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3. Kapitel

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Mich als Fassadenkletterer zu betätigen und in Fluggesellschaften oder Behörden einzubrechen, war nicht gerade meine Spezialität. Ich hatte mein Geld bisher am Schreibtisch verdient. Das macht nicht gelenkiger, höchstens geistig. So kam ich nach einigem Nachdenken auf die Idee, nicht nur die Behörden hätten Zulassungskarteien in ihren gewöhnlich abgeschrubbten grauen Blechschränken, die sie für nichts in der Welt Normalsterblichen zugänglich machen, sondern auch die Autoverkäufer. Wie man weiß, haben sie Kundenadressen in ihren Computern, hantieren gerne mit Tageszulassungen und verkaufen überhaupt so allerhand.

Ja, so manchem Autoverkäufer ist alles zuzutrauen. Sie müssen sich um ihre Aufträge selbst bemühen und sind immer geneigt, etwas nebenbei zu verdienen, beispielsweise mit der Vermittlung von Versicherungen, Krediten und Leasing-Verträgen. Vielleicht auch, so dachte ich mir, mit dem Verkauf von Adressmaterial, sagen wir mal an eine Firma, die Zubehör für Autos jener Nobelmarke vertreibt, deren selbsternannter Repräsentant ich augenblicklich wurde. So eine Visitenkarte, die etwas hermacht, selbst mittels eines speziellen Programms am PC zu gestalten, fiel mir nicht besonders schwer.

Alle diese Verkäufer von großen Luxuslimousinen scheinen diese identische Arroganz und diese mühsam geschulten Manieren, sowie diese aufgesetzte Eleganz aus der Werbung für Herrendüfte, unbedingt verströmen zu müssen. Auch der geschniegelte Herr mit den grauen Schläfen und der Perle in der Krawatte missverstand mich zunächst, weil ich nicht als Käufer auftrat. Die Zubehörabteilung wäre in der Bronx, versuchte er mich loszuwerden.

„Ich hätte da ein Geschäft für die Park Avenue“, blieb ich hartnäckig.

„Mein Job ist es, Autos zu verkaufen“, wollte er mich abwimmeln.

„Das ist mir klar, Sir! So wie Sie auftreten, können Sie gar nichts anderes als ein Star-Verkäufer sein. Ich hätte Ihnen ein brandneues Konzept zu präsentieren, wie Sie potenzielle Käufer teuerer Wagen per Mail ansprechen können, ohne dass die gleich gelangweilt wegschauen“.

„Schießen Sie los!“ sagte er und die Dollarzeichen blitzten in seinen Augen.

„Meine Firma hat einen Super-Metallic-Sprühlack entwickelt, der teuer und sehr gut ist. Wir wollen eine Testimonial-Kampagne machen und suchen dafür Leute, die unser innovatives Produkt kostenlos ausprobieren wollen und gleichzeitig fotogen sind. Ich hatte an alle Fahrer von silbernen Mercedessen in der Stadt gedacht.“

„Verstehe! Was sind Ihnen die Adressen wert?“ fragte er eilfertig und gar nicht erst bemüht, sein Interesse an dem Geschäft zu verbergen.

„Die Adressenvermittler verlangen für tausend Stück 50 Dollar. Ich biete Ihnen das Doppelte!“

„Sagen wir 200 und die Sache läuft!“ sagte der feine Herr leise.

„Okay, 120!“

„180!“

Es war wie auf dem Basar. Ich zog 450 Dollar aus der Tasche, die ich vorher abgezählt hatte und sagte: „Die gehören Ihnen, wenn Sie die kompletten fast dreitausend Adressen liefern!“

„Wir treffen uns in zwei Tagen, ich muss die Datei erst auf eine CD brennen. Am besten in dem Lokal an der Ecke!“ Er gab mir seine stahlgestochene Visitenkarte mit englischer Schreibschrift. Ich sollte ihn anrufen.

Zwei Tage hatte ich Zeit zum Nachdenken. Wie kam ich an die Liste der Fluggesellschaft? Die gusseiserne Vorzimmerdame des Direktors wirkte nicht so empfänglich für Nebenverdienste und auch mein Charme würde bei ihr wohl nicht ausreichen. Wenn ich in zwei Tagen mit der Mercedeskäuferliste zur Fluggesellschaft ginge und darum bitten würde, zu prüfen, ob ein Name in beiden Listen auftaucht, was würde dann passieren? So ein Vergleich von rund 200 Namen von Flugpassagieren mit um die dreitausend Namen von Autobesitzern würde glatt zwei bis drei Stunden dauern. War das überhaupt realistisch? Sicherlich würden sie mir ihre Liste nicht mitgeben, auch nicht als Kopie. Außerdem wusste ich ja noch gar nicht, nach welchen Namen ich überhaupt suchte, sondern die theoretische Annahme bestand darin, dass in den beiden Verzeichnissen ein identischer Name auftauchte. Ein wahnsinniger Zufall wäre das!

Es war ein kalkuliertes Risiko, einfach nochmals das Büro der Fluggesellschaft aufzusuchen, mit der Liste der Mercedes-Fahrer in der Hand. Wenn mir meine Bitte abgeschlagen würde, die Passagierliste durchzugehen, hätte ich kaum noch eine Chance, durch einen Trick zum Ziel zu kommen. Jedenfalls würde die Wahrscheinlichkeit minimal werden, an die Daten zu kommen. Einen Einbruch zog ich gar nicht erst in Erwägung, schon weil ich mir das selbst nicht zutraute und einen Profi zu dingen, erschien mir unmöglich, weil ich mich in diesem Milieu nicht auskannte. Trotzdem beschloss ich, wieder zum Glaspalast der Airline zu fahren, sobald der Autoverkäufer sein Versprechen eingehalten hatte. Die zwei Tage dauerten ewig und waren die Hölle.

Als ich ihn wie vereinbart anrief, um die Zeit für unser Treffen festzulegen, dirigierte er mich zu seiner Wohnung um. Ich befürchtete schon, er wollte bluffen. Doch er hatte nur vergessen, dass es in dem ursprünglich vorgesehenen Lokal genügend Leute gab, die ihn kannten und deshalb war aus seiner Sicht eine Übergabe dort unmöglich. Ich schlug ihm vor, sich in einem Park zu treffen, weil ich ungern alleine in fremde Wohnungen gehe, doch er meinte, unter freiem Himmel wären wir nicht abgeschottet genug und irgendjemand könnte mit seinem Foto-Handy zufällig eine Aufnahme machen oder der Ort würde sowieso videoüberwacht.

Er wohnte in einer der vornehmen Appartementhäuser auf der Ostseite von Manhattan, mit Türsteher und Marmor überall sowie zwei den Eingang flankierenden, kugelförmig zurechtgestutzten Lebensbäumchen unter einem gelben Baldachin, auf dem irgendeiner dieser hochgestochenen Namen wie Exelsior oder Pallas stand. Ich verwechsle diese international gebräuchlichen Edelbezeichnungen immer. Wahrscheinlich wissen die Bewohner solcher Residenzen auch zuweilen nicht, in welcher Stadt sie sich gerade befinden. Dann ist es natürlich praktisch, dem Taxifahrer einen dieser Begriffe zu nennen. Irgendeine Herberge der gehobenen Art wird am Ende vermutlich gefunden. So wird das Leben wenigstens ein bisschen abenteuerlich.

„Das ist das komplette Adressenmaterial. Fotokopiert!“

„Hatten Sie nicht gesagt, Sie wollten es auf eine DVD brennen?“

„Ja, hatte ich, aber das hat aus technischen Gründen nicht funktioniert, weil die Daten schreibgeschützt waren!“

„Das sind ja jetzt über hundert Blätter und die sind nicht einmal nummeriert“, sagte ich, weil ich schon die Schwierigkeiten vor Augen hatte, sie mit der Passagierliste abzugleichen.

„Aber die Namen sind in alphabetischer Reihenfolge!“ erwiderte er.

Der Autoverkäufer war ebenso teuer wie geschmacklos eingerichtet und tat sehr geschäftsmäßig. Er verstaute die Dollarscheine umständlich in seiner Börse. Wir verabschiedeten uns unsinnigerweise wie Leute, die sich wiedersehen.

Als ich zu Hause war ging ich die gerade gekaufte Liste schon einmal sorgfältig durch, kannte aber niemanden. Schon nach dem ersten Drittel waren mir Zweifel durch den Kopf geschossen. Was tun, wenn der Gesuchte seinen Wagen in einer freien Werkstatt umgespritzt hatte und folglich gar nicht aufgeführt sein konnte? Was war, wenn der Junge aus Janes Klasse sich versehen hatte und weder ein Mercedes, noch eine New Yorker Autonummer gewesen war? Man weiß doch, was von Zeugenaussagen zu halten ist. Vielleicht hatte der Mann, der die Mädchen angeblich mit dem silbernen Mercedes abgeholt hatte, sowieso nichts mit Dorothys Tod und Janes Verschwinden zu tun. Der Weg zur Fluggesellschaft blieb unvermeidlich.

„Ich habe hier eine Liste aller Besitzer von silberfarbenen Mercedeswagen, die im Staat New York gemeldet sind“, sagte ich zu dem Direktor der Airline.

„Na und?“ fragte er.

„Ich möchte Sie bitten, die Namen mit der Passagierliste des Fluges zu vergleichen, den meine Tochter und deren Freundin genommen haben“.

„Warum?“ fragte er kühl und ich sah schon alle meine Hoffnungen schwinden.

„Die beiden Mädchen sind von Klassenkameraden beobachtet worden, wie sie mehrmals von einem solchen Wagen abgeholt wurden.“

„Ist das nicht Sache der Polizei?“ fragte er.

„Ja, das dachte ich auch, aber die Polizei stellt die Ermittlungen ein, wenn jemand tot ist und wenn jemand verschwunden ist und es sich um einen Erwachsenen handelt, sucht sie nicht aktiv, wenn es keine Anzeichen für ein Kapitalverbrechen gibt.“

„Passen Sie auf“, sagte er wider Erwarten. „Sie setzen sich hier in den Besprechungsraum und vergleichen selbst. Ich mache eine Ausnahme, weil ich Leute, die hartnäckig sind, mag. Aber sie dürfen nichts mitnehmen und niemand etwas davon sagen“.

„Einverstanden!“ sagte ich erfreut.

Nachdem ich drei Stunden lang Namen für Namen verglichen hatte, ließ meine Konzentration nach. Nichts hatte ich gefunden, was mir verdächtig erschien. Aber ich wollte noch nicht aufgeben, sondern nach einem Imbiss weiter machen. Der Direktor verständigte seine Sekretärin, mich wieder einzulassen, weil er selbst nachmittags nicht da war.

Bei Schinkensandwich, einem Glas Milch und anschließendem Reispudding als Dessert in einer der zahlreichen Cafeterias, die sich um die Bürohochhäuser in Manhattan scharrten und deren Besitzer recht einträglich von dem Heer der Angestellten lebten, kam mir die Idee, gleich klingende Namen miteinander zu vergleichen. Denn Flugkarten werden oft telefonisch bestellt. Mir war es auch schon trotz meines einfachen Namens passiert, dass dann Cook oder Cos statt Koch auf dem Schein stand. Mein Vorname David war immer korrekt, weil die Schreibweise allgemein bekannt war.

Euphorisch ging ich nach der Pause wieder an die Arbeit, weil mir meine Vermutung plausibel erschien. Nach ungefähr vier Stunden und kurz vor Büroschluss, hatte ich neben den Namen Brown und Miller, die todsicher dabei sind, wenn zehn US-Amerikaner sich treffen, folgende ähnlich klingende Nachnamen mit gleichen Vornamen entdeckt:

Paul Wester und Paul Vester

Robert Vance und Robert Fence

Mike Harris und Mike Lavis

Hinzu kamen noch ein Peter Brown und ein Tom Miller, die beide doppelt waren. Insgesamt fünf Männer, die ich genauer unter die Lupe nehmen musste. Im Prinzip kein Problem, denn auf der Autokäuferliste standen die Anschriften, weil sie die Adressen für ihre Werbung nutzten und die Fluggesellschaft hatte sich die Telefonnummern notiert. So ganz war ich mir über das weitere Vorgehen noch nicht klar, doch irgendwie keimte Hoffnung, es könnte einen Treffer geben.

Als ich gerade zu Hause zur Tür hereinkam, klingelte das Telefon. Es war Judith. Sie hatte schon den ganzen Tag versucht, mich zu erreichen. Aber ich hatte mein Handy abgeschaltet, weil ich in dem Airline-Büro niemand stören wollte, vor allem aber auch, weil ich mir mehr und mehr bewusst wurde, dass es vielleicht Leute geben könnte, die von meinen Recherchen nicht sonderlich begeistert sein könnten. Und ich wollte nicht geortet werden können, wenn die möglicherweise Hacker beschäftigen oder Personen bestechen, die Zugang zu sensiblen Daten haben. Judith hatte die Ungewissheit nicht mehr ausgehalten. Jane müsse schließlich zur Schule, bestimmt sei ihr auch etwas passiert. Ob ich schon eine Spur hätte?

„Ich weiß noch nicht, ob es eine Spur ist!“ sagte ich, „aber in spätestens einer Woche werde ich es wissen.“ „In einer ganzen Woche, dass schaffe ich nicht?“ sagte Judith. Sie wollte Einzelheiten wissen und fing an zu weinen. „Sobald ich etwas weiß, rufe ich dich an“, tröste ich sie.

In ziemlich mieser Stimmung griff ich anschließend zum New Yorker Telefonbuch. Wahrscheinlich hatte Judith recht mit ihrem Pessimismus. Aber ich hatte mein ganzes Leben lang an den Erfolg systematischer Arbeit geglaubt, jetzt wollte ich nicht nur auf den Zufall hoffen. Es hätte einfach nicht meinem Charakter entsprochen. Hoffnung hatte ich immer gesagt, wäre keine Strategie, wenn etwas aussichtslos erschien. Aufgeben kam nicht in Frage.

Die Namen Brown und Miller schieden beim Blick ins Telefonbuch schon gleich aus. Das hatte ich erwartet. Dubletten waren das Wahrscheinlichste bei so gebräuchlichen Namen. Ihre Adressen stimmten mit den Telefonnummern aus der Airline-Liste nicht überein. Was kein Wunder war, denn im New Yorker Telefonbuch standen seitenweise Peter Browns und Tom Millers.

Blieben noch drei Namen, von denen zwei im Telefonbuch standen, aber nicht in der Mercedesliste. Jedenfalls nicht in der richtigen Schreibweise. Ein Name blieb zunächst einmal übrig, den ich nicht im Telefonbuch fand. Die vermeintliche Fährte schien sich als Flop zu entpuppen. Eine Woche Arbeit umsonst!

Allerdings sah ich nach längerer Überlegung noch eine hauchdünne Chance darin, auch das Telefonverzeichnis vom Staat New York zu überprüfen. Deshalb rief ich als letzte Rettung die Dame von der Telefongesellschaft an.

„Here is your operator, what can I do for you, Sir?” meldete sie sich mit ihrer auf absolute Freundlichkeit trainierten Stimme.

„Geben Sie mir bitte die Nummer von Robert Vance oder Fence“, sagte ich.

„Can you spell it, please?”

“Vielleicht ist es besser, wenn ich Ihnen die Telefonnummer gebe, die ich habe und Sie können mir sagen, wie sich der Teilnehmer schreibt!“ sagte ich.

„No problem, Sir, our system works also the other way!”

Es stellte sich innerhalb einer Minute heraus: ein Robert Fence hatte die Telefonnummer, die in der Passagierliste unter Vance stand. Und genau dieser Robert Fence war eben auch der Käufer eines silberfarbenen Mercedes-Benz, vor fast drei Jahren erworben, ein Achtzylinder, neu.

Was soll ich sagen: Das war’s! Meine Zähigkeit hatte sich gelohnt. Die Spur schien heiß. Doch ich jubelte nicht.

Herzkalt

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