Читать книгу Schattenseiten - Jess Melyrik - Страница 8
ОглавлениеIm Krieg mit mir
Vor einiger Zeit lief eine Reportage im Fernsehen. Es ging um einen Mann, dem es augenscheinlich an nichts fehlte. Er hatte alles, was er sich für sein Leben wünschte und dennoch, gab es einen Faktor, der es ihm unmöglich machte glücklich zu sein. Denn solange er denken konnte, quälte ihn eines seiner Beine! Nicht etwa, weil damit etwas nicht stimmte, sondern weil es einfach nicht zu ihm gehörte. Wie ein angeborener Fremdkörper.
Nachdem er lange Zeit sein Möglichstes versucht hat, um damit zurecht zukommen, sah er keinen anderen Ausweg! Als seine Frau mit den Kindern unterwegs war, füllte er einen großen Behälter mit Eis und ließ sein Bein hinein hängen. Einige Stunden vergingen. Als seine Frau zurückkam und ihn bewusstlos vorfand, rief sie umgehend einen Krankenwagen. Im Krankenhaus sahen die Ärzte sich gezwungen, sein Bein zu ampu- tieren. Er bekam eine Prothese und wurde dadurch glücklicher als jemals zuvor. Er fühlte sich befreit.
Als ich diesen Bericht sah, dachte ich, dass ich mich eigentlich recht ähnlich fühle. Schon immer quälte mich dieses Gefühl, nicht in diesen Körper zu gehören. Und das sehen nicht nur mein Innerstes, meine Seele und mein Geist so, sondern auch dieser Körper, in dem ich stecke. Er versucht, schon immer, mich loszuwerden! Vollkommen egal, was ich auch versucht habe, um mit ihm ins Reine zu kommen. Er will mich nicht akzeptieren und bringt das mit all seinen Möglichkeiten zum Ausdruck. Es ist ein ständiger Kampf, den ich allzu oft verliere. Es ist anstrengend und ermüdend. Gibt es doch keinen Ausweg und keine Chance auf Besserung. Ganz im Gegenteil! Es wird bloß noch schlimmer und raubt einem auch den allerletzten Hoffnungsschimmer. Wie soll es bloß weitergehen, wenn man doch keine Hoffnung mehr hat? Wie soll man noch irgendwie aufstehen, wenn man doch eigentlich nur versucht, das Ganze mit so wenig Elend wie möglich hinter sich zu bringen?
Das Leben ist so schwierig, warum kann denn nicht wenigstens mit einem selbst alles in Ordnung sein?
Jammern auf hohem Niveau. In Anbetracht dessen, dass so viele Lebewesen, es so viel schlimmer getroffen haben. Dessen bin ich mir völlig bewusst. Nur ändert das leider rein gar nichts! Im Gegenteil, dadurch fühle ich mich bloß noch schlechter und obendrein auch noch schuldig. Ich will dies alles nicht, aber als ob es schon jemals eine Rolle gespielt hätte, was man selbst möchte?! Immerhin geht es doch bereits seit der Zeugung darum, was andere wollen. Denn schon da, entscheiden die Eltern darüber, was mit diesem Fötus nun geschehen soll. Und wenn das fertige Produkt dann da ist, muss es halt gucken, wie es klarkommt.
Immerhin sterben die Eltern in den meisten Fällen vor den Kindern. Einen Gedanken, den wir schnell beiseiteschieben, bevor er mich wieder mit sich reißt. Es ist schon traurig, wenn man darüber nachdenkt, wie man womöglich enden wird. Umso überzeugter bin ich von meinem Entschluss nicht alt zu werden. Als ich damals aus der Klapse kam, habe ich begonnen Drogen zu nehmen.
Der Gedanke dabei war ganz einfach. Nie wieder auf die Geschlossene. Deshalb Selbstmord auf Raten. Und heute bin ich meinem Ziel ein großes Stück näher gekommen. Ein Arzt meinte im letzten Jahr erst zu mir, dass ich mit diesem Lebensstil keine zehn Jahre mehr habe. Wobei das doch mehr als genug ist. Es gibt doch ohnehin nichts, worauf ich mich noch freuen kann. Es wäre nur schön, wenn das Sterben nicht ganz so qualvoll verlaufen würde. Die Prognose beläuft sich auf ertrinken, ersticken oder mein Favorit, der plötzliche Herztod.
Allerdings habe ich wenig Hoffnung, so viel Glück zu haben. Da bleibt mein Körper sich treu. Er hat bereits den Großteil der Schlachten gewonnen und wird alles daran setzen, auch den Krieg zu gewinnen!
Ach ja, leben!