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Meskal
Оглавление(Es ist zehn Jahre später. Spätherbst in Wien, Österreich.
Der “Wurm” ist nun etwa 40 Jahre alt, aber bis auf ein stärker furchiges Gesicht sieht er immer noch gleich aus und ist schlank, trägt alte Jeans, Stiefel, Strickhaube über kinnlangem Haar, schwarzes Hemd und einen dicken, langen Mantel, schultert einen Rucksack. Nun nennt er sich “Meskal”.)
Meskal marschiert hastig den Uferweg am Donaukanal entlang, seine Arme verschränkt, den dicken Mantel eng um sich ziehend; Er murmelt vor sich hin, während er dahin eilt.
“Wozu Enkelkinder, ha? Damit du ihnen vorjammern kannst Ach, da kenne ich mich doch nicht aus, Ach, das ist doch viel zu modern für mich? Aber trotzdem sollen sie dich für weise halten und alles tun, was du sagst, in dieser Zeit, die ja viel zu modern ist für dich? Obwohl du sie geschaffen hast?”
Er schnaubt laut und schaut sich erbost um, als suche er ein Publikum für seinen Ausbruch.
Ein Radfahrer radelt knapp an ihm vorbei. Meskal schreit ihm nach.
“Alte Leute benehmen sich wie Idioten! Warum? Weil’s einfacher so ist? Und warum fährst du mich nicht gleich über den Haufen, Arschloch? Hast du zu wenig Platz auf der Welt? Willst du meinen auch noch!? Komm her und hol ihn dir, du ignoranter Trottel!”
Der Radfahrer ignoriert ihn, und er eilt weiter, sein Gesicht angespannt und nachdenklich.
(Vor zehn Jahren, im Restaurant Bruckner ...)
Der Wurm sitzt in Frauenkleidung an einem Tisch, trinkt Kaffee, schreibt eilig und raucht. Wirtin Lisa poliert Gläser hinter der Theke und schaut missmutig herüber.
Eine zierliche blonde Frau, Clementa (25) kommt ins Lokal, schaut sich um. Sie sieht den Wurm, und gerade als er sich zu ihr umdreht, sie erkennt und winken will, wendet sie sich ab und geht kopfschüttelnd wieder hinaus. (Seine Frauenaufmachung gefällt ihr nicht.)
Meskal raucht und schreibt ungerührt weiter. Im Hintergrund poliert Lisa heftiger Gläser, seufzt genervt.
(Zehn Jahre später ...)
In einem Büro sitzt eine schüchtern wirkende dicke Frau, Silla (34) hinter ihrem Schreibtisch und spricht in einer Interview-Situation mit dem Reporter, der niemanden interessiert.
“Es ist ein Klischee, dass Kaffeehaus-Literaten auch in Kaffeehäusern schreiben müssen. Manche finden dort Inspiration, angeblich. Aber es geht ja auch ums Thema, denke ich.” (nachdenklich) “Der Wurm ... oder später jetzt nennt er sich ja Meskal, hat einfach das Gefühl gebraucht, dass er ...” (schaut bewusst sinnend) “... als Künstler existiert. Er hat sich aufgeladen! Wenn er sich einmal gezeigt hat. Gedopt mit Existenz, wie er es genannt hat. Dann ist er wieder verschwunden. Oft für lange Zeit.”
Sie wendet sich dem Computer-Bildschirm zu, als würde sie dort jemanden sehen. Dann dreht sie sich plötzlich zum Reporter.
“Ich war wie eine Schwester für ihn. Seine richtige Schwester ist ja ausgewandert ... Sie wissen? Ja. Schon früh. Kaum aus der Schule. Seine Mutter, die Paula, wollte dann immer, dass er das Geschäft mit ihr führt.” (schnaubt) “Also, wie sie auf diese Idee gekommen ist!”
Wirtin Lisa lehnt sich über die Theke, zum Reporter hin und schüttelt wieder nachdenklich den Kopf.
“Niemand hat es lange in seiner Nähe ausgehalten. Oder war es umgekehrt? Außer das Fräulein Clementa, aber sie war nicht seine richtige Freundin, glaub’ ich. Eher so eine gute Freundin, die immer versucht hat, ihn zur Vernunft zu bringen. Gefragt hab’ ich ja nie. Werd’ mich doch nicht einmischen! Solange er ein zahlender Gast war, ist’s mich auch nichts angegangen. Man kann jemanden ja nicht Lokalverbot geben, nur weil er sich ... verkleidet. Obwohl es schon oft sehr unangenehm war.”
Im Stadtpark sitzt ein dicker Mann, Benno (42) auf einer Bank und spricht zum namenlosen Reporter, der in der Nähe steht. Benno pafft eine Pfeife.
“Ja, er hat sich schon als Bub öfter verkleidet. Wahrscheinlich, um seine Mutter zu ärgern. Wir haben ihn deswegen manchmal verdroschen in der Schule. Ich meine, so war das halt. Er hat’s nicht anders haben wollen. Dafür hat er dann Gedichte geschrieben über uns, und ...” (lacht) “... er hat Geheimnisse ausgeplaudert. Ja. Das hat er. Weiß der Teufel woher er soviel über uns gewusst hat. Dass wir Automaten aufgebrochen haben und in der Kirche onaniert. Er war ja nie dabei! Aber er hat’s gewusst!” (schnaubt) “Da haben wir ihn halt verdroschen.”
Er schaut in den Park hinein, weist zu einer Baumgruppe.
“Eh dort drüben. Er war so arrogant, irgendwie. Schon als Kind. Und als er dann angefangen hat, sich der Wurm zu nennen, war das auch großkotzig, irgendwie.”
Er schaut direkt zum Reporter hin. “Sie kennen ihn ja nicht, oder?”
Der Reporter schüttelt den Kopf. Benno nickt, versonnen. “Aber wissen Sie, was ich meine? Sich so klein machen ... und sich gerade deshalb irgendwie aufwerten, weil man ja ach-so-obergescheit ist!”
Er beugt sich vor und raucht weiter. “Einmal hat er’s mir erklärt. Lassen Sie mich nachdenken. Ist nicht so einfach ...” (kichert) “... bin ja schließlich kein Poet!” (seufzt) “Er war immer gut in der Schule, das schon ... (hebt den Zeigefinger) “Ha! Jetzt weiß ich’s wieder: So “grauslich wie ein Wurm”, hat er gesagt, nein ... so “unheimlich”, so “stolz” wie ein Wurm ...”
In einem Literatur-Café trägt Meskal (40) einen Text einem spärlichen Publikum vor; Sozialarbeiter Martl (26, rotwangig, blond, in Jeans und Sakko) sitzt im Hintergrund vor einem Bier und lauscht andächtig. Meskal schaukelt auf einem Stuhl, bitter grinsend.
“... so heimlich”, so “einsam”, “im Dunkeln”, “verachtet”, “kriechend”, so, wie ihr es euch gefällt ...” (hebt den Zeigefinger) “... aber nicht “kriecherisch” ...
Benno schnaubt zum Reporter hin.
“Kriecherisch hat er gesagt, will er sein und schleimig” ...
Im Literatur-Café fährt Meskal fort.
“... niemals schleimig, denn das sind Würmer nicht, wir sind keine Schleimer, aber “eindringlich” ...
Benno: “... aufdringlich ...”
Meskal: “... nützlich ...”
Benno: “... überall im Weg und zerstörerisch.”
Meskal macht Gesten des “Walzens”: “... so walzenförmig, dass man nirgends aneckt.” (lacht) “Aber die Ecken rennen einem nach, und sie sind scharf und tun absichtlich weh.”
Benno: “Für unzerstörbar hat er sich gehalten, ts, ts.” Er macht die Geste des “Einen-Vogel-Habens” vielsagend zum Reporter hin.
In Clementas kleiner Wohnung sitzt der Reporter seiner Gastgeberin am Fenster gegenüber, denn Clementa schaut gerne bei Reden hinaus.
“... so verletzlich ist ein Wurm, so diskret, und vielleicht deshalb so regenerativ. Weil er sich unbemerkt zurückziehen und heilen kann. Vielleicht ist er dadurch sicherer als alle anderen, die sich ins Licht stellen. Auf Facebook, Twitter. Oder einfach nur im Freundeskreis. Meistens Leute, die etwas zum Tratschen brauchen. Aber wenn’s drauf ankommt ...” (schnippt mit den Finger) “... sorry, keine Zeit! Und Interesse? Sowieso nur am Tratschen.”
Benno lehnt sich mit verschränken Armen auf der Parkbank zurück.
“Ich hab’ immer gedacht, er wird sich zu Tode saufen. Das tun diese Schreiberlinge doch alle. Und was da rauskommt, diese Weisheit, ist doch immer nur Suff-Wahn.”