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Notfalleinsatz

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Die jungen Leute genossen diesen Zustand. Tagsüber ging Kuno in die Seefahrtschule und Lieselotte lernte eine Menge von Magda. Silber polieren war zwar mühevoll und man brauchte auch eine Menge Ausdauer, aber Lieselotte hatte noch nie so schöne Dinge gesehen. Da sie auf einem Bauernhof aufgewachsen war, war sie es gewohnt, viel zu arbeiten. Für sie war es etwas ganz Neues, dass sie mit Kuno am Abend Spaziergänge machen konnte. Die große Stadt, mit dem Hafen, den Schiffen und Fischern und der Fluss in dem noch kleinere Boote hin und her fuhren, war einfach aufregend.

Aber Kuno versäumte auch nicht Lieselotte auf die Gefahren dieser Stadt hinzuweisen. So besuchten die Zwei eines Abends die Seilhersteller auf der Reeperbahn. Hinderk erkannte das Mädchen sofort wieder und freute sich, dass sie jetzt einen männlichen Begleiter als Schutz hatte, der zudem auch noch zufällig einer seiner Neffen war. Lieselotte schaute recht verdutzt, als Kuno den Seiler mit »Hallo Onkel«, begrüßte. Die zwei Männer forderten Lieselotte auf sich jetzt mal etwas genauer umzusehen. »Fällt dir etwas auf?«, fragte Kuno neugierig. »Hmm, nein eigentlich nicht, nur, dass man für die Herstellung von Seilen wohl recht viele Wohnwagen braucht.«, meinte Lieselotte. »Haha, nein mein Kind. Dort schlafen tagsüber die Damen, die abends auf die Gesellschaft von netten Männern hoffen.«, deutete Hinderk vielsagend an. »Beim Seile herstellen brauchen wir vor allem eine lange gerade Strecke. Deshalb brauchen wir hier den langen Weg. Aber wir machen dabei nicht so viel Lärm wie zum Beispiel die Schiffsbauer, die den ganzen Tag den Hammer schwingen und Sägen und lärmen. Deshalb ist das hier ein schönes Plätzchen um tagsüber zu schlafen, wenn man nachts arbeitet.« »Ach so, ja das verstehe ich.«, meinte Lieselotte und verstand eigentlich gar nichts. Was sollte das denn für eine Arbeit sein, wenn man auf Männerbesuch hoffte? Diese Frage beantwortete Kuno ihr später und erklärte ihr auch, dass es in der Regel auch noch Männer gab, die auf die Frauen aufpassten und ihnen dafür einen großen Teil ihres Geldes wieder wegnahmen. Er erklärte ihr schließlich auch, dass nicht alle Frauen diese Arbeit freiwillig machten und wohl einige auch ohne Geld und Gepäck in der Stadt gestrandet waren. Lieselotte wurde abwechselnd rot und weiß bei der Vorstellung der Arbeit der Frauen und der Erkenntnis, wie leicht sie auch in diesem 'Bereich' gelandet wäre. Jetzt war sie Kuno nochmal so dankbar.

Einige Tage später schlenderten sie durch den Hafen, als Kuno plötzlich meinte, »Oh, weißt Du was, ich zeige Dir jetzt mal mein zweites Zuhause.«, und galant öffnete er die Tür zum ‘Zum Goldenen Anker’. Sofort kam eine junge Frau angestürmt und umarmte Kuno herzlich um gleich danach mit ihm zu schimpfen. »Hey, Du Herumtreiber, wo hast du denn gesteckt, Dich bekommt man ja gar nicht mehr zu Gesicht.«, meinte sie. Lieselotte überlegte schon, ob sie eifersüchtig werden sollte, als Kuno lachte und sie nach vorne schob. »Clara, darf ich Dir Lotte vorstellen? Sie ist 'Magdas Nichte' und hilft ihr bei uns im Haus etwas aus. Und als Lohn muss sie abends mit mir spazieren gehen.«, fügte er grinsend hinzu. »Lotte, das ist meine Cousine Clara, obwohl, naja eigentlich ist sie schon fast so etwas wie eine Schwester.«, stellte er sie jetzt vor. Etwas verlegen und schüchtern sagte Lieselotte nur, »Guten Abend, Clara.«

Die zwei setzten sich an einen Tisch und Clara kam mit drei Krügen herrlich erfrischendem Apfelsaft zu Ihnen. Schnell hatte sich ein angeregtes Gespräch zwischen den dreien entwickelt. Plötzlich hörte man ein polterndes Geräusch und einen lauten Schmerzensschrei aus der Küche. Sofort waren Clara und Kuno aufgesprungen und rannten zur Küche. »Vater, hast Du Dich verletzt?«, fragte Clara besorgt. »Zum Klabautermann, was meinst Du, warum ich 'Aua' schreie!«, rief Claras Vater verstört und aufgebracht und hob seine blutende Hand hoch. Kuno schob seinen Onkel sofort zu einem Stuhl und Clara holte Verbandszeug.

Lieselotte stand etwas bekümmert dabei und wusste nicht, wie sie helfen konnte. Da entdeckte sie, dass ein großer Topf mit Suppe auf dem Herd stand und kurz davor war über zu kochen. Sofort lief sie dort hin und zog den Topf von der Flamme. Gleich neben dem Herd lag noch ein ganzes Bündel Möhren, die noch klein geschnitten werden mussten. Clara und Kuno brachten den Verletzten jetzt erst einmal nach oben. Offenbar war es ein recht heftiger Schnitt gewesen und vor Schreck war ihm schwindelig geworden. Lieselotte hatte schon verstanden, dass der große Topf Suppe nicht nur für Clara und ihren Vater war, sondern dass bald zahlende Kundschaft auf dieses Essen wartete. Kurzerhand reinigte Lieselotte die Küche von den Blutspuren und bearbeitete dann die Möhren.

Zuhause auf dem Bauernhof waren die gekochten Portionen auch selten kleiner, da neben ihren zahlreichen Geschwistern auch noch die Großeltern und Knechte und Mägde versorgt wurden. An einer Stelle hatte die Küche eine Tür mit einem Fenster. Dort entdeckte Lieselotte einen großen Garten. Nachdem sie die Suppe probiert hatte, fand sie, dass irgendetwas noch fehlte. Sie schaute in den Garten hinaus und entdeckte in einer Ecke ein ungepflegtes Kräuterbeet. Schnell schlüpfte sie hinaus und schon bald kam sie mit verschiedenen Kräutern zurück. Da in der Suppe auch Fisch war, passte ihrer Meinung nach gut etwas Dill und Petersilie hinein.

Wenig später kamen Clara und Kuno zurück. »Oh Lotte, Du bist meine Rettung!«, rief Clara, »Denn wenn ich eins nicht kann, dann ist das kochen.«, meinte sie. »Habt ihr zwei noch etwas Zeit?«, fragte sie bittend, »Die ersten Stammgäste kommen bald. Ich würde das Bier zapfen, wenn Kuno es zu den Tischen bringen könnte und du das Essen fertig zubereitest, dann wäre mir sehr geholfen. Wenn Vater nicht da ist, dann werden einige Männer schon mal etwas frech da draußen.« Kuno und Lieselotte sahen sich an und nickten dann beide. Clara zeigte Lieselotte noch schnell, wo sie Suppenschüssel und Teller fand und dann ging sie mit Kuno nach vorne. Und bald schon hörte man in der Gaststube reichlich Betrieb.

Clara steckte den Kopf durch die Tür. »Ist die Suppe fertig? Da draußen sitzen so viele hungrige Mäuler, vielleicht solltest Du noch etwas Wasser zur Suppe geben.«, meinte sie. »Ja, das Essen ist fertig. Wie viele Portionen möchtest Du denn erst einmal haben?«, bestätigte Lieselotte und holte die erste Suppenterrine und stellte die Teller bereit. Und schon bald wurde fleißig aufgetischt. Lieselotte hatte noch ein Brot erwärmt und jeder bekam noch eine lecker duftende Scheibe dazu. Statt die Suppe mit Wasser zu verdünnen, stellte sie noch einen zweiten Topf aufs Feuer, goss etwas Brühe vom ersten Topf hinein und gab noch frisches Gemüse, Fisch, Kräuter und Gewürze hinein. So schmeckte die zweite Portion genauso wie die erste.

Erstaunt stellten Clara und Kuno in der Gaststube fest, dass die lauten und groben Seemänner und Hafenarbeiter beim Essen plötzlich ganz still und regelrecht andächtig wurden. Einige Gäste bestellten sogar noch eine zweite Portion. Das hatte Clara noch nie erlebt. Die Gäste waren vom Geschmack der neuen Suppe begeistert und beglückwünschten Clara und Kuno zur neuen Köchin. Lieselotte musste in die Gaststube kommen und wurde jubelnd begrüßt. Allerdings waren die Gäste etwas traurig, als sie erfuhren, dass Lotte und Kuno nur ausgeholfen hatten, weil Claras Vater Willi sich verletzt hatte. Lotte musste Versprechen am nächsten Tag ein zweites Mal auszuhelfen und noch einmal so ein leckeres Gericht zu zaubern.

Nachdem die Küche und der Gastraum gesäubert waren gingen Lieselotte und Kuno müde, aber glücklich nach Hause. Sie hatten gerade die Wirtschaft verlassen, als Kuno Lieselotte plötzlich einen Kuss auf die Wange gab. Lieselotte wurde rot und fragte erstaunt, »Nanu, für was war das denn?« »Ich fand es einfach toll, wie du das Essen gerettet hast. Clara kann nämlich wirklich nicht kochen. Da hätte die Suppe nicht besser, sondern schlechter als bei Onkel Willi geschmeckt.« »Ach, dass sagst Du nur so.«, meinte Lieselotte verlegen. »Nein glaub mir, sie kann Suppen versalzen ohne Salz rein zu geben und Wasser anbrennen lassen. Ich kenne sie schließlich schon mein ganzes Leben.«, stellte Kuno fest. »Das geht doch gar nicht.«, meinte Lieselotte und beide fingen an zu lachen. Ohne dass es Ihnen so richtig bewusst wurde, gingen sie den Rest des Weges Hand in Hand.

Als Lieselotte in ihrer kleinen Kammer endlich in ihrem Bett war, dachte sie darüber nach, dass es ihr in dieser Küche richtig gut gefallen hatte. Auch bei Clara hatte sie das Gefühl, als wenn sie schon immer eine gute Freundin wäre. Nur Kuno verwirrte sie. Sanft strich sie über ihre Wange, dort wo Kuno sie geküsst hatte. Was tat sie hier eigentlich? Wartete sie nicht auf die Rückkehr von Frank? Als Lieselotte eingeschlafen war träumte sie von Kuno und Frank gleichzeitig. Irgendwie vermischten sie sich und Kuno hatte plötzlich die blonden Haare von Frank und half ihr bei der Heuernte. Am nächsten Morgen wachte sie völlig verwirrt auf. Wie sollte sie sich jetzt Kuno gegenüber verhalten? Nichts sagen und abwarten was geschehen würde oder ihm deutlich machen, dass sie die Freundin von Frank war und er Abstand halten sollte.

Die Hafenkinder von Pitburg

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