Читать книгу Privatdetektiv Joe Barry - Der Tod geht um in Alabaska City - Joe Barry - Страница 5

2. Kapitel

Оглавление

Zu den Zeiten, da Billy the Kid und Doc Holliday ihr Unwesen trieben, war Alabaska City ein ganz berüchtigter Ort gewesen. Hier hatte angeblich der wilde Westen seinen Ursprung. Ringsum lagen ein halbes Dutzend große Ranches, und alljährlich gab es hier einen großen Viehauftrieb. Alabaska City war Endstation der South Texas Railroad gewesen und hatte heute noch eine gewisse Bedeutung als Eisenbahnknotenpunkt. Früher saß hier der Colt so locker, daß, wenn einmal ausnahmsweise nicht geschossen wurde, der Sheriff mit dem erschrockenen Ruf „Was ist passiert?“ auf die Straße lief.

Natürlich hatten sich die Zeiten geändert. Die Cowboys fuhren mit Jeeps durch die Gegend, und die Longhorns trugen Funkgeräte zwischen den Hörnern, über die sie dem Computer auf der Ranch automatisch Standort, Gewicht und Schlachtreife mitteilten. Aber manches war unverändert geblieben. Die alten Männer beispielsweise, die auf Schaukelstühlen in den Vorgärten saßen und seit hundertdreißig Jahren darauf warteten, daß etwas passierte.

An diesem Abend verhielten alle Schaukelstühle entlang der Main Street mit einem Ruck, und zwei Dutzend Augenpaare starrten ungläubig auf die Figuren, die da aus der Wüste kamen. Gegen die untergehende Sonne boten die beiden Tramps einen malerischen Anblick. Sie schritten so munter dahin, als hätten sie eben mal einen Abendspaziergang um die Ecke gemacht.

„Bill“, sagte ein Hundertjähriger und kaute heftig auf seinem Zigarrenstummel. „Hast du so was schon mal in deinem Leben gesehen?“

„Doch“, sagte der Angeredete, „1898 kam Jesse Jones hier zu Fuß an, nachdem die Sioux ihm seinen Gaul erschossen hatten. Aber danach hat’s keiner mehr versucht.“

„By Jove, daß ich das noch erlebendarf!“

Hocherhobenen Hauptes schritten die beiden Gentlemen über die Main Street. Verächtlich musterten sie die Bürger von Alabaska City. Was waren das für armselige Figuren? Fuhren das Automodell vom vorigen Jahr und rakkerten sich tagaus, tagein für ein paar lumpige Dollars ab.

„Buck“, sagte Sir Winston und wies auf eine Fassade aus Glas und Stahl mit der Aufschrift The Emperor Hotel. „Das ist das richtige für uns. Scheint mir das erste Haus am Platze zu sein.“

„Ich weiß nicht“, sagte Buck Boy zweifelnd, der sich in seinem Leben noch nie einem vornehmen Hotel auf mehr als hundert Meter genähert hatte. „Ich hätte wirklich gern ein erstklassiges Haus mit tadelloser Bedienung. Nichts ist so wichtig, wie erstklassig geschultes Personal, Bruder!“

„Wahrscheinlich finden wir hier nichts Besseres. Sehen wir uns den Laden mal an.“

Sie stiegen die breite Freitreppe empor und landeten in einer angenehm gekühlten Halle, in der kostbare Hölzer, Stahl und Glas einen Lobgesang auf den Architekten anstimmten. Um die Wahrheit zu sagen, Alabaska City war im Umkreis von fünfhundert Meilen die einzige richtige Stadt, und die immer noch existierenden Viehbarone hielten die Wirtschaft mit ihren Dollarspritzen in Gang. Das „Emperor“ wäre auch in New York oder Philadelphia ein erstklassiges Hotel gewesen.

Dem Portier fiel bei ihrem Anblick der Telefonhörer aus der Hand.

„Gütiger Gott, das kann doch nicht wahr sein! Charly, ruf den Hausknecht, aber schnell!“

Sir Winston baute sich vor dem Tresen auf und knallte einen Hunderter auf die Theke.

„’n Tag“, sagte er und wartete ab.

In der Seele des Portiers entstand ein Zwiespalt, und der Graben wurde immer größer.

„Aber, Gentlemen“, wand er sich, „doch nicht in diesem Aufzug, bitte. Wir müssen auch an die anderen Gäste denken.“

Sir Winston schob den Hut ins Genick und wandte sich an Buck Boy.

„Wie wär’s, Bruder. Wollen wir das Hotel kaufen?“

„Weiß nicht recht“, nuschelte Buck Boy, „ich habe dir vorhin schon gesagt, daß ich ein wirklich erstklassiges Hotel suche. Mit einem erstklassigen Portier.“

Der Portier peilte den Hunderter an. Der Vorgang war gar nicht so ungewöhnlich. In Texas kam es immer wieder mal vor, daß irgendein lausiger Farmer von einer munter sprudelnden Ölquelle in die Höhe gehoben und in die nächste Stadt geschwemmt wurde. Es gab genug Leute hier, die sich von der Armut zum Reichtum aufgeschwungen hatten, ohne das Zwischenstadium des Wohlstandes auch nur zu streifen.

„Vielleicht — das Apartment 3 D“, schlug er vor.

„Haben Sie nichts Besseres?“ fragte Sir Winston.

„Das Fürstenzimmer. Aber …“

„Ist schon gemietet. Ich hoffe, in der Wasserleitung ist heißes Wasser.“

„Gentlemen, Sie sind im ,Emperor‘.“

„Na, schön, wollen hoffen, daß alles zu unserer Zufriedenheit ausfällt. Gepäck haben wir keins, kaufen wir erst. Wir gehen gleich nach oben. Lassen Sie sofort einen erstklassigen Friseur kommen.“

„Und eine hübsche Masseuse“, kicherte Buck Boy.

„Vielleicht auch einen Schneider?“ sagte der Portier hoffnungsvoll.

„Tadellose Idee. Den besten der Stadt. Und alles pronto! — Buck, fällt dir noch etwas ein?“

„Whisky!“

„Richtig, zwei Flaschen Grand Old Ded. Und viel Eis. Das ist meistens das Übel. Whisky kriegt man genug, aber am Eis fehlt es. Denken Sie daran, Mann!“

„Ist schon notiert, Gentlemen. Der Boy führt Sie nach oben. Wie wär’s nachher mit einem hübschen kleinen Dinner im Blue Star Room auf der Dachterrasse, mit zauberhaftem Ausblick auf ganz Südtexas.“

„Genehmigt“, sagte Sir Winston gnädig. „Halten Sie schon mal mit dem Küchenboß eine Konferenz ab. Ich bevorzuge französische Küche.“

„Es ist nicht zu fassen“, murmelte der Portier, als die beiden im Lift verschwunden waren. „Charly, komm doch mal mit der Spraydose her. Die beiden haben bestimmt in ihrem ganzen Leben noch kein Bad gesehen. Aber französische Küche bevorzugen sie.“

Zwei Stunden später war die Verwandlung vollzogen. Sie hatten ein heißes Bad genommen und sich anschließend den Künsten eines Friseurs anvertraut, der sich ihnen als Coiffeur vorgestellt hatte — „wir kaufen nichts“, hatte Buck Boy erst erklärt. Sie waren rasiert, hatten einen Messerschnitt verpaßt bekommen und sich dann staunend im Spiegel betrachtet.

Tiefe Falten zogen durch die lederartige Gesichtshaut. Die Gesichter, die sie anstarrten, kamen ihnen fremd vor. Der ungewohnte weiße Hemdkragen scheuerte, und in den federleichten Anzügen aus Rohseide kamen sie sich halb nackt vor. Die brandneuen Schuhe knarrten beim Gehen. Sie hatten sich mit den verschiedenartigsten Duftwässern besprüht und rochen wie das Versuchslabor einer Parfümmischerei.

Eine vollkommene Niederlage erlebten sie beim Dinner. Das Personal des Hotels zeigte ihnen mit vollendeter Perfektion, wer der Topf und wer der Deckel war.

Sir Winston begann in guter Haltung, während Buck Boy nervös wurde und leise zu fluchen begann, als er merkte, daß jede Regung mit sozusagen zehnfach hochgezogener Augenbraue kommentiert wurde. Dazu war es ein Ding der Unmöglichkeit, den Langusten mit Messer und Gabel beizukommen. Überall leistete die harte Schale Widerstand, und schließlich sah er angewidert auf.

„Verflucht, Bruder, warum geben die uns solches Ungeziefer? Ich wünsche mir nichts als ein anständiges Steak.“

„Du hast eben von den Feinheiten französischer Küche keine Ahnung.“

„Feinheiten“, knurrte Buck Boy verächtlich. „Ich will satt werden, nichts weiter.“

Sie waren froh, als sie es überstanden hatten. Gleich nach dem Essen zogen sie sich auf ihr Zimmer zurück, bestellten vorsorglich noch einmal Whisky, und dann begann der schönste Teil des Abends: das Saufen. Sie hatten sich fest vorgenommen, diesen Teil des Vergnügens nach allen Regeln der Kunst abzuziehen. Erst zwei, drei Gläser gegen den Durst, hatte Buck Boy freudig erregt, erklärt, und den Rest wegen der Wollust.

Aber als sie mitten im schönsten Anlauf waren, wurde hart an die Tür geklopft.

„Herein!“ lallte Sir Winston mit schwerer Zunge.

Die Tür ging auf, und eine mächtige Gestalt mit einem glitzernden Stern an der Hemdbrust wurde sichtbar.

„Hallo, Freunde!“ dröhnte ein heiterer Baß. „Hier ist wohl eine kleine Feier im Gange!“

„Wer s-sind Sie?“ fragte Sir Winston und kniff die Augen zusammen.

„Sheriff Glennon von der Citizen Police. Ich habe euch ein paar Fragen zu stellen.“

„Fragen Sie“, sagte Sir Winston und machte eine großzügige Handbewegung. „Wie wär’s mit einem Schluck, Sheriff? Ist ein prima Whisky.“

„Danke nein, ich trinke nur Buttermilch.“ Der Sheriff schob den Sombrero ins Genick und betrat den Raum. Suchend sah er sich um.

„Wo ist euer Gepäck, Freunde.“

„Haben keins“, kicherte Buck Boy.

„Kein Gepäck — aber die Taschen voller Geld.“

„So ist es“, versicherte Sir Winston stolz. „Wir sind richtige Lebenskünstler. Ziehen zu Fuß durch die Welt, und wo es uns gefällt, da bleiben wir.“

„Hübsch, sehr hübsch. Ich wollte, ich könnte auch so ein Leben führen. Wie steht’s mit den Papieren, Freunde?“

„Haben wir“, lallte Sir Winston mit schwerer Zunge und nestelte an seiner Tasche herum. „Dachten wohl, Sie könnten uns verbraten, Sheriff, aber da ist nichts drin. Nicht mit dem guten, alten Sir Winston.“

„Die gute, alte Haut“, sagte Buck Boy verklärt.

Der Sheriff nahm die Papiere, überprüfte sie kurz und zog dann ein kleines Buch aus der Tasche. Er überflog es und gab dann die Papiere zurück.

„Auf der Fahndungsliste steht ihr nicht, Freunde.“

Sir Winston richtete sich auf.

„Wollen Sie — wollen Sie uns beleidigen, Sheriff?“

„Aber wo denkt ihr hin!“ Sheriff Glennon hakte die Daumen in den Gürtel. „Ihr habt doch nichts dagegen, wenn ich mich mal umsehe?“

„Da habe ich eine Menge dagegen.“

„Sir Winston!“ Glennon schüttelte den Kopf, als er den Namen aussprach. „Ihr seid doch Landstreicher, Tramps. Und nicht aus dieser Gegend.“

„Ich bin Texaner“, sagte Buck Boy mit schwerer Zunge. „Genau wie der große LBJ.“

„Aber nicht von hier. Nun mal raus mit der Sprache. Wo habt ihr den Zaster her?“

„Zaster?“ fragte Sir Winston zurück. „Das Wort kenne ich nicht.“

„Langsam ist meine Geduld am Ende. Wo habt ihr euer Geld her? Gestohlen?“

„Gestohlen — wo denken Sie hin, Sheriff. Wir sind hoch — hochanständige Leute!“

„Ich krieg’s ’raus“, versicherte Glennon grimmig. „Und jetzt sehe ich mich hier um.“ Er öffnete den Schrank, sah in alle Fächer, zog die Schubladen auf, warf einen Blick ins Bad und sah schließlich unters Bett.

„Machen Sie sich nicht staubig“, kicherte Sir Winston.

Der Sheriff sah ihn grimmig an.

„Ich weiß, daß ihr’s gestohlen habt. Ich komm schon noch dahinter. Fühlt euch nur nicht zu sicher.“

„Sheriff, Sie stehen dicht vor der Lösung Ihres ersten Kriminalfalles.“

„Werde nur nicht unverschämt, Bursche!“

„Warum so bierernst? Ich verstehe Sie“ nicht. Bisher hatte ich mit der Polizei immer nur Ärger, weil ich kein Geld hatte. Jetzt, wo ich welches habe, kriege ich auch Ärger. Nun verraten Sie mir mal, wie ich’s machen soll, um keinen Ärger zu kriegen.“

Sheriff Glennon sah ihn wütend an, dann wandte er sich abrupt zum Gehen.

„Sheriff“, krähte Buck Boy, „trinken Sie unten ein Glas Buttermilch. Auf unsere Rechnung.“

Hinterher sahen die beiden sich stolz an.

„Sir Winston“, sagte Buck feierlich, „du bist wirklich ein Genie. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, das Geld draußen vor der Stadt zu verstecken. Wenn wir es hier gehabt hätten, wär’s jetzt schon weg. Darauf müssen wir einen trinken.“

Drei Tage später hatten sie sich schon besser in ihre neue Rolle eingelebt. Sie wohnten immer noch im „Emperor“, aber sie hatten andere Kneipen entdeckt, wo sie sich heimischer fühlten, und dort löste ein Fest das andere ab. Buck Boy hatte festgestellt, daß der Ruf „Wer macht mit? Ich zahle eine Runde!“ ihm regelmäßig ein bis zwei Dutzend gute Freunde bescherte, die auf seine Worte mit einem Respekt hörten, der ihm ungewohnt war. Sir Winston hatte ihm immer gezeigt, daß er nur zweiter Mann war, der höchstens mal eine Frage stellen durfte. Seine Meinung hatte nie etwas gezählt. Jetzt plötzlich konnte er sagen, was er wollte, es wurde ehrfürchtig hingenommen. Das gefiel ihm.

Sir Winston dagegen ging andere Wege. Er hatte eine späterblühte Blondine entdeckt, die in einem Blumenladen Verkäuferin war. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, das Mädchen zu erobern, und er berannte die Festung mit Ausdauer und Erfindungsreichtum. Er hatte am ersten Tag sämtliche Blumen des Ladens gekauft und ihr geschenkt, am zweiten Tag sämtliche Blumen der Stadt, und am dritten forderte er Verstärkung per Flugzeug an. Das Mädchen war zunächst nicht sehr geneigt, ihn zu erhören, aber wenn ein Mann offensichtlich über unerschöpfliche Geldreserven verfügt und bereit ist, diese einzusetzen, ist das zumindest ein Argument.

Am dritten Abend hatte er es geschafft; sie erklärte sich zu einem romantischen Mondscheinspaziergang am Rande der Wüste bereit.

Buck Boy dagegen war an diesem Tag früh — schon um elf Uhr — aufgestanden und war in den Black Pinguin, seine bevorzugte Bar, gegangen. Dort hatten sich schon sämtliche Penner der Umgebung versammelt und wässerten ihre Lippen in erwartungsvoller Vorfreude.

Um zwölf Uhr mittag war Buck Boy zu ganz großer Fahrt aufgelaufen.

„Ich sage euch“, grölte er, „das Geld liegt auf der Straße — oder in der Luft, wie man’s will. Man muß es nur greifen.“

„Erklär uns das doch mal genauer“, sagte ein Mann mit langem Gesicht und gelben Pferdezähnen. „Was heißt, liegt in der Luft?“

Buck Boy blinzelte den Mann an. Selbst in sein umnebeltes Gehirn drang die Erinnerung vor, den Mann noch nie gesehen zu haben. Aber das war egal; überall in der Welt gab es gute Freunde für Buck Boy.

„In der Luft ist in der Luft“, sagte der Tramp und kicherte. „Das meine ich.“

„In der Luft gibt’s auch Flugzeuge“, sagte der Mann.

„Flugzeuge voll Geld“, sagte Buck verträumt. „Flugzeuge, prall angefüllt mit lauter schönen Hundertdollarscheinen. So prall, daß sie eines Tages — hupp — platzen und herunterfallen. Trink noch einen, Bruder, auf all die Flugzeuge dieser Welt.“

„Danke, nein“, sagte der Mann, drängte sich durch die johlende Menge und verschwand in der Sonnenglut draußen.

Einen Augenblick war Buck verwirrt. Hatte er denn etwas Verkehrtes gesagt? Sir Winston hatte ihm eingeprägt, kein Wort über die Herkunft des Geldes zu verraten. Aber das hatte er ja auch nicht. Hatte nur einen kleinen Scherz gemacht. Nichts weiter. Kein Grund, sich die Laune verderben zu lassen.

„He, Jungs“, schrie er übermütig, „daß mir keiner trinkt, ohne mich mittrinken zu lassen.“

Für Sir Winston war der Mondscheinspaziergang eine Enttäuschung. Nicht, daß es nicht eine wunderbare, sternenklare Nacht mit Vollmond und romantischer Silhouette gewesen wäre, aber der Boden war steinig, und als sie sich hinsetzen wollten, raschelte irgendwo ein Tier. Dann geriet ihm Sand in die Schuhe, und sie trat auf etwas Spitziges und behauptete, es wäre ein Skorpion.

Irgendwie klappte alles nicht. Nach einer knappen Stunde bestand sie darauf, heimzugehen. Sir Winston trottete neben ihr her. Ehe ihm ein passender Spruch eingefallen war, schlug sie ihm die Tür vor der Nase zu.

Mißmutig schlenderte er zum Hotel zurück. Mit dem vielen Geld in der Tasche hatte er sich die Sache ganz anders vorgestellt.

Mit seinem „Ich-brauch-dringendwas-zu-trinken-Blick durchquerte er die Hotelhalle, ohne auf die tiefe Verbeugung des Portiers zu achten. Er hatte keine Lust, jetzt unter Menschen zu sein.

Der Lift brachte ihn in die Dachetage, und er ging den langen Gang hinunter. Vor der Tür blieb er stehen. Er hatte schon die Hand auf der Klinke, als er stutzte.

Drinnen wurde gesprochen. Sollte Buck Boy seine Saufkumpane mitgebracht haben? Aber nein, das klang anders. Er legte das Ohr an die Tür und lauschte.

„… zum letztenmal!“ grollte eine tiefe Stimme. „Wo habt ihr das Geld versteckt?“

Die Antwort war nicht zu verstehen, aber gleich darauf hörte er ein Aufklatschen und einen unterdrückten Schrei.

Sir Winston erbleichte. Blitzartig begriff er, was los war. Die Gangster, denen das Geld gehörte, hatten ihre Spur gefunden. Sie hatten im Hotelzimmer auf sie gelauert, und Buck Boy war ihnen in die Finger gefallen. Jetzt hatten sie ihn in der Mangel, und Sir Winston, der seinen Kumpan nur allzu genau kannte, konnte sich gut vorstellen, daß Buck Boy sehr schnell alles verraten würde.

Mit einem gehetzten Blick sah er sich um. Kein Mensch war zu sehen. Er begann zu laufen. Jeden Augenblick war er gewärtig, entdeckt zu werden. Nur mit Mühe wurde er mit der Panik fertig, die ihn zu überkommen drohte.

Ungeduldig drückte er auf den Liftknopf, dann rannte er zur Treppe, jagte in langen Sätzen hinunter. Mit klopfendem Pulsschlag erreichte er die Halle, stürmte hindurch, ohne das erstaunte Gesicht des Portiers zu beachten.

Erst draußen in der kühlen Nachtluft wurde er wieder ruhiger. Er mußte verschwinden, schnellstens. Aber mit der Ruhe kam auch die Überlegung.

Es war durchaus möglich, daß Buck Boy noch ein paar Minuten hinhaltenden Widerstand leistete. Die Zeit konnte er ausnutzen, das Geld zu holen. Mit etwas Glück mußte er es schaffen. Er brauchte ja nur ein paar Minuten Vorsprung, und es ging um eine runde Viertelmillion. Was er in der Tasche hatte, waren nur noch ein paar hundert Dollar.

Blitzartig schossen ihm diese Gedanken durch den Kopf. Buck Boy hatte eben Pech gehabt. Genausogut hätte es ihn erwischen können. Warum sollte er deswegen auf das Geld verzichten? Helfen konnte er Buck Boy sowieso nicht mehr.

Er überquerte die Straße, ging zu dem Taxistandplatz auf der anderen Seite und ließ sich in die Polster fallen.

„Immer geradeaus“, sagte er zum Fahrer. „Und machen Sie schnell. Ich hab’s eilig.“

Sie fuhren die Main Street hinunter und erreichten in wenigen Minuten das freie Feld vor der Stadt.

Der Driver wandte den Kopf.

„Wo soll’s denn langgehen, Mister?“

„Bis zur Bahnlinie.“

„Und dann?“

„Da steig ich aus.“

Der Fahrer zuckte die Achseln und folgte der Aufforderung. Es war ihm deutlich anzusehen, was er von dem merkwürdigen Fahrgast hielt.

Etwa eine Meile vor der Stadt kreuzte die Bahn nach El Baccara die Straße. Sir Winston gab ein ansehnliches Trinkgeld, kletterte heraus und wartete, bis das Taxi gewendet hatte und seine Rücklichter in der Nacht verglüht waren.

Er war jetzt ganz allein. Der schwache Wind summte in den Telefondrähten. Über ihm dehnte sich der sternenglänzende Himmel, und die Umrisse von Agaven und verkrüppelten Buschpflanzen zeichneten sich schwarz gegen den Himmel ab.

Er begann zu laufen, bog von der Straße ab und folgte den Schienen. Nach fünfzig Schritten verließ er den Bahndamm. Eine dicke Betonröhre führte hier unterirdisch durch den Damm. Sie war zur Wasserableitung in der schlechten Jahreszeit bestimmt.

Sir Winston kniete nieder und kroch auf allen vieren in die Röhre hinein. Seine Hände tasteten über den Boden, bis sie das weiche Leder des Koffers spürten. Er faßte nach dem Griff und kroch rückwärts aus der Röhre.

Und erstarrte.

Der helle Lichtstrahl eines Scheinwerfers wanderte über den Damm. Für einen Augenblick schloß er geblendet die Augen. Sie waren schon da.

Seine Gedanken überstürzten sich. Er schob sich in die Röhre zurück und schob den Koffer immer vor sich her. Jetzt hörte er Stimmen hinter sich. Von Panik gejagt, zwängte er sich vorwärts, stieß sich den Kopf blutig und zerriß sich den Anzug an dem rauhen Beton.

Endlich hatte er das andere Ende der Röhre erreicht. Er stieß den Koffer ins Freie, rutschte hinunter und blieb mit hämmerndem Pulsschlag liegen.

Sekunden später fiel ein heller Lichtstrahl in die Röhre.

„Ist es hier?“ fragte eine Stimme.

„Ja, hier ist das Geld“, nuschelte eine undeutliche Stimme. Sie gehörte Buck und war kaum zu verstehen, da ihm offenbar mehrere Zähne fehlten.

„Junge, wenn du uns reinlegen willst —“, knurrte ein unsympathischer Baß.

Sir Winston wartete mit klopfendem Herzen auf das unvermeidliche Schicksal. Die Gangster brauchten nur auf den Damm zu klettern, dann hatten sie ihn. Warum war er nur so versessen auf das Geld gewesen? Er verstand sich selbst nicht mehr.

„He, Boß!“ rief eine laute Stimme. „In der Röhre ist nichts.“

„Verdammt, ist das wahr?“ Wieder dieser Baß.

Jetzt zwängte sich einer der Männer in die Röhre und leuchtete alles mit einer starken Lampe ab.

„Hier liegt eine Brieftasche!“ rief er.

Sir Winstons Hand zuckte zur Brusttasche. Verdammt, er hatte seine Brieftasche in der Röhre verloren — mit all seinen Papieren. Ihm lief es kalt den Rücken hinunter.

„He, Amigo, was soll das bedeuten?“ fragte der Baß.

„Ich verstehe das nicht“, jammerte Buck Boy. „Sir Winston und ich haben den Koffer da drinnen versteckt. Das schwöre ich euch.“

„Und wo ist er jetzt?“

„Keine Ahnung!“ Der Rest des Satzes erstickte in einem Aufschrei.

Sir Winston ertrug die Spannung nicht mehr. Er schob sich vorsichtig den Damm hoch, hob den Kopf und spähte über die Schienen.

In einiger Entfernung stand ein schwarzer Cadillac mit aufgeblendetem Licht. Deutlich zeichneten sich die Männer davor ab. Der Abstand zu Sir Winston betrug keine fünf Meter. Sie hätten sich nur umzudrehen brauchen, aber das tat keiner. Sie konzentrierten sich auf das wimmernde Bündel Angst, das Buck Boy hieß.

Es waren drei Männer. Einer war klein, stämmig gebaut und hatte ein flaches, ausdrucksloses Gesicht. Der andere war lang, hatte einen Pferdeschädel und lange gelbe Zähne, die beim Sprechen über der Unterlippe standen. Aber am eindrucksvollsten war der dritte.

Er überragte die anderen um Haupteslänge und war ungeheuer massiv gebaut. Als er den Kopf wandte, sah Sir Winton, daß er ein Neger war — mit einem energischen Gesicht, aus dem das Weiße der Augen stach. Der riesige Neger schien der Boß zu sein. Er trug eine schwarze Melone und sprach jetzt drohend auf Buck Boy ein.

„Und was ist das hier?“ fragte er und hielt Buck Boy die Brieftasche unter die Nase.

„Sie gehört nicht mir, das schwöre ich euch.“

„Hör endlich auf, Meineide zu schwören. Du hast fünf Sekunden Zeit, die Wahrheit zu sagen.“

„Ich sage euch doch, hier haben wir das Geld versteckt. Ich weiß nicht, wo es jetzt ist. Sir Winston muß es geholt haben, ohne mir etwas davon zu sagen. Das da ist seine Brieftasche. Er hat es gestohlen und sich aus dem Staub gemacht.“

„Stimmt“, sagte nach kurzer Pause der riesige Neger. „Hier steckt sein Ausweis. Er muß das Ding verloren haben, als er das Geld aus der Röhre holte. Du hast einen feinen Freund, Buck Boy.“

„Der Hundesohn!“ heulte Buck Boy.

„Keine Angst, wir kriegen ihn und wenn er bis ans Ende der Welt flieht.“ Sir Winston erschauerte. „Er entkommt uns nicht, sowenig wie du.“

„Was soll das denn heißen?“

„Glaubst du, wir lassen dich laufen?“

„Aber — ich habe doch alles gesagt. Ich habe euch nicht angelogen.“

„Schon richtig, aber wir haben verdammt etwas gegen potentielle Zeugen, wie du einer bist. Pech, Buck Boy, du wärst besser ein einfacher Tramp geblieben. Du bist in die falsche Branche geraten. Du hast dir Stiefel angezogen, die dir zu groß sind. Ich werde dir helfen, sie auszuziehen.“

Mit einer geschmeidigen Bewegung griff der riesige Neger in die Tasche und brachte ein blitzendes Messer zum Vorschein.

Buck Boy schrie gellend auf.

„Nein — nein …“

Sir Winston sah alles mit an, keine fünf Meter entfernt. Er wollte wegsehen, aber er konnte es nicht, und dann war alles vorbei und er ließ sich kraftlos nach unten gleiten und erbrach sich in die Mundhöhle.

Privatdetektiv Joe Barry - Der Tod geht um in Alabaska City

Подняться наверх