Читать книгу Robert und das Amulett - Jo Hartwig - Страница 5
ОглавлениеStolpersteine
Kaum ist Robert eingeschlafen, ist es da.
„Ich werde dir helfen“, sagt das Amulett. „Du musst dir überlegen, was du eigentlich erreichen willst. Setze mehrere Tiere ein, die sollen dich mit Informationen versorgen, und du kommst nicht in Gefahr, selbst entdeckt zu werden. Mit ‚remember’ kannst du jeden Menschen ansprechen. Er wird dir alles sagen und beantworten, was du wissen willst, und sich danach an nichts mehr erinnern können. Aber das kennst du ja schon. Achte nur darauf, dass kein Unbeteiligter zuhören kann.“
Eine Weile schwebt das Amulett noch ruhig vor Robert und fährt dann fort: „Eine kleine zusätzliche Fähigkeit gebe ich dir noch mit. Damit kannst du einige Verwirrung verursachen. Schaue Menschen direkt an und sage leise das Wort ‚stone’, und sie werden sofort stolpern, obwohl ihnen nichts im Weg liegt. Richtig eingesetzt, kann das im Notfall eine wertvolle Hilfe sein! Du kannst das ja üben und etwas Schabernack machen.“
Langsam verblasst das Amulett und verschwindet. Früher als sonst wacht Robert auf und ist voller Tatendrang. Klar, dass er gleich ausprobieren will, was das Amulett ihm gesagt hat. Egal, an wem. Aber vorher muss er noch die lästigen Fragen seiner Mutter über sich ergehen lassen. Natürlich will sie wissen, was ihn so früh aus den Federn zieht. Aber gut, sofort nach dem Frühstück fährt er runter auf die Straße, geht in die Fußgängerzone und wartet, wer ihm wohl aus seiner Runde als erstes über den Weg läuft. Er drückt sich etwas herum, und da sieht er auch schon Chris elegant mit seinen Inlineskates anrollen. Er hat Robert noch nicht gesehen, also guckt der in seine Richtung und sagt leise „stone“.
Es ist verblüffend! Kaum gesagt, macht Chris fast einen Sprung und fällt hin. Einfach so am glatten Asphalt, es war kein Hindernis im Weg! Er liegt da, so platt wie eine Flunder! Verdutzt schaut Chris sich um, putzt sich den Staub von der Hose und sieht dann seinen Freund, der lächelnd auf ihn zukommt. Chris ist etwas füllig, sein Gesicht ist meist rosig. Misstrauisch schaut er durch seine fast geschlossenen Augen Robert entgegen.
„Na, es ist doch nicht so einfach, mit diesen Rollen zu laufen, was?“, grinst Robert.
„Da war doch was im Weg, ich konnte es spüren“, antwortet Chris verärgert. „Du brauchst gar nicht so hämisch zu lachen! Das kann doch jedem passieren.“ Damit dreht er ab und läuft in eine andere Richtung weg.
„Na, achte nur darauf, dass dir das nicht wieder passiert“, ruft ihm Robert nach. Er schaut ihm hinterher und sagt wieder „stone“.
Diesmal fällt Chris nicht. Er stolpert heftig, kann sich aber gerade noch, mit beiden Armen rudernd, fangen. Als er sich umdreht, sieht er wieder Robert, der ihm kopfschüttelnd nachschaut. Verärgert streicht Chris sich seine dunklen Haare aus der Stirn, flüstert: „Verdammt, wie hast du das gemacht?“, ist aber doch irritiert, weil er sieht, dass Robert zu weit weg ist. Als Chris verschwunden ist, will Robert es nochmals testen. Leise vor sich hin pfeifend kommt ein Junge mit buntem Radrennfahreroutfit, der ein neues schönes Rennrad bewegt. Anscheinend hat er es erst bekommen, denn andauernd schaut er es sich wieder an und streicht mit den Händen über den glatten, hellgrün lackierten Rahmen. In der Fußgängerzone steht er nur mit einem Fuß im Pedal und stößt sich mit dem anderen ab. So rollt er kontrolliert dahin.
„Stone“, sagt Robert leise, und der Junge kann sich nur mit Mühe an seinem Rad festklammern, fast wäre er auf die andere Seite gekippt. Er springt ab und bringt sein Rad zum Stehen. Verblüfft schaut er zurück und findet keine Erklärung für diesen Vorfall. Robert ahnt, dass er mit diesem „stone“ eine Waffe bekommen hat, die er unerkannt einsetzen kann, ohne jemanden zu verletzen. Verlockend!
Ein sehr schönes Erlebnis mit seinem Zauberwort hat Robert noch. Das Einkaufszentrum liegt neben einer dicht befahrenen Straße, ein Höllenlärm wird durch den dicht fließenden Verkehr verursacht. Es ist ein prachtvoller Sommertag, Sonnenstrahlen fluten durch die Baumkronen und malen lebendige Schatten auf das Pflaster des kleinen Platzes in der Fußgängerzone. Eine junge Mutter kommt mit vollen Tüten aus dem Supermarkt. Sie stellt den Kinderwagen mit ihrem Kind an einer großen, etwa einen Meter durchmessenden Betonschale mit kräftig duftenden Petunien ab, blockiert die Räder und stellt auch ihre Tüten hin. Dann dreht sie sich plötzlich um und läuft schnell in den Supermarkt zurück. Anscheinend hat sie etwas vergessen. Plötzlich krabbelt ihr kleines Kind, es ist vielleicht zwei Jahre alt, aus dem Kinderwagen und läuft fröhlich krächzend weg, in Richtung Straße. Die Mutter kommt gerade mit einer weiteren Tüte aus dem Supermarkt und sieht das. Sie ist erst starr vor Schreck, dann ruft sie laut: „Thomas, Thomas, bleib stehen“, doch der Kleine denkt gar nicht daran und läuft weiter auf die Straße zu. Es ist ein hübscher kleiner blonder Junge. Niemand ist in unmittelbarer Nähe, der ihn hätte aufhalten können. Andauernd fahren Stadtbusse und Pkws vorbei, kein Mensch denkt daran, hier die Straße zu betreten. Der Fußgängerüberweg ist ungefähr zwanzig Meter weiter vorne, und es herrscht momentan starker Berufsverkehr. Die Mutter lässt jetzt achtlos ihre Einkaufstüte fallen und läuft, laut rufend, ihrem Kind hinterher. Der Junge glaubt sicherlich, dass sie mit ihm Fangen spielen will, und wird nur noch schneller. Robert sieht das gerade rechtzeitig, als der Zwerg nur noch drei Meter von der Straße entfernt ist.
Schnell sagt er leise „stone“, und der kleine Junge fällt hin. Verdutzt schaut er sich erst um und beginnt dann zu weinen. Er hat sich nicht weh getan, er ist nur erschrocken. Seine Mutter ist sofort bei ihm, umarmt ihn überglücklich, streicht zart über seinen Kopf und bringt ihn wieder zum Kinderwagen. Mit einem Tuch wischt sie ihm sachte das Gesicht sauber und redet zärtlich auf ihn ein. Niemand hat bemerkt, dass Robert den Jungen gestoppt hat.
Das ist eine Erfahrung, die ihm völlig neue Erkenntnisse bringt. Es ist unglaublich, was das für ein gutes Gefühl ist, das er jetzt hat! Der kleine Junge wäre bestimmt von einem Auto erwischt worden, die Mutter hätte ihn nicht rechtzeitig erreichen können. Robert fühlt sich als Schutzengel, und das war er in diesem Fall auch wirklich. Zufrieden geht er wieder zum Hochhaus zurück, um weiter zu beobachten. Von den Leuten im siebten Stock hat er den ganzen Tag niemanden gesehen. Immer mehr rückt die Schule in den Hintergrund, Robert findet einfach kaum Zeit zu lernen.
Die Ereignisse und seine neu erlangten Fähigkeiten sind so spannend, dass für andere Gedanken kein Platz mehr ist. Kaum ist Robert eingeschlafen, erscheint ihm wieder ein helles, warmes Licht. Langsam erblickt er darin das Amulett.
„Robert, ich habe mit Freude gesehen, wie du den kleinen Jungen gerettet hast. Du wirst mit meiner Unterstützung lernen, deine Fähigkeiten verstärkt so einzusetzen, dass Gutes daraus entsteht.“ Nach einer kleinen Pause redet es mit angenehmer Stimme weiter: „Dadurch, dass du mich immer in dem kleinen Beutel um den Hals trägst, wirst du mit zusätzlicher Energie versorgt werden.“
Robert erwacht ganz benommen. Er fühlt sich zwar frisch und ausgeschlafen, aber das Amulett macht ihm Gedanken. Erst einmal freut er sich riesig über das Lob, das er so unverhofft bekommen hat und dann ist das Amulett einfach so erschienen, ohne das er irgendeinen neuen Plan gehabt hätte.
Eine neue Erkenntnis: das Amulett kommt auch dann zu ihm, wenn er eine gute Tat verübt hat. Aber was bedeutet die Aussage, dass er mit Energie versorg werden wird? Heißt das vielleicht, dass er nicht so schnell müde wird? Gut, er hat sich natürlich schon überlegt, wie er all seine Aufgaben bewältigen kann. Auf der einen Seite die Schule, auf der anderen Seite sein neuer Einsatz gegen Verbrechen. Es wird bestimmt nicht so zu verstehen sein, dass er jetzt einen Schub Energie bekommt und keine Ahnung hat, wohin damit. Irgendwie wird sich die Ankündigung des Amuletts schon bemerkbar machen, Robert hat nur noch keine Vorstellung wie. Jedenfalls wird er sich jetzt aufmerksam beobachten.
Robert läuft gleich nach der Schule mit Elan in den Keller und reibt sein Amulett zwischen den Fingern. Prompt erscheinen seine beiden Freunde, die Ratten. Er will auskundschaften, wohin die beiden Perser mit ihrem Jaguar fahren, und fragt Alban und Arix um Rat.
Beide Tiere raten ihm, dass wohl Tauben am unauffälligsten in der Stadt das grüne Auto verfolgen könnten. Er soll doch in diesem Fall nur nach Dulgur rufen. Einfach nur rufen, und sie wird kommen. Die Grünanlage hinter dem Haus ist eine wunderschöne Parkanlage mit dichten Büschen und vielen Bäumen. Verteilt stehen hier auch einige Sitzbänke im Schatten. In einem kleinen Teich schnattern viele Stockenten. Zwei der Bänke sind besetzt, die Leute dort füttern die Vögel mit Körnern. Robert geht tiefer hinein bis zum mit Büschen und zahlreichen Nadel – und Laubbäumen umrandeten Grillplatz, der zum Hochhaus gehört.
Er setzt sich auf eine fest montierte Bank aus dicken Holzbalken und ruft unbemerkt nach Dulgur. In wenigen Sekunden kommt sie angeflogen. Es ist eine wunderschöne kleine, schlanke Turteltaube, die sich sofort ganz zutraulich auf seine Schulter setzt. Am Rücken hat sie rostbraune Federn, die zur Seite hin blaugrau werden. Am Hals und an der Brust sind die zarten Federn rötlich gefärbt.
„Ich habe schon von dir gehört“, gurrt sie freundlich. „Meine Freundinnen und ich helfen dir gerne. Du musst mir nur genau sagen, was du willst.“ Robert erzählt ihr von seinen bisherigen Erfahrungen mit den Leuten vom siebten Stock und dass er Hilfe braucht. Er will wissen, wohin die beiden Perser mit dem grünen Jaguar fahren. Wohin sie die Mädchen bringen. „Das ist alles kein Problem. Wenn die beiden wieder kommen, ruf mich, und ich werde sie mit meinen Freundinnen nicht aus den Augen lassen“, antwortet sie ihm und schwingt sich wieder in die Luft. Erwartungsvoll lauert Robert auf das Erscheinen der Perser. Eine Stunde später ist es so weit, der grüne Jaguar ist nicht zu übersehen. Die beiden steigen rasch aus und fahren in den siebten Stock. Robert verständigt sofort Dulgur. Wie zuvor landet sie auf seiner Schulter und gurrt zustimmend, als er ihr den grünen Wagen zeigt. Sie setzt sich auf ein Hausdach und wartet.
Inzwischen zieht ein Gewitter auf, ohne das es merklich kühler wird. Grelle Blitze zucken durch die Luft und lauter Donner erschüttert die Trommelfelle. Sicher hat der Blitz irgendwo eingeschlagen, denn kurz darauf hört man schon die Sirenen der Feuerwehr. Heftige Windstöße toben um das Hochhaus, starker Regen setzt ein.
Dulgur ist verschwunden, irgendwo hat sie sicher Schutz gesucht. Kaum hat der Regen nachgelassen, kommen die beiden Perser aus dem Hochhaus. Zwei der Mädchen haben sie dabei. Höflich öffnen sie die hinteren Türen und lassen die Mädchen einsteigen, danach fahren sie sofort weg. Robert sieht erfreut, wie Dulgur, die plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht ist, sich in die Lüfte schwingt und dem Wagen mühelos folgt. Es beruhigt ihn, dass sie trotz des Gewitters wachsam war.
Robert fährt mit dem Fahrstuhl in die siebte Etage und versucht, irgendein Geräusch aus der Wohnung zu hören. Bis auf den Flur heraus kann er laute Männerstimmen hören und dazwischen ängstliches Weinen von Frauen. Einige Male poltert es stark in der Nähe der Tür, dann wird sie abrupt aufgerissen. Im allerletzten Moment kann Robert ungesehen ins Treppenhaus entwischen. Nicht Alexander kommt heraus, sondern der schmale Igor, mit der dünnen, langen Nase. Er zieht eine der beiden Frauen, die noch in der Wohnung sind, mit sich. Er zischt ihr irgendetwas ins Ohr, während sie auf den Fahrstuhl warten. Die Frau wird ruhiger. Robert hetzt im Treppenhaus bis zum Erdgeschoss hinunter und wartet. An der Anzeigenleiste sieht er die einzelnen Stockwerke aufleuchten, der Fahrstuhl kommt, bleibt aber nicht stehen, sondern fährt weiter in den Keller. Durch das Treppenhaus läuft Robert ebenfalls runter. Er schleicht sich bis zum Kellerabteil, das zu dieser Wohnung gehört. Hinter der verrammelten Tür hört er nur die leise Stimme des Mannes. Nach einigen Minuten kommt dieser alleine heraus, verschließt das Vorhängeschloss und verschwindet nach oben.
Das Mädchen bleibt offensichtlich eingeschlossen im Keller zurück. Robert lauscht an der Kellertür, kann aber nichts hören, das Mädchen hinter der Tür macht wirklich absolut keinen Mucks. Er versucht, seine beiden Ratten zu finden. Sie sind nicht da. Robert ist ganz konfus, irgendetwas muss geschehen! Er rennt durch die Kellerflure und ruft mehrmals leise nach den beiden Ratten. Nichts, keine Spur von ihnen zu sehen. Endlich bleibt er stehen und schlägt sich heftig an die Stirn, das Amulett, er muss es doch reiben! Robert registriert erleichtert, dass sofort Alban vor ihm steht.
„Eines der Mädchen ist in dem Keller eingesperrt, sie wurde von diesem Igor heruntergebracht und hat geweint. Kannst du bitte einmal nachschauen, was mit ihr geschehen ist?“, bittet er Alban ganz aufgelöst. Der verschwindet sofort. Nach kurzer Zeit ist er wieder da und berichtet. Das Mädchen liegt auf der Liege und schläft ganz tief und fest. Sie rührt sich überhaupt nicht. Im Regal steht eine Flasche Apfelsaft und ein Stück Brot liegt daneben. Alban wirkt ziemlich erschrocken „Mit dem linken Fuß ist sie außerdem mit einer dünnen Kette ans Bett gefesselt.“
„Lieber Alban, beim nächsten Besuch bringe ich dir etwas Speck mit“, bedankt sich Robert und läuft nach oben. Vielleicht ist Dulgur schon zurück. So setzt er sich auf eine Bank im Park und wartet. Vom Gewitter ist das Gras noch nass und von den Blättern fallen noch vereinzelt große Tropfen. In der Ferne ist noch Donnergrollen zu hören. Etwas später kommt Dulgur angeflogen.
„Auf dem halben Weg nach Frankfurt haben sich die Perser auf einem Parkplatz mit einem dunklen Mercedes getroffen. Es ist aber keiner ausgestiegen, so dass ich nicht sehen konnte, wer da drin war. Die beiden Iraner haben die Mädchen ganz einfach abgegeben und sind wieder zurückgefahren. Wir haben sie weiter beobachtet, sie wohnen im Hilton Mainz.“ Nun weiß Robert eindeutig, dass sich da eine Bande von Menschenhändlern eingenistet hat. Was tun? Wenn er ein oder mehrere Mädchen befreit, was bringt das schon. Wo sollen sie auch hin. Gehen sie zur Polizei, werden sie ausgewiesen und haben wieder ihre alten Nöte. Besser ist doch, wenn er sich mit dem BKA in Verbindung setzt und denen Informationen liefert, so dass die Profis die Zentrale dieser Bande ausheben können. Egal, wo sie auch ist. Aber zuerst will er mal erreichen, dass es den Mädchen, die hier im Hochhaus sind, besser geht, dass sie, solange sie hier sind, besser behandelt werden. Doch es geht hier wirklich Schlag auf Schlag.
Am Nachmittag kommen die zwei Perser mit ihrem Jaguar schon wieder und holen sich die Mädchen ab. Eine geht von selbst und die andere, scheinbar ist es die junge Frau aus dem Keller, wird von Igor und Alexander in die Mitte genommen und unsanft geschoben Sie steigen ein und weg sind sie. Als Alexander und Igor zurückgehen, juckt es Robert, sein Können zu testen, und er sagt ganz leise „stone“. Beide stolpern. Alexander fängt sich fluchend, aber Igor fällt unsanft auf die Steinplatten des Eingangsbereichs. Er putzt sich den Staub von den Jeans und beide schauen sich verdutzt um. Dann verschwinden sie so schnell es geht im Fahrstuhl. Nur nicht noch mehr Aufmerksamkeit erwecken.
Es verspricht heute ein schöner Tag zu werden. Die Sonne strahlt schon am frühen Morgen von einem wolkenlosen blauen Himmel. Es ist angenehm warm. Die zahlreichen Amseln machen einen Höllenlärm mit ihrem Gezwitscher. Immerhin, so ein Vogel kann bis zu einhundert verschiedene Melodien, wenn er gut gelaunt ist. Zarter Blumenduft erfüllt die Luft, mit einem Wort, es ist Sommer. Die Menschen laufen leicht bekleidet herum, es wird sicherlich gegen Mittag wieder sehr heiß werden, denkt Robert. Die beiden Männer aus dem siebten Stock kommen mit dem Fahrstuhl herunter und steigen in ihren Lieferwagen, mit dem sie auch gleich losfahren.
Das geht hier wirklich zu, wie in einem Vogelhaus. Robert ist gespannt, was da noch geschieht. Nach ungefähr drei Stunden kommt der blaue Fiat zurück, und aus dem Inneren steigen wieder drei junge Frauen aus. Auffallend ist, dass alle drei für diese Jahreszeit viel zu warm gekleidet sind. Igor und Alexander schleppen große Koffer, alle fünf verschwinden im Fahrstuhl. Also kommt schon wieder Nachschub.
Robert ist geschockt, so kann das doch nicht immer weitergehen. Keiner sieht etwas, keiner sagt etwas, keiner tut etwas! Anscheinend weiß auch keiner was. Heute wird sich da bestimmt nicht mehr so viel tun, überlegt Robert und fährt in den elften Stock hoch. Irgendwie ist er schon erstaunt, dass er nicht müde wird. Immerhin sind jetzt einige Stunden vergangen, während er nur gewartet und beobachtet hat. Doch er fühlt sich richtig frisch und ist voller Arbeitseifer. Hängt das etwa schon mit der Energie zusammen, die das Amulett erwähnt hat? Na ja, er wird weiter darauf achten, ob das auch so bleiben wird. Jetzt geht er erst einmal an seine Hausaufgaben ran und wundert sich schon wieder, dass ihm alles, was er anpackt, so leicht fällt. Bezogen auf den Lehrstoff macht es ihm richtig Spaß, ein Thema nach dem anderen abzuarbeiten.
Am nächsten Morgen sieht er von seinem Fenster aus Igor aus dem Haus kommen und ins Einkaufszentrum gehen. Sofort fährt Robert runter und geht ihm nach. Wie üblich ist der Lebensmittelladen zu dieser Zeit ziemlich voll. Robert sieht, dass Igor fleißig am Einkaufen ist. Er schiebt seinen Einkaufswagen von Regal zu Regal und hat ihn schon fast zur Hälfte gefüllt.
Als er eben zwei Flaschen Milch aus dem Regal holt, sagt Robert leise „stone“, und schon stolpert Igor, wobei ihm eine Flasche aus der Hand rutscht und mit lautem Krach am Boden zerschellt. Die Milch spritzt durch die Gegend und natürlich auch auf seine Schuhe und auf seine Hose. Er steht inmitten einer Pfütze. Sensationslüstern drehen sich einige Menschen in unmittelbarer Nähe um und schauen neugierig. Igor wollte doch möglichst unauffällig sein! Damit ist es jetzt vorbei. Sofort kommt ein Lehrmädchen mit Eimer und Lappen bewaffnet und reinigt, leise vor sich hin schimpfend, den Boden. Igor entschuldigt sich kleinlaut und geht schnell zur Kasse. Als er endlich bezahlt hat, packt er hastig alles in zwei Tüten und geht zur Tür.
Wieder sagt Robert „stone“. Diesmal fällt Igor beim Stolpern eine Tragetüte aus der Hand und zwei Milchflaschen zerbrechen. Der Auflauf ist diesmal natürlich viel größer, zumal demselben Mann das Gleiche schon einmal passiert ist. Jetzt kommt auch der Geschäftsführer herbeigeeilt, schnauzt ihn ärgerlich an und fragt ernsthaft, ob er vielleicht zu viel getrunken habe. Igor ist total verwirrt, fahrig wischt er sich mit der Hand über den Kopf und verzieht dabei hilflos sein schmales Gesicht. Wieder entschuldigt er sich hastig, verstaut hektisch den Rest der Waren in einer neuen Tüte und läuft befreit weg. Es ist deutlich zu sehen, dass er sich am liebsten verstecken möchte, nur weg von den vielen neugierigen Menschen.
Robert registriert natürlich, dass dies alles im Grunde nur Spielerei ist, mit der er noch lange keine Chance hat, das Problem zu lösen. Okay, er kann diese Typen zwar verunsichern, doch an der Situation ändert das alles nichts. Am nächsten Morgen kommen die beiden mit den drei Frauen aus dem Haus und gehen zu dem roten Mercedes. Rasch ruft Robert nach Dulgur und bittet sie zu beobachten, wohin sie fahren. Gegen Mittag kommen alle fünf wieder zurück, mit einigen Paketen beladen, und verschwinden im Fahrstuhl. Dulgur erzählt Robert, dass sie alle zusammen in verschiedenen Kaufhäusern einkaufen waren. Die Frauen haben sich einige leichte Sommerkleider gekauft, ganz verzückt sind sie vor den Schaufenstern der Geschäfte hin und her gelaufen.
Chris und Tim kommen mit ihren Inlineskates angefahren und zeigen Robert stolz ihr Können. Sie drehen Kurven vor ihm und führen ihm Sprünge vor. Aus Jux sagt Robert ganz leise „stone“, und prompt fallen die beiden Jungens auf glatter Strecke hin. Tim flucht erbärmlich, er hat sich seinen Ellenbogen blutig gestoßen. Chris schaut Robert ziemlich nachdenklich an, Robert spürt deutlich, wie sein Freund sich noch an seinen letzten Sturz erinnert, der unter ähnlichen Umständen geschah. Robert wird es doch jetzt ganz mulmig zumute und er lenkt beide schnell ab, indem er sie über ihre Fahrkünste ausfragt. Ein bisschen neidisch ist Robert schon. Auf schön asphaltierten Straßen ist es bestimmt super, mit diesen Inlinern zu laufen. Da kommt ganz schön Tempo auf. Aber wenn Robert das Thema bei seinen Eltern anspricht, beißt er jedes Mal auf Granit.
„Erst müssen wir das Auto abbezahlen“, ist die immer gleiche Antwort seines Vaters. Und seine Mutter erzählt ihm sofort einen ganzen Roman über die Verletzungsgefahr. Na, so ganz ohne ist das wirklich nicht. Bestimmt gehört viel Übung dazu, bei diesem Tempo die Kontrolle zu behalten.
Chris zieht seine Schuhe aus und lässt Robert mal probieren, auf den Rollen zu stehen. Obwohl Robert fast einen Kopf größer als Chris ist, passen die Schuhe leidlich. Aber komischerweise liegt das Körpergewicht plötzlich zu weit hinten, Robert kann sich nicht auf den Beinen halten. Er probiert es trotzdem immer wieder, aber nach drei Stürzen hat er die Nase voll und gibt Chris die Inliner zurück. Jetzt haben seine beiden Freunde auch Grund, schadenfroh zu sein und zu lachen, was sie natürlich ausgiebig tun.
Plötzlich sieht Robert Igor aus dem Haus kommen und nochmals im Einkaufszentrum verschwinden. Möglichst unauffällig verabschiedet er sich nach einer Weile von seinen Freunden und legt sich im Treppenhaus auf die Lauer. Als er Igor zurückkommen sieht, ist kein Mensch sonst in der Nähe. Als Igor in der Eingangshalle zu den Fahrstühlen tritt, stellt sich Robert wartend neben ihn. Igor schaut ihn nur einmal kurz und uninteressiert an und wendet sich dann ab. Aber Robert nutzt die Gelegenheit und sagt „remember“.
Anstandslos geht Igor mit ihm hinter das Hochhaus in die Parkanlage, wo sie nicht gestört werden können. Er war wieder im Supermarkt und hat Lebensmittel eingekauft, die er nun neben sich auf die Bank stellt. Nun erzählt Igor seine Geschichte: Wie sein Freund Sascha kommt auch er aus Kasachstan. Beide haben sich von derselben Organisation anheuern lassen. Ihre Aufgabe ist es, als Zwischenstation zu fungieren. Die Frauen werden von ihnen abgeholt und warten dann oben in ihrer Wohnung, bis sie wiederum von der Organisation abtransportiert werden. Bisher kamen immer nur die beiden Perser mit dem grünen Jaguar. Sie bringen auch jedes Mal Geld mit und zahlen sie aus. Bisher lief das immer ganz gut. Sie haben bis heute schon einiges verdient. Es ist immer ganz unterschiedlich, wo sie die Mädchen abholen müssen. Immer werden sie vorher angerufen und fahren dann erst los. Schon zweimal haben sie ihre „Gäste“ auch von einem Rheinschiff bekommen. Igor erzählt noch, dass die Mädchen alle kein Geld haben und voll verschuldet sind. Das ist auch der Trick, mit dem die Mädchen gezwungen werden, alles zu tun, was verlangt wird. Nur selten ist eine dabei, die Schwierigkeiten macht. Sie alle haben Angst, dass sie wieder ausgewiesen werden, wenn man sie erwischt. Was Igor dann noch sagt, hat Robert bereits vermutet: Wenn ein Mädchen aufsässig werden sollte, geben sie ihr ein Beruhigungsmittel und sperren sie so lange in den Keller, bis sie abgeholt wird.
Alexander und Igor haben große Angst vor der Organisation, die hinter diesen skrupellosen Geschäften mit den Mädchen steckt. Sie wissen, dass sie nicht entkommen können, sollten sie irgendetwas verraten.
Sie haben schon von einigen Fällen gehört, wonach Menschen einfach spurlos verschwunden sind. Keiner weiß, was mit ihnen passiert ist. Sie wissen, dass sie mit ihrem Leben spielen, aber auf der anderen Seite werden sie auch sehr gut bezahlt. Und die Organisation lässt sie niemals im Stich, wenn sie sich kooperativ verhalten.
Robert ermahnt Igor, dass er die Mädchen gut behandeln soll.
„Sie haben sowieso ein schweres Schicksal, also quält sie nicht noch.“ Als Igor hört, dass er nun gehen kann, nimmt er wortlos seine Einkaufstasche, geht zum Fahrstuhl und hat auch schon vergessen, was eben geschah. Robert überlegt jetzt fieberhaft, was er nach all seinen vielen und mühsamen Beobachtungen tun kann. Ohne Hilfe kommt er so definitiv nicht weiter. Es wäre vernünftig, die Behörden mit einzuschalten, allein hat er nicht die geringste Chance.
So macht er sich gleich auf den Weg zur Polizeistation in der Nähe. Der Beamte am Empfang sieht einen blonden, schlanken Jungen vor sich, der einige Fragen hat. Er ruft einen jungen Polizeibeamten, der Robert freundlich empfängt. Als er ihn fragen will, was sein Wunsch ist, sagt Robert schnell „remember“, und der Polizist nimmt ihn mit in sein Büro. Es liegt im ersten Stock und ist spartanisch eingerichtet. Robert sagt dem Polizisten, dass er Hilfe braucht. Im Hochhaus hat sich eine Bande von Menschenhändlern eingenistet, die von da aus ihre Geschäfte betreiben. Er will wissen, wer zuständig ist, an wen er sich wenden kann, wenn er Hilfe braucht. Der Polizist erklärt ihm, dass für diesen Fall die Kriminalpolizei zuständig ist. Er soll sich an den Hauptkommissar Werner wenden und ihm alles erzählen. Er gibt ihm auch die Telefonnummer und den Internetanschluss der Kriminalpolizei. Robert sagt dem jungen Beamten noch, dass er nur wegen einiger unklarer Verkehrsregeln Fragen an ihn gestellt hat. Nur das soll ihm in Erinnerung bleiben. Der Polizist verabschiedet ihn freundlich und geht wieder zu seinen Kollegen.
Es ist schon ein tolles Gefühl, überall ein- und ausgehen zu können, ohne angehalten zu werden. Robert kommt sich vor, als ob er unsichtbar wäre. So langsam genießt er das Gefühl, dass jeder ihm gehorcht, wenn er nur das Zauberwort sagt. Aber es ist immer wieder überwältigend, es auch zu erleben. Robert setzt sich an seinen Computer und schickt eine E-Mail an die Kripo. Er fragt, wann und wie er Hauptkommissar Werner erreichen kann. Mittlerweile sieht er schon wieder durch sein Fenster im elften Stock, dass der grüne Jaguar ankommt. Das geht ja zu, wie auf einem Frachtbahnhof, denkt er sich und eilt runter, um genauer beobachten zu können. Diesmal bleibt einer der beiden Iraner im Auto und wartet. Robert versteckt sich hinter einem Busch, er ist neugierig, was nun geschehen wird. Nach einiger Zeit kommt der zweite, Robert vermutet, dass es Nosrath ist, der Wortführer, aus dem Haus und ruft ganz erregt und heftig mit beiden Armen winkend seinem Genossen im Auto etwas Unverständliches zu. Der steigt daraufhin auch aus, schlägt die Autotür zu, und beide gehen ärgerlich diskutierend wieder in Richtung Eingang zurück. In dem Moment sagt Robert „stone“, und beide machen einen richtigen Sprung. Der eine Mann fällt hin. Sein perfekt sitzender dunkelblauer Anzug ist beschmutzt. Ärgerlich versucht er, sich die Flecken wegzureiben. Nosrath hat sich mit einem sehenswerten Kniefall gerettet, rechtzeitig konnte er sich noch mit den Händen abstützen. Beide untersuchen ganz verblüfft den Boden hinter sich. Natürlich finden sie nichts. Verärgert sprechen sie in einer unbekannten Sprache miteinander, bis der Fahrstuhl sie nach oben bringt.
Mit diesen beiden Zauberwörtern „stone“ und „remember“ ist Robert jetzt vertraut und kann schon selbstsicher damit umgehen. Nachdem die beiden Perser hochgefahren sind, geschieht lange nichts. Dann plötzlich bewegt sich die Fahrstuhlanzeige, der Aufzug kommt herunter, und die beiden Iraner steigen wieder aus. Aber sie sind längst nicht mehr so elegant wie vorher. Der dunkle Anzug des einen ist richtig zerfleddert. Seine gestreifte Krawatte sitzt schief, und eine Tasche hängt abgerissen, wie ein kleiner Flügel, am Jackett. Nosrath verdeckt mit einem Tuch Mund und Nase. Wortlos eilen beide zu ihrem Wagen, steigen ein, geben heftig Gas und verschwinden, ohne noch einmal nach oben gesehen zu haben. Anscheinend hat es in der Wohnung ziemlichen Ärger gegeben. Tatkräftigen Ärger!
Robert ruft abends Guru hinter dem Haus. Sofort kommt sie angeflogen und setzt sich auf seine Schulter. Er bittet sie, doch einmal nachzuschauen, was da oben los ist. Nach einiger Zeit kommt Dulgur zurück. Zum ersten Mal konnte sie sehen, was in der Wohnung geschieht: Zwei Mädchen sitzen in der Küche und essen. Alexander liegt auf einer Liege und wird von dem dritten Mädchen anscheinend verarztet. Sie wickelt ihm gerade einen feuchten Umschlag um den Kopf. Igor sitzt am Tisch und schreibt irgendetwas. Offenbar hat es wirklich ernsthaften Krach gegeben. Robert verabschiedet Guru und fährt nach oben. In seinem Zimmer sieht er, dass eben eine E-Mail angekommen ist. Wow, die Kripo hat aber schnell geantwortet! Hauptkommissar Werner bittet Robert um seinen Rückruf.
Die Ereignisse überschlagen sich jetzt. Am späten Vormittag des nächsten Tages kommen zwei Autos angefahren, und vier Männer steigen aus. Es sind alles Ausländer. Einer hat eine dunkle Hautfarbe, die anderen haben die typische Bräune von Südländern. Sie gehen ins Haus und fahren in den siebten Stock. Robert läuft im Treppenhaus parallel hoch. Als er in der Etage ankommt, hört er starkes Klopfen. Keiner antwortet, niemand öffnet. Die ungebetenen Besucher rufen zornig und hämmern mit den Fäusten heftig an die Wohnungstür. Plötzlich dreht sich der farbige Mann um und sieht Robert, wie er gerade noch seinen Kopf zurückzieht. Er ruft den anderen etwas zu und läuft auf die Flurtür zu. Robert rennt blitzschnell ins Treppenhaus zurück und will die Treppen runtersausen. Doch der Farbige ist schon da und streckt seine Hand aus, um ihn zu fassen. Schnell sagt Robert leise „stone“. Der dunkelhäutige Mann stolpert und fällt an ihm vorbei die Treppe runter. Anscheinend hat er sich ernsthaft verletzt, weil er stöhnend liegen bleibt. Robert drängt sich an ihm vorbei und hastet weiter. Nichts wie weg, hoffentlich hält der Verletzte die Verfolger im Treppenhaus auf. Mittlerweile sind auch die anderen drei Männer im Treppenhaus. Einer kümmert sich um den Gestürzten, die beiden anderen laufen Robert hinterher.
Der hat inzwischen schon genug Vorsprung gewonnen und läuft eben aus dem Haus. Doch der erste seiner Verfolger ist sehr schnell und kommt näher. Robert läuft hinter das Hochhaus zu den Grünanlagen, schaut zurück und sagt, als der Fremde eben um die Ecke biegt: „stone“. Augenblicklich stürzt der Mann und überschlägt sich fast dabei. Doch der andere ist auch schon da, kann eben noch dem Stürzenden ausweichen und kommt nun direkt auf Robert zugelaufen. Er streckt die Hand aus und erwischt Robert am Hemd. Rücksichtslos schlägt er mit der anderen Hand zu. Robert bekommt einen so starken Schlag auf den Kopf, dass er losgerissen wird und mit aller Wucht hinfällt. Er sieht gerade noch, wie der andere, rasend vor Wut, hinterher kommt und den rechten Fuß hebt, um zuzutreten. Robert kann im letzten Moment noch sein hilfreiches: „stone“ flüstern. Das hat ihn sicherlich gerettet, denn der Mann hat keine Chance, sein Gleichgewicht zu halten, und stürzt voll auf die Fliesen, mit denen der Weg ausgelegt ist.
Robert rappelt sich blitzschnell hoch und läuft weiter in die Grünanlage. Dicht an dem kleinen Deich ist ein flacher, verwachsener Graben, in dem er sich sofort versteckt. Lange bleibt er ruhig da liegen, erholt sich und kommt erst wieder vorsichtig zurückgeschlichen, als er niemanden mehr sieht. Ärgerlich ist, dass seine Hose jetzt fleckig ist, der Graben war doch nicht so ganz trocken. Aber er hat ihm immerhin Schutz vor dem irrsinnigen Typ geboten. Es hätte schlimmer ausgehen können. Die vier Männer haben ihn gesehen, das kann gefährlich werden. Gut, dass er sich jetzt an Herrn Werner wenden kann.
Nach dem Mittagessen ruft Robert den Hauptkommissar an und verabredet einen Termin. Die zwei Autos sind wieder weggefahren, aus der Wohnung im siebten Stock dringt kein Laut. Dadurch, dass die vier Männer tagsüber gekommen sind, wo fast alle anderen Bewohner zur Arbeit sind, konnten sie so laut sein und wurden trotzdem nicht weiter beachtet. Das sollte wohl eine Strafexpedition sein, Alexander und Igor sollten scheinbar einen Denkzettel bekommen.
Wie verabredet, trifft Robert Hauptkommissar Werner. Es ist ein schlanker, grauhaariger Mann, etwas größer als Robert. Er wirkt sehr intelligent und beobachtet Robert aus seinen grauen Augen. Niemand würde vermuten, dass dieser Mann ein Polizeibeamter ist. Er hat braune Cordhosen mit einem beigen Flanellhemd an. Darüber trägt er eine dünne Strickjacke.
„Komm, Robert, wir gehen in das Café, dort kannst du mir in Ruhe erzählen, was dich bewegt.“ Herr Werner bestellt für sich Tee mit Zitrone und für Robert eine Schokolade. Nachdem das Bestellte gekommen ist, lehnt er sich mit leisem Lächeln zurück. „So, Robert, nun erzähl mal der Reihe nach“, sagt er mit sanfter, beruhigender Stimme.
„Bei uns im Hochhaus sind in einer Wohnung im siebten Stock zwei Ausländer eingezogen. Sie kommen beide aus Kasachstan. Regelmäßig kommen einige junge Frauen zu ihnen, bleiben einige Tage und werden danach von zwei Persern mit einem grünen Jaguar wieder abgeholt. Die bringen sie dann in Richtung Frankfurt, wo die Frauen in einen anderen PKW umsteigen müssen. Das geht schon seit einiger Zeit so, aber zuletzt muss es irgendwie Ärger zwischen den Leuten gegeben haben. Nach ihrem letzten Besuch mussten die beiden Perser alleine, ohne die Mädchen, wieder wegfahren. Sie haben ziemlich kräftig geflucht, anscheinend hat es in der Wohnung auch eine Schlägerei gegeben, die beiden sahen ziemlich lädiert aus. Einer der Perser hat im Gesicht geblutet, der Anzug des anderen war an einigen Stellen zerrissen. Am nächsten Tag kamen vier andere Männer, die aber nicht in die Wohnung gelassen wurden. Sie haben total viel Radau gemacht und kräftig an die Tür geschlagen. Ich bin da auch rumgeschlichen, um mehr zu sehen. Dabei wurde ich entdeckt und konnte mich nur mit Mühe retten, drei Mann sind mir nachgelaufen, haben mich aber Gott sei Dank nicht erwischt. Dieser Vorfall hat die Männer sicher von weiteren Aktionen abgehalten. Unverrichteter Dinge sind sie wieder abgezogen. Ich vermute, dass sich in dieser Wohnung ein Mädchenhändlerring eingenistet hat.“
Wortlos hat ihm der Hauptkommissar zugehört und sich einige Notizen gemacht. Natürlich zweifelt er stark, es kommt ihm unwahrscheinlich vor, was der Junge da erzählt. Es hört sich nach einer lebhaften Phantasie an, andererseits kann er es aber auch nicht ganz abtun. Warum wollten diese Burschen den Jungen dann fangen? Irgendetwas stimmt da wirklich nicht, es muss ja nicht gleich ein Mädchenhändlerring sein.
„Robert, es war sehr vernünftig, dass du mich verständigt hast. Anscheinend ist das ein Wespennest, auf das du da gestoßen bist. Das wird sich nicht so einfach lösen lassen. Du hast mir sehr gute Informationen gegeben, dafür danke ich dir. Du musst mir jetzt nur versprechen, dich aus allem rauszuhalten, es könnte sehr gefährlich für dich werden. Ich werde jemand zur Beobachtung abstellen.“ Werner verzieht besorgt sein Gesicht.
„Herr Werner, sagen Sie mir auch später noch, wie das weitergeht? Es interessiert mich ja doch, ob ich mit meiner Vermutung Recht hatte. In der nächsten Zeit tut sich bestimmt noch einiges, denn das lassen diese Vier nicht so ohne weiteres auf sich sitzen. Sie werden bestimmt noch einen anderen Weg suchen, wie sie diese beiden im Hochhaus erwischen können.“
„Robert, du kannst beruhigt sein, wir nehmen den Fall in unsere Hände und werden uns darum kümmern. Hier gebe ich dir meine Telefonnummer, unter der ich für dich immer zu erreichen bin. Ruf mich an, wenn du mich brauchst.“ Damit gibt der Hauptkommissar ihm seine Karte, und sie verabschieden sich, nachdem Robert seine Schokolade ausgetrunken hat. Zu Hause angekommen, setzt Robert sich sofort mit Dulgur in Verbindung. Er bittet sie, darauf zu achten, ob sich in der Umgebung des Hochhauses fremde Menschen verdächtig lange herumtreiben. „Sage es mir bitte sofort, das könnten entweder Polizisten sein oder aber auch irgendwelche Schläger, die die beiden vom siebten Stock erwischen wollen.