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3 – Entdeckungen

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Wir hatten etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als Nathalie unerwartet von unserem anvisierten Ziel abwich. Unweit von mir begann sie dann hektisch mit den Flügeln zu schlagen, um auf der Stelle zu verharren, so wie es Falken taten, wenn sie auf Beute aus waren.

»Was ist?« wollte ich wissen, als ich es neben ihr gleich tat.

Meine Muskeln protestierten zwar heftig gegen diese erneute Belastung, aber mir blieb keine andere Wahl. So biss ich den Schnabel zusammen und versuchte neben Nathalie in der Luft zu stehen. Es gelang mir nur sehr mäßig. Immer wieder scherte ich zur Seite aus oder sank etwas nach unten.

»Hier ist irgendetwas«, erwiderte sie abwesend und starrte angestrengt in die Tiefe.

Noch immer erstreckte sich unter uns die weite Steppe, die von hohem Gras bewachsen war. So sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte nichts Ungewöhnliches entdecken.

Im nächsten Augenblick ließ sich Nathalie plötzlich mit angelegten Flügeln wie ein Stein in die Tiefe fallen. Mir stockte der Atem, als ich ihren Sturz verfolgte. Noch ehe ich in irgendeiner Weise reagieren konnte, stoppte sie ihren Fall schon wieder.

Irgendetwas unter uns schien sie gewaltig aus dem Konzept gebracht zu haben. Sie hatte offensichtlich ganz vergessen, dass wir so schnell wie möglich aus der Heimstatt der Raben verschwinden wollten.

Obwohl ich angestrengt in die Tiefe spähte, konnte ich immer noch nicht erkennen, was ihre Aufmerksamkeit erregt haben könnte. Außer mickrigen Büschen gab es dort nichts zu sehen.

In mehreren Etappen sank Nathalie bis fast auf den Boden hinab und begann dann über einer bestimmten Stelle zu kreisen. In deren Zentrum befand sich eine kleine, unscheinbare und nicht sehr tiefe Senke, die nur teilweise von niedrigen Sträuchern bewachsen war und ansonsten keine Besonderheit aufwies.

Was faszinierte sie nur daran?

Nur wenig später lenkte mich eine kaum wahrnehmbare Bewegung am Rande meines Blickfeldes im Gras ab. Irritiert wandte ich meinen Blick ab und überließ Nathalie sich selbst. Obwohl ich wusste, dass sich etwas da unten im Steppengras bewegt hatte, konnte ich den Verursacher zuerst nicht ausfindig machen, trotz der scharfen Augen.

Sekunden später schwankten wieder einige Grasbüschel – nur wesentlich näher an unserem Standort dran, als ich erwartet hatte. Wer oder was auch immer es war, es war verdammt schnell.

Da entdeckte ich noch weitere Bewegungen, die sich rasend schnell fortpflanzten und in einem breiten Fächer auf die Senke zustrebten. Endlich ging mir ein Licht auf. Tarid und Viktor war es anscheinend gelungen, unsere Spur wieder aufzunehmen und sie hatten Verstärkung erhalten.

Über das Wie machte ich mir in dem Moment keine Gedanken. Jetzt zählte nur noch eins – schnellstens das Weite zu suchen!

»Nathalie!« brüllte ich einer Panik nahe. »Verschwinde!«

Doch sie reagierte nicht und hielt weiter unbeirrt über der Senke Ausschau, nach was auch immer. Anscheinend hatte sie mich nicht gehört. Sie war so sehr von dem gefangen, das sie vermutlich in ihr entdeckt hatte, dass sie nichts mehr um sich herum wahrnahm. Es musste etwas sehr Aufregendes sein.

Verzweifelt war ich bestrebt, sie zu warnen. Doch nichts half. Selbst wenn ich mir die Lunge aus dem Leib geschrien hätte, es hätte nichts gebracht. Sie war einfach nicht ansprechbar.

So sah ich nur noch eine Chance, zumal unsere Verfolger rasend schnell näher kamen.

Mit einem durchdringenden Schrei zog ich meine Flügel dicht an den Körper und stürzte mich in die Tiefe, direkt auf Nathalie zu. Innerhalb kurzer Zeit überwand ich die Distanz und fiel dicht an ihr vorbei.

Sofort spreizte ich die Flügel wieder ab und nutzte die hohe Geschwindigkeit, um dicht über dem Boden hinweg zu schießen. Dabei versuchte ich dem von ihr ursprünglich ausgewähltem Pfad zu folgen. Damit hatte ich eindeutig ihr Interesse geweckt.

»Was?« schrie sie mir hinterher.

Doch ich war nicht in der Lage, ihr zu antworten, da ich in der Zwischenzeit schon eine viel zu große Strecke zurückgelegt hatte. So konnte ich nur hoffen, dass sie unsere Verfolger selbst entdeckte und mir schnellstens folgen würde.

Meine Hoffnungen wurden nicht enttäuscht.

Nach etwa einer Minute tauchte sie mit kräftigen Flügelschlägen neben mir auf und überholte mich. Nichtsdestotrotz waren wir noch lange nicht aus dem Schneider, wie mich ein schneller Blick zurück belehrte.

Tarid und Viktor hatten die Verfolgung noch nicht aufgegeben. Mit höchstem Tempo jagten sie hinter uns her und pflügten durch das hohe Gras. Zum Glück schienen sie dabei ihre Zauberkräfte nicht einsetzen zu können.

»Schneller!« brüllte ich durch den brausenden Wind und verdoppelte meine Anstrengungen, obwohl ich kaum noch Reserven hatte. »Sie sind immer noch hinter uns her.«

Trotz all meiner Anstrengungen wurde die Distanz zwischen Nathalie und mir langsam aber sicher immer größer. Sie war eine verdammt geschickte Fliegerin, das musste ich ohne Neid anerkennen.

Wie schaffte sie das nur?

Woher nahm sie all die Kraft und Zähigkeit?

Wahrscheinlich hatte sie eine wesentlich größere Übung darin als ich und sie hatte das schon des Öfteren gemacht, mit dieser Routine, die sie an den Tag legte. Schließlich flog ich heute zum ersten Mal selbst. Ihrem Beispiel folgend, strengte ich mich noch verbissener an.

Ich musste mit ihr das Tor erreichen – komme, was da wolle. Ohne sie war ich hier gefangen und Tarid und Konsorten hilflos ausgeliefert. Und was dann mit mir geschehen würde, das wollte ich mir lieber nicht ausmalen.

Auf keinen Fall wollte ich in einem dieser komischen Stasisfeldern mein restliches Leben verbringen – wie immer das dann auch aussehen mochte.

Inzwischen konnten wir aber auch stetig den Abstand zu unseren Verfolgern ausbauen, was mich etwas froher stimmte. Sie konnten unser hohes Tempo nicht mithalten. Das würde uns etwas Zeit am Portal verschaffen. Hoffentlich konnte es Nathalie ohne größere Probleme öffnen.

Die Steppe war nur noch als undeutliche Schlieren zu erkennen, so schnell sausten wir in diesen Augenblicken dahin. Nicht das kleinste Detail konnte ich mehr ausmachen, was ich kaum fassen konnte.

Konnten Falken wirklich so schnell fliegen?

Daher hatte ich auch keine Vorstellung mehr davon, wie weit die Pforte noch entfernt war. Ich hoffte nur, dass wir sie bald erreichen würden, denn lange würde ich dieses enorme Tempo nicht mehr durchhalten.

In diesem Moment überflog ich den Rand eines dieser dunklen Wälder, die entlang der Tarnsphäre der Heimstatt wuchsen. Jetzt konnte es nicht mehr allzu weit sein. Mir entwich ein Seufzer der Erleichterung aus meinem Schnabel, als ich endlich den goldenen Schimmer des Tores vor mir ausmachen konnte.

Nathalie hatte es tatsächlich aktivieren können!

Wie ihr das bei dem rasanten Flug gelungen war, war mir ein Rätsel, zumal sie kaum langsamer geworden war. Doch ich hatte nicht vor, dem jetzt auf den Grund zu gehen. Ich wollte nur noch raus hier.

Kurz vor der Pforte verlangsamte sie doch noch etwas ihr Tempo, was mir zeigte, dass sie mich nicht vergessen hatte. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann hatte ich zu ihr aufgeschlossen.

Ehe wir uns in das Portalfeld stürzten, warf sie mir noch einen aufmunternden Blick zu. Hinter uns konnte ich nur noch einen mehrstimmigen Schrei der Enttäuschung vernehmen, als ich mit einem erleichterten Aufatmen das Feld durchstieß.

Auf der anderen Seite freute ich mich schon darauf, mich auf einem Baum ausruhen zu können, um herauszufinden, wo wir uns befanden, und um Kraft für den Heimflug zu tanken.

Doch Nathalie hatte nicht vor, mich oder sich selbst zu schonen. Ganz im Gegenteil. Sie erhöhte wieder ihre Geschwindigkeit und schoss dicht über dem Boden rasend schnell davon.

»Nathalie!« versuchte ich ihr hinterher zu schreien, doch ich keuchte es nur.

So war es kein Wunder, dass sie überhaupt nicht reagierte. Stur flog sie weiter und hatte nur ein Ziel – so viel Abstand wie möglich zwischen uns und der Pforte zu bringen, ehe Tarid und ihre Freunde es ebenfalls erreichten und durchstießen.

Was nur zu verständlich war. Denn nur wenn uns das gelang, standen die Aussichten nicht schlecht, das Refugium vom Wolf-Clan ungeschoren zu erreichen. Und das musste unser vordringlichstes Ziel sein.

So musste ich mich wohl oder übel in mein Schicksal fügen und weiterhin meine gepeinigten Muskeln dazu bewegen, mich weiter hinter ihr her zu tragen. Das war wiederum leichter gesagt als getan, denn es fiel mir immer schwerer.

Mein Herz pochte wie wild in meiner Brust und ich konnte kaum noch Atem durch den weit aufgerissenen Schnabel schöpfen. Alles in mir schrie nach einem Ende dieser Tortur. Solch eine körperliche Belastung hatte ich noch nie erlebt – bei dem entspannten Leben, das ich sonst führte.

Mit müden, fast schon schlappen Flügelschlägen folgte ich fanatisch Nathalie, denn ohne sie war ich hilflos verloren, daran biss keine Maus den Faden ab. Sie allein konnte Tarid und ihren Freunden die Stirn bieten – zumal ich nicht die geringste Ahnung hatte, wo wir uns befanden.

Denn in der Stadt waren wir nicht herausgekommen, wie ich mittlerweile zu meinem Bedauern feststellen musste, sondern in einer ländlichen, hügeligen Gegend. So kämpfte ich mich verbissen voran, um nicht den Anschluss zu ihr zu verlieren.

Irgendwann – ich hatte mein Zeitgefühl komplett eingebüßt – wurde Nathalie doch noch etwas langsamer. Erleichtert nahm ich all meine verbliebene Kraft zusammen und schloss zu ihr auf.

»Nathalie«, keuchte ich atemlos. »Ich bin total fertig. Ich brauche dringend eine Pause.«

»Na gut«, meinte sie nur, schlug einen Haken und verschwand in einer dicht bewachsenen Buschgruppe.

Natürlich ließ ich mich nicht lumpen und folgte ihr auf der Stelle. Vorsichtig zwängte ich mich zwischen den eng beieinander stehenden Zweigen hindurch. Wie erwartet hatte es sich Nathalie fürs Erste auf einem Ast in der Nähe des Stammes in einem besonders dichten Strauch gemütlich gemacht. Mit letzter Kraft ließ ich mich auch darauf nieder.

Den Schnabel weit aufgesperrt hockte ich neben ihr, pumpte mit gierigen Zügen Luft in meine berstenden Lungen und ließ die Flügel schlapp herab hängen. Ich hatte nicht einmal mehr die Kraft, sie eng an meinem Körper zu halten.

Das war eindeutig das Anstrengendste, das ich in den letzten Jahren – sogar in den letzten beiden Tagen – unternommen hatte. Noch nie in meinem bisherigen Leben war ich so ausgepowert gewesen wie in diesem Augenblick. Ich war wirklich kurz davor aufzugeben und Nathalie zu bitten, mich alleine zu lassen.

Trotzdem konnte ich ein gewisses Gefühl des Stolzes nicht ganz unterdrücken. Ich hatte durchgehalten und war dennoch verdammt froh darüber, dass wir heil aus der Zuflucht entkommen waren und Tarid ein Schnippchen geschlagen hatten. Bestimmt wird sie sich immer noch verwundert fragen, was da eigentlich in der Hütte vorgefallen war.

Vielleicht dichtete sie mir ja sogar irgendwelche Zauberkräfte an, über die ich möglicherweise verfügte?

Aber das war mir nur mit Hilfe von Nathalie gelungen. Ich wollte mir schlichtweg nicht vorstellen, dass ich mich jetzt vielleicht schon in einem Stasisfeld befinden könnte und ebenso spurlos verschwunden wäre, wie ihre Schwestern.

Noch nie hatte sich jemand so sehr für mich eingesetzt. Meine Zuneigung zu ihr wuchs immer mehr – und in diesem Moment war mir klar, dass ich mich rettungslos in sie verliebt hatte.

Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet, obwohl ich sie schon sehr anziehend, aufregend und unglaublich sexy fand. Doch wie ich ihr das sagen sollte, das stand noch in den Sternen. Ich wusste zwar, dass sie auch was für mich empfand – aber Liebe?

Ich stellte mein ganzes Gefühlschaos erst einmal zurück, denn jetzt hatten wir andere Probleme. Ein rascher Blick zu ihr offenbarte mir, dass auch an ihr die Strapazen der letzten Stunde nicht spurlos vorüber gegangen waren. Deutlich konnte ich ihr ansehen, dass auch sie erschöpft war, wenn auch lange nicht so stark wie ich.

Woher nahm sie nur diese Kraft und Energie?

»Danke«, brach ich schließlich das Schweigen. »Du hast mir das Leben gerettet.«

»Gern geschehen«, erwiderte sie.

Mit Sicherheit hätte sie dabei schelmisch gegrinst, wenn es ihr möglich gewesen wäre.

»Lass es nur nicht zur Gewohnheit werden«, fügte sie noch hinzu.

»Ich werde mir Mühe geben.«

So wie es aussah, erholte sie sich wesentlich schneller als ich, da sie schon wieder scherzen konnte. Doch es tat mir gut, lenkte es mich doch von der ganzen undurchschaubaren Geschichte ab, in die ich so unvermittelt hinein geraten war.

Hoffentlich war dieser Stress mit all seinen Strapazen bald vorbei, damit ich in mein altes, beschauliches Leben zurückkehren konnte. Ob mir das allerdings jetzt noch problemlos gelingen würde, wagte ich zu bezweifeln, jetzt wo ich Nathalie und ihre Welt der Magie kennengelernt hatte.

»Geht es wieder?« erkundigte sie sich nach einer Weile mitfühlend.

»Lass mir noch ein Weilchen«, bat ich sie. »Diese Jagd da drinnen hatte mir absolut das Letzte abverlangt. Ich war noch nie so kaputt, das kannst du mir glauben. Ich könnte auf der Stelle einschlafen und nie mehr aufwachen.«

»Unterstehe dich«, drohte Nathalie.

»Hast du eine Ahnung, wo wir ungefähr sind?«

»Nicht die geringste«, gestand sie. »Ich wollte nur noch weg von der Pforte und habe nicht auf unsere Umgebung geachtet.«

»Dann könnten wir also sonst wo sein?«

»Ja«, dehnte Nathalie. »Aber mach dir mal keine Gedanken, wir werden schon zurückfinden.«

»Du hast gut reden«, beschwerte ich mich, schon wieder etwas munterer. »Du musst deinem Chef ja auch nicht erklären, warum du am Nachmittag nicht mehr zur Arbeit erschienen bist.«

»Hey!«

»'tschuldigung«, brummte ich kleinlaut. »Das belastet mich eben.«

»Ich weiß«, erwiderte sie. »Aber ich bin mir sicher, dass wir auch dafür eine Lösung finden werden. Du wirst sehen. Wir lassen dich dabei nicht im Stich. Versprochen!«

»Okay, ich vertrau dir ja.«

»Das ist gut«, entgegnete sie und rückte näher an mich heran. »Du hast dich echt klasse gehalten da drinnen und dir vor Tarid keine Blöße gegeben, auch wenn es nicht ganz leicht für dich war.«

»Na ja, es ist ja auch schon ein großer Anreiz, wenn das eigene Leben davon abhängt.«

»Gleichwohl, du hast deine Sache besser gemacht als ich erwartet hatte«, erklärte sie und schmiegte sich noch enger an mich.

Diesmal begann mein Herz nicht durch die übermenschliche Anstrengung zu pochen, die ich hinter mir hatte. Sondern es war ihre reizvolle Nähe zu mir. Ich genoss sie in vollen Zügen, das will ich gar nicht abstreiten, aber ich konnte es nicht so recht würdigen, so erledigt wie ich war.

Das Einzige, zu dem ich fähig war, war ein kurzes Reiben meines Schnabels an ihrem. Wie sehr sehnte ich mich danach, sie jetzt so richtig in den Armen zu halten und sie zu küssen.

Der kurze, intime Moment war aber schnell wieder vorbei, als sie von mir abrückte.

»Ruh dich noch eine Weile aus. Ich sehe mich derweil ein wenig um«, verkündete sie. »Vielleicht gelingt es mir herauszufinden, wo wir uns befinden. Ich bin bald wieder zurück.«

»Sei bitte vorsichtig«, bat ich sie und gab ihr nickend meine Zustimmung.

»Du kennst mich doch«, erwiderte sie mit einem Kichern.

Daraufhin hopste sie auf einen höheren Ast über mir, breitete ihre eleganten, hübsch gemusterten Schwingen aus und ließ mich mit einem leisen Krächzen alleine im Busch sitzen.

Ich konnte nur hoffen, dass unsere Verfolger uns nicht mehr auf den Fersen waren und unsere Spur verloren hatten. Hoffentlich kam sie bald wieder gesund und munter zurück.

So sehr ich mir auch Sorgen um sie machte, genoss ich doch die Ruhe. Allmählich beruhigte sich mein Herzschlag wieder und das Pochen in meinen Schultern ließ langsam nach.

Doch ich machte mir keine Illusionen. Uns könnte noch ein verdammt langer Flug bevorstehen und ich hatte keine Ahnung, wie ich den überstehen sollte. Ich war jetzt schon vollauf ausgelaugt und hatte kaum noch Kraft, um mich an den Ast zu krallen. Da half auch eine kurze Rast nicht mehr viel.

Genau in diesem Moment meldete sich mein Magen mit einem nagenden Hungergefühl. Da wurde mir bewusst, dass ich seit dem Frühstück nichts mehr zu mir genommen hatte. Und nach dem Sonnenstand zu urteilen, musste es später Nachmittag sein.

Na, klasse. Damit würde alles nur noch schwieriger werden. Ich hatte jetzt noch kaum irgendwelche Reserven.

Wie sollte ich da einen weiteren kilometerweiten Flug überstehen?

Müde döste ich vor mich hin und gab mein Bestes so viel Kraft zu schöpfen, wie es nur ging.

Irgendwann musste ich wohl eingeschlafen sein, denn ein Rauschen und Krachen über mir schreckte mich auf. Gehetzt schaute ich mich um und stellte mit großer Erleichterung fest, dass Nathalie von ihrem Ausflug zurückgekehrt war.

Aber das, was sie mitbrachte, ließ mich entsetzt zurückprallen.

Da hing doch unzweideutig der blutige Kadaver einer toten Maus aus ihrem Schnabel.

Und den bot sie mir jetzt auch noch an!

»Du musst was essen!« quetschte sie hervor, als ich angewidert von ihr abrückte.

Auffordernd hielt sie mir die zerrupfte Leiche hin.

»Ich kann nicht«, würgte ich und starrte das winzige Tier entsetzt an.

»Du musst aber«, bedrängte sie mich hartnäckig. »Sonst schaffst du den Rückflug nicht, so schwach, wie du jetzt schon bist.«

»Ist es denn sehr weit?«

»Wie man's nimmt«, erwiderte sie. »Es sind schon ein paar Kilometer.«

»So weit?« fragte ich niedergeschlagen.

Als Antwort nickte sie leicht, wobei die tote Maus dicht vor meinem Schnabel verführerisch hin und her baumelte.

»Nun mach schon!« verlangte sie. »Es ist nicht so schlimm wie es aussieht. Ich hab mir auch schon zwei zu Gemüte geführt.«

»Wow!« entfuhr es mir.

Widerwillig gab ich ihr recht. Mein Magen knurrte schon laut vor Vorfreude auf den schmackhaften Leckerbissen. Daher gab ich schließlich nach, schnappte voller Ekel nach der Maus und schlang sie mit dem Kopf voran hinunter.

Es kostete mich eine enorme Überwindung, den Kadaver nicht wieder auszuspucken. Würgend drehte ich mich zur Seite, um sie vor Nathalie nicht wieder auszukotzen.

»So ist es schön«, bemerkte Nathalie ironisch.

»Mhmh!«

Trotz einiger Krämpfe im Bauch behielt ich das Tier in mir.

»War doch gar nicht so schlimm«, neckte sie mich weiter.

»Und ob«, protestierte ich. »Aber trotz allem danke, dass du daran gedacht hast.«

»Na ja, ganz so uneigennützig war es ja auch nicht«, gestand sie mir.

»Was?«

»Ich möchte doch nur so schnell wie möglich nach Hause«, erklärte sie. »Und das geht nur, wenn du unterwegs nicht andauernd eine Pause einlegen musst. Die anderen müssen unbedingt von meiner Entdeckung erfahren.«

»Welcher Entdeckung?«

»Nur Geduld«, wehrte sie ab. »Zunächst einmal sollten wir heil in meiner Heimstatt ankommen. Alles andere ergibt sich dann von selbst. Doch zunächst wäre es wohl am besten, wenn wir zuerst einmal zu deiner Wohnung fliegen und erst danach das Refugium aufsuchen.«

»Wozu?« erkundigte ich mich. »Außerdem, wie sollen wir denn in meine Wohnung hinein kommen? Ich habe schließlich keine Schlüssel in meinem Gefieder versteckt. Die befinden sich zusammen mit meinem Geldbeutel in meiner Jacke. Und du weißt ja, wo die ist.«

»Scheiße!«

»Du sagst es. Das wird mächtig Ärger mit der Hausverwaltung geben und mich viel Geld kosten«, fuhr ich frustriert fort.

»Nun hab dich nicht so! Wir werden dir schon irgendwie helfen.«

»Das erwarte ich auch.«

»Okay, da du anscheinend wieder auf dem Damm bist, sollten wir uns auf den Weg machen. Vielleicht entdecken wir ja unterwegs noch den einen oder anderen Leckerbissen. Denn ich könnte schon wieder was vertragen.«

»Ohne mich!«

»Angsthase!« warf sie mir vor und kicherte leise. »Aber du wirst es schon noch einsehen.«

Damit hüpfte sie wieder im Astwerk nach oben, bis sie eine größere Lücke erreicht hatte. Noch immer innerlich vor Wut kochend folgte ich ihr. Sie hatte leicht Reden. Die ganzen Schwierigkeiten mit der Hausverwaltung und meinem Boss musste sie ja nicht ausbaden.

Verdammt!

Mein Leben ging langsam aber sicher den Bach runter. Und ich konnte nichts dagegen tun, solange diese Wahnsinnigen hinter mir her waren und nach meinem Leben trachteten. Aber im Stillen schwor ich mir, dass es bald vorbei sein würde – so oder so.

Sieben Schwestern - Seranas Rache

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