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Wurm

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Yalem (55), ein beleibter, fast glatzköpfiger Türke mit großen Zähnen, lehnt mehlbestäubt im Bäckeraufzug in seinem Backshop an einem Ofen, umgeben von Brot und Semmeln, roh und gebacken und rezitiert ein Gedicht mit amüsierter Stimme samt starkem Akzent. Ihm gegenüber steht ein Reporter am Fenster (dessen Identität völlig egal ist).

“Es ist so wie immer,

Ich spreche zu mir

Als gäb es kein Draußen ...”

(kichert verlegen)

“Als wär niemand hier.”

Yalem macht eine verlegene Geste zum Reporter hin. “Geht weiter ja. Aber ist lustic.” Der Reporter macht eine Geste, dass Yalem weiterlesen solle. Yalem nickt und hebt den Finger.

“Die Worte spendier ich

Um mich zu wärmen,

und Heißwasser gurgelt

Mir fein in den Därmen ...” Yalem kichert und schüttelt den Kopf zum Reporter hin. “Leute zahlen Geld dafür ja?”


In einem spärlich mit Gästen besetzten verrauchten Hinterzimmer des Literatur-Cafés Styx sitzt ein schlanker Mann, “Der Wurm” (30, groß, schlank, mit halblangen fettig-braunen Haaren, in Jeans und schwarzem Hemd) auf einem Tisch, im “Schneider-Sitz”, einige Blätter Papier in den Händen, und er redet; Es scheint, als rede er vor sich hin, weil die Gäste ihn nicht zu beachten scheinen. Immer wieder greift er sich ans glattrasierte Kinn.

“... und es ist das Gewicht, das wir auf der Welt haben, das uns am Boden hält.”

Die Gäste trinken Kaffee, Wein und Tee, rauchen, lauschen oder plaudern leise miteinander. Der Wurm scheint durch alle hindurchzublicken, nur ab und zu schaut er einzelne Personen direkt an, und diese sind entweder amüsiert oder unangenehm berührt.

Eine junge, exotisch aussehende Frau, Tarika (24), in Designer-Kleidern, sitzt allein an einem Ecktisch, schlürft heiße Schokolade, isst Kuchen, raucht und lauscht fasziniert; Sie nickt immer wieder zu den Ausführungen. Der Wurm bemerkt sie nicht und reden vor sich hin.

“Auch, wenn ihr so absolut nichts wert seid, wenn niemand einen Scheißdreck darauf gibt, zu wissen, was ihr denkt oder wie ihr euch fühlt ...”

Er schaut eine recht üppige Frau an, Anni (32), die neben ihrer dünnen Freundin Klara (38) sitzt und peinlich berührt schnell ihr Weinglas hebt und eifrig nippt.

“... so habt ihr doch Gewicht.”

Tarika beobachtet neugierig, wie der Wurm Anni unverfroren anlächelt.

“Sie haben so zirka 80 Kilo, würde ich sagen?”

Anni errötet, und Klara schaut sie auffordernd an. Der Wurm gestikuliert auffordernd. “Warum so verlegen? Wir alle haben Augen. Was denken Sie denn, was wir sehen, wenn wir Sie anschauen? Twiggy?”

Anni hält die Luft an vor Empörung, und Klara’s Gesicht verfinstert sich. Der Wurm wendet sich ans Publikum; Tarika sucht seinen Blick, aber er scheint “zwischen die Leute” zu reden oder zu den Wänden.

“Nehmen wir an, die Dame wäre eine Maus. Eine 80 Kilo schwere Maus. Und man würde ihren Körper aufschneiden, und Gewichte einbauen, so wie ...” (zuckt die Schulter) “... Apotheker sie haben. Oder wie jeder sie hatte, früher, der etwas wiegen wollte. Oder in der Schule, im Physikunterricht. Die runden, schwarzen mit dem abgegriffenen kleinen Knopf zum Angreifen.”

Das Publikum macht Geräusche, dass man sich erinnere; Tarika schaut sich neugierig um. (Sie weiß nicht, was gemeint ist.) Der Wurm ereifert sich.

“Also man würde so vier Kilo in sie einfügen.” Er schaut anzüglich auf Anni’s Busen. “Oder hat man schon?”

Die Leute lachen, und Anni steht erbost auf, nimmt ihr Glas und geht aus dem Hinterzimmer; Klara muss ihr wohl oder übel folgen. Tarika kichert und nippt an ihrer heißen Schokolade. Die Leute tuscheln. Der Wurm gibt sich ungerührt.

“Also man hat das bei Mäusen gemacht: Man hat ihnen Gewichte eingebaut. Und die Mäuse haben so lange an Eigengewicht verloren, bis sie das Zusatzgewicht ausgeglichen und wieder ihr “Idealgewicht” hatten.”

Die Leute tuscheln weiter; Tarika lauscht interessiert.

“Ohne aber weniger zu fressen.” Der Wurm seufzt, schaut ins helle Licht über ihm und redet einfach weiter.

“Und später nahm man ihnen die Gewichte wieder heraus, und sie nahmen sofort an Gewicht zu, bis sie ihr Idealgewicht wieder hatten. Ohne mehr zu fressen.” Er kichert leise in sich hinein. “Was sagt uns das ...” (zwinkert) “... über Diäten und Fettabsaugung?”

Er schaut in den Raum, begegnet Tarika’s Blick flüchtig.

“Dass wir irgendwann ein fertiges Gewicht haben, weil wir dann so sind, wie der Teil der Erde, auf dem wir uns befinden, uns haben will. Wir sind so schwer, wie wir sein müssen, um mitzuhelfen, die Isostatik des Planeten zu bilden.”

Er schaut sich wieder um und mustert einige Leute konkret; Die meisten plaudern miteinander. Tarika ignoriert er.

“Natürlich alles basierend auf einem Leben, das von einem halbwegs intelligenten Geist geleitet wird. Der nichts krankhaft übertreibt. Der aufmerksam ist, wenn es angebracht ist. Der alles Tun so steuert, dass es fair, nutzvoll und gut ist.” Er kichert leise, als finde er seine eigenen Gedanken lachhaft, breitet die Arme aus und schließt die Augen.

“Wir haben Gewicht. Immer. Auch wenn wir glauben, wir wären ... Luft.” Er hält sein Gesicht in den Lampenschein, als hielte sei es die Sonne.


In der türkischen Backstube rezitiert Yalem weiter ...

“Dann höre ich Klänge ...”

“... die “wundervoll” sagen,

Und diese Schimäre

Ist kaum zu ertragen.”


Im Literatur-Café Styx berührt eine schlanke blasse Hand den Arm des Wurms, und er zuckt zusammen. Tarika steht vor ihm und lächelt ihn an, sagt “Wundervoll”.

Der Wurm zuckt zusammen, und ein “Wirklich?” entringt sich ihm. Tarika lächelt nur. Gäste lachen.


Yalem liest weiter vom Papier, oft im Sprechen stolpernd, mit starkem Akzent, während er sich an einem Backofen zu schaffen macht. Der Reporter steht reglos am Fenster.

“Die Brust fürchtet Häme,

Doch strahlt es ganz warm:

Ein teuflisches Wesen

berührt meinen Arm.”

Er schaut zum Reporter hin, zuckt die Schultern und grinst etwas verlegen. “Nix Sprache meine: Aber lustic.” Er liest weiter.

“Wundervoll” klingt es

erneut mir im Ohr.

Da ringt sich verlegen

ein “Wirklich?” hervor.” Yalem legt das Papier ab und öffnet einen Backofen. “Auch nicht normale Situation diese.” Er macht eine entschuldigende Situation zum Reporter hin, dass er jetzt arbeiten müsse. “Diese Mann, oft kommt, kaufen Brot. Nett freundlich immer.”


Durch einen ausgedehnten, gepflegten Garten mit vielen Blumenbeeten und Obstbäumen schlendert eine schlanke elegant in ein Kostüm gekleidete dunkelhaarige Frau, Nora (38) und spricht in einer Interview-Situation mit dem Reporter (dessen Identität völlig egal ist), Nora schwingt eine Gartenschere beim Sprechen. Sie geht barfuß und trägt eine Gärtnerschürze über ihrem eleganten Kostüm.

“Nein, verheiratet war er nie. Das wüsste ich. Auch keine richtigen Freundinnen.” (zuckt die Schultern) “Ich hab’ oft gedacht, dass er wahrscheinlich schwul ist ...” (verschwörerisch) “Heimlich, wissen Sie. Dass es ihn irgendwie ...” Sie macht die Geste des “Verrücktseins” an ihrer Schläfe. “... belastet hat. Wenn Sie wissen, was ich meine.”

Sie schnippt eine trockene Blume mit der Gartenschere ab.


In einer engen Toilettenkabine zieht sich der Wurm um und tauscht dabei seine abgetragene Männerkleidung gegen bunte, fließende Frauenkleidung und setzt sich einen Frauenhut auf.

Im Waschraum, wo er zunächst allein ist, legt er Lippenstift auf. Ein Mann, Georg (52) kommt herein und schaut den Wurm kopfschüttelnd erstaunt an.

“Und was wird’s, wenn’s fertig ist?”

Er dreht sich zum Pinkeln fort, zum Pissoir. Der Wurm schaut anzüglich auf Georg’s bestes Stück. “Und das?”

Georg ringt entrüstet nach Worten, während der Wurm seinen Rucksack schultert und die Toilette verlässt; Georg murmelt “Perverser” hinter ihm her.


Im weitläufigen, traditionell Wiener Restaurant Bruckner spricht die kleine beleibte, blonde Wirtin Lisa (66) in einer Interview-Situation mit dem völlig unwichtigen Reporter, hinter einer Theke Gläser polierend.

“So richtig im Kopf ist er mir nicht vorgekommen. Einmal hat er gesagt, er wird schreibend sterben. Oder war es “speibend”? (schüttelt sich) “Da fragt man sich doch ... oder?”


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