihn verzichten konnte man auch nicht, er schnappte sich die Zeitung und begann wieder mit dem Hofjägermeister. Las auch noch einmal den kleinen Absatz über die Groninger, sah die letzten Seiten durch, schloß die Augen. Ein Nickerchen, wenn auch noch so kurz, mußte er machen.
Es wehte ein leichter Wind, als er mitten am Nachmittag hinaus vor die Tür trat, doch von Osten, mit mehr Dürre. Trostlos war es, er hatte gerade seinen Kaffee getrunken, die Kanne und der Kessel standen auf dem Herd, so konnte er ihn verdünnen wie er wollte, halb und halb, und ein Roggenbrot hatte sie ihm geschmiert und auf den Tisch gestellt, jetzt war sie unten im Gemüsegarten und harkte. Er sollte wohl besser schauen den Tüderpflock zu finden, der ihm eingefallen war, als er am Aufwachen war, lag der nicht in einem Fenster unten in der Scheune, der Ring war durchgewetzt, er wollte damit zum Schmied hinübergehen. Nein, er mußte in allen vier Fenstern entlang der leeren Tenne suchen, schob Staub und Spreu zur Seite und wühlte zwischen Seilen und Kettenstücken und Lederriemen, Eggenzähnen und Deichselbeschlägen, Bleiloten, Wetzsteinen und Scheffelmaßen, und war schon am Aufgeben. Und dachte daran, eine Runde hinunter auf Wiese am Fjord zu machen und das Heu anzufühlen, als er sich daran erinnerte. Schon vor ein paar Tagen hatte er den Tüderpflock in der Hand gehabt und ihn wieder zur Seite gelegt, im Kuhstall, auf das Mäuerchen beim Rübenlager.
Er ging hinten um den Nachbarhof herum und unten um den Weiher hinüber zur Schmiede, denn es reichte, sich einmal am Tag auf der Landstraße zu bewegen. Nicht direkt, um Leuten auszuweichen, und da stand auch jemand an der Tür, doch das war nun auch nur ein Tropf, den niemand zu etwas gebrauchen konnte und mit dem er sich auch nicht einlassen wollte. Er ging an ihm vorbei und grüßte dennoch, sagte seinen Namen, ein Mensch war der Trottel trotz allem, und dort im Dorf geboren. Dann streckte er dem Schmied den Tüderpflock hin und fragte, ob er nicht einen Rest finden und einsetzen könne. Doch der Schmied wandte sich nicht von der Esse ab, in der er eine Pflugschar in der Zange hielt, also pfefferte er den Tüderpflock auf den Boden, konnte ja sein, daß er das hörte, wenn schon sonst nichts, drehte ihm selbst den Rücken zu, und ging hinaus, als er sah, daß der Kerl da draußen sich davonmachte.
Der Schmied wollte immer gern zeigen, daß er selbst das Tempo bestimmte, dagegen war nichts zu machen, so waren Handwerker ja oft. Sie hatten nichts, wußten aber, daß man sie ab und zu brauchen konnte, auf diese Weise bekamen sie die Macht, einen Mann warten zu lassen. Und er würde auch warten, aber nicht lange, auch das mußte der Schmied wohl wissen, er stand da und pulte ein paar kleine, harte Klümpchen aus den Nasenlöchern. Alles trocknete bei diesem Wetter ein. Dann kam ein Mann um die Ecke, mit einem Pferd im Schlepptau.
Ein jüngerer Mann, er hatte eine Kate oben unter den Sandhängen, arm wie eine Kirchenmaus war er, das Fjordpferd war alles, was er hatte; um so stolzer war er darauf. Mußte ihn also ein wenig loben für diesen Klepper, jetzt wo er gehört hatte, daß er ein Hufeisen verloren hatte, er ging zu ihr und tätschelte ihr die Brust.
Ein starker kleiner Gaul, sagte er, und der Kätner begann zu strahlen und wurde dann fast ein bißchen verlegen, als ob er zu ihm mehr gesagt hatte als angemessen war. Doch das hatte er nicht im geringsten, der Mann hielt das Fjordpferd so gut wie nur irgendjemand; würde wohl auch lieber selbst hungern als hören, daß ihm etwas nachgesagt würde. Vielleicht sogar vor allem von ihm, ja, seine Worte hatten Gewicht, das nicht zu vergessen, mußte er sich die ganze Zeit erinnern, bei den vielen Pferden, die er selbst über die Jahre hinweg hatte mustern können, da spitzten die Leute die Ohren, wenn er seine Meinung kundtat. Auf diese Weise konnte man sich noch eine Schuldigkeit aufhalsen, so wie er sich auch nie hatte wehren können, wenn ihn jemand bat, behilflich zu sein, wenn ein Fohlen nicht ins Geschirr wollte. Nicht zuletzt wenn ein Hengstfohlen ganz ungebärdig war, konnte er sicher sein, daß nach ihm geschickt wurde; gewiß nicht, weil es niemand anderen gegeben hätte, so eine Bestie zu zähmen, es war bloß so, als ob sie es am liebsten sähen, wenn er es tat. Und das gehörte vielleicht zum Junggesellendasein dazu. Mehrere Male in seinem Leben hatte er sich genötigt gesehen, zu zeigen, daß nur wenige ihm das Wasser reichen konnten, sowohl was Kraft als auch Kühnheit anging.
Laß uns reingehen und nachsehen, ob der Schmied nicht mit meinem Tüderpflock fertig ist, er ging vor dem Kätner in die Schmiede. Also hatte er ihn doch aufgehoben und ein Stück Eisen von einer Stange geschlagen, und das erhitzte er gerade, um es über den Amboß zu biegen. Der Kätner fing ein Gespräch mit ihm an, während er hämmerte. Wie es ihm auch erging, so war er doch immer bereit, eine Menge Unsinn von sich zu geben, sah ja da oben auch nicht jeden Tag Leute. Und der Schmied war einem Schwätzchen nicht abgeneigt, meist über Weibsbilder und so, was sich verheiratete Männer ja erlauben konnten. Er selbst begnügte sich damit, der Arbeit des Schmieds zu folgen, bis er den Ring eingesetzt und die Enden zusammengeklopft hatte. Er dürfte dann nicht vergessen, aufzuschreiben, was er für seine Mühe bekommen sollte. Du könntest dir vielleicht auch die Zeit nehmen, einen der Tage vorbeizukommen, sagte er zu ihm, damit wir abrechnen können. Seit letztem Mal ist doch sicherlich schon ein halbes Jahr vergangen? Das war nicht undenkbar, das dürfte wohl passen, meinte der Schmied, war wohl vor Weihnachten. Er würde also mit der Rechnung kommen, sobald er eine freie Stunde dafür hätte.
Am späten Nachmittag befiel in häufig schlechte Laune. Er wollte dann am liebsten allein sein, denn traf er jemanden, konnte es geschehen, daß er denjenigen etwas kurz angebunden behandelte, nicht weil er es wollte, aber es passierte, daß er sich hinterher darüber ärgerte. Dinge, die zu sehen und zu hören er sich am Anfang des Tages freute, glitten jetzt an ihm vorbei, Felder und Tiere, als ob das alles nichts wäre, und einzig und allein das Düstere in sich nahm er wahr. Nicht daß ihn bestimmte Gedanken plagten, denn auch seine Gedanken wurden von der Laune niedergedrückt, sie wurden träge und schwach, so daß er nie ganz ergründen konnte, wie es im Grunde um ihn bestellt war, abgesehen davon, daß es genau die Zeit war, und die Stunden vergingen auch schneller, irgendwie so wie es mit den Jahren spürbar wurde, jetzt wo er alt zu werden begann, das beste Mittel war Arbeit. Doch dazu bedurfte es harter Arbeit. Er kam nach Hause und legte den Tüderpflock in eines der Fenster in der Scheune, dann wußte er, wo, dachte er, und halbwegs auch, daß er sie die Tage kehren und aufräumen lassen mußte. Er holte die Kuh unten am Bach, sie kaute nicht, es wäre schlimm, wenn die Entzündung nicht bald abklänge; mußte sich später darum kümmern. Die Knechte waren auch nach Hause gekommen, er ging hinunter zu den Schweinen, die der Großknecht fütterte, das war eines der letzten Dinge, die er abgegeben hatte, hätte es leicht weiterhin tun können, doch es mußte ja auch einmal ein Ende haben. Denn für die Leute hätte es doch eigenartig ausgesehen, wenn er, ein Mann wie er, ein so wohlhabender Mann, wenn er weiterhin auf seine alten Tage selbst gerackert und geschuftet hätte, nein, er wird nicht damit enden, sich selbst zum Narren zu machen, jetzt wo er es sein Leben hindurch vielleicht geschafft hatte, ein bißchen geachtet zu werden. Also gab er schließlich auch die Schweine ab, und vermißte sie, aber es war immerhin etwas, dabei zu sein und dem Großknecht ab und zu irgendeine Anweisung zu geben, und ihm einen Eimer zu reichen oder so, das konnte er auch, wenn er nur darauf achtete, ihm nicht im Weg umzugehen.
Doch es war erst als er sein Abendbrot bekam, hatte er das Gefühl, wieder er selbst zu werden; zuvor hatten sie gemolken, damit sie ganz fertig waren. So machten sie es jetzt. Das war angenehm für die Knechte, besonders im Sommer, ja, den Abend frei zu haben, um hinunter in die Stadt zu gehen oder zum Fjord oder wo sie sich mit den anderen jungen Leuten herumtreiben mochten. Sie hatte die Kartoffeln, die mittags übriggeblieben waren, in einer Milchsoße gekocht, um schon einmal eine Grundlage zu haben, mit Räucherspeck dazu, ehe sie sich an Broten satt aßen. Sowohl die Knechte als auch die Haushälterin tranken die frisch gemolkene Milch roh, sie hatte nur gekocht, was er selbst trinken konnte, und erzählte jetzt, wieviele Eier sie eingesammelt hatte. Und daß sie gerade auf einen Sprung drüben bei der Nachbarin gewesen wäre, die wieder über die Feuchtigkeit in der nördlichen Hausseite geklagt hatte, die Wände waren bislang weder ganz noch halb trocken, auch wenn bald Mittsommer war, drei Tage lang hatte sie die Betten draußen gehabt und sich an ihnen zuschanden geklopft, ohne Leben in sie bekommen zu können.
Sie kannten die Litanei. Der Wohnflügel drüben war steinalt, und jahrelang hatte sie sich abgemüht, den Mann zum Bau eines neuen zu drängen, nur an seiner Griesgrämigkeit lag es, daß es nie dazu kam, Mittel konnten ihm ja nicht fehlen, schon gar nicht in diesen Zeiten. Nein, es war schon fast schändlich, wie er sich weigerte, vielleicht sollte er selbst sehen, ob er dieser armen Frau nicht zu Hilfe kommen und ein paar Worte darüber verlieren könnte, sobald sich eine Gelegenheit hierzu böte. Der Großknecht verdrückte die letzte halbe Scheibe mit Käse; dann war es an der Zeit, ihm zu sagen, was sie morgen tun sollten. Sie konnten mit dem Kalken und Verfugen beginnen, der Junge konnte die Scheune fegen. Er selbst würde morgen früh wohl dennoch in den Konsum gehen und den Tierarzt für die Kuh anrufen. Sie hatte so gequält ausgesehen, als sie sie am Abend molken, sie konnten doch wenigsten hören, ob er da etwas machen könnte, ansonsten wäre es besser, daß sie geschlachtet würde, ehe sie alles Fleisch verlor. Und das Heu, ja, wenn das Wetter hielt, konnte es nicht lange dauern, bis es reif wäre, nach Hause gefahren zu werden, jetzt konnten sie anfangen, die Häuser instandzusetzen.
Sie räumte den Tisch ab, und er ging nach draußen, zusammen mit den Knechten, folgte ihnen ein Stück, machte dann aber einen Abstecher hinauf über den Acker und ging weiter bis hinauf in den Wald. Der Wind hatte sich wieder gelegt. Und die Luft schmeckte ihm. Die Ruhe, die ihm allein gehörte, nur mit ein paar Fasanen unten am Deich. Dann durchbrach ein Austernfischer die Stille, schreiend über dem Bach. Und er sah hinaus über den Fjord, konnte ganz hinunter bis zur Weide sehen, auf der die Pferde jetzt zum Wasser gegangen waren, so verliefen zur Zeit ihre Tage, mit dem Grasen von oben vom Hang her und dann ostwärts. Bald sollten sie wieder vorgespannt werden, und dann konnte es auch nicht mehr lange dauern, bis er sie jeden Tag zu Hause im Stall behalten konnte. So hatte der Winter auch etwas für sich. Auch mit den Abenden, wenn sie alle fünf in der Stube sitzen blieben und er ab und zu, so wie die Knechte, eine Pfeife Tabak rauchte, und sie dann vielleicht auch dazu brachte, ein Stückchen zu lesen. Jetzt wußte er, was zu tun war, wenn er weg war. Nach der Ernte würde er in die Stadt reisen und es aufsetzen lassen. Und Montagabend würde er ihr erzählen, daß er vorhabe, nach den Kartoffeln zu sehen. Oder vielleicht sollten sie sie schon Sonntag haben, wenn sie auch ein paar Hähnchen finden könnte, die so groß waren, daß man ihnen die Köpfe abhauen konnte? Die könnten sie zu den Kartoffeln essen, dann sollte er es ihr wohl schon Samstagabend sagen? Das war zwar ziemlich früh, ja, er mußte wohl noch einmal darüber schlafen. Aber da die Zähne reinhauen zu können, war es wohl wert.
Niemand war drinnen, als er nach Hause kam. Dann konnte er sich wohl hinlegen. Es war noch nicht so spät geworden, als daß er auch in der Schlafkammer ohne Licht zurechtkam. Er zog die Brieftasche aus der Innentasche und versteckte sie unter dem Kopfkissen. Ein weiterer Tag war vergangen, ohne daß er sie hatte öffnen müssen. Die Weste über den Stuhl, und die Hosen hängte er über den Bettpfosten, ja, er hatte daran gedacht zu pissen, setzte sich dann und zog die Strümpfe aus. Er legte sich auf den Rücken, lag immer auf dem Rücken, während er die Hände faltete und sein Vaterunser betete. Sollte er auch um ein paar Tropfen Regen bitten, nein, das war nicht passend, noch nicht. Nicht so aufzumucken, so schlimm war es nun auch nicht geworden, er drehte sich auf die Seite, seine linke Seite, und schloss die Augen. Und sah sie bald wieder, wie sie da in der Gärtnerei des Vaters stand, und griff in die Unterhose und packte zu, eigenartig, daß sie immer wieder kam. Daß er sie sein ganzes Leben lang haben konnte, und so ruhig in den Schlaf sinken konnte mit ihrem Lächeln und ihren Augen, und einem gesunden Schlaf, auch damit ist er gesegnet.