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Оглавление2 Warum benötigt man in der Sozialen Arbeit Evaluation?
Organisationsexterne Anlässe
Dafür, dass sich Akteure in der Sozialen Arbeit der Mühe einer Evaluation unterziehen oder den Aufwand einer solchen akzeptieren, gibt es unterschiedliche Anlässe. Diese können außerhalb der Organisation liegen, aber erhebliche Auswirkungen auf die Existenz oder die Gestaltungsmöglichkeiten einer Einrichtung haben. So können z. B. die Verantwortlichen einer Einrichtung der Erziehungshilfe bemerken, dass konkurrierende Einrichtungen erheblich besser von Jugendämtern belegt bzw. genutzt werden, und dass auf Dauer eine existenzbedrohende Unterbelegung droht. Oder Nachbarn beschweren sich häufig über einen vermeintlich vom Jugendzentrum ausgehenden Vandalismus, wodurch das Jugendzentrum einem Druck von Seiten des Jugendamtes,der regionalen Politiker und der Öffentlichkeit ausgesetzt wird. Oder öffentliche Debatten um einen scheinbar mangelnden Nutzen von Hilfsangeboten und daraus resultierende Vorwürfe der ineffizienten Verwendung von Steuergeldern (z. B. im Hinblick auf Erlebnispädagogik oder genereller im Hinblick auf hohe Kosten stationärer Hilfen) setzen Anbieter solcher Hilfen unter Legitimationsdruck. Oder die Weiterfinanzierung einer (Modell-)Maßnahme wird von Nachweisen zu deren Effektivität abhängig gemacht. In all diesen Fällen kann Evaluation als ein Instrument angesehen werden, um eine Grundlage für Aktivitäten zur Existenzsicherung der Einrichtung bzw. eines Angebots zu schaffen.
Organisationsinterne Anlässe
Daneben können jedoch auch organisationsinterne Anlässe den Ruf nach Evaluation hervorbringen. So können Mitarbeitergruppen oder Leitungspersonen mit den Arbeitsabläufen innerhalb einer Organisation unzufrieden sein, häufige Konflikte zwischen den Mitarbeitern das Arbeitsklima belasten und die sachbezogene Leistungsfähigkeit der Einrichtung beeinträchtigen. Auch können Leitungspersonen und einige Mitarbeiter den Eindruck gewonnen haben, dass in einigen Teams die Angebote nur unzureichend durchgeführt werden. Oder die Adressaten der Einrichtung beschweren sich merklich häufiger über das Angebot (z. B. Eltern in Kindertageseinrichtungen über mangelnde kindbezogene Förderaktivitäten seitens der Erzieherinnen) oder sie nutzen die Einrichtung in wesentlich geringerem Umfang als zu früheren Zeiten (z. B. Besucher eines Jugendzentrums bleiben weg). Wenn solche Probleme derart deutlich werden, dass sie den Alltag beeinträchtigen, und wenn sie ein solches Ausmaß erreicht haben, dass sie einen relevanten Teil der Akteure unzufrieden machen, wird bisweilen Evaluation „entdeckt“ als ein Mittel, das helfen soll, der Sache „auf den Grund zu gehen“.
Doch solche Anlässe gab es bereits zu Zeiten, in denen noch nicht so viel über Evaluation gesprochen wurde und in denen dieses Thema noch nicht eine solche „Konjunktur“ wie heute hatte. Daher ist zunächst nach den Hintergründen für die „Evaluationskonjunktur“ zu fragen, und zwar nach politischen wie nach den professionsbezogenen Hintergründen (Kap. 2.1). Bezug nehmend auf die Hintergründe steigender Bedeutung von Evaluation lassen sich deren Funktionen ableiten (Kap. 2.2). Damit deutlich wird, dass Evaluation nicht nur etwas ist, was politisch eingebracht, also „von außen“ der Sozialen Arbeit aufgedrückt wird, oder etwas, was man nur in Ausnahmefällen bei besonderen organisationsinternen Problemen einsetzt, soll in Kapitel 2.3 mit einigen kurzen Anmerkungen der Stellenwert von Evaluation für Professionalität in der Sozialen Arbeit begründet werden. Abschließend werden einige Fragen formuliert, die bei der Konzipierung von Evaluation hilfreich sein können, um Interessen und Wertbezüge der mittelbar und unmittelbar Beteiligten stärker wahrzunehmen und in die Konzepterörterung einzubeziehen (Kap. 2.4).
2.1 Hintergründe für das zunehmende Interesse an Evaluation
Ressourcenknappheit
Je knapper die Ressourcen werden, die einer Gesellschaft zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben zur Verfügung stehen, und je umfassender die gesellschaftlichen Problemlagen werden, für die jene Ressourcen benötigt werden, desto deutlicher wird die Frage gestellt, ob die vorhandenen Konzepte noch die an die Akteure gerichteten Anforderungen zu erfüllen vermögen, ob die Akteure die zur Verfügung gestellten Ressourcen nutzbringend einsetzen können und ob der eingesetzte Ressourcenumfang für die Bewältigung der Anforderungen erforderlich ist. Wenn dann gesellschaftliche Veränderungen hinzukommen, die ungewiss erscheinen lassen, ob die bisherigen Handlungskonzepte noch die aktuelle Situation treffen und adäquate Perspektiven für eine Problemlösung zu eröffnen vermögen, dann wird der Ruf nach Modalitäten drängender, die eine genauere Bewertung vorhandener Programme und Handlungsmuster sowie Grundlagen für eine rationalere Entscheidungsfindung versprechen. Evaluation erhält eine zunehmende Bedeutung in Zeiten gesellschaftlicher Veränderungen und zunehmender Ressourcenknappheit. Wenn sich ausweitende, gesellschaftlich als Problem definierte Situationen und eine relativ hohe Dynamik in den qualitativen Problementwicklungen auf einen Zustand knapper oder gar allmählich reduzierter Ressourcen treffen, wird das Bemühen um rationalere Entscheidungsfindung fast unausweichlich. Evaluation enthält die Aussicht auf einen solchen Rationalitätsgewinn:
• Angesichts der Ungewissheit bezüglich der Wirkungen und des Nutzens von Programmentscheidungen und Ressourceneinsatz erhofft man sich von Evaluation eine bewertende Vergewisserung.
• Durch eine Überprüfung des Verhältnisses von Ressourceneinsatz und Effekten erweitern Finanzierungsträger den Legitimationsdruck gegenüber den Organisationen, die man finanziert und mit der Bearbeitung sozialer Probleme beauftragt.
• Die Versuche, in neuen Handlungsformen Probleme zu bearbeiten, sollen stärker gesteuert werden, indem über Evaluationen genauere Bewertungen und verbesserte Handlungsorientierungen ermöglicht werden. Evaluation entspringt dem steigenden Bedürfnis nach Steuerungswissen: ob das, was man neu tut, besser ist als das, was man bisher getan hat, und an welchen Stellen noch verbesserte Problemlösungspotenziale liegen könnten.
Rationalisierungserwartungen durch Evaluation
Von Evaluation erhofft man sich eine verbesserte politische, fachbezogene und administrative Steuerung von Programmen, eine Erhöhung ihrer Zielgenauigkeit, einen optimierten Ressourceneinsatz sowie – daraus resultierend – eine verbesserte Legitimation. Evaluation ist somit gleichzeitig Ausdruck und Instrument einer gesellschaftlichen Modernisierung, die sich als intensivierte Rationalisierungsabsicht zeigt: Mit Evaluation setzt man „auf Versachlichung anstatt auf Tradition … Durch Evaluationen sollen von Traditionen und individuellen Interessen unbeeinträchtigte Entscheidungsgründe verfügbar gemacht werden.“ (Kuper 2005, 27) Ob diese mit Evaluation verbundenen Erwartungen dem Charakter von Evaluation entsprechen und einlösbar sind, ist eine zweite Frage. Zunächst sind die gesellschaftlich-politischen Hintergründe für die „Karriere“ des Evaluationsthemas zur Kenntnis zu nehmen. Sie können sich in den Erwartungen an eine konkrete Evaluation niederschlagen und müssen von den Evaluationsakteuren wahrgenommen und einkalkuliert werden.
Evaluation und Profession
Neben diesen gesellschaftlichen Hintergründen lassen sich jedoch auch aus der Profession erwachsende Motive erkennen, die den Stellenwert von Evaluation befördert haben. Die Profession „Soziale Arbeit“ gerät nicht nur von außen unter Legitimationsdruck. Auch innerhalb der Handlungsfelder und Einrichtungen sind sich Fachkräfte häufig unsicher, welche Erfolge ihr Handeln nach sich zieht, welche Methoden welche Erfolge versprechen, an welchen Stellen Konzepte und Handlungsmuster von Fachkräften oder Teams Stärken und / oder Schwächen aufweisen, wo sich Ansatzpunkte für eine wirkungsvolle Qualitätsentwicklung zeigen, ob das Handeln ausreichend mit Zielen verkoppelt ist etc. Die steigende Bedeutung von Evaluation verweist zum einen auf Verunsicherung in der Profession („Wissen wir ausreichend, was wir tun und mit welchen Effekten wir es tun?“) und zum anderen auf ein Bedürfnis nach stärkerer Strukturierung der Arbeit. Evaluation als einen Modus der Selbstreflexion und als ein Hilfsmittel zur Handlungsstrukturierung einzusetzen, kann – als ein erwünschter Nebeneffekt – die Legitimation der Profession verbessern helfen. Das Methodische und die damit erzielten Ergebnisse werden nicht mehr lediglich behauptet, sondern ihr genauer Nachweis soll helfen, das Profil der Profession nach außen besser darstellen zu können.
Die gesellschaftlich-politischen Hintergründe und die aus der Profession entstehenden Motive, die zur „Konjunktur“ von Evaluation beitragen, stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern verweisen aufeinander. Das Streben nach verbesserter Legitimation und das Bemühen um eine stärkere Strukturierung oder Steuerung des Handelns überlagern beide Motivbereiche. Dies schließt nicht aus, dass dabei verschiedenartige Akzente gesetzt werden, z. B. die Hoffnung auf eine Rationalisierung in Form einer eher technokratischen Steuerung einerseits und ein Verständnis von Rationalitätserweiterung durch verbesserte Selbstreflexion andererseits. Solche Akzentverschiebungen sind wichtig zu beachten, aber es sollten gleichermaßen die Überschneidungen und Ähnlichkeiten in den elementaren Motiven zur Kenntnis genommen werden.
2.2 Funktionen von Evaluation
Die Faktoren, die Evaluation zu einem immer bedeutsameren Thema in der Sozialen Arbeit haben werden lassen, verweisen auf Funktionen, für die Evaluation eingesetzt wird. Im Anschluss an Stockmann / Meyer (2010, 73 ff) können vier zentrale Funktionen von Evaluation unterschieden werden:
• Erkenntnisgewinn für Steuerungsentscheidungen: Evaluation soll Daten liefern, die Entscheidungen ermöglichen, mit denen Strukturen und Prozesse zielgerichteter gestaltet werden können.
• Kontrolle: Erkenntnisse aus Evaluationen werden nicht nur zur Planung und zur Entscheidungsfindung eingesetzt, sondern auch zur Kontrolle. Kontrollevaluationen können sich auf den Grad der Zielerreichung, auf das Aufwand-Nutzen-Verhältnis, auf die Aufgabenerfüllung der an einem Programm Beteiligten, auf die Kompetenz der Akteure etc. richten. In der Evaluation ist immer auch ein Kontrollaspekt vorhanden, auch dann, wenn die Akteure bemüht sind, durch breite Mitarbeiterpartizipation, durch demonstrative Hervorhebung der sachbezogenen Ausrichtung o.ä. diesen Kontrollaspekt in den Hintergrund zu drängen. Ganz ausschalten lässt sich der Kontrollaspekt bei Evaluationen nicht.
• Förderung von Entwicklungen: Die entwicklungsfördernde, tendenziell innovative Funktion resultiert daraus, dass Evaluation Transparenz erweitert und dadurch Dialogmöglichkeiten zwischen verschiedenen Beteiligten und Interessenträgern eröffnet. Evaluation wird eingesetzt, wenn Akteure sich für Lernvorgänge öffnen wollen, ist also Bestandteil von Lernprozessen. Gleichzeitig evoziert sie selbige, weil Evaluation Prozesse der Reflexion und des Bewertens beinhaltet, die im logischen Verlauf die Erörterung von Konsequenzen nach sich ziehen bzw. mit solchen Erörterungen verbunden sind.
• Legitimation durchgeführter Maßnahmen: Mithilfe von Evaluation lassen sich Ergebnisse und Wirkungen von Programmen darstellen, wodurch ein Programm mit seinem Ressourceneinsatz und seinen Resultaten nach außen präsentiert werden kann – Heiner (2001b, 42) spricht hier von einer „demonstrativen Funktion“ – und Perspektiven der weiteren Realisierung begründet werden können.
Überlagerung von Funktionen
Bei der Planung und Durchführung von Evaluationen können verschiedene Funktionen einbezogen sein. Insbesondere wenn mehrere Interessenträger in die Evaluation hineinwirken, besteht die Versuchung, die Evaluation so anzulegen, dass den unterschiedlichen Erwartungen Rechnung getragen werden kann. Dabei besteht jedoch die Gefahr, dass die Evaluation zu überladen und zu komplex konzipiert wird, was sich in Problemen bei der Durchführung und bei der Aussagekraft der Ergebnisse niederschlagen kann. In der Regel benötigen Evaluationen Entscheidungen darüber, zu welcher prioritären Funktion sie eingesetzt werden sollen. Denn das hat Konsequenzen für das Evaluationsdesign und die Durchführung der Evaluation. Eine Evaluation, die die entwicklungsfördernde Lernfunktion in den Mittelpunkt stellt (z. B. „wir wollen wissen, ob wir die einzelnen Arbeitsschritte unseres Sprachförderungsprogramms in der Kindertageseinrichtung in den unterschiedlichen Gruppen relativ einheitlich praktizieren und worin Unterschiede begründet sein können“), wird nicht gleichzeitig und in gleicher Intensität eine nach außen gerichtete Legitimationsfunktion (z. B. „wir wollen darstellen, welchen Nutzen der Ressourceneinsatz zur Sprachförderung erzeugt und an welchen Stellen sich durch einen veränderten oder ausgeweiteten Ressourceneinsatz wahrscheinlich Effektverbesserungen erzielen ließen“) realisieren können. Und ob Evaluation primär unter dem Vorzeichen seiner Kontrollfunktion oder in der Hoffnung eingesetzt wird, einen Entwicklungsimpuls zu erhalten, wird sich in verschiedenartigen Evaluationskonzepten niederschlagen. Vor allem zwischen der Kontrollfunktion und der Entwicklungsfunktion bestehen elementare Spannungen, sodass beide Funktionen nicht gleichgewichtig in einem Evaluationsdesign Platz haben können (Kromrey 2000, 26 f). Zwar ist in jeder Evaluation auch der Kontrollaspekt enthalten und kann daher nicht ausgeschaltet werden, jedoch macht es einen Unterschied, ob diese Funktion in das Zentrum der Evaluation gestellt wird oder ob die Entwicklungsfunktion den Funktionskern ausmachen soll und die im Hintergrund vorhandenen Kontrollaspekte bei den einzelnen Evaluationsphasen mitreflektiert werden müssen. Statt einer relativ unstrukturierten Funktionsmischung sollte Evaluation mit der Entscheidung zu einer prioritären Funktion versehen werden, und es sollte gut überlegt werden, welche Funktionsaspekte neben dieser Funktion an nachrangiger Stelle hinzugenommen werden, ohne dass die Evaluation dadurch an Profil verliert, zu komplex wird und ohne dass dadurch die gewählte prioritäre Funktion gestört wird.
Informationen für Entscheidungen
Die vier genannten Funktionen laufen zusammen in der zentralen Anforderung an Evaluation: Informationen bereitstellen für praktisch folgenreiche Entscheidungen. Evaluation markiert einen methodischen Schritt im Rahmen der Entscheidungsfindung. Die Verkoppelung von Evaluation und Entscheidung macht den verwendungsbezogenen Charakter von Evaluation aus. In einer Organisation werden immer wieder Entscheidungen getroffen; man kann Organisationen definieren als Systeme, die aus Entscheidungen bestehen und die sich durch Entscheidungen konstituieren (Luhmann 2000). Der größte Teil von Entscheidungen in Organisationen verläuft „undramatisch“: Es sind in den Alltag eingebundene Entscheidungen, die ein Kontinuum von als quasi „natürlich“ empfundenen Entwicklungsverläufen gewährleisten. Wenn Organisationsmitglieder den Eindruck gewinnen, dass eine besondere „Entscheidung“ gefordert wird oder ansteht, dann handelt es sich meistens um die Frage, ob man aus dem bisherigen kontinuierlichen Entwicklungsverlauf mehr oder weniger intensiv ausbrechen soll, der Entwicklung also einen „anderen“ Verlauf geben will. Das macht solche Entscheidungen legitimationsanfällig: Es bedarf der Begründung, warum und mit welcher Intention (Erfolgserwartung, Erfolgswahrscheinlichkeit) entschieden werden soll oder – im Nachhinein – entschieden wurde. Evaluation ist ein Modus, um die zur Begründung erforderlichen Informationen zu erzeugen, entweder in prospektiver Absicht (zur Entscheidungsvorbereitung) oder mit einer retrospektiven Intention (zur Legitimation). Entscheidungen haben, wenn sie nicht willkürlich erfolgen, grundsätzlich einen rekursiven Charakter: Sie setzen voraus, dass die Entscheidungspersonen vorhergehende Erfahrungen und Wahrnehmungen verarbeiten und Position zu ihnen beziehen. Somit sind Entscheidungen implizit mit bewertenden Vorgängen verknüpft. Evaluation macht diesen impliziten Bewertungsvorgang explizit und reichert ihn mit Daten an, um mehr Rationalität bei Entscheidungen zu ermöglichen und diese nicht allein der sozialen Dynamik von Konflikten, Interessen, Zufällen etc. zu überlassen (zur Konstituierung von Entscheidungen in Organisationen Berger / Bernhard-Mehlich 2014). Der Evaluation kann somit die elementare Funktion zugesprochen werden, Rationalitätslücken und -grenzen bei der Entscheidungsfindung zu reduzieren.
„Organisationen und Evaluation stehen also in einem symbiotischen Verhältnis zueinander – die in Organisationen zu treffenden Entscheidungen erhalten durch Evaluation legitimatorischen Rückhalt, und Evaluation findet in Organisationen Adressaten, die an der praktischen Verwendung ihrer Ergebnisse interessiert sind.“ (Kuper 2005, 73)
2.3 Evaluation und Professionalität in der Sozialen Arbeit
Evaluation als Teil methodischen Handelns
Der Grundgedanke von Evaluation findet sich bruchlos in den Grundprinzipien professionellen Handelns wieder: Professionelles Handeln ist methodisch angeleitetes Handeln; dazu zählt die systematische Überprüfung der dem Handeln zugrunde liegenden Annahmen, der einzelnen Handlungsschritte und der mit den praktizierten Verfahren und Handlungsschritten hervorgerufenen Effekte und Nebenfolgen. Ohne an dieser Stelle im Einzelnen auf die verschiedenartigen Aspekte professionellen Handelns in der Sozialen Arbeit eingehen zu können (Heiner 2010; Hörster / Müller 1997; Schütze 1997; v. Spiegel 2018), dürften folgende Mindestvoraussetzungen für professionelles Handeln unbestritten gelten: der Entwurf zielorientierter Handlungsstrategien, die während und nach der Umsetzung auf ihre Angemessenheit und die erzielten Ergebnisse überprüft und gegebenenfalls in Hinblick auf bessere Zielerreichung optimiert werden. Diese Schritte erfolgen geplant und methodisch systematisiert, nicht „zufällig und gefühlt aus dem Bauch heraus“. Insofern bildet Evaluation ein zentrales Element und bedeutsames Instrumentenbündel zur Herausbildung professionellen Handelns in der Sozialen Arbeit, und zwar, wie bereits in Kapitel 1.2 vermerkt, nicht als Synonym für unterschiedliche Prüfungs- und Bewertungsvorgänge, sondern als ein eigener, abgegrenzter methodischer Arbeitsschritt. Zugespitzt formuliert: Ohne Evaluation bleibt das Handeln in professioneller Hinsicht lückenhaft, es zeigt Einbußen an Professionalität.
„Strukturelle Unsicherheit“ erfordert Evaluation
Gerade in der Sozialen Arbeit sind die Organisationen und die in ihnen tätigen Fachkräfte zur Aufrechterhaltung von Professionalität in besonderer Weise angewiesen. Denn die Struktur der Anforderungen, mit denen Organisationen und Fachkräfte konfrontiert werden, ist elementar durch das Merkmal „Unsicherheit“ geprägt. Organisationen der Sozialen Arbeit müssen Hilfepotenziale organisieren für Situationen, deren Umrisse die Akteure zwar kennen, die aber in den konkreten Einzelfällen stark divergieren. Häufig ist zu Beginn einer Hilfe nicht einmal das Problem eindeutig bestimmbar; es kann in mehreren Interpretationen verstanden werden, muss als Problemdefinition zwischen verschiedenen Beteiligten ausgehandelt werden, und auch dann bleibt die Problemdefinition immer noch eine vorläufige Hypothese, die im Hilfeverlauf immer wieder überprüft werden muss (beispielhaft an der Hilfeplanung bei den Erziehungshilfen vgl. Merchel 2006). Routinehandeln ist dementsprechend in der Sozialen Arbeit nur in engen Grenzen möglich. Routinehaftigkeit bei den Handlungsvollzügen ist meist schädlich, weil dadurch die erforderliche Individualität und Flexibilität in der Hilfegestaltung verloren gehen. Die Akteure der Sozialen Arbeit müssen sich bewusst sein, dass bei einem Großteil ihrer beruflichen Aufgaben „die sinnhaften Handlungsentwürfe, die das Handeln orientieren, sich zeitlich auch in Ungewissheit, sozial auch in der Fremde und sachlich auch im Unbestimmten bewegen“ (Hörster 1995, 38). Professionalität in der Sozialen Arbeit bedeutet somit auch, kompetent mit Unsicherheit umgehen und dabei eine eigene, durch Sensibilität, Aufmerksamkeit und Reflexion geprägte Handlungssicherheit gewinnen zu können. Zur Bewältigung dieser partiell paradoxen Anforderung, eine begrenzte Handlungssicherheit in einem strukturell durch Ungewissheit geprägtenAnforderungsfeld herauszubilden, hat Evaluation ihren Stellenwert als methodische Reflexionshilfe. Evaluation kann helfen, einen Teil von Ungewissheit zu absorbieren, ohne dies gleich mit überzogenen und daher trügerischen Gewissheitserwartungen zu verwechseln.
Professionelle Haltung
Offenheit gegenüber Evaluation und das aktive Streben nach Evaluation sind als Bestandteil einer „professionellen Haltung“ zu proklamieren. Die Bereitschaft, den Nutzen des eigenen Handelns zu überprüfen, stärkt die professionelle Autonomie. „Sie ermutigt dazu, Schwächen nicht zu verstecken, sondern die Bedingungen zu benennen, unter denen sie entstehen und abgebaut werden können.“ (Müller 2000, 230) Akteure mit einer solchen professionellen Haltung versprechen sich von Evaluation „wertvolle Daten“. Dies sind solche Daten, „die genauere Beschreibungen zulassen, die unterschiedliche Perspektiven sichtbar machen, die komplementäre Sichtweisen (insbesondere zwischen professionellen Dienstleistungen und ihren Adressaten)“ in einen Dialog miteinander bringen (Müller 2000, 230). In diesem Sinne stellt Evaluation nicht nur Methoden und Instrumente zur Professionalisierung Sozialer Arbeit zur Verfügung, sondern das der Evaluationzugrunde liegende Prinzip des Überprüfens und Bewertens mittels systematischer Informationssammlung markiert ein wichtiges Element einer „professionellen Haltung“ und ist somit als ein Bestandteil von Professionalität in der Sozialen Arbeit anzusehen. Evaluation ist nicht nur ein Reflex der Anforderungen von außen, mit denen Organisationen und Fachkräfte konfrontiert werden, sondern ist als ein weiterer Baustein in der „inneren Professionalisierung“ der Sozialen Arbeit zu interpretieren.
2.4 Zusammenfassung in Leitsätzen und Fragen zur Analyse der Erwartungen an eine Evaluation
Rationalitätsgewinn in Zeiten der Ressourcenknappheit
• Dass Evaluation eine zunehmende Bedeutung erhalten hat und weiterhin erhält, verweist auf den Bedarf an verbesserter Orientierung in Zeiten gesellschaftlicher Veränderungen und zunehmender Ressourcenknappheit. Bei sich ausweitenden und dynamisch verändernden sozialen Problemsituationen, die auf knappe oder reduzierte Ressourcen treffen, bemüht man sich verstärkt um Verfahren einer rationalen Entscheidungsfindung. Von Evaluation erhofft man sich einen solchen Rationalitätsgewinn zum Zweck der verbesserten politischen, fachbezogenen und administrativen Steuerung.
Professionelle Handlungsstrukturierung
• Die wachsende Bedeutung von Evaluation verweist auch auf Verunsicherungen in der Profession selbst und auf ein Bedürfnis nach stärkerer Strukturierung der Arbeit. Evaluation bietet Hilfsmittel zur Reflexion und zur Handlungsstrukturierung sowie in der Folge eine verbesserte Legitimation der Profession.
Funktionen
• Der Evaluation werden vier zentrale Funktionen zugeschrieben: Erkenntnisgewinne für Steuerungsentscheidungen, Kontrolle, Förderung von Entwicklungen und die Legitimation durchgeführter Maßnahmen. Evaluationen erhalten ein Profil durch die Entscheidung darüber, welcher dieser vier Funktionen Priorität zugesprochen werden soll. Ohne eine funktionsbezogene Profilentscheidung drohen Evaluationen an ausgeweiteter Komplexität oder an Widersprüchen und zu großen Spannungen zwischen den einzelnen Funktionen zu scheitern.
Verbindung von Evaluation und Entscheidung
• Die vier Funktionen laufen in der zentralen Anforderung an Evaluation zusammen: Informationen bereitstellen für praktisch folgenreiche Entscheidungen. In der Verbindung von Evaluation und Entscheidung zeigen sich der verwertungsorientierte Charakter und die organisationale Eingebundenheit von Evaluation.
Notwendige Offenheit gegenüber Evaluation
• Ohne Evaluation bleibt das Handeln in professioneller Hinsicht lückenhaft, es zeigt Einbußen an Professionalität. Die strukturell mit Unsicherheit und Ungewissheit verbundenen Aufgaben in der Sozialen Arbeit erfordern eine Offenheit gegenüber Evaluation und ein aktives Streben nach Evaluation als Teil einer professionellen Haltung.
Evaluation als wertgeprägter Vorgang
In der bisherigen Darstellung dürfte deutlich geworden sein, dass und in welcher Intensität Evaluation von Wertsetzungen durchzogen ist. Die Wertprägung von Evaluation zeigt sich nicht nur in der Bewertungsdiskussion zum Gegenstand der Evaluation, die aus den Evaluationsergebnissen folgt, sondern wertende und mit Interessen verbundene Entscheidungen fallen bereits bei Funktions- und Zielbestimmung der Evaluation an. Sie durchziehen den gesamten weiteren Evaluationsprozess von der genauen Konturierung des Evaluationsgegenstandes über die Formulierung der zentralen Evaluationsfragestellung und die Auswahl der Datenerhebungsmethoden bis hin zur Entscheidung darüber, in welchen Konstellationen und vor welchem Publikum die Evaluationsergebnisse präsentiert werden sollen. Bei der Konzipierung einer Evaluation sollten daher die Erwartungen, Interessen und Wertbezüge der mittelbar und unmittelbar Beteiligten transparent gemacht werden. Das Bemühen um eine diesbezügliche Transparenz erleichtert Erörterungen und Entscheidungen für ein realistisches, die Risiken und Chancen abwägendes Evaluationskonzept. Folgende Fragen können für die Analyse von Erwartungen, Interessen und Werthaltungen hilfreich sein:
• Sind diejenigen, die ein Interesse an der Evaluation haben oder die an der Evaluation mittelbar oder unmittelbar beteiligt sind, eher an einer Legitimation oder eher an einer kritischen Aufarbeitung und Qualitätsentwicklung interessiert? Bestehen diesbezüglich bei den Beteiligten Interessendivergenzen oder unterschiedliche Interessenpositionen?
• Welche der vier genannten Funktionen von Evaluation steht bei welchem Interessenträger im Vordergrund und bei welchen Interessenträgern bestehen Mischungsverhältnisse oder Ambivalenzen zwischen den vier Funktionserwartungen?
• Nehmen die unterschiedlichen Interessenträger und Beteiligten die verschiedenartigen Interessenschwerpunkte und Blickwinkel wahr, die auf die Evaluation einwirken, und wie werden diese Wahrnehmungen im Diskussionsprozess verarbeitet?
• Welche Erwartungen und Interessen werden explizit geäußert, und welche impliziten Erwartungen können aufgrund welcher Wahrnehmungen bei unterschiedlichen Akteuren vermutet werden?
• Durch Evaluation wird in der Regel ein höheres Maß an Transparenz geschaffen, womit erweiterte Möglichkeiten der Kontrolle einhergehen: Wie stark ist der Kontrollaspekt in den Erwartungen einzelner Akteure vorhanden und wie gehen die verschiedenen Beteiligten mit diesen Kontrollerwartungen und -interessen um?
• Erwartungen zeigen sich oft insbesondere in einem Evaluationsauftrag. Wer hat einen Evaluationsauftrag formuliert und welche Erwartungen sind in der Auftragsformulierung (explizit und implizit) enthalten? Wie nehmen die unterschiedlichen Beteiligten den Evaluationsauftrag wahr und in welchem Verhältnis sehen sie den Auftrag zu ihren Interessen und Wertsetzungen?
• Wie ist das Verhältnis von Erwartungen und Interessen, die aus dem Umfeld der Organisation geäußert werden, zu den organisationsintern vorhandenen Erwartungen und Interessen? Wie werden mögliche Differenzen zwischen diesen Interessenbündeln verarbeitet?
• Welche Wertpräferenzen spiegeln sich in den Erwartungen und Interessen der Beteiligten oder Beteiligtengruppen und welche Auswirkungen dieser Wertpräferenzen können auf den Evaluationsprozess vermutet werden?