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Einleitung

Warum Evaluation?

Evaluation: Ein Wort, das viele Fachkräfte in der Sozialen Arbeit über eine längere Zeit nicht immer „unfallfrei“ aussprechen konnten, ist mittlerweile zu einer fast selbstverständlichen Vokabel geworden. Wenn die Sozialarbeiter in einem Jugendamt wissen wollen, ob ihre verstärkten Bemühungen zur Beteiligung der Kinder und Jugendlichen an der Hilfeplanung Erfolge zeigen – wenn unklar ist, in welcher Weise und mit welchen Effekten die Mitarbeiter in den verschiedenen Gruppen einer Wohneinrichtung für Menschen mit Behinderungen das gemeinsam abgesprochene Programm zur größeren Selbständigkeit der behinderten Menschen im Alltag praktizieren – wenn die Erzieherinnen in einer Kindertageseinrichtung Zweifel haben, wie ihre Bemühungen zur Profilierung des Bildungscharakters der Einrichtung bei den Eltern ankommen – wenn die Mitglieder eines Jugendhilfeausschusses wissen wollen, ob die auf zwei Jahre begrenzte Finanzierung von Schulsozialarbeit weitergeführt werden soll: In diesen und vielen anderen Alltagssituationen der Sozialen Arbeit verspricht eine gut durchgeführte Evaluation Informationen und Einschätzungen, mit deren Hilfe die Fachkräfte die fachlichen Fragen diskutieren sowie ihre Arbeit legitimieren und zielgerichtet weiterentwickeln können.

Evaluation ist nicht nur Evaluationsforschung

Lange Zeit wurde mit Evaluation ein Forschungsprozess assoziiert, bei dem Sozialwissenschaftler die Realisierung umfassender sozialpolitischer Programme erforschen: Schulreformen, die Einführung neuer methodischer Konzepte in die Soziale Arbeit (z. B. Sozialpädagogische Familienhilfe), Prozesse und Ergebnisse der Verwaltungsmodernisierung, Modellprogramme als Anreiz zur Implementation neuer Arbeitsansätze in der Sozialen Arbeit u.a.m. Im Laufe der Zeit hat sich der Wirkungskreis von Evaluation erweitert: Es sind nicht mehr nur die umfassenden politischen Programme, bei denen nach Bewertung durch Evaluation gefragt wird; Evaluation ist immer stärker in den Alltag Sozialer Arbeit eingedrungen. Evaluation ist nicht mehr auf „Evaluationsforschung“ begrenzt, sondern sie hat sich auf Formen der systematischen Überprüfung und Bewertung von alltagsbezogenen Handlungsweisen ausgeweitet. Der Kreis der Evaluationsakteure besteht nicht mehr nur aus sozialwissenschaftlich ausgebildeten Spezialisten, sondern auch Fachkräfte in der Praxis werden vermehrt mit der Anforderung konfrontiert oder formulieren selbst die Anforderung, die eigene Praxis selbst zu untersuchen oder von Kollegen untersuchen zu lassen, um genauer zu „wissen, was man tut“ (Klatetzki 1993) und so an Professionalität zu gewinnen. Evaluation hat sich also thematisch verbreitert, indem sie sich über die Erforschung umfassender politischer Programme hinaus stärker dem Alltag in Einrichtungen zugewandt und sich als ein methodischer Ansatz zur zielgerichteten Überprüfung und Weiterentwicklung herausgebildet hat. Ähnlich wie die Qualitätsentwicklung – gleichsam die „Schwester der Evaluation“ – ist Evaluation fast zu einer Selbstverständlichkeit in der Sozialen Arbeit geworden: zumindest vom Anspruch her, wenn auch noch nicht durchgängig in der Praxis der Einrichtungen und Dienste. Immerhin hat die Evaluation bereits Aufnahme in Gesetzesformulierungen gefunden. So werden in §22a SGB VIII die Träger der öffentlichen Jugendhilfe aufgefordert, auf den „Einsatz von Instrumenten und Verfahren der Evaluation der Arbeit“ in Kindertageseinrichtungen einzuwirken.

Drohender Konturverlust des Evaluationsbegriffs

Die allmähliche Etablierung von Evaluation im Bewusstsein der Akteure der Sozialen Arbeit ist einerseits erfreulich, weil damit neben den Ansätzen der Supervision, des Coaching oder der kollegialen Beratung weitere Möglichkeiten zur methodischen Professionalisierung der Sozialen Arbeit eröffnet werden. Andererseits sind auch die Nebenfolgen der Popularisierung des Evaluationsbegriffs nicht zu verkennen: Der Evaluationsbegriff und die damit bezeichneten Inhalte und Verfahren drohen ihre Kontur zu verlieren, wenn jeder Vorgang und jeder Besprechungstermin, bei dem irgendetwas bewertet wird, gleich zur „Evaluation“ gemacht und damit überhöht wird.

Damit „Evaluation“ nicht im Jargon der Sozialen Arbeit allmählich zerbröselt, ist es notwendig, den methodischen Kern und die damit verbundenen Anforderungen an die Fachkräfte der Sozialen Arbeit deutlich zu benennen. Das ist Ziel dieses Einführungsbuches:

• Das Buch soll den „methodischen Kern“ von Evaluation verdeutlichen und damit Evaluation als eine fachliche Herausforderung charakterisieren (und dadurch helfen, den Begriff vor Banalisierung zu bewahren).

• Es nimmt dabei Praxisfelder der Sozialen Arbeit in den Blick. Für die Soziale Arbeit sind zwar mehrere Bücher mit guten Beispielen für eine praxisbezogene Evaluation verfügbar (u.a. Heiner 1988, 1994, 1996, 1998; Heil et al. 2001; Schröder / Streblow 2007; Beiträge in Eppler et al. 2011), aber es fehlt für die Soziale Arbeit noch eine Einführung, wie sie Burkard / Eikenbusch (2000) für das Handlungsfeld Schule beispielhaft vorgelegt haben: eine kurz gefasste, praxisbezogene und die Rahmenbedingungen reflektierend einbeziehende methodische Anleitung, die sich nicht auf Methoden der Selbstevaluation beschränkt (wie u.a. König 2007).

• In dem vorliegenden Buch soll Evaluation stärker für ihre Handhabung in der Praxis der Sozialen Arbeit thematisiert werden – und nicht so sehr in der Ausrichtung als Evaluationsforschung (vgl. dazu Kap. 1).

Zielgruppen des Buches

Das vorliegende Buch richtet sich an Akteure in der Sozialen Arbeit (Leitungspersonen, Fachkräfte auf der Mitarbeiterebene, Berater in Verbänden etc.) und an Studierende der Sozialen Arbeit, die Evaluation als Bestandteil ihres beruflichen Handelns realisieren wollen. Spezifische Methodenfragen und Rahmungen umfassender Programmevaluationen, wie sie z. B. bei programmatischen Veränderungen in einem Handlungsfeld (z. B. bei den Neuregelungen des Bundesteilhabegesetzes – BTHG – in der Behindertenhilfe oder bei gesetzlichen Veränderungen wie denen durch das Bundeskinderschutzgesetz; Seckinger et al. 2016) eigentlich an der Tagesordnung sein sollten (Haubrich 2009; Böttcher et al. 2008), bleiben in diesem Buch ausgespart. Hier sind Vorgehensweisen der Evaluations- und Implementationsforschung erforderlich, deren methodische Anforderungen und Implikationen den Rahmen dieses Buches sprengen würden (Stockmann 2006a).

Notwendige Evaluationskompetenz

Wenn es zutrifft, dass Evaluation ähnlich wie Qualitätsmanagement mittlerweile „zu einem Symbol der Modernisierung“ (Pollitt 2000, 65) auch in der Sozialen Arbeit geworden ist, wird vermehrt Evaluationskompetenz benötigt:

• genauere methodische Kenntnisse bei „Spezialisten“, die Evaluationen in der Sozialen Arbeit kompetent durchführen und Praktiker bei der Konzipierung und Realisierung von Evaluationen gut beraten können;

• Grundkenntnisse zur Evaluation bei allen Fachkräften: ein Wissen zu Verfahren, Nutzen und Risiken bei Evaluationen; die Fähigkeit, das Verhältnis von Aufwand und Nutzen einschätzen und Erwartungen gegenüber Evaluation realistisch ausrichten zu können; die Kompetenz, kleinere Evaluationen selbst durchführen zu können, Evaluationsberatung gezielt nutzen und Evaluationsaufträge nach außen gezielt formulieren zu können.

Die letztgenannten „Grundkenntnisse“ zur Evaluation bei Fachkräften der Sozialen Arbeit zu vermitteln, ist Anliegen dieses Einführungsbuches. Es soll Evaluation als Modus der Bewertung und Weiterentwicklung beruflichen Alltagshandelns in der Sozialen Arbeit verständlich machen und methodisch tragfähige Anregungen zur Durchführung von in die Praxis eingebundenen Evaluationen durch Akteure geben, die relativ „einfache“ Evaluationen als Teil ihres professionellen Handelns einsetzen und durchführen wollen.

Zur 3. Auflage

Die Anforderungen an eine praxisbezogene Evaluation in der Sozialen Arbeit haben sich seit Erscheinen der 1. Auflage im Jahr 2010 nicht wesentlich geändert. Zu den grundlegenden methodischen Orientierungen in der Sozialen Arbeit sind keine neuen wegweisenden Diskussionsbeiträge und Erkenntnisse hinzugekommen. Dementsprechend konnte auch die Grundstruktur des Buches erhalten bleiben und es gibt für die 3. Auflage kleinere Aktualisierungen. Dass das Buch in seine 3. Auflage geht, lässt den Autor hoffen, dass Evaluation vermehrt Zugang in die Ausbildung und in die Praxis Sozialer Arbeit findet.

Im August 2013 ist im Alter von nur 69 Jahren Maja Heiner verstorben. Dass Evaluation mittlerweile in den Konzipierungen einer als professionell geltenden Praxis einen festen Platz hat, ist auch dem fachlichen Engagement und der Beharrlichkeit von Maja Heiner zu verdanken. Maja Heiner hat das Thema „Evaluation“ als eine der ersten in die Debatten um die Gestaltung Sozialer Arbeit in Deutschland eingebracht. Sie hat sowohl in ihrer konzeptionellen Arbeit als auch in vielfältigen Praxisprojekten, deren Ergebnisse sie in vielen Veröffentlichungen verbreitet hat, den Fachkräften Mut gemacht, sich an Evaluation heranzuwagen. So hat sie beharrlich daran gearbeitet, dass sich Evaluation als eine Anforderung an Soziale Arbeit etablierte (Merchel 2015a). Bei der Lektüre dieses Buches sollten sich LeserInnen bewusst halten, dass es ohne die Impulse von Maja Heiner nicht hätte geschrieben werden können.

Evaluation in der Sozialen Arbeit

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