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7Brücke, Garten

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Martin ist seit langem Witwer, aber er ist auch Vater, Großvater und seit einem Jahr sogar Urgroßvater. Seine beiden Söhne und seine Tochter sind schon vor Jahrzehnten vor der Grenze und dem Niederrhein geflohen, nach Frankfurt (am Main), nach Stuttgart und in die Schweiz. Manchmal ist jemand aus der Familie zu Besuch, dann kommt Martin vielleicht eine ganze Woche nicht zu mir, und ich sehe im Ort, wie er zum Beispiel in das Auto eines seiner Söhne steigt und man einen Ausflug macht, diesseits oder jenseits der Grenze. Er ist so taktvoll gewesen, mich nie zu fragen, warum ich keine Familie habe, und er hat mich auch nur einmal nach meinen Eltern gefragt.

»Mein Opa war bei der Bahn«, erzählte ich ihm eines Tages, »erst bei der Reichsbahn und dann bei der Bundesbahn. Kurz nach dem Krieg – dem zweiten – ist er mitsamt einer Brücke, über die gerade ein Zug gefahren war, in einen Fluss gestürzt. Für alle war es ein Wunder, dass er das überlebt hat, aber richtig gesund ist er nicht mehr geworden. Er durfte vorzeitig in den Ruhestand und kümmerte sich um unseren Schrebergarten, und dorthin nahm er mich auf dem Fahrrad oft mit. In diesem Garten ist er auch gestorben, an einem Sonntagmorgen im Januar, allein, Herzstillstand, da war er erst sechsundsechzig, und ich war noch nicht sieben.«

Das war meine Lieblingsgeschichte aus meiner Familie. Ich war froh, so eine Geschichte erzählen zu können. Sehr viele mehr hatte ich nicht.

»Dein Lieblingsopa«, sagte Martin, »das hört man.«

»Mein einziger«, sagte ich, »den anderen habe ich nie gekannt.«

»Und wo ist das mit der Brücke passiert?«

»In der Nähe einer anderen Grenze, die es heute nicht mehr gibt. Aber vor kurzem habe ich von dieser Grenze geträumt, Martin, sogar in Farbe. Selbst das Lysol roch freundlicher als damals.«

Altes Zollhaus, Staatsgrenze West

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