Читать книгу Luzifer junior - Ein Geschenk der Hölle - Jochen Till - Страница 10

Kopf abgefackelt

Оглавление

»Zwölfundsechzig.«

»Die Zahl gibt es gar nicht, Cornibus«, erwidere ich.

»Dreihundertsiebzehnundfünzig.«

»Die auch nicht. Jetzt konzentrier dich doch mal. So schwer ist das nicht.«

»Siebenkommadreiundelfzig.«

»Sechs. Drei plus drei ergibt sechs, Cornibus. Ich hätte nicht gedacht, dass dir Kopfrechnen solche Schwierigkeiten macht.«

Genauso wenig hätte ich allerdings gedacht, dass ich überhaupt mal versuchen würde, ihm das beizubringen. Das war ein sehr spontaner Einfall, um mir die Wartezeit bis drei Uhr zu verkürzen. Diesbezüglich funktioniert das auch ziemlich gut, die letzte halbe Stunde verging viel schneller als die Zeit davor.

»Cornibus Dämon«, grummelt es mir entgegen. »Dämon nicht topfrechen.«

»Kopfrechnen, Cornibus. Das heißt kopfrechnen«, sage ich. »Warte, ich habe eine Idee. Vielleicht klappt es ja, wenn wir mit etwas rechnen, das du magst. Wir probieren es mal mit Schokolade. Also, pass auf: Eine Tafel Schokolade besteht aus zwanzig Stücken. Wenn du jeden Tag vier davon isst, wie viele Tage dauert es, bis die Tafel alle ist?«

»Jetzt!«, antwortet Cornibus wie aus der Pistole geschossen.

»Wie, jetzt?«, erwidere ich. »Das ist doch keine Antwort.«

»Schwafel Schlotzolade umdrehen. Dann nur eins Stück. Cornibus essen. Jetzt alle. Wann Cornibus kriegt andere drei Stück Schwafel Schlotzolade?«


»Ha, siehst du!«, sage ich lachend. »Du kannst ja doch rechnen! Auch wenn du die Aufgabe nicht gelöst hast, du weißt genau, dass vier minus eins gleich drei ist!«

»Cornibus richtig gerecht. Cornibus Verlohnung?«

»Ja, du Schlingel, kriegst du. Aber dazu musst du auch noch ein bisschen rechnen.«

Ich ziehe eine Tafel Schokolade aus meiner Nachttischschublade, breche drei Stücke ab und lege sie vor Cornibus aufs Bett.

»So, hier sind drei Stück Schokolade«, sage ich. »Wenn ich jetzt noch drei dazulege, wie viele Stücke hast du dann?«

»Cornibus weiß nicht. Zu schwierig. Muss Schlotzolade sehen.«

Ich breche noch mal drei Stücke ab und lege sie zu den anderen.

»So, wie viele Stücke Schokolade liegen jetzt da?«, will ich wissen.

»Zu wenig«, antwortet Cornibus.

»Okay, dann legen wir noch drei dazu«, sage ich und mache es. »Wie viele sind es jetzt? Drei plus drei plus drei ergibt?«

»Nix!«

»Das ist leider falsch, Cornibus«, sage ich. »Guck noch mal richtig hin, da liegen … Huch! Wo ist denn die Schokolade so plötzlich hinverschwunden?«

Ein Blick auf Cornibus’ dick gefüllte Backen beantwortet meine Frage sofort.

»Hey!«, ermahne ich ihn lachend. »Du darfst deine Rechenaufgabe nicht essen, bevor du sie gelöst hast!«

»Cornibus erst essen. Dann Aufgabe gelöst. Topfrechen lustig. Cornibus mehr topfrechen!«

»Ich fürchte, dafür habe ich nicht genug Schokolade«, sage ich lachend.

Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Es ist kurz nach halb drei. Okay, das reicht, ich habe keine Lust mehr, länger zu warten.

»Wir gehen jetzt rüber«, sage ich zu Cornibus. »Verwandle dich in etwas Kleines, damit du in meine Tasche passt.«

Cornibus verwandelt sich in einen Hamster und wir verlassen mein Zimmer.

Ein paar Minuten später stehe ich vor Lillys Tür und drücke auf den Klingelknopf. Drinnen erklingen Schritte, die näher kommen.

»Wer ist da?«, höre ich Gustavs Stimme.

»Ich bin’s!«, antworte ich.

»Du bist zu früh«, erwidert Gustav.

»Ach, die paar Minuten«, sage ich. »Lass mich rein.«

»Nö«, sagt Gustav. »Wir sind noch nicht so weit. Wir hatten drei Uhr gesagt.«

»Ich weiß. Aber ich will nicht mehr warten. Komm, lass mich doch bitte rein.«

»Keine Chance«, bleibt Gustav hart. »Ich hole dich, wenn wir fertig sind.«

Ich höre, wie sich seine Schritte von der Tür entfernen.


»Halt, warte!«, rufe ich. »Du kannst mich doch nicht einfach hier stehen lassen! LILLY! LASST MICH REIN! ICH HAB DOCH GEBURTSTAG!«

»DAS HAST DU IN FÜNFZEHN MINUTEN AUCH NOCH!«, ertönt Lillys Stimme. »QUENGEL HIER NICHT RUM!«

Hrmpf. Die sind ganz schön gemein. So langsam frage ich mich, ob Geburtstag zu haben wirklich so eine tolle Sache ist. Was machen die denn so lang da drin?

Ich gehe um die Ecke, um einen Blick durchs Fenster zu werfen. In dem Moment, in dem ich mich nach oben strecke, um etwas zu sehen, zieht mir Lilly die Vorhänge vor der Nase zu.

»HIER GIBT ES NICHTS ZU SEHEN!«, ruft sie. »DU VERDIRBST DIR NUR SELBST DIE ÜBERRASCHUNG!«

»NA UND?«, rufe ich zurück. »VIELLEICHT WILL ICH MIR JA SELBST DIE ÜBERRASCHUNG VERDERBEN! IST JA SCHLIESSLICH MEINE ÜBERRASCHUNG! MIT DER KANN ICH JA WOHL MACHEN, WAS ICH WILL!«

»KANNST DU NICHT!«, erwidert Lilly. »ÜBERRASCHUNGEN GEHÖREN SO LANG DENJENIGEN, DIE SIE PLANEN, BIS SIE GEKLAPPT HABEN! ALSO IST DAS IMMER NOCH UNSERE ÜBERRASCHUNG UND WIR ENTSCHEIDEN, WANN DU SIE ZU SEHEN KRIEGST!«

Mist, verdammter. Aber so leicht gebe ich nicht auf. Ich entferne mich ein paar Schritte und hole Cornibus aus meiner Tasche.

»Okay, pass auf, Cornibus«, sage ich leise. »Du verwandelst dich jetzt in eine Ameise, krabbelst da rein, guckst dich um, kommst wieder raus und erzählst mir alles, was du drinnen gesehen hast.«

Cornibus schüttelt seinen kleinen Hamsterkopf.

»Cornibus nicht spüronieren für Luzie«, sagt er. »Lilly verboten. Cornibus kein Ärger mit Lilly. Lilly gefährlich.«


Wie jetzt? Cornibus hat Angst vor Lilly? Das wusste ich noch gar nicht. Okay, sie kann auch ziemlich Angst einflößend sein, ich möchte auch keinen Ärger mit ihr. Aber Cornibus hat sonst eigentlich vor nichts Angst, das wundert mich jetzt doch ein bisschen.

»Ach, komm schon«, sage ich. »Nur ein ganz kleines bisschen. Du kriegst auch eine Tafel Schokolade dafür.«

»Schlotzolade gut. Kein Ärger mit Lilly besser.«

»VERSUCHST DU DA DRAUSSEN ETWA, CORNIBUS ZUM SPIONIEREN ZU ÜBERREDEN?«, ertönt Lillys Stimme von drinnen. »VERGISS ES! ICH HABE IHM EIN EXTRAGROSSES STÜCK KUCHEN VERSPROCHEN, WENN ER ES NICHT MACHT!«

»Ach, so ist das«, sage ich und gucke Cornibus strafend an. »Du hast also gar keine Angst vor Lilly. Es geht dir nur um den Kuchen.«

»Schlotzolade gut. Kuchen mit Schlotzolade besser.«

»Tja, Pech für dich«, sage ich. »Vielleicht hättest du von mir ja ein noch größeres Stück Kuchen gekriegt. Aber das kannst du jetzt vergessen, selbst dran …«

»WILLST DU DA DRAUSSEN NOCH LÄNGER RUMDISKUTIEREN ODER ENDLICH GEBURTSTAG FEIERN?«, unterbricht mich Lilly. »IHR KÖNNTET JETZT SCHON MAL ZUR TÜR KOMMEN, WIR SIND GLEICH SO WEIT!«

»ALLES KLAR, BIN SCHON DA!«, rufe ich und gehe schnell zurück zur Tür.

Endlich, endlich ist es so weit! Gleich fängt mein Geburtstag richtig an! Ich bin so gespannt, was mich drinnen alles erwartet!

»MACH DIE AUGEN ZU!«, ruft Lilly durch die geschlossene Tür.

Wie bitte? Was soll das denn jetzt? Wieso soll ich denn die Augen zumachen? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn.

»Nö!«, erwidere ich. »Dann sehe ich doch die Überraschung nicht!«

Ich höre ein Kichern von drinnen.

»DAS GEHÖRT DAZU!«, ruft Lilly. »MACH ES EINFACH!«

Es gehört zu einer Geburtstagsüberraschung, dass man sie nicht sieht? Kapier ich nicht. Aber okay, wahrscheinlich ist das wieder so ein komischer Brauch hier oben. Ich schließe meine Augen.

»SIND ZU!«, rufe ich.

Ich höre, wie sich die Tür öffnet.

»Jetzt kannst du die Augen wieder aufmachen«, höre ich Lillys Stimme.


Ich öffne die Augen und sehe Aaron, Gustav, Lilly und Herrn Rosenberg vor mir stehen. Sie tragen kleine spitze Hüte in unterschiedlichen Farben und haben Tröten im Mund, mit denen sie lustige Geräusche machen.

»TA-DAAAA!«, rufen sie mir zwei Sekunden später im Chor entgegen. »ALLES GUTE ZUM GEBURTSTAG, LIEBER LUZIE!«

Jetzt bewerfen sie mich mit winzigen bunten Papierschnipseln, die teilweise an mir hängen bleiben oder auf den Boden fallen – offenbar darf man an Geburtstagen ungestraft Dreck machen, das gefällt mir.

Aaron tritt auf mich zu und umarmt mich kräftig.

»Herzlichen Glückwunsch zu deinem ersten Geburtstag! Geburtstag!«, sagt er.

»Ja, alles Gute, mein Bester!«, sagt Gustav und umarmt mich ebenfalls.

»Auch wenn ich mich immer noch nicht richtig dran gewöhnen kann, plötzlich einen Neffen zu haben: Ich wünsche dir alles Gute zum Geburtstag, Luzie«, sagt Herr Rosenberg und klopft mir auf die Schulter. »Vor allem wünsche ich dir, dass das kommende Jahr etwas ruhiger und weniger … höllisch wird.«

»Das wünschst du vor allem dir, Onkel Wolfram, damit du dir nicht so viele Sorgen um mich machen musst«, sagt Lilly lachend. »Aber ich hätte auch nichts gegen ein bisschen weniger Aufregung. Oder wie siehst du das, Bruderherz? Komm, lass dich drücken, du teuflisches Geburtstagskind!«

Sie breitet ihre Arme aus und kommt auf mich zu.

Als sich ihre Arme um mich schließen und wir uns berühren, entstehen lauter blaue Blitze um uns herum, die Luft knistert deutlich hörbar. Und plötzlich schießt ein stechender Schmerz in meinen Kopf.


»AU, VERDAMMT!«, rufen wir beide gleichzeitig und lassen uns schnell wieder los.

»Was ist denn?«, fragt Herr Rosenberg besorgt. »Geht es euch gut?«

»Ja … Nein … Ich bin mir nicht sicher«, antwortet Lilly und reibt sich mit beiden Händen die Schläfen. »Das war nur ganz kurz ein fieser stechender Schmerz hinter der Stirn.«

»Ja, bei mir auch«, sage ich. »So was hatte ich noch nie.«

»Aber jetzt ist er wieder weg?«, fragt Gustav.

Wir nicken beide.

»Vielleicht hat das ja etwas mit eurem Geburtstag zu tun?«, mutmaßt Aaron. »Eine Art höllische Zwillingsreaktion? Zwillingsreaktion?«

»Keine Ahnung«, sagt Lilly. »Aber wir sollten uns vorsichtshalber für den Rest des Tages besser nicht mehr berühren.«

»Gute Idee«, stimme ich ihr zu. »Das brauche ich echt nicht noch mal.«

»Ich kenne zufällig ein sehr gutes altes Hausmittel gegen Kopfschmerzen«, sagt Herr Rosenberg. »Es heißt Geburtstagskuchen. Kommt, lasst uns reingehen.«


Wir gehen in die Wohnung. Auf dem Weg ins Wohnzimmer hängen überall bunte Luftballons und Luftschlangen.

Luftschlangen gibt es bei uns unten auch, in Abteilung 88 bei den Egomanischen Adrenalinjunkies. Die kriegen Luftschlangen anstatt Bungee-Seilen und müssen sich damit den ganzen Tag lang in die tiefste Höllenschlucht stürzen.

»Habt ihr das alles gemacht?«, frage ich. »Das sieht total schön aus.«

»Ja«, sagt Gustav. »Deshalb durftest du ja noch nicht früher rein, wir waren noch nicht mit Schmücken fertig.«

»Genau«, sagt Aaron. »Und dein Geschenk mussten wir auch noch einpacken. Einpacken.«

»Dann kriege ich es jetzt also endlich?«, frage ich aufgeregt. »Da habe ich mich schon den ganzen Tag drauf gefreut! Was ist es denn?«

»Wenn wir dir das jetzt verraten würden, hätten wir uns das Einpacken auch sparen können«, sagt Lilly grinsend. »Du musst dich schon noch einen Moment gedulden.«

Wir betreten das Wohnzimmer. Hier ist auch alles toll geschmückt und auf dem Esstisch steht neben einer Schokoladentorte ein großes, in goldenes Papier gewickeltes Geschenk.

»Moment«, sagt Lilly und drückt auf ihrem Handy herum.

Im nächsten Moment ertönt Musik aus einem kleinen Lautsprecher. Das Lied ist auf Englisch, da wird was Ähnliches gesungen wie heute Morgen im Unterricht, ich verstehe es aber immer noch nicht.

Ich gehe auf das Geschenk zu.

»Darf ich?«, frage ich.

»Noch nicht«, sagt Lilly. »Erst musst du die Kerzen auf der Torte auspusten und dir was wünschen.«

»Aber du darfst den Wunsch nicht laut aussprechen«, erklärt Gustav. »Sonst geht er nicht in Erfüllung.«

Oh, das wusste ich auch noch nicht, dass man an seinem Geburtstag sogar einen Extrawunsch erfüllt bekommt, das ist super. Aber was soll ich mir bloß wünschen? Ah, ich weiß es!

Ich stelle mich vor die Torte, puste so lang kräftig, bis alle Kerzen ausgegangen sind, und wünsche mir still, dass ich jetzt endlich mein Geschenk auspacken darf.

Die anderen klatschen und jubeln.

»Sehr gut!«, sagt Lilly. »Ich hoffe, dass dein Wunsch in Erfüllung geht. Und jetzt darfst du dein Geschenk auspacken.«

Ich grinse breit – das hat ja perfekt geklappt mit dem Wunsch.

»Ich habe noch nie ein Geschenk ausgepackt«, sage ich und trete an den Tisch heran. »Muss ich da auf irgendwas achten?«

»Nö«, sagt Lilly. »Öffne die große Schleife und reiß einfach das Papier herunter. So habe ich das heute Morgen mit Onkel Wolframs Geschenk auch gemacht. Ich habe übrigens neue Boxhandschuhe gekriegt. Und einen Box-Kurs im Sportverein, da freue ich mich jetzt schon drauf.«

»Super«, sage ich. »Dann bin ich mal gespannt, was ich kriege.«

Ich ziehe an der Schleife, sie öffnet sich und das Band fällt hinunter. Gerade als ich damit anfange das Papier abzureißen, fliegt die Wohnzimmertür auf und schlägt mit lautem Gepolter an die Wand. Wir zucken alle erschrocken zusammen. In der Tür steht Auribus. Er sieht sehr mitgenommen aus, atmet schwer und muss sich mit einer Hand am Türrahmen abstützen. Er ist übersät mit blutigen Kratzern und Wunden, von seinem Kopf steigt eine kleine Rauchschwade auf.

»Auribus!«, ruft Lilly und stürzt auf ihn zu. »Du siehst ja schlimm aus! Was ist denn passiert?«

»Hölle … Angriff … Kampf …«, keucht Auribus völlig außer Atem als Antwort.

»Was?«, sagt Lilly entsetzt. »Die Hölle wurde angegriffen? Von wem denn?«

»Azrael … Er ist … wieder da …«, keucht Auribus.

Azrael? Unser irrer Onkel Azrael? Der Azrael, der letztes Jahr schon einmal versucht hat, die Hölle zu übernehmen, und gescheitert ist, weil wir ihn überlistet haben? Das kann nicht sein.


»Azrael?«, hake ich deshalb nach. »Der zählt doch Sandkörner in der Sahara.«

Zumindest war das die Strafe, die ihm Opa verpasst hat.

»Jetzt … nicht mehr«, sagt Auribus. »Er ist … offenbar entkommen.«

»Bist du dir wirklich sicher, dass es Azrael ist?«, frage ich, weil ich es kaum glauben kann.

»Abso…lut«, keucht Auribus. »Ich habe ihn … mit eigenen Augen … gesehen. … Er hat höchstpersönlich … fast meinen Kopf … abgefackelt.«

»Jetzt setz dich doch erst mal«, sagt Lilly besorgt. »Du kannst dich ja kaum noch auf den Beinen halten.«

»Keine … Zeit …«, keucht Auribus. »Wir müssen … sofort runter.«

»Runter?«, frage ich. »Das klingt jetzt gerade nicht danach, als wäre es eine gute Idee, runterzugehen. Und wen genau meinst du mit wir?«

»Euch … alle … vier«, antwortet Auribus. »Ihr seid die Einzigen … die ihn besiegen können. Das habt ihr ja … schon mal geschafft.«

»Moment mal, immer langsam«, sagt Herr Rosenberg. »Ihr geht nirgendwo hin. Das ist viel zu gefährlich. Euer Vater wird das schon regeln.«

»Wird er … leider nicht«, ächzt Auribus. »Azrael hat ihn bereits überwältigt … Und Gabriel und Steven auch … Er hält sie gefangen. Ich fürchte, er wird sie nicht mehr lang … am Leben lassen.«

»Okay, dann los!«, sagt Lilly entschlossen. »Das bedeutet, jede Minute zählt. Wir gehen.«

Wie, wir gehen? Jetzt?

»Äh … aber ich habe doch Geburtstag«, sage ich.

»Darauf scheint Azrael keine Rücksicht zu nehmen«, erwidert Lilly. »Tut mir echt leid, Bruderherz, aber das ist ja wohl wichtiger als dein Geburtstag.«

Na ja, ich dachte eigentlich, mein Geburtstag sei schon sehr wichtig. Und Papa hat bereits jede Menge Angriffe auf die Hölle überstanden. So leicht ist er nicht unterzukriegen, da ist bis jetzt jeder gescheitert. Es könnte also sehr gut sein, dass sich das alles schon wieder erledigt hat, wenn wir unten ankommen. Und dann hätten wir meinen Geburtstag ganz umsonst ausfallen lassen, das wäre doch sehr ärgerlich.

»Wir könnten doch gleich morgen früh runtergehen«, schlage ich vor. »Papa bringt so schnell nichts um, er ist schließlich unsterblich. Vielleicht hat es sich bis dahin sogar erledigt, dann können wir uns den Weg sparen.«

»Du glaubst doch wohl selbst nicht, dass ich hier oben fröhlich Geburtstag feiere, während unser Vater da unten in Gefahr ist«, erwidert Lilly. »Wir gehen runter. Jetzt.«

Okay, ich merke deutlich an Lillys Tonfall, dass da nichts zu machen ist. Sie will runter, also gehen wir runter.

»Na gut«, sage ich seufzend. »Kann ich denn wenigstens vorher noch schnell mein Geschenk auspacken?«

»Nein, kannst du nicht«, sagt Lilly. »Du hast es doch gehört: Jede Minute zählt. Und dein Geschenk kannst du immer noch auspacken, wenn wir zurück sind.«


»Also, ich halte das für keine gute Idee. Luzie hat recht. Ihr solltet erst mal hierbleiben und abwarten, bevor ihr euch unnötig in Gefahr begebt«, sagt Herr Rosenberg und wendet sich an Aaron und Gustav. »Oder wie seht ihr das, Jungs? Euch hat ja noch gar niemand gefragt.«

»Also, ich würde mitkommen«, sagt Aaron. »Wenn es darum geht, jemandem zu helfen, bin ich immer gern dabei. Dabei.«

»Na ja«, sagt Gustav und kratzt sich am Hinterkopf. »Grundsätzlich würde ich auch lieber Geburtstag feiern, als in die Hölle zu gehen und einen Irren zu bekämpfen. Aber wenn alle gehen, komme ich natürlich mit.«

»Gut, dann ist ja alles klar«, sagt Lilly. »Lasst uns keine Zeit mehr verlieren, wir brechen auf.«

»Dann komme ich aber mit!«, sagt Herr Rosenberg. »Ich lasse euch auf keinen Fall allein da runtergehen!«

»Es ist wirklich sehr lieb von dir, dass du mitkommen willst, Onkel Wolfram«, sagt Lilly. »Aber du kennst dich da unten überhaupt nicht aus und ich würde mir ständig Sorgen um dich machen. Es wäre besser, wenn du hierbleibst.«

»Auf keinen Fall!«, erwidert Herr Rosenberg. »Wenn ich diesmal schon weiß, dass ihr da runtergeht, komme ich …«

»Wir können Sie sowieso nicht mitnehmen«, unterbricht ihn Auribus, der sich ein bisschen erholt hat. »Ich habe Stevens Ei-Boot genommen, um hierherzukommen. Und das ist auch die schnellste Möglichkeit für den Weg nach unten. Wir haben aber nicht genug Platz für sechs Personen, das wird so schon sehr eng.«

»Glaub mir, es ist besser so«, sagt Lilly. »Ich verspreche dir, dass wir gut auf uns aufpassen. Du musst dir wirklich keine Sorgen machen. Luzie und ich sind zusammen unschlagbar.«

»Keine Sorgen machen?«, seufzt Herr Rosenberg. »Das sagst du so leicht. Seit ich weiß, dass du die Tochter des Teufels bist, mache ich mir rund um die Uhr Sorgen. Und wenn du da unten gegen irgendwelche verrückten Verwandten kämpfst, werden die Sorgen nicht gerade kleiner.«

»Ich weiß«, sagt Lilly. »Und das tut mir auch sehr leid und ich wünschte, ich könnte etwas dagegen tun. Aber wir müssen jetzt echt los.«

Sie umarmt ihn kurz, drückt ihm einen Kuss auf die Wange und wendet sich an uns.

»Seid ihr bereit?«, fragt sie.

Nicht wirklich. Ich war den ganzen Tag lang bereit für meinen Geburtstag. Aber den kann ich ja wohl jetzt vergessen.

»Wenn’s sein muss«, sage ich brummelnd. »Von mir aus kann’s losgehen.«

»Augenklick!«, sagt Cornibus. »Cornibus Popoviant mitnehmen! Schlotzolade-Torte! Wichtig!«

»Das heißt Proviant«, verbessere ich ihn. »Du kannst die Torte nicht mitnehmen, Cornibus. Sie würde schmelzen, bevor wir ankommen. Du weißt doch ganz genau, dass es unten keine Schokolade gibt, weil es zu heiß ist.«

»Cornibus vergessen. Aber kein Problem.«

Er verwandelt sich in einen übergroßen Pelikan, stopft sich die komplette Torte in den Schnabel und fliegt an uns vorbei aus dem Wohnzimmer.

Na super. Jetzt muss ich mich auch noch von meiner Torte verabschieden, ohne wenigstens ein Stück davon probiert zu haben. Jede Wette, das ist der wahrscheinlich mieseste Geburtstag, den jemals jemand nicht feiern konnte.


Luzifer junior - Ein Geschenk der Hölle

Подняться наверх