Читать книгу Die Bad Religion Story - Jim Ruland - Страница 12
ОглавлениеAnfang 1982 pfiff die Punk-Szene von L.A. aus dem letzten Loch. Nur die treuesten Anhänger der einstmals so vitalen Bewegung hätten abgestritten, dass sie sich kopfüber in die Obskurität verabschiedet hatte. Das Starwood hatte geschlossen, die Kids kehrten der Szene den Rücken und Musiker ließen sich ihre Haare wieder wachsen. Der Sunset Strip war nun vermehrt die Heimat von Metal-Bands, die sich bei der Punk-Mode und Glam-Theatralik bedienten. Doch die erste Scheibe von Bad Religion How Could Hell Be Any Worse? bewies, dass Punk sehr wohl noch über einen Puls verfügte.
Einen Monat nach dem Erscheinen der Debüt-LP von Bad Religion veröffentlichten die Circle Jerks mit Wild in the Streets ihren Nachfolger von Group Sex. In Orange County brachten die Goth-Rocker von Christian Death mit ihrem Gitarristen Rikk Agnew, einem ehemaligen Mitglied von Social Distortion und der Adolescents, das Album Only Theatre of Pain heraus. Punk erschloss interessante neue Richtungen: Während die Hardcore-Fraktion immer härter und schneller zur Sache ging, experimentierten andere Gruppen mit langsameren Tempos und Synthesizern, um so ihre Unzufriedenheit atmosphärisch zum Ausdruck zu bringen. Oder, um es anders zu formulieren: Hardcore schlug um sich („Fuck you!“), wohingegen Goth, Death Rock und Post Punk introspektiver klangen („We’re fucked!“).
Bad Religion konnten auf einen enthusiastischen Rückhalt innerhalb der Hardcore-Gemeinde zählen. Doch obwohl sich die Band bei Fans und Veranstaltern immer größerer Beliebtheit erfreute, sahen andere Bands auf sie herab, was wieder einmal mit ihrem Alter und ihrer Herkunft zu tun hatte. „Wir hatten einen gewissen Stellenwert, aber noch nichts erreicht“, erklärt Jay. „Wir waren einfach ein paar Sackgesichter aus dem Valley. So konnten uns die Leute leicht abstempeln. Ihr seid doch aus dem Valley. Als ob der einzig wahre Punk aus Hollywood stammen musste. Vermutlich ließ man uns alles nur deshalb durchgehen, weil wir noch so jung waren.“
Auch das Klassendenken spielte in der Hierarchie des Punk eine gewisse Rolle. Die jungen Leute aus Hollywood nahmen an, dass Gleichaltrige aus dem Valley wohlhabend sein müssten. Hollywood galt als chaotisch und gefährlich – das Valley hingegen stand für Stabilität und Sicherheit. Für die Bandmitglieder von Bad Religion lag die Wahrheit irgendwo dazwischen. Greg lebte über weite Strecken der Middle School und High School als Schlüsselkind in einem Alleinerzieher-Haushalt. Nach der Scheidung seiner Eltern pendelte Jay zwischen dem Valley und dem Strand. Bretts Vater arbeitete in Bretts Kindheit von der heimischen Garage aus, schaffte es aber, seiner Familie eine komfortable Mittelklasse-Existenz zu ermöglichen. „Soziale Klasse war schon ein Thema“, so Brett. „Valley-Kids versus City-Kids. In der Welt des Punk galten wir als Bürger zweiter Klasse, obwohl wir sicher keine reichen weißen Jugendlichen waren.“
Obwohl die Bandmitglieder von Bad Religion keinesfalls im Geld schwammen, unterstützten ihre Familien ihre Bemühungen und finanzierten ihnen ihre Instrumente, stellten Proberäume zur Verfügung und ermöglichten ihnen, ihre Leidenschaft auszuleben – Privilegien, die andere Jugendliche nicht hatten. Bretts Familie beschäftigte zum Beispiel auch eine Haushälterin aus El Salvador, die mehrmals pro Woche nach dem Rechten sah. Immer wenn Greg oder Jay bei Brett anriefen und die Haushälterin abhob, schrie sie nach „Mr. Brett“, der doch bitte das Gespräch entgegennehmen sollte. Bretts Bandkollegen hänselten ihn damit, doch anstatt sich von seinem Spitznamen zu distanzieren, akzeptierte Brett ihn einfach. „Das wurde eine Art Künstlername von mir“, erklärt Brett. „Dass mir das nichts ausmachte, lag zum Teil daran, dass in der Szene ein gewisser Antisemitismus herrschte, weshalb ich nicht meinen jüdisch klingenden Nachnamen verwenden wollte. Anfangs bestand die Szene nur aus ein paar Freaks. Es wurde viel experimentiert und es herrschte blanker Irrsinn, was sich grenzüberschreitend und revolutionär anfühlte. Damals scherte sich die Gesellschaft nicht um Gender- und Identitätsfragen, wie das heute der Fall ist. In den frühen Achtzigerjahren waren es die Punks, die gesellschaftliche Normen hinterfragten, und darauf bin ich schon sehr stolz. Trotzdem verwandelte sich nun diese Bewegung, die als revolutionäre und radikale Ausdrucksform begonnen hatte, in etwas, das von Uniformität und Dogmen geprägt war. Als Homophobie und Rassismus sich in der Hardcore-Szene auszubreiten begannen, fühlte sich das sinister an. Um ehrlich zu sein, fühlte ich mich nicht mehr ganz sicher. Also fing ich an, mich auf unseren Platten Mr. Brett zu nennen, und dieses Pseudonym blieb hängen.“
War die Herkunft der ersten Punks in L.A., die aus dem gesamten County stammten, noch sehr divers, kamen die neuen Fans aus den Strandgemeinden und waren überwiegend weiß und männlich. Viele von ihnen waren Surfer und Skater, die sich aufgrund der Gewalt bei Live-Konzerten für Punk begeisterten. Ein paar dieser Neuzugänge waren extrem aggressiv und feindselig gegenüber allen, die nicht so waren wie sie selbst. Anstatt die nonkonformistische Weltsicht des Punk zu favorisieren, waren sie in Gruppen unterwegs und ihre Gangmentalität folgte der Devise „wir gegen euch“.
„Die ursprüngliche Punk-Szene war revolutionär ausgerichtet“, so Brett. „und damit meine ich, dass sie offen und idealistisch war. Da gab es Philosophen wie Tim Yohannan von Maximum Rocknroll und Darby Crash von den Germs, die spannende, belesene und visionäre Menschen waren. Und dann gab es da noch die Kehrseite der Medaille, Punks, die rassistisch, engstirnig und brutal waren. Das war alles bunt durchgemischt und ich glaube, dass die Leute aus der Punk-Szene ernteten, was sie säten.“
Die Bruchstellen zwischen den „ursprünglichen“ Hollywood-Punks und ein paar der anderen Szenen wurden immer offensichtlicher. „In den frühen Achtzigern, konnte man den Unterschied gut erkennen“, berichtet Jay. „Die Hollywood-Punks waren in der Regel ein bisschen älter und eher Künstler. In Long Beach und noch weiter südlich bekam man es hingegen mit verdammt zähen Kids zu tun.“ Das Fleetwood in Redondo Beach, eine wichtige Konzert-Location der Beach-Punk-Szene, eignet sich als hervorragendes Beispiel für die exzessive Gewalt, von der Punk-Konzerte in dieser Zeit heimgesucht wurden. Auch Greg hat ein paar schlechte Erinnerungen an den Club, der sich ein wenig weiter südlich von Hermosa Beach, der Heimat von Black Flag, befand. „Man musste sich nur ins Fleetwood begeben“, erzählt Greg, „jenem berühmten Punk-Club, wo all diese Typen abhingen. Ihr Tanzstil war brutal. Sie verlagerten ihre Slamdance-Einlagen auch auf die Straße, wo dann die Fäuste flogen. Sobald jemand am Boden lag, traten sie auf ihn ein.“
Doch die Gewalt blieb nicht auf gewisse Clubs oder Gegenden beschränkt, obwohl manche in der Tat gefährlicher waren als andere. Sie infizierte die ganze Szene. Jay beschreibt es als eine brutale und gefährliche Ära. „Die Orte, an denen wir auftraten, waren nicht sicher. Es schien, als würden viele Leute bloß zu den Konzerten kommen, um andere zu verletzen. Sie zahlten fünf Mäuse Eintritt, um dann irgendjemanden aufzumischen. Es kam zu nicht wenigen Messerstechereien. Niemand wurde am Eingang abgetastet und es gab keine Metalldetektoren. So passierte jede Menge verrückter Scheiß.“
Während die Punk-Szene stetig Veränderungen durchlief, blieb das Fast-Food-Etablissment Oki-Dog durchweg eine Oase der Beständigkeit. Die Spezialität des Hauses waren zwei in Chili geschmorte Hotdogs, die zusammen mit gebratener Pastrami in eine Tortilla eingewickelt waren. Das Oki-Dog am Santa Monica Boulevard in West Hollywood hatte bis spät in die Nacht geöffnet, kredenzte billiges Essen in großzügigen Portionen und verfügte über einen riesigen Parkplatz. All diese Faktoren trugen zur Popularität der Örtlichkeit bei Strichern aus West Hollywood, jugendlichen Ausreißern und Punks bei – junge marginalisierte Leute, die in Scharen einen sicheren Rückzugsort suchten. Die Eigentümer des Oki-Dog waren bekannt dafür, zwei Augen zuzudrücken, wenn ihre Kundschaft ungesunden Beschäftigungen frönte, und sie halfen schon mal aus, wenn sich jemand in Schwierigkeiten manövriert hatte. Selbst nachdem das Starwood geschlossen hatte, blieb das Oki-Dog ein Treffpunkt für Punks, wie sich Greg erinnert. „Dort versammelten sich alle. Wenn das Konzert vorbei war, ging man rüber ins Oki-Dog.“ (Das originale Oki-Dog gibt es schon lange nicht mehr, doch die gleichnamige berüchtigte kulinarische Kreation lebt an gleich zwei Orten weiter: an der North Fairfax Avenue sowie am West Pico Boulevard. Auf eigene Gefahr und mit Vorsicht zu genießen!)
Während viele dorthin pilgerten, um mit und von prominenten Punkrockern gesehen zu werden, war es für Teenager aus dem Valley einer der wenigen Orte, wo sie mit gleichgesinnten Jugendlichen abhängen konnten. Hier löste sich die Barriere zwischen Fans und Performern, die ohnehin eher zarter Natur war, endgültig auf. Im Oki-Dog freundete sich Greg mit Bands aus allen Sparten des Genres an – von den Cirlce Jerks, die de facto berühmt waren, bis hin zu Mad Society, deren Mitglieder sogar noch jünger waren als die von Bad Religion. Greg liebte das Oki-Dog, weil man dort Zeit im Kreis seiner Freunde totschlagen konnte. „Es gab einem eine Ausrede, noch nicht heimzugehen. Nicht dass es bei uns zuhause so schlecht gewesen wäre. Aber ich langweilte mich dort eben. Ich liebte es einfach, an einem belebten Ort abzuhängen.“
Da das Oki-Dog in Punk-Zirkeln als Treffpunkt bekannt war und sogar in einigen Songs erwähnt wurde, zog es fortlaufend neue Fans an. Doch einige der eher engstirnigen Hardcore-Kids bekamen sich mit der aus West Hollywood stammenden Klientel in die Wolle. So attackierte 1980 eine Gruppe von Nazi-Punks einen schwulen 14-jährigen Ausreißer und ließ ihn, als sie ihn für tot hielten, einfach liegen. (Das Opfer überlebte und tat sich später in einer überraschenden Wendung mit einem der Täter zusammen, um gemeinsam und freiwillig im Museum of Tolerance auszuhelfen.) Auch die Polizeibeamten des LAPD griffen auf homophobe Kraftausdrücke zurück, wann immer sie Punks in dem populären Spätimbiss aufzuscheuchen versuchten.
Leider waren solche Konfrontationen nur allzu üblich im Oki-Dog und an anderen Orten entlang des Santa Monica Boulevards, wo homophobe Spießgesellen Punks, Strichern und jungen Schwulen auflauerten, die nicht ihrer Vorstellung von Männlichkeit entsprachen. Ein solcher Vorfall sollte die Punk-Szene in ihren Grundfesten erschüttern.
Die Nacht begann mit einem unüblichen Ereignis, einer Punk-Party in der unmittelbaren Nachbarschaft von Bad Religion. Eine Schülerin der El Camino Real schmiss eine Fete bei sich zuhause an der Woodlake Avenue in Woodland Hills, da ihre Eltern gerade nicht in der Stadt weilten. Greg kannte die Gegend. „Sie lag fast genau in der Mitte zwischen Jays und meinem Haus. Ich spazierte jeden Tag auf meinem Schulweg dort vorbei. Also kannten wir auch das Haus ziemlich gut und ich denke, dass wir auch das Mädchen kannten. Ich habe aber keine Ahnung, wie wir von der Party erfuhren.“
Greg, Jay und Pete besuchten die Party und staunten nicht schlecht, als sie dort auf Mike Muir von Suicidal Tendencies und mehrere Mitglieder der Dogtown-Skateboard-Clique stießen, etwa Jay Adams, Dennis „Polar Bear“ Agnew und andere Skate-Punks aus Venice Beach. Jay kannte die Dogtown-Jungs noch aus seiner Zeit als Skater, und sie wiederum wussten selbstverständlich auch, wer Bad Religion waren. Eine Gruppe von Footballspielern aus der High School feierte nebenan ebenfalls eine Party. Jay spürte von Anfang an, dass sich Probleme anbahnten. „Es war großes Pech, dass der Nachbarsjunge ein Schulsportler war, der eine Football-Party veranstaltete. Die Leute dort waren von der El Camino Real, und Greg und ich kannten sie.“
Ein junger Punk wurde von einer Gruppe Footballspieler belästigt. Als er lädiert und blutverschmiert auf der Party eintraf, erzählte er, dass ein paar Typen vom Haus nebenan ihn in die Mangel genommen hätten. Ohne zu zögern machten sich die Dogtown-Jungs auf den Weg, um die Sportskanonen zur Rede zu stellen. Die Footballer verkalkulierten sich und traten bewaffnet mit Baseballschlägern vors Haus, weil sie dachten, das würde die Punks einschüchtern. Die Skater aus Venice Beach waren aber nicht wie die Punks, die die Sportler von der El Camino Real gewöhnt waren. Diese Punks waren mindestens so athletisch und aggressiv wie sie selbst. Abgesehen davon wäre es eine glatte Untertreibung gewesen, zu behaupten, dass diese Typen vom Strand eben nur allzu gern ihr Faible für rohe Gewalt auslebten.
Greg fühlte sich an eine Filmszene erinnert. „Die dummen Footballer kamen mit ihren Baseballschlägern an. Die Punks vom Strand gingen direkt auf sie zu und entwaffneten sie, da die Footballer es nicht gewohnt waren, dass man sich ihnen entgegenstellte. Sie nahmen ihnen ihre Schläger ab und jagten die Footballer davon.“
Nachdem die Footballspieler die Flucht ergriffen hatten, enterten die Strand-Punks das Haus und schlugen mit den Baseballschlägern, mit denen sie von den Sportlern bedroht worden waren, alles kurz und klein. „Sie nahmen die Bude auseinander“, berichtet Greg. „Wie ein Abrisskommando“, ergänzt Jay.
Keiner der Jungs von Bad Religion beteiligte sich an diesem Vandalismus. Vielmehr war ihnen klar, dass es an der Zeit war, die Party zu verlassen. Pete und seine Freundin brachen zusammen auf, wohingegen sich Greg und Jay Mitgliedern des Dogtown-Kontingents anschlossen und sich mit ihnen auf den Weg nach Hollywood machten.
Jay fuhr in seinem alten Toyota Corona, den er liebevoll als „Grünen Scheißhaufen“ bezeichnete. „Ich folgte Dennis Agnew und Jay Adams. Ich weiß noch, dass Adams auf dem Freeway eine Wagentür öffnete und sich hinauslehnte, um zu pinkeln. Ich fragte mich, ob der Typ noch ganz dicht war.“
Nach dem Eintreffen beim Oki-Dog teilten sich die verschiedenen Fraktionen auf, um mit ihren jeweiligen Freunden abzuhängen. Als Adams ein schwules Paar sah, fing er an, sie mit rassistischen und homophoben Beschimpfungen zu provozieren. Einer der Männer, Dan Bradbury, war Afroamerikaner und stellte Adams zur Rede, und es kam zu einem Handgemenge. Dabei ging Bradbury zu Boden und schlug sich den Kopf auf, bevor die Streitparteien wieder voneinander abließen.
Zum zweiten Mal an diesem Abend verließ Jay einen Schauplatz in großer Eile. „Ich sprang in mein Auto. Greg und ein Typ namens Tommy Hawk stiegen auch ein, und wir fuhren los.“ Unterwegs fuhr ein Wagen seitlich an Jays Auto heran und die Fahrerin schrie ihm etwas durch die offenen Fenster zu. „Ich weiß noch, dass ich mit Jay abgehauen bin“, so Greg. „Aber dann schrie uns eine Dame aus dem Wagen neben uns etwas zu: ‚Ich habe euch gesehen! Ich habe euch gesehen!‘“
Nachdem Jay seine Freunde abgeliefert hatte, fuhr er nachhause. Allerdings erwartete ihn ein unsanftes Erwachen. Um 3 Uhr morgens erhielt er Besuch von Sheriffs aus West Hollywood. „Sie klopften an die Haustür, und meine Mom ließ sie eintreten“, erinnert sich Jay. „Sie stürmten ins Haus und kamen mit gezogenen Waffen in mein Zimmer. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was sich meine Eltern gedacht haben müssen. Was zum Teufel hast du jetzt schon wieder ausgefressen?“
Der bis auf ein Paar Badeshorts nackte Jay wurde in Handschellen abgeführt und in ein Polizeiauto geschoben. Sie fuhren ihn zurück nach West Hollywood, wo Jay erfuhr, dass Dan Bradbury, der Afroamerikaner, der vor dem Oki-Dog in einen Kampf verwickelt worden war, gestorben sei. Um das Ganze noch schlimmer zu machen, warf die Polizei Jay nun vor, Bradbury angegriffen zu haben, wofür es angeblich Zeugen gäbe, die ihn mit dem Tatort in Verbindung brachten. „Nachdem ich sie endlich dazu gebracht hatte, mir doch zu sagen, was Sache ist, meinten sie, ich sei derjenige gewesen, der Bradbury umgestoßen hatte. Ich sagte, dass ich der Falsche wäre. Sie bestanden aber darauf, weil sie Augenzeugen hätten. Also verbrachte ich zwei Nächte auf der Polizeiwache von West Hollywood.“
Jay reimte sich zusammen, dass die Dame, die sie angeschrien hatte, als sie vom Oki-Dog aufbrachen, sich seine Nummerntafel notierte hatte. Allerdings war er völlig unschuldig. „Ich sagte ihnen immer wieder, dass ich mit dem Ganzen nichts zu tun hatte.“ Aber das war ihnen egal. Schließlich war Jay ein Schulabbrecher, der in einer Punk-Band spielte und an einem Tatort gesichtet worden war. Das reichte schon aus. Letztlich wies einer der Augenzeugen die Polizei darauf hin, dass der Mann, der die Keilerei angezettelt hatte, viel kleiner gewesen sei. Anders ausgedrückt: Sie hatten den falschen Jay in Gewahrsam genommen.
Für Greg gingen die Schwierigkeiten am Montagmorgen in der Schule los. Die Kunde vom Vorfall bei Oki-Dog hatte sich in Windeseile in der Gemeinschaft der Punks ausgebreitet und war so auch an die El Camino Real gelangt. Die Brutalität des Gewaltakts überschattete zwar den Vandalismus an der Woodlake Avenue, doch die Sportler wollten nicht darüber hinwegsehen und Greg sorgte sich, dass er die Zielscheibe ihrer Rachegelüste sein könnte.
„Ich bin so gut wie tot, Mann“, hatte er noch am Vorabend zu Mike Muir gesagt. „Diese Typen werden mich umbringen.“ Muir sagte Greg, er solle sich bloß keinen Kopf darum machen. Wenn die Sportskanonen ihn weiterhin drangsalierten, würde er ihnen Rohrbomben in ihre Postkästen stopfen. Das war aber kein allzu großer Trost.
Die Sportler bedrohten Greg sofort, als er die Schule betrat, hielten sich aber zurück. Später im Unterricht klopfte es an der Tür. Der Direktor wollte sich mit Greg unterhalten. Draußen erwartete ihn aber eine Überraschung. „Da stand nicht nur der Direktor, sondern auch die Polizei“, erzählt Greg. „Sie führten mich den Flur hinunter. Alle in der Schule sahen, wie ich von der Polizei abgeführt wurde.“
Greg ging ebenso wie der Rest der Schülerschaft davon aus dass er wegen des Zwischenfalls beim Oki-Dog in der Tinte saß, aber das war nicht der Fall. Die Cops wollten mit Greg nur über die Party an der Woodlake Avenue sprechen. Greg erklärte, er hätte weder mit dem Vandalismus auf der Party noch den Punks, die die Bude verwüstet hatten, etwas zu tun gehabt. Als den Polizeibeamten dämmerte, dass sie nichts gegen Greg in der Hand hatten, redeten sie ihm eindrücklich ins Gewissen.
„‚Hier oben sind wir eine Gemeinschaft. Du lässt dich da mit den falschen Leuten ein. Diese Typen aus Hollywood sind ein schlechter Einfluss.‘ Sie müssen mich für einen braven Schüler oder so gehalten haben“, erinnert sich Greg.
Obwohl schon bald jeglicher Verdacht gegen Greg und Jay ausgeräumt war, blieb der Vorfall vom Oki-Dog nicht ohne Konsequenzen. Jay Adams bekannte sich schuldig und landete hinter Gittern, beteuerte jedoch nach seiner Entlassung seine Unschuld. Ihm zufolge war Bradbury gestorben, nachdem ihm jemand, als er am Boden war, gegen den Kopf getreten hatte. Mike Muir hegte einen Groll gegen Jay Bentley. Er verstand nicht, warum der auf freiem Fuß war, während sein Freund im Knast saß. Er konfrontierte Jay im Godzilla’s, wo Bad Religion vor The Damned auftraten. Pete erinnert sich, dass die Situation rasch eskalierte. „Muir attackierte Jay, aber er stellte sich ihm entgegen und hielt dagegen“, so Pete. Jay und Muir wurden getrennt, was den Konflikt zu beenden schien. „Das war aber keine Staatsaffäre“, winkt Jay ab.
Jay war schon Monate zuvor mit brutaler Gewalt in Kontakt geraten, als er die Adolescents als Roadie nach Arizona begleitet hatte. Die Bühne bei diesem Gig war ein echter Boxring. Das Sicherheitsteam verhielt sich feindselig gegenüber der Band. Einer der Rausschmeißer legte sich mit einem der Gitarristen an und nahm ihn in den Schwitzkasten. Jay fuhr den Sicherheitsmann an, dass er von seinem Opfer ablassen sollte, woran der jedoch gar nicht dachte. Also schlug Jay ihn ins Gesicht, was sich als Fehler herausstellte. Denn die Rausschmeißer dort waren alle Kickboxer. Jay bezog eine schwere Tracht Prügel und fand sich daraufhin im Krankenhaus wieder.
Für die Punkrock-Community war das tragische Ereignis vom Oki-Dog ein Zeichen, dass sich die Dinge geändert hatten – und zwar nicht zum Besseren. Mit dem Aufkommen von Punk-Gangs und ausartender Polizeibrutalität stand das Schlimmste sogar noch bevor. Punkrock-Konzerte zu besuchen, wurde nun zu einer gefährlichen Unternehmung, was viele Fans davon abschreckte. Für Greg stand unweigerlich fest, dass die Szene begonnen hatte, sich aufzulösen. Was einmal war, würde nie wieder sein – und das, was an dessen Stelle getreten war, machte keinen Spaß mehr. „Niemand wollte mehr dazugehören“, so Greg. Auch ließ sich nicht von der Hand weisen, dass die Welt des Punkrocks keine in sich geschlossene Blase war. Alles, was auf einer Party oder bei einem Konzert passierte, konnte das Leben und die Zukunft der Betroffenen nachhaltig beeinflussen.
Auch wenn Greg kein Musterschüler war, gab er sich doch Mühe, das zu ändern. Er wollte nach seinem Abschluss ein College in Wisconsin besuchen. Anders als viele seiner Kollegen in der Punk-Szene dachte er über das nächste Konzert hinaus und ihm missfiel, was sich ihm da offenbarte. In seiner Vorstellung unterschieden sich Bad Religion von anderen Bands, doch in den Augen der Polizei, der Presse und ihrer Eltern waren sie alle gleich, eine Ansammlung brutaler Querulanten. Was machte es da für einen Sinn, Mitglied einer sogenannten „cleveren“ Punk-Band zu sein, wenn man mit gewalttätigen Rassisten und Schwulenhassern, die langsam die Szene übernahmen, in eine Schublade gesteckt wurde?
Die ganze Affäre wirkte sich auch negativ auf Jays Leben daheim aus. Er hatte die Schule abgebrochen, und weil er noch minderjährig war, hatte er seine Eltern ungewollt in die Tragödie rund um Dan Bradburys gewaltsamen Tod hineingezogen. „Meine Eltern sahen mich nun mit anderen Augen“, sagt Jay. „Nun war ich plötzlich der schlimmste Kerl aller Zeiten.“
Jays Verhältnis zu seinen Eltern war ohnehin schon belastet. Als Bad Religion immer beliebter wurden, musste er für Konzerte immer weitere Wege zurücklegen und kam erst spät nachhause. In der Regel endete ein Austausch darüber, wohin er unterwegs wäre und wann er wieder zuhause sein würde, im Streit.
JAY: Ich fahre runter nach Riverside, um dort ein Konzert zu geben.
Eltern: Du musst um 22 Uhr zuhause sein.
JAY: Ich werde nicht um 22 Uhr zuhause sein.
Eltern: Dann streichen wir dir das Taschengeld.
JAY: Nun, dann lasst mich mal nachdenken. Ich verdiene heute wahrscheinlich 100 Dollar und mein Taschengeld sind zwölf Dollar. Ist schon okay, wenn ihr mir kein Taschengeld gebt. Wie wäre es mit Hausarrest, verdammt noch mal?
Jay war von einem Auto angefahren worden, als er mit seinem Fahrrad einen Fußgängerübergang überquerte und ein anderer Teenager ihn mit seinem Kombi ummähte. Jay hatte noch die Beine hochziehen und mit den Füßen auf den Sitz steigen können, sodass er über die Windschutzscheibe hinweg katapultiert wurde. Bei diesem Unfall hatte er sich beide Beine ausgerenkt. Ein Freund der Familie war Anwalt und hatte in Jays Namen auf Schadenersatz geklagt. Jay hatte eine Abfindung erhalten, an die er aber erst herankam, wenn er 18 war.
„Ich war jetzt nicht so irre, dass ich mir dachte: Alter, du musst nie wieder arbeiten. Es waren ja nur 15 Riesen und meinem Anwalt musste ich die Hälfte davon abtreten.“ Gleichwohl wusste Jay, dass ihn an seinem 18. Geburtstag ein Geldregen erwartete. Also eckte er regelmäßig bei seinen Eltern an. Außerdem war er in ihren Augen jetzt ein Schläger. Das frustrierte Jay außerordentlich, da das nicht zutraf und seinem Verhalten in der Punk-Szene nicht entsprach. „Ich war nie ein destruktiver Typ“, erklärt Jay. „Ich war der, der sagte: Wir können es besser machen.“
Leider sollte sich der Zustand der Band schon bald rapide verschlechtern.