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2. Auf der Reede

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Eine Schwierigkeit war noch zu überwinden. Ich mußte mir die Erlaubnis verschaffen auf den großen Fjord hinauszufahren.

Um Gesellschaft zu haben, ging ich erst zu meinem jüngeren Bruder Armann und sagte ihm:

„Hör, Manni (dies war sein Kosename, wie Nonni der meine), hast du Lust, morgen mit mir eine Kahnfahrt auf dem Fjord zu machen?“

„Ja, gern. Aber was willst du da?“

„Etwas ganz Besonderes. Ich will den Fischen auf meiner Flöte etwas vorspielen.“

„Wie! Du willst den Fischen etwas vorspielen auf deiner Flöte? Glaubst du denn, daß sie darauf hören?“

„Jawohl, und du wirst etwas Seltsames zu sehen bekommen. Ich werde die Fische herbeilocken. Aber du darfst nichts davon sagen, sonst bekommen wir von Mutter die Erlaubnis nicht.“

Manni versprach es.

Jetzt ging ich zur Mutter und bat sie, am andern Tag zum Fischen hinausrudern zu dürfen.

Die Mutter gestattete es, doch unter der gewöhnlichen Bedingung, daß gutes Wetter sei und daß wir uns nicht zu weit vom Strande entfernten.

Diese Bedingung war mir nicht nach dem Sinn; ich wollte ja weiter fahren als gewöhnlich. Doch ließ ich nichts merken und dankte ihr.

Das war ein Fehler, für den ich bald schwer büßen sollte.

Am folgenden Tag war herrliches Wetter, Sonnenschein und vollständige Windstille.

Der Himmel war blau und die Luft gesättigt mit dem Duft unzähliger wilder Blumen.

Wie froh waren Manni und ich! Es war ja ein Wetter, wie wir es nicht besser wünschen konnten.

Schon zeitig richteten wir alles her.

Wir schoben unser kleines rot und grün bemaltes Boot ins Wasser.

Ich nahm meine Angelschnur mit, an deren Ende eine kleines Bleifischchen befestigt war. Aus seinem Maul hingen zwei Angeln.

Als Lockspeise band ich vorläufig an beide ein rotes Läppchen, an das die Fische gern anbeißen.

Eben wollte ich meinem kleinen Bruder helfen ins Boot zu steigen, da kam eine alte Frau daher; es war die Witwe Thordis.

Man nannte sie allgemein die alte Wala (Vala). Diesen Namen gaben die Normannen in heidnischen Zeiten ihren Wahrsagerinnen.

Thordis war aber keine Wahrsagerin, sondern eine gute und fromme alte Frau.1

„Wohin wollt ihr, Kinder?“ fragte sie.

„Wir wollen auf den Fjord, um zu fischen.“

Thordis sah die Flöte, die aus meiner Tasche hervorlugte.

„Willst du draußen auch auf der Flöte spielen?“

Ich wurde etwas verlegen und sagte:

„Ja, so nebenbei.“

Thordis schaute mich scharf an und sagte:

„Ich weiß nicht, woher es kommt, ich fühle mich sehr besorgt um euch zwei; doch“, fügte sie langsam hinzu, „ich hoffe, Gott wird seine schützende Hand über euch halten.“

Bei diesen Worten wurde mir etwas sonderbar zumute. Nach einer Pause fuhr die Alte fort:

„Hör, Nonni, wollt ihr diese Fahrt nicht lieber aufgeben?“

„Warum denn?“ fragte ich.

Auf meinen kleinen Bruder schauend antwortete sie:

„Es möchte euch schlecht gehen; es ist doch gefährlich für zwei kleine Knaben, allein auf den Fjord hinaus zu fahren.“

Ich wurde etwas nachdenklich und dachte schon daran, auf die Fahrt zu verzichten. Da rief Manni:

„Aber sollen wir nicht bald abfahren?“

„Ja“, antwortete ich unwillkürlich, „jetzt fahren wir, Manni.“

Ich suchte meiner Angst Herr zu werden und sagte zu Thordis:

„Wir möchten diese Fahrt doch nicht gern aufgeben. Schon lange haben wir uns darauf gefreut, und unsere Eltern haben es erlaubt.“

„Nun, in Gottes Namen“, sagte die Alte, „aber fahrt wenigstens nicht über die Landzunge Oddeyri hinaus, haltet euch zwischen den Schiffen auf der Reede; da habt ihr Platz genug, euch umherzutummeln.“

„Wir wollen schon vorsichtig sein“, antwortete ich.

Uns auf der Reede zwischen den Schiffen zu halten, konnte ich ihr nicht versprechen. Das hätte unseren ganzen Plan vereitelt. Wir mußten ja weiter hinaus und eine einsame Stelle aufsuchen.

Deshalb brach ich ab, sagte der Alten Lebewohl und half Manni ins Boot. Dann sprang ich selbst hinein und stieß ab.

Manni jubelte vor Freude, als das Boot ruhig über das beinahe spiegelblanke, kristallklare Wasser glitt.

„O wie schön, wie schön!“ rief er aus und klatschte in die Hände.

Ich stieß noch einigemal mit dem Ruder gegen den Sandboden, und bald waren wir auf dem tiefen Wasser.

Weil Manni zum Rudern noch zu klein war, so sagte ich:

„Hör, Manni, du bist ein tüchtiger Junge. Du sollst heute Steuermann sein!“

Das gefiel ihm. Gleich nahm er seinen Platz ein.

Ich setzte mich auf meine Bank, ergriff die Ruder und bald glitten wir in rascher Fahrt über das Wasser, das hier silberhell schimmerte.

Die Sonnenstrahlen glänzten wie Gold darauf.

Auf der großen Reede lagen in einiger Entfernung fremde Schiffe vor Anker und badeten sich in dem dort sehr tiefen, azurblauen Meer und dem lichten, warmen Sonnenschein.

„Nonni“, fragte mein kleiner Bruder, „sollen wir nicht erst zu den Schiffen fahren und sie uns ansehen?“

„Ja, Manni, meinetwegen gern; wir haben ja genug Zeit. Steuere nur darauf zu!“

Es waren wohl anderthalb Dutzend fremde Schiffe draußen auf der Reede.

Die meisten waren dänische Kauffahrteischiffe aus Kopenhagen; ferner lag da ein Walfischfahrer aus Norwegen und eine prachtvolle englische Lustjacht. Der Besitzer, ein reicher Lord, befand sich auf einem Ausflug ins Innere der Insel.

Aber das größte und schönste von allen war „La Pandore“, ein französisches Kriegsschiff, das am weitesten nördlich lag.

Es war schon mehrere Tage da und sollte bald wieder nach Frankreich abfahren.

Beständig fuhren Boote zwischen den Schiffen und dem Lande hin und her. Es gab also für uns zwei viel zu sehen.

Ich ruderte, so fest ich konnte, und Manni steuerte auf die dänischen Schiffe los, die am nächsten lagen.

Zuerst kamen wir zu dem kleinen Einmaster „Rachel“ aus Kopenhagen. Er sah mit seiner rotbemalten Reeling sehr zierlich aus.

Wir ruderten um ihn herum und grüßten den kleinen Schiffsjungen, den wir kannten. Freundlich erwiderte dieser unsern Gruß und wünschte uns viel Vergnügen für die Fahrt.

Als wir darauf zu dem elegant gebauten Schiffe „Hertha“ kamen, lehnten die dänischen Matrosen sich über die Reeling und riefen uns zu:

„Wohin geht’s mit euch?“

„Auf eine Vergnügungstour“, gab ich zur Antwort.

„Kommt mal herauf zu uns“, rief einer.

„Danke! Wir dürfen nicht an Bord der Schiffe gehen.“

„Wer hat euch das verboten?“

„Unsere Mutter.“

„Weshalb denn?“

„Das weiß ich nicht; ich glaube, sie fürchtet, es möchte uns etwas zustoßen.“

„Wovor ist sie denn bange?“

„Einmal ist ein Knabe auf ein fremdes Schiff gegangen. Dieses segelte mit ihm fort, und man hat seitdem nichts mehr von ihm gehört.“

„Das war freilich eine schlimme Geschichte; aber wartet ein wenig, ich komme gleich zurück.“

Er verschwand im Schiffsraum.

Aus Vorsicht entfernten wir uns einige Meter vom Schiffe. „Man kann nicht wissen, was er vorhat“, dachte ich. — Doch bald erschien er wieder und warf uns zwei große Apfelsinen ins Boot.

„Die löschen den Durst“, rief er.

Ich dankte ihm herzlich und Manni warf ihm noch ein Kußhändchen zu.

Dann ruderten wir weiter und kamen zu der englischen Lustjacht. Sie war sogar an der Außenseite reich mit Gold verziert.

Wir ruderten dicht heran und betrachteten sie genau.

Während wir unser Boot langsam um das schöne Schiff gleiten ließen, zeigten sich einige englische Gesichter an der Reeling.

Die Leute hatten rote Mützen auf und sahen ganz drollig aus.

Sie nickten uns zu und riefen einige Worte herab, wovon wir nur verstanden: „Good boys!“ 2

Wir erwiderten den Gruß und sagten „All right!“3 Das waren die einzigen englischen Worte, die wir wußten.

Die Engländer lachten und riefen nochmals: „Good boys!“ — „All right!“ antworteten wir wieder und setzten unsere Erkundigungsfahrt fort.

Nacheinander besuchten und besahen wir all die fremden Schiffe und erlebten mancherlei kleine Abenteuer.

Endlich kam das Schönste.

Wir nahten dem gewaltigen französischen Orlogsdampfer „La Pandore“. Hier blieben wir lange und betrachteten das Kriegsschiff mit großer Bewunderung.

Auch hier grüßten uns die Matrosen freundlich.

Wir sahen sogar lebhafte Knaben mit sonnenverbrannten Gesichtern und pechschwarzen Haaren. Sie schauten uns mit derselben Neugierde an wie wir sie.

Es waren kleine Kadetten, die, wie man sagte, später Offiziere in der französischen Marine werden sollten.

Wir nickten ihnen zu, sie antworteten uns auf französisch.

Leider verstanden wir kein Wort davon.

„Sollten wir ihnen nicht etwas zurufen?“ fragte mein kleiner Bruder.

„Ja, aber wir können ja kein Französisch.“

Manni wußte Rat:

„Du kannst doch wenigstens ‚Napoleon‘ rufen!“ sagte der kleine Schelm, „das werden sie schon verstehen!“

„Soll ich wirklich, Manni?“

„Ja, tu es nur. Ich bin neugierig, was sie antworten.“

Ich rief also laut: „Napoleon!“

Das machte ihnen gewaltige Freude.

Immer kamen mehr Matrosen und Knaben zum Vorschein.

Sie lehnten sich über die Reeling und schauten mit lachendem Gesicht auf uns zwei kleine Isländer herab.

Der von Gesundheit strahlende Manni, mit dem rotbackigen runden Kindergesicht, und der etwas blasse, größere Bruder, beide mit hellen, isländischen Haaren, das waren seltene Typen für die dunklen Franzosen.

„Manni“, sagte ich nun, „es ist gewiß das Beste, wir rudern fort; denn wir ziehen allzusehr die Aufmerksamkeit der Leute auf uns.“

„Ich glaube auch“, erwiderte er.

Wir winkten zum Abschied und wollten gerade an der schönen Fallreeptreppe vorbeifahren.

Da kam im selben Augenblick eine französische Dampfschaluppe vom Lande her und wollte ebendort anlegen, wo wir uns befanden.

Wir beeilten uns Platz zu machen und wollten fortrudern; aber auf einen Ruf vom Deck her langte ein Insasse der Schaluppe mit einem langen Haken zu uns herüber, faßte unser Boot und zog es an sich.

Manni und ich suchten uns freizumachen, und so entstand ein kleiner Kampf zur großen Erheiterung der Zuschauer oben.

Selbstverständlich zogen wir bald den kürzeren und wurden mit Gewalt von kräftigen Händen aus dem Boot gehoben und auf die unterste Stufe der Treppe gesetzt.

Hier ließ man uns eine Weile warten.

Als wir so dastanden und noch nicht recht wußten, wohin das alles führen sollte, sagte ich zu Manni:

„Jetzt haben uns die Franzosen geradezu gefangen genommen.“

„Das ist aber auch sonderbar“, antwortete er, „daß sie so mit Macht über uns herfallen, sie sehen doch sonst alle so munter und freundlich aus.“

„Ja, das tun sie, und ich glaube, sie wollen nur Spaß machen; jedenfalls brauchen wir keine Angst zu haben.“

Im selben Augenblick kam ein Offizier zu uns herab, nahm uns freundlich bei der Hand und führte uns nach oben.

Wir leisteten keinen Widerstand, denn wir merkten bald, daß man uns nichts antun wolle.

Auf Deck wurden wir mit größter Artigkeit empfangen.

Wir sahen überall nur freundliche Gesichter und reichten nach rechts und links allen die Hand.

Der Offizier führte uns nun einen langen Weg über das geräumige Deck, vorbei an den blankpolierten Kanonen und den strammen Schildwachen, die mit gezogenen, blinkenden Säbeln in der Hand auf und ab gingen.

Wir stiegen eine Treppe hinab und kamen vor eine Tür aus feinstem Mahagoniholz. Sie führte in einen prachtvollen kleinen Salon.

Alles war hier außerordentlich fein und sauber.

Der Offizier hieß uns an einem Tische, der in der Mitte stand, Platz nehmen, holte ein großes, schönes Bilderbuch aus dem Wandschrank und legte es vor uns hin.

Durch Zeichen gab er uns zu verstehen, daß wir es besehen sollten, und verließ dann das Zimmer.

Als wir allein waren, sagte ich zu Manni:

„Sonderbar! Es geht uns hier ja gerade so, wie wir in ‚Tausend und eine Nacht‘ oft gelesen haben.“

Manni antwortete:

„Ja, mir scheint, wir werden fast noch besser behandelt als die Prinzen in den Märchen von ‚Tausend und eine Nacht‘.“

„Das ist wahr, Manni. Aber was, meinst du, hat man mit uns vor?“

„Ich weiß es nicht“, sagte Manni, „vielleicht wollen sie uns mitnehmen nach Frankreich, wie die Türken einst manche Isländer mit nach Algier nahmen.“

Über diese Einfalt mußte ich herzlich lachen und sagte:

„Das wollen wir nicht hoffen! Du weißt doch, daß die Türken alle Isländer, die sie mitnahmen, zu Sklaven machten. Mir scheint, die Franzosen behandeln uns allzu gut, als daß sie im Sinne hätten, uns als Sklaven fortzuführen.“

„Das ist wahr, Nonni, als Sklave möchte ich auch nicht nach Frankreich kommen, aber sonst würde ich gern mal nach diesem Lande reisen.“

„Das wäre auch fein, Manni.“

Damals ahnten wir nicht, wie bald gerade dieser unser Wunsch in Erfüllung gehen sollte!

Wir machten uns daran, in dem Bilderbuch zu blättern.

Doch währte es nicht lange, da wurde die Tür geöffnet und ein Mann in schneeweißen Kleidern trat ein.

Das war der Konditor des Kriegsschiffes.

Er grüßte uns freundlich und stellte ein paar Teller mit Kuchen und anderen leckeren Sachen auf den Tisch; dann füllte er zwei kleine Gläser mit weißem Wein, lud uns mit einem Zeichen ein, zuzugreifen, und ging wieder.

„Die Franzosen sind doch liebenswürdige Leute“, sagte Manni.

„Ja, wahrhaftig“, fügte ich bei.

Wir fingen an zu speisen. Die Kuchen und der süße Wein erhöhten unsere heitere Stimmung noch bedeutend.

Eben waren wir fertig, als der Offizier hereinkam.

Wir gingen ihm gleich entgegen, reichten ihm die Hand und sagten nach der Sitte unseres Landes:

„Danke für die Mahlzeit!“

Er schien zu erraten, was diese Worte bedeuteten, drückte uns die Hand und führte uns hinaus.

Wir folgten ihm über das Deck und wanderten bis zum Vorderteil des Schiffes.

Hier wurden wir in einen hellen Raum geführt.

Ein Herr mit einem fotografischen Apparat wartete schon auf uns. Er brachte unsere Kleider etwas in Ordnung und gab uns eine passende Stellung.

Ich mußte mich auf einen Stuhl setzen, mein kleiner Bruder dagegen an meiner rechten Seite stehen und die Hand auf meine Schulter legen.

So wurden wir fotografiert, und der Herr dankte uns schmunzelnd und mit einer kleinen Verbeugung.

Darauf gingen wir wieder aufs Deck und trafen dort eine Menge kleiner Kadetten, die in ihrer französischen Lebhaftigkeit versuchten mit uns ein Gespräch anzuknüpfen.

Aber wir verstanden nicht ein einziges Wort von allem, was sie sagten. Und mit meinem Ausruf „Napoleon!“ konnte ich doch keine Unterhaltung anfangen.

Die flinken kleinen Franzosen begleiteten uns die Treppe hinab bis zu unserem Boot. Hier füllten sie unsere Taschen mit Keks und Rosinen.

Dann sagten wir einander herzlich Lebewohl.

Nonni und Manni - Zwei isländische Knaben

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