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Einleitung

„Nur durch Erkenntnis des Gegenwärtigen kann man den Trieb zum klassischen Altertum bekommen.“

FRIEDRICH NIETZSCHE

Globalisierung, Massenmedien, Digitalisierung, Public Relations – was hat das alles mit Archäologie zu tun? Nun, eine ganze Menge. Archäologie ist immer aktuell, denn sie ist (wie jede andere Wissenschaft auch) immer ein Kind ihrer Zeit. Stets spiegeln sich in den Bildern von Relikten der Vergangenheit die Fragen der Gegenwart, die Moden, die Traditionen und auch die diskutierten Themen. Die Aktualität archäologischer Forschung zeigt z. B. die immer wieder aufflammende Diskussion um Troja, die durch die Veröffentlichungen Raoul Schrotts inzwischen zu einer Diskussion um die Wurzeln Europas mutiert ist.

War die Archäologie in aristokratischen Gesellschaften der vergangenen Jahrhunderte ein Phänomen, das auf die Wenigen beschränkt blieb, die Zugang zur Bildung besaßen, so ist mit der Demokratisierung der Bildung im letzten Jahrhundert ihre „Exklusivität“ weitestgehend verlorengegangen. In der heutigen Zeit ist die Wahrnehmung dieser Wissenschaft geprägt von Dokumentationen in den Medien, prachtvollen Bildbänden, einer Vielzahl für ein breites Publikum konzipierter Ausstellungen mit Erlebnischarakter, didaktisch aufbereiteten Ausgrabungsstätten, architektonisch formvollendeten Museen mit den dazugehörigen „Gift-Shops“ – und Forschern, die sich zu Recht nicht mehr scheuen, ihre Erkenntnisse mundgerecht der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Die Archäologie bleibt trotz aller Medienpräsenz dennoch zuallererst eine Wissenschaft. Denn anders, als die modernen Dokumentationen suggerieren mögen, besteht sie nicht nur aus Graben und Finden, sondern in viel stärkerem Maße aus der Interpretation des Entdeckten. Der Archäologe ist dabei auf der Suche nach Fragen und Antworten, die sich aus den Relikten ergeben, die uns inzwischen untergegangene Kulturen hinterlassen haben. Dabei hat sich sein Selbstverständnis von Beginn der Etablierung der Archäologie als Wissenschaft vor mehr als 200 Jahren bis heute deutlich verändert.

Je nach Standort des Betrachters unterscheidet sich die Antwort auf die essenzielle Frage „Was ist Archäologie?“ bisweilen erheblich. Dies betrifft nicht nur die Bestimmung des Untersuchungsmaterials oder die Differenzierung nach Ort und Zeit, sondern auch die der Methoden und Zugänge. Konstatierte der Archäologe Adolf H. Borbein zu Beginn des neuen Jahrtausends, dass der Begriff „Archäologie“ Konjunktur habe, so zeigte eine – zugegebenermaßen provokative – Auflistung Hermann Behrens’ aus dem Jahre 1997 die inflationäre Benutzung dieses Begriffs für alle möglichen in die Vergangenheit gerichteten Fragestellungen. Dort finden sich nicht nur die „Archäologie des Intimen“ oder diejenige „des paulinischen Sexualverständnisses“, sondern auch die ganze Bandbreite der spezialisierten Forschungsfelder wie Bergbau-, Umwelt-, Feuchtboden- oder Inselarchäologie. Allein die schiere Zahl der Verwendungsmöglichkeiten belegt die Vielschichtigkeit des Begriffs – und gleichermaßen die Schwierigkeiten der Eingrenzung des Betätigungsfeldes.

Was also ist Archäologie? Die Zahl der positiven Bestimmungen ist Legion. Am Beginn steht die Frage nach dem Gegenstand. Heute würde man konstatieren: Gegenstand der Archäologie sind Kunst, Kultur und Zivilisation der Vergangenheit einschließlich ihrer kulturellen Vorstufen und Nachwirkungen. Archäologie basiert dabei auf den materiellen, visuell erfassbaren Zeugnissen. Die Auswahl der einer Untersuchung für wert befundenen Hinterlassenschaften ist allerdings einer ständigen Veränderung unterworfen. Bis zum Beginn des vergangenen Jahrhunderts verstand man unter Archäologie im Wesentlichen „Klassische Archäologie“. Ferdinand Gregorovius (1821–1891) brachte dies mit großer Selbstverständlichkeit auf den Punkt: „Athen und Rom … sind die klassischen Formen der Welt“ (Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter [1978] I 1, 2).


Abb. 1: Detail des Hephaistos-Tempels auf der Agora, Athen.

Die Welt als Forschungsobjekt

Diese Grundeinstellung bestimmte auch den Blick der Archäologen. Im Mittelpunkt der Forschung standen die Meisterwerke der antiken Plastik, die sog. opera nobilia, die architektonischen Überreste der ruhmreichen Metropolen des Altertums wie Athen und Rom oder Schatzfunde, die von Reichtum und kultureller Dominanz zeugten (Abb. 1). Dieses Bild hat sich heute grundlegend gewandelt. Gehörten zu den etablierten Betätigungsfeldern zunächst nur die „Hochkulturen“ des erweiterten Mittelmeerraums, allen voran die griechisch-römische Welt, Ägypten und Mesopotamien, so erstreckt sich heute der Rahmen von der Westküste Amerikas bis zur Ostküste Asiens. Die ganze Welt ist zum Forschungsobjekt erhoben.

Nicht nur der Horizont hat sich erweitert, sondern auch die Fragen und Methoden. Die Archäologie beschränkt sich nicht mehr nur auf die Glanzstücke, sondern versucht zunehmend die gesamte Bandbreite menschlicher Tätigkeit in den Blick zu nehmen, von den Relikten der Alltagskultur bis zu den Leuchttürmen künstlerischen Schaffens. Dabei spielt die Einbeziehung der Naturwissenschaften, der Soziologie, Psychologie, Anthropologie und anderer Wissenschaften eine immer stärkere Rolle. Angesichts dieser Interdisziplinarität scheint sich eher die Frage nach einer negativen Bestimmung zu stellen: Was gehört nicht zur Archäologie?

Der Prozess der Ausweitung führte zur Spezialisierung und Vertiefung – deutlich erkennbar an der Etablierung archäologischer Teildisziplinen an den Universitäten. So gibt es heute neben der Klassischen Archäologie als Studienfächer die Ur- und Frühgeschichte, die Vorderasiatische Archäologie, die Biblische Archäologie, die Provinzialrömische Archäologie, die Christliche und Byzantinische Archäologie, die Islamische Archäologie, die Archäologie des Mittelalters u. a. m. Die aktuelle Diskussion, die Fülle an Publikationen, die sich mit der Begriffsklärung, mit der Suche nach dem „kleinsten gemeinsamen Nenner“, der „Quersumme“ oder dem „Dach“ und mit Fragen der theoretischen Grundlegung im Bereich der Archäologien beschäftigen, zeigt: Die Standortbestimmung der modernen Archäologie ist in vollem Gange.

Um diesem Aspekt Rechnung zu tragen, wurden Beiträge namhafter Wissenschaftler unterschiedlicher archäologischer Disziplinen in den vorliegenden Band aufgenommen. Sie zeigen einerseits die Unterschiede zwischen den einzelnen Archäologien, die sich in den angewandten Methoden, in den untersuchten Epochen und Regionen, aber auch in den an das Material herangetragenen Fragestellungen manifestieren; sie belegen aber gleichzeitig auch das allen gemeinsam Zugrundeliegende: das Forschen nach den Wurzeln unserer eigenen Vergangenheit.

Ohne die Kenntnis der historischen Rahmenbedingungen ihrer Entstehung ist auch die unterschiedliche Entwicklung der einzelnen Disziplinen kaum verständlich. Das gilt selbstverständlich auch für die Archäologie als Ganzes. Denn: Die Geschichte der Archäologie ist eine stete Folge von Paradigmenwechseln. Die Entwicklung der Archäologie als Wissenschaft nachzuzeichnen, ist Ziel der folgenden Ausführungen.

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