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1. Die Zauberflöte

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In der Zeit, wo ich als elfjähriger Knabe noch in meiner Heimat lebte, in der kleinen, lieblichen Stadt Akureyri, am herrlichen Golf Eyjafjördur auf Nord-Island, kam eines Tages ein Mann zu uns auf Besuch. Sein Name war Arngrim.

Er war etwas verwandt mit unserer Familie und wurde deshalb besonders freundlich aufgenommen.

Obgleich dieser Besuch kein wichtiges Ereignis war, so sollte er doch von den entscheidendsten Folgen für mein ganzes zukünftiges Leben sein.

Nachdem er sich gestärkt hatte, fragte Arngrim, ob er uns etwas auf seiner Flöte vorspielen solle.

„O ja“, antworteten alle einstimmig.

Ich wurde sehr neugierig; denn bisher hatte ich ein solches Instrument noch nicht gesehen.

Arngrim zog ein feines Lederfutteral hervor, legte es feierlich auf den Schoß und öffnete es.

Da kam eine prachtvolle, schwarzpolierte Flöte zum Vorschein.

Sie lag in mehreren Teilen da und mußte erst zusammengesetzt werden.

Als er dies besorgt hatte, setzte er das sonderbare Ding an den Mund, feuchtete seine Lippen an und begann zu spielen.

Ich war entzückt. Die lieblichen Töne bezauberten mich förmlich. So etwas Schönes glaubte ich nie gehört zu haben.

Arngrim spielte übrigens auch meisterhaft.

Das Flötenspiel war seine Leidenschaft; er sagte, daß er nie auf Reisen gehe ohne sein Instrument mitzunehmen.

Vor dem Spiel erklärte er jedesmal den Sinn der Melodie.

Wir bekamen die verschiedensten Stücke zu hören, deutsche, dänische, französische und englische.

Einige von diesen Melodien machten einen so tiefen Eindruck auf mich, daß sie für immer in meinem Gedächtnis haften blieben.

Ich wurde mehr und mehr für diese wunderbare, weiche Musik begeistert.

Es war ja auch die erste musikalische Unterhaltung in meinem Leben.

Am Abend, als alle schon zur Ruhe gegangen, schlich ich in das Zimmer unseres Gastes und bat ihn, mich seine Kunst zu lehren.

Arngrim war über meine jugendliche Begeisterung sehr erstaunt, faßte meine Hände und sagte:

„Mein kleiner Freund, das hätte ich nicht erwartet; aber leider kann ich nur diese eine Nacht hier bleiben. Deshalb wird die Zeit kaum hinreichen, dich zu unterrichten.“

„O, ich werde mir schon Mühe geben, lehre mich heute abend wenigstens noch die Anfangsgründe.“

„Jetzt? Heute abend, wo alle schon zur Ruhe gegangen sind? Glaubst du, das dürfen wir tun?“

„Ja, das dürfen wir wohl. Wir können ja ganz leise spielen.“

Arngrim wunderte sich über meinen Eifer und ging darauf ein, mir die einzelnen Griffe zu zeigen.

Ich blieb bis tief in die Nacht bei ihm und übte ununterbrochen.

Zuletzt dachte ich, ich hätte es vorläufig weit genug gebracht, das Übrige würde ich schon selbst lernen.

Darauf hub ich an:

„Mir scheint, das Flötenspiel ist das Schönste, was ich je gehört habe.“

„Du hast recht, mein Junge. Ein gewisser, geheimnisvoller Zauber liegt in diesen Tönen, nicht einmal die Tiere widerstehen ihnen. Man kann Schlangen, Ratten, selbst die Fische im Meere damit bezaubern. In einer Stadt Deutschlands, erzählt man, habe einmal der sogenannte ‚Rattenfänger von Hameln‘ durch sein Flötenspiel es dahin gebracht, daß die Ratten von allen Seiten herbeikamen und ihm nachliefen.“

Ganz verwundert sagte ich:

„Die Ratten, das verstehe ich. Aber kann man auch wirklich die Fische im Meere, wie du sagst, durch das Flötenspiel herbeilocken?“

„Jawohl, mein Freund.“

„O, dann sage mir doch, wie man das anzufangen hat!“

„Man fährt nach einer einsamen Stelle auf dem Meere, bleibt still liegen und fängt an zu spielen, am besten in langgezogenen, durchdringenden Tönen. Wenn man das einige Zeit fortsetzt, so werden die Fische an die Oberfläche gelockt, von allen Seiten schwimmen sie langsam heran, lauschen und lauschen und folgen dem Boote, wohin es auch treibt.“

„Ist das möglich? Und glaubst du, sie würden auch von mir sich locken lassen?“

„Gewiß, mein Junge, wenn du nur die richtigen Töne triffst.“

Unterdessen war es sehr spät geworden. Deshalb mußte ich mich beeilen zu Bett zu kommen.

In der Nacht träumte ich nur vom Flötenspiel.

Ratten und Schlangen gibt es auf Island nicht, dagegen Fische in Menge.

Das Meer rings umher und die Fjorde wimmeln davon.

Mein Entschluß stand fest: ich wollte mir eine Flöte verschaffen und die Fische herbeilocken.

Kaum war Arngrim am folgenden Tage abgereist, als ich auch schon in das Zimmer meines Vaters trat.

Er saß an seinem Schreibtisch.

Sofort kam ich mit meiner Bitte heraus:

„Vater, ich habe so große Freude am Flötenspiel; bitte, gib mir Geld, um eine Flöte, wie Arngrim eine hat, zu kaufen.“

Er machte große Augen, legte die Feder weg, drehte sich auf dem Stuhle um und sagte:

„So, eine Flöte willst du dir kaufen? Weißt du auch, daß die viel Geld kostet? Ich meine, es ist das Beste, wir warten etwas damit. Später können wir wieder darüber sprechen.“

„O Vater, dann kann ich mir ja eine billigere kaufen. Ich möchte mich so gern im Flötenspiel üben.“

Der Vater lächelte und sagte:

„Nun, mein Junge, wenn du ein solches Verlangen darnach hast, so magst du in die Stadt gehen und dir eine kleine Blechflöte kaufen. Sag nur, man möge sie auf meine Rechnung schreiben.“

Ich dankte ihm und eilte in die Stadt. Eine Viertelstunde später hatte ich eine niedliche Zauberflöte aus Blech.

Jeden Tag übte ich mich nun mit solchem Eifer, daß ich bald alle mir bekannten Melodien spielen konnte.

Besonders verlegte ich mich darauf, die langgezogenen, durchdringenden Töne zu lernen.

Hätte ich damals geahnt, welch schreckliche Leiden diese meine „Zauberflöte“ einige Tage später über mich und meinen kleinen Bruder bringen sollte, ich hätte sie auf der Stelle ins Feuer geworfen.

Doch ich ahnte nichts Böses und ging deshalb fröhlich und munter den Gefahren entgegen, die auf mich lauerten ...

Nonni und Manni - Zwei isländische Knaben

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