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Blöde Fragen
Оглавление»Unter Karl dem Großen stieg das Frankenreich zu einer neuen Großmacht auf«, sagt der Holzapfel. »Er modernisierte die Verwaltung und leitete eine Bildungsreform ein, die das Frankenreich vor allem kulturell neu belebte.«
Ja, ja, blablabla, wen interessiert das denn bitte schön? Als ob es nichts Wichtigeres gäbe als diese alten Geschichten von anno dunnemals. Vor allem heute. Ich meine, an jedem anderen Tag wäre dieses Geschwafel schon langweilig genug, aber heute nervt es mich tatsächlich noch mehr als sonst. Ich will nicht hier sitzen und mir dieses öde Gelaber anhören. Ich sollte heute überhaupt nicht zum Unterricht gehen müssen. Das gehört eigentlich verboten. Aber Lilly hat gesagt, das sei normal. Sie musste auch zur Schule, wir haben uns noch gar nicht gesehen heute.
»Ein ganz besonderer Tag im Leben Karls des Großen war der 25. Dezember des Jahres 800. Wer weiß, was an diesem Tag geschah? Vitus? Vielleicht möchtest du versuchen, die Frage zu beantworten, bevor du gleich einschläfst?«
Wie bitte, was? Jetzt werde ich auch noch drangenommen? Heute? Unverschämtheit. Das gehört definitiv verboten.
»Hm, Vitus?«, hakt der Holzapfel nach. »Wieso könnte denn dieser Tag ein ganz besonderer für Karl den Großen gewesen sein? Irgendeine Idee?«
»Ja«, brumme ich. »Er hatte Geburtstag, musste in der Schule trotzdem blöde Fragen beantworten und ist deshalb tragischerweise noch vor seiner Geburtstagsparty gestorben.«
Gelächter breitet sich aus.
»Ah, ich verstehe«, sagt der Holzapfel. »Es gibt demnach ausnahmsweise einmal eine Erklärung für deine stoische Missachtung meines Unterrichts. Du hast also heute Geburtstag?«
»Da bin ich mir mittlerweile nicht mehr so sicher«, antworte ich grummelnd. »Man hat mir gesagt, Geburtstage wären lustig und man hätte den ganzen Tag lang Spaß. Davon merke ich bis jetzt allerdings ziemlich wenig.«
Eigentlich überhaupt nichts, um genau zu sein. Als ich vorhin aufgewacht bin, hat sich alles wie immer angefühlt. Ich hatte erwartet, dass heute alles anders wäre, irgendwie besser, schöner und aufregender, weil ich eben Geburtstag habe. Aber hätte Lilly mir nicht letzte Woche gesagt, dass heute mein Geburtstag ist, hätte ich es überhaupt nicht gemerkt. Mein Wecker hat wie immer geklingelt. Ich bin wie immer aufgestanden. Cornibus hat wie immer seine Portion Schokolade zum Frühstück gekriegt und kein Wort über meinen Geburtstag verloren. Im Bad bin ich ausgerutscht und habe mir den Ellenbogen gestoßen, das war auch sehr wenig geburtstaglich. Beim Frühstück haben mir dann Aaron und Gustav kurz die Hand geschüttelt und Herzlichen Glückwunsch gesagt, das war aber auch nicht besonders feierlich. Irgendwie hatte ich mehr erwartet, vorher haben immer alle so getan als wäre das ein ganz besonderer Tag, an dem nur tolle Sachen passieren. Bis jetzt ist überhaupt nichts Tolles passiert. Vielleicht beginnt ein Geburtstag ja aber erst so richtig, wenn die Geburtstagsparty anfängt? Ich hoffe es! Aber das ist erst heute Nachmittag und bis dahin muss ich offenbar noch ganz ungeburtstaglich hier rumsitzen und mich langweilen lassen. Bei meinem nächsten Geburtstag mache ich das auf jeden Fall anders. Da stehe ich erst auf, wenn die Party losgeht.
»Soso, da fühlt sich also jemand an seinem Ehrentag zu wenig gewürdigt«, sagt der Holzapfel. »Na, das können wir doch ändern. Wie wäre es mit einem kleinen Geburtstagsständchen für Vitus, Jungs?«
Im nächsten Moment fangen plötzlich alle an zu singen.
»HAPPY BIRTHDAY TO YOU! HAPPY BIRTHDAY TO YOU!«
Was soll das denn jetzt? Klingt ja grauenhaft. Das hört sich an wie der Dämonenchor, der bei uns unten in Abteilung 40 für die Kleinkarierten Kritiker singt. Und ich verstehe kein Wort. Ist das Englisch? Wieso singen die auf Englisch? Wir haben doch gerade Geschichte, nicht Englisch.
»HAPPY BIRTHDAY, LIEBER VITUS! HAPPY BIRTHDAY TO YOUUUUUUU!«
Lieber Vitus habe ich verstanden, offenbar war das wohl nett gemeint, aber ich bin heilfroh, dass dieses Gejaule vorbei ist. Jetzt jubeln und klatschen alle. Okay, das ist jetzt echt sehr nett und fühlt sich gut an. Aber was muss ich denn jetzt machen?
»Äh … danke?«, sage ich vorsichtshalber, während die Jungs aufstehen, um mir die Hand zu schütteln oder mir auf die Schulter zu klopfen.
Als alle durch sind, tritt der Holzapfel auf mich zu und schüttelt ebenfalls meine Hand.
»Ich wünsche dir alles Gute zum Geburtstag, Vitus«, sagt er. »Du bist jetzt ein Jahr älter. Ein Jahr schlauer wäre mir zwar lieber, aber da hält sich meine Hoffnung in Grenzen.«
Er lacht laut auf und schlägt mir auf die Schulter.
»Nur ein Spaß, Vitus«, sagt er. »Feierst du denn heute noch schön? Gibt es eine Geburtstagsparty? Und falls ja: Wieso habe ich keine Einladung gekriegt?«
Ja, es gibt eine Party. Und ich kann es kaum erwarten, das wird nämlich meine allererste Party überhaupt. Nur leider soll niemand etwas davon erfahren. Weil niemand wissen darf, dass ich in Wirklichkeit nicht Vitus von Turbsnatas, sondern der Sohn des Teufels bin und Lilly meine Zwillingsschwester ist. Deshalb hat sie nämlich auch heute Geburtstag und wir feiern zusammen, das wird sozusagen eine Doppelparty. Eine streng geheime Doppelparty. Sie wird bei Lilly zu Hause stattfinden und als Gäste sind nur Aaron, Gustav und Herr Rosenberg eingeladen. Ich hätte ja gerne viel mehr Leute eingeladen, am liebsten alle, von mir aus sogar den Holzapfel, aber dann hätten wir die ganze Zeit so tun müssen, als wären wir keine Geschwister. Lilly hat zwar gesagt, das wäre ihr egal, weil sie schon oft Geburtstag gefeiert hätte, aber ich fand das dann irgendwie blöd. Wenn ich schon eine Zwillingsschwester habe, möchte ich auch mit ihr zusammen feiern, und zwar richtig, als Geschwister, ohne die ganze Zeit lügen und aufpassen zu müssen, dass man sich nicht verplappert. Außerdem haben mir die anderen versprochen, dass es auch mit wenigen Leuten eine super Party wird, mit Geschenken und Geburtstagskuchen und lustigen Partyspielen und was weiß ich noch alles. Ich kann kaum erwarten, bis es losgeht und ich hoffentlich endlich erfahre, wie toll so ein Geburtstag ist. Solange ich hier herumsitzen muss, wird das jedenfalls nichts. Was mich auf eine Idee bringt – vielleicht funktioniert es ja.
»Nein, es gibt keine Party«, antworte ich dem Holzapfel. »Aber Sie dürfen mir natürlich trotzdem gern etwas schenken.«
»Oh, darf ich das?«, erwidert der Holzapfel grinsend. »Das ist aber sehr großzügig von dir. Hast du vielleicht irgendeinen speziellen Wunsch?«
»Na ja«, antworte ich. »Sie würden mir zum Beispiel eine riesige Freude machen, wenn Sie mich für den Rest des Tages vom Unterricht befreien würden.«
»Haha! So was dachte ich mir schon!«, sagt der Holzapfel lachend. »Das ist eine super Geschenkidee. Damit würde ich nämlich nicht nur dir eine riesige Freude machen, sondern vor allem mir. Aber leider geht das nicht, das ist gegen die Schulordnung. Ich kriege jede Menge Ärger mit Direktor Hasenfuß, wenn ich dich einfach so vom Unterricht befreie. Ich könnte dir trotzdem etwas als Geschenk anbieten: Wie wäre es, wenn ich dich nicht mehr drannehme, wenn du dich nicht meldest?«
»Das wäre super!«, sage ich hocherfreut. »Für immer?«
»Netter Versuch«, erwidert der Holzapfel.
»Für den Rest des Schuljahres?«, hake ich nach.
»Sagen wir, für den Rest der Woche«, gibt sich der Holzapfel geschlagen. »Danach darf ich dich wieder wie jeder gute Lehrer mit Überraschungsangriffen auf deine Gehirnzellen quälen. Abgemacht?«
Er streckt mir seine Hand entgegen, ich schüttle sie.
»Okay«, sage ich. »Abgemacht.«
Dass ich mein erstes Geburtstagsgeschenk ausgerechnet von einem Lehrer kriege, hätte ich auch nicht gedacht. Ich bin schon so gespannt darauf, was mir die anderen schenken werden. Aaron und Gustav haben mich die letzten Tage ständig neugierig gemacht, ohne mir etwas Konkretes zu verraten. Mein Geschenk wäre ganz toll. Und spannend. Und aufregend. Und einzigartig. Ich will jetzt endlich wissen, was es ist! Aber ich muss noch so lang warten, bis ich es kriege! Die Party soll um drei Uhr anfangen, das ist noch eine Ewigkeit hin. Ich schaue auf die Uhr. Verdammt, es ist noch nicht mal neun. Ich beuge mich zu Aaron rüber.
»Können wir denn nicht schon um zwei mit der Party anfangen?«, frage ich flüsternd. »Oder um eins? Gleich nach dem Unterricht?«
»Tut mir leid, das geht nicht«, antwortet Aaron. »Nach dem Unterricht müssen wir zum Mittagessen. Und Lilly kommt erst um halb zwei aus der Schule. Und dann müssen wir noch alles für die Party vorbereiten. Du darfst also auf keinen Fall vor drei bei Lilly sein. Aber das haben wir dir doch alles schon siebzehnmal erklärt. Erklärt.«
»Ich weiß«, sage ich seufzend. »Hätte ja sein können, dass sich seit gestern etwas geändert hat. Kann ich euch nicht wenigstens bei den Vorbereitungen helfen?«
»Nein, kannst du nicht«, erwidert Aaron. »Wir wollen dich doch überraschen. Das ist deine erste Geburtstagsparty, sie soll ganz besonders werden. Deshalb darfst du erst alles sehen, wenn wir fertig sind. Fertig sind.«
»Ja, aber was soll ich denn solange noch machen?«, frage ich.
»Dich freuen«, antwortet Aaron. »Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude. Schönste Freude.«
»Aber ich freue mich doch jetzt schon seit einer Woche vor«, erwidere ich. »Ich hab mich schon so viel vorgefreut, dass kaum noch Vorfreude übrig ist. Was, wenn ich mich vor lauter aufgebrauchter Vorfreude gar nicht mehr richtig freuen kann, wenn es endlich so weit ist?«
»Keine Sorge«, antwortet Aaron lachend. »Du wirst dich ganz sicher noch freuen, das garantiere ich dir. Bis dahin müsstest du die Vorfreude nur durch ein bisschen Geduld ersetzen. Ersetzen.«
Geduld? Heute? An meinem Geburtstag? Ich habe meine ganze Geduld doch schon gebraucht, bis es so weit war. Ich dachte, am Geburtstag selbst bräuchte man keine Geduld mehr. Mist. Dieses komische Geburtstagskonzept sollte man lieber noch einmal gründlich überdenken, das ist stark verbesserungsbedürftig.
»Muss ich denn noch an irgendwas denken?«, frage ich Aaron. »Ich meine, ich will auf keinen Fall etwas falsch machen, wenn es endlich losgeht.«
»Falsch machen?«, erwidert Aaron. »Was meinst du? Was könntest du denn falsch machen? Machen?«
»Na, was weiß ich?«, sage ich. »Ich mache doch sehr oft etwas falsch, wenn es um die Bräuche hier oben geht. Gerade gestern, zum Beispiel, da hat der Hasenfuß gesagt, ich soll ihm den Buckel runterrutschen. Und als ich genau das versucht habe, hat er mich zu zwei Wochen Küchendienst verdonnert. Also habe ich offensichtlich etwas falsch gemacht. Und ich will auf keinen Fall etwas falsch machen, wenn es um meinen Geburtstag geht.«
»Mach dir keine Gedanken«, sagt Aaron. »Du kannst nichts falsch machen. Du musst nur um drei Uhr pünktlich da sein, das ist alles. Alles.«
»Okay, das kriege ich hin«, sage ich. »Muss ich vielleicht irgendwas Besonderes anziehen? Manchmal muss man doch etwas Besonderes anziehen hier oben.«
»Was willst du denn Besonderes anziehen?«, erwidert Aaron. »Du hast doch sowieso nur ein Outfit. Outfit.«
»Das stimmt natürlich«, sage ich. »Eine neue Unterhose vielleicht? Zieht man an seinem Geburtstag eine neue Unterhose an?«
»Kommt drauf an«, sagt Aaron. »Wie lang hast du denn deine schon an? Schon an?«
»Erst vier Tage«, antworte ich. »Höchstens sechs.«
»Ja, dann solltest du unbedingt eine neue Unterhose anziehen«, sagt Aaron. »Und zwar unabhängig davon, ob du heute Geburtstag hast oder nicht. Nicht.«
»Gut, mach ich«, sage ich. »Sonst noch was? Muss ich vielleicht was zu essen mitbringen?«
»Nein, musst du nicht«, antwortet Aaron. »Es ist für alles gesorgt. Wir haben jede Menge Knabberzeug und du kriegst sogar eine richtige Geburtstagstorte. Auf die müssen wir wahrscheinlich sehr gut aufpassen, damit Cornibus uns nicht alles wegmampft. Wegmampft.«
»Das heißt, ich darf Cornibus mitbringen?«
»Natürlich darfst du Cornibus mitbringen«, antwortet Aaron. »Wir haben auch extra Schokolade für ihn gekauft. Und wir hoffen übrigens, dass er nicht der einzige Gast aus der Hölle sein wird. Lilly hat euren Vater eingeladen. Ob er wirklich kommt, wissen wir aber nicht. Er hat gesagt, er hätte viel zu tun und dass ihm Geburtstage eigentlich egal wären. Egal wären.«
»Das klingt ganz nach meinem Vater«, sage ich. »Was ist denn mit Auribus? Habt ihr ihn auch eingeladen?«
»Ja klar. Aber ich habe ihn jetzt seit drei Tagen nicht mehr gesehen. Er hat gesagt, er hätte unten noch etwas zu erledigen, wollte aber auf jeden Fall kommen. Kommen.«
»Super, da freu ich mich«, sage ich. »Je mehr Leute, desto …«
»Vitus!«, unterbricht mich der Holzapfel. »Ich kann mich nicht daran erinnern, dir einen Freischein für störendes Schwätzen zum Geburtstag geschenkt zu haben!«
Jaja, schon gut, ich bin ja schon still. Dann schlaf ich eben für den Rest des Unterrichts. Am liebsten würde ich gleich bis kurz vor drei schlafen, aber hier wird man ja zwischendurch immer wieder von der blöden Schulglocke geweckt. Egal, jede Minute, die ich nicht aktiv warten muss, zählt. Gute Nacht!