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Kapitel 2: Colin

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„Wie… er war nicht mehr da? Was meinst du denn damit?“ Drake schaute mich entgeistert an.

„Es ist so, wie ich es dir sage. Er war weg, sein Zelt restlos abgebaut, keine Spur mehr von ihm.“ Resigniert ließ ich mich in den Ledersessel fallen und schloss die Augen.

Jetzt, da der Hexenmeister verschwunden war, waren unsere Chancen, das Tagebuch zu entschlüsseln, rapide gesunken. Ich konnte es einfach nicht fassen - wir waren unserem Ziel so nahe gewesen und hatten letztendlich doch versagt.

Aber wer hatte schon ahnen können, dass Aristor sich einfach über Nacht aus dem Staub machen würde?

„Und was hast du jetzt vor? Ich meine, wen können wir noch um Hilfe bitten?“, fragte Drake.

„Ich habe absolut keine Ahnung.“ Mein Kopf begann zu schmerzen, offenbar benötigte ich frische Nahrung.

„Hast du Ellie schon seelisch und moralisch darauf vorbereitet, dass ihr Vater noch am Leben sein könnte?“, wollte Drake wissen.

„Nein. Ich konnte mich noch nicht dazu durchringen, es ihr zu sagen. Ich möchte vermeiden, dass sie sich aufregt.“

Es war nicht auszudenken, wie Ellie auf diese Neuigkeit reagieren würde, und außerdem war ich mir ja auch nicht absolut sicher.

„Es ist ja sehr edel von dir, dass du alle Probleme von ihr fernhalten willst, aber irgendwann wird sie es doch erfahren. Und wenn es dann soweit ist, wird sie vermutlich sehr, sehr sauer auf dich sein.“ Drake starrte gedankenverloren in das Glas, welches er in Händen hielt. „Außerdem hat sie bereits bewiesen, dass sie besser mit aufkommenden Schwierigkeiten umgehen kann, als wir alle erwartet haben.“

Ich wunderte mich kurz, denn mein Cousin hatte bisher noch nie solch lobenden Worte für meine Gefährtin übriggehabt. Vielleicht stimmte es ja, was er sagte.

Ellie hatte mich in den vergangenen Tagen mehr als einmal überrascht. Sie war eine starke Frau, und falls ihr Vater tatsächlich noch am Leben war, dann würde sie es erfahren müssen. Sie hatte ein Recht darauf.

„Ich werde so schnell es geht mit ihr sprechen. Ich muss mir nur noch überlegen, wie ich ihr diese Neuigkeit schonend beibringe.“

Meine Kopfschmerzen wurden schlimmer, weshalb ich mich in die Küche begab, um mir eine Blutkonserve zu holen.

Als ich eintrat, sah ich Mirja, die gerade etwas aus dem Ofen nahm. Sie hatte eine bunte Küchenschütze über ihr schwarzes Kleid gebunden und strahlte über das ganze Gesicht. „Mirja? Du in der Küche? Was machst du denn hier?“

Ich war verwirrt, denn solange ich mich erinnern konnte, hatte hier noch nie irgendjemand etwas gebacken oder gekocht. Dies war im Prinzip auch nicht notwendig, denn wir hatten ja die Blutkonserven, und diese gaben uns alles, was wir zum Leben brauchten.

„Ich habe einen Blutkuchen gebacken“, meinte sie, während sie mir stolz die Kuchenform präsentierte.

„Wow, Mirja. Das hätte ich dir ja gar nicht zugetraut.“

Drake tauchte in der Tür auf. „Der Kuchen ist fertig, Liebling“, säuselte Mirja ihm zu.

„Mhh, das duftet ja herrlich. Vielen Dank, mein Schatz.“ Sie grinste wie ein Honigkuchenpferd, als ihr Mann die Arme um sie schlug und sie küsste. Ich verdrehte die Augen und begab mich zurück in den Wohnraum.

Kurz danach erschien auch Drake wieder mit einem breiten Grinsen auf den Lippen.

„Siehst du, Ellie ist nicht die einzige Frau, die für ihren Gefährten etwas Leckeres zubereiten kann.“ Er zwinkerte mir zu und jetzt verstand ich endlich, worauf er anspielte.

Drake hatte sich erst kürzlich darüber geärgert, dass Ellie extra früh am Morgen aufgestanden war, um mir Pfannkuchen zu machen.

„Na dann, herzlichen Glückwunsch“, erwiderte ich trocken, „dann brauchst du ja endlich nicht mehr neidisch auf Ellie zu sein.“

„Wo ist denn deine Herzdame eigentlich?“, wollte Drake wissen.

„Sie hat Besuch von einer alten Freundin bekommen. Sie führt sie gerade ein wenig im Schloss herum.“

Mein Cousin horchte auf. „Was ist das für eine Frau? Warum taucht sie hier wie aus heiterem Himmel auf?“

Mirja betrat gerade das Zimmer und stellte den Kuchen auf dem Esstisch ab.

„Ich weiß es nicht. Ellie scheint sie offenbar schon länger zu kennen. Ich denke, sie wird nicht lange bleiben. Soweit ich mitbekommen habe, ist sie auf der Durchreise und will Ellie lediglich einen kurzen Besuch abstatten.“

Mein Cousin nahm sich ein Stück von dem Gebäck. „Ist sie vertrauenswürdig? Mir kommt es seltsam vor, dass sie ohne Vorankündigung einfach hier bei uns reinplatzt.“

„Sie ist nicht gefährlich, Drake. Ich konnte diesbezüglich nichts bei ihr spüren. Die größte Gefahr geht davon aus, dass sie unter Umständen herausfindet, was wir sind. Dies wird Ellie aber zu verhindern wissen, da bin ich mir absolut sicher.“

„Zur Not kann ich ihr eine kleine Gehirnmanipulation verpassen“, mischte sich Mirja in unser Gespräch ein.

„Nein! Hör bloß auf damit! Wenn Ellie das herausfindet, wird sie nie wieder mit dir sprechen!“, rief ich. „Du kennst ihre Meinung zu diesem Thema.“

„Schade.“ Mirja ließ sich auf Drakes Schoß nieder. „Ich habe schon lange niemanden mehr manipuliert. Am Ende verlerne ich noch, wie man es macht.“

Ich musste schmunzeln. Mirja und Drake wurden sich wirklich immer ähnlicher. Es war also kein Wunder, dass die beiden sich so gut verstanden.

Mein Blutbeutel war leer und ich stand auf. „Ich lasse euch beide jetzt allein, ich muss mal nach Ellie schauen.“

„Was, du gehst schon? Ohne den Kuchen probiert zu haben?“ Mirja reichte mir einen Teller und sah mich erwartungsvoll an. Ich seufzte innerlich. Backwaren waren mir zuwider, aber das konnte ich ihr natürlich nicht sagen. Sie hatte sich so große Mühe mit dem Kuchen gegeben, und ich wollte ihre Gefühle nicht verletzen.

„Ich esse ihn unterwegs, in Ordnung?“, sprach ich, legte den Kuchen auf eine Serviette und begab mich auf den Weg nach unten.

Im gesamten Schloss gab es nun erheblich mehr Aufsichtspersonen als vorher, und auch in der Nähe von Ellies Zimmer hielt ein Vampir rund um die Uhr Wache. Er hob den Kopf, als ich auf ihn zuging.

„Na, alles in Ordnung, Martor?“, erkundigte ich mich bei ihm.

„Ja, soweit. Ellie ist mit dieser fremden Frau in ihrem Zimmer. Ansonsten ist alles ruhig.“

Ich klopfte ihm auf die Schulter. „Danke für deine Hilfe, Martor… Ach übrigens, möchtest du vielleicht ein Stück Blutkuchen? Er ist ganz frisch, direkt aus dem Ofen.“

Er musterte den Kuchen skeptisch, doch schließlich nickte er. „Ja, gerne. Warum eigentlich nicht.“

„Lass ihn dir schmecken.“

Ich entfernte die letzten Krümel von meinen Händen, wandte mich Ellies Zimmer zu und klopfte an. Es dauerte keine halbe Minute, dann öffnete sich die Tür und sie trat hinaus zu mir in den Flur. Ihr Lächeln war wie immer umwerfend und ich zog sie fest an mich.

„Hi“, hauchte sie, „alles klar bei dir?“

„Ja, bei mir schon. Was macht dein Besuch?“

„Claire geht es nicht sehr gut, ihr Freund hat sie verlassen… Sie hat mir da ein paar schlimme Sachen erzählt, und sie hat geweint. Schließlich ist sie auf der Couch eingenickt.“

„Das hört sich ja gar nicht gut an.“ Ellie schien sich ernsthafte Sorgen um die junge Frau zu machen.

„Darf sie denn noch ein wenig bleiben, Colin? Sie benötigt jemanden zum Reden. Ich habe sie die ganze Zeit über vernachlässigt, aber nun braucht sie mich… als Freundin.“ Ich konnte Ellies bittendem Blick einfach nicht widerstehen.

„Selbstverständlich.“ Meine Gefährtin hatte in den vergangenen Wochen selbst sehr viel durchmachen müssen.

Sie hatte erfahren, dass es Vampire und Werwölfe gab, die sich noch dazu regelmäßig bekriegten. Sie hatte mehr über ihre Vergangenheit herausbekommen, als ihr lieb war. Und es gab noch immer jede Menge Geheimnisse, die darauf warteten, gelüftet zu werden.

Dies alles zu verkraften, war sehr schwierig für sie. Sie hatte zwar eine starke Persönlichkeit, aber ich konnte mir vorstellen, dass sie darunter litt, ihr altes, menschliches Leben mit allem was dazugehörte, aufgegeben zu haben. Aus diesem Grund konnte ich ihr ihren Wunsch natürlich nicht abschlagen.

„Ja, klar. Drake wird es zwar nicht gefallen, aber von mir aus ist es in Ordnung, wenn sie bei dir bleibt. Doch bitte vergiss nicht – sie darf nichts von unseren anderen Problemen erfahren. Es ist zu ihrem eigenen Schutz.“

„Keine Angst, ich werde mich nicht verplappern“, versicherte Ellie. „Außerdem wird Claire morgen direkt nach Hause fahren, dafür werde ich sorgen.“

„Morgen erst? Das heißt… sie wird hier übernachten?“

Ellie legte ihren Kopf schief und sah mich mit großen Augen an. „Ich würde ihr das gerne vorschlagen, wenn es dir nichts ausmacht. Wir haben so viel zu bereden, verstehst du? Außerdem ist sie in keiner guten Verfassung.“

Ich nickte. „Natürlich. Wenn es dir wichtig ist…“

Ich sah in ihre Augen und bereute es jetzt schon, ihrem Bitten nachgegeben zu haben, denn dies bedeutete zwangsläufig, dass ich nicht nur diesen Tag, sondern auch die kommende Nacht allein verbringen würde.

Obwohl Ellie keine Gedanken lesen konnte, wusste sie dennoch stets, was ich dachte. Ich war anscheinend wie ein offenes Buch für sie. „Jetzt mach nicht so ein trauriges Gesicht“, versuchte sie mich zu trösten, „es ist doch nur eine Nacht.“

„Du erwartest ganz schön viel von mir“, erwiderte ich gespielt beleidigt, „außerdem habe ich keine Ahnung, was ich die ganze Zeit ohne dich machen soll.“

Ellie gehörte zu mir und wenn sie nicht da war, fehlte sie mir schrecklich.

„Dir wird schon etwas einfallen, da bin ich mir sicher.“ Diese Frau brachte mich noch um den Verstand. Ich küsste sie erneut und löste mich dann von ihr.

„Wir sehen uns doch aber später nochmal, oder?“, fragte ich hoffnungsvoll.

„Na klar doch. Vielleicht können wir alle heute Abend zusammen essen?“

„Das ist eine gute Idee. Bis später. Pass gut auf dich auf, mein Engel.“

Herzen der Nacht 3

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