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1. Kapitel

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Der hagere Mann trug einen schmutzigweißen Anzug. Mit seinem breitkrempigen Hut und den zerschlissenen Sandalen unterschied er sich in nichts von den Tagelöhnern und Kleinbauern in Mexiko. Tiefe Linien hatten sein gebräuntes Gesicht zerfurcht; der herabhängende Schnurrbart verlieh ihm einen resignierten Ausdruck.

Er blieb auf der Veranda des kleinen Anwesens stehen und nahm seinen Hut in die Hand. Eine ältere Frau mit olivfarbenem Gesicht, das schwarze Haar in der Mitte gescheitelt, kam aus der Haustür.

„Señora“, sagte der Mann, „ich suche José Rivera. Man sagte mir, ich würde ihn hier finden!“

Die Frau stellte den Korb weg und stemmte die Arme in die Hüften.

„Wenn Sie den Tagedieb meinen, der sich seit drei Tagen hier durchfüttern läßt, unter dem Vorwand, zu arbeiten — den finden Sie auf der Koppel!“ Sie wandte sich brüsk ab und verschwand im Haus.

Der Mexikaner drehte sich um und ging über den Vorplatz. Er kam an einigen Schuppen vorbei und erreichte die Maultierkoppel. Suchend sah er sich um, dann ging er auf einen verkrüppelten Baum zu.

In den spärlichen Schatten lag ein Mann. Er hatte den Hut über das Gesicht gelegt und schien zu schlafen.

„He, Muchacho“, sagte der Mann. Er blieb stehen und wartete. Der andere rührte sich nicht. Trotzdem bestand kein Zweifel daran, daß er jetzt wach war.

Der Mexikaner kauerte sich nieder.

„Ich suche einen Mann, der mit Schußwaffen umgehen kann“, sagte er ruhig. „Man hat mich hierhergeschickt.“

Der Liegende schob den Hut soweit zurück, daß er den Ankömmling sehen konnte.

„Was wird geboten?“ erkundigte er sich.

„Eine ganze Menge. Mehr, als du hier dafür bekommst, daß du auf der faulen Haut liegst.“

„Ich bin gewissermaßen auf Urlaub hier, Amigo. Ich hatte in Mexico City Ärger mit der Polizei und entschloß mich, ein paar Wochen aufs Land zu gehen.“

Der Mann stemmte sich in die Höhe und lehnte sich mit dem Rücken gegen den dürren Baumstamm. Er war klein und schmächtig. Sein Gesicht hatte einen verschlagenen Ausdruck.

„Hier gefällt es mir gut“, fuhr er langsam fort. „Ich soll den Zaun da ausbessern und bekomme dafür zu essen.“

„Ich hatte nicht gedacht, daß der berühmte José Rivera einmal als Landarbeiter enden würde!“

Rivera gähnte.

„Du irrst, Amigo. Ich arbeite nicht.“ Er warf dem anderen einen lauernden Blick zu. „Du sprachst von einem Geschäft! Wer bist du überhaupt? Du siehst nicht so aus, als könntest du meinen Tarif bezahlen.“

„Ich heiße Enriquo“, sagte der Ankömmling ruhig. Er griff in die Hemdtasche und holte einige Bündel heraus. Es waren Banknoten, die in der Mitte durchgerissen waren.

José Rivera griff danach und blätterte sie rasch durch.

„Dreimal zweitausend Dollar! Wo sind die anderen Hälften?“

„Die bekommst du, wenn das Geschäft zum Klappen kommt. Es ist wohl unnötig, zu sagen, daß ich im Auftrage eines anderen komme. Außerdem brauchen wir noch mehr Leute. Wir brauchen jemanden, der etwas von Autos versteht und ein guter Fahrer ist, und mindestens noch einen dritten Mann.“

„Langsam, Arnigo“, sagte Rivera. „Um welches Geschäft handelt es sich?“

„Darüber sprechen wir noch. Im Augenblick handelt es sich darum, daß die richtigen Leute Zusammenkommen. Du mußt noch zwei Mann suchen. Für jeden von ihnen ist eines der Bündel gedacht.“

Rivera überlegte einen Augenblick.

„Mir wäre es lieber, ich bekäme sofort die anderen Hälften der Geldscheine. Mißtrauen ist eine schlechte Vertragsgrundlage.“

Enriquo schüttelte den Kopf.

„Nein. Erst muß ich wissen, ob du wirklich deinen Ruf verdienst.“

José Rivera griff in das Stoffbündel, das neben ihm lag, und brachte einen Revolver zum Vorschein, einen Colt mit langem Lauf. Er wies hinüber auf den Hof, der ungefähr hundert Meter entfernt lag.

„Siehst du die Hühner dort?“ Das Knallen der Waffe zerriß die Mittagsstille. Die einzelnen Explosionen folgten so schnell aufeinander, daß sie fast wie eine einzige klangen. Rivera wirbelte den Colt Zeigefinger.

„Sieh nach. Amigo! Ich habe fünf Hühnern den Hals abgeschossen — aus der Hüfte!“ Er fing die Waffe auf und richtete sie auf Enriquo.

„Und jetzt das Geld“, sagte er trocken.

Enriquo verzog keine Miene.

„Ich habe es nicht hier. Außerdem habe ich das Gefühl, daß du die längste Zeit als Landarbeiter gefaulenzt hast!“

Vom Haus her näherte sich wütend die Mexikanerin. Sie überschüttete die beiden Männer mit einem Schwall von Schimpfwörtern. Beide erhoben sich. Enriquo ging auf die Frau zu und drückte ihr einen Geldschein in die Hand.

„Das ist genug, um eine ganze Hühnerfarm zu bezahlen, Señora“, sagte er. Dann ging er, ohne sich noch einmal umzusehen, den staubigen Weg, der in die Stadt führte, hinunter.

José Rivera starrte ihm ein paar Sekunden lang nach, dann griff er nach seinem Bündel und folgte ihm.

*

In Punta trennten sie sich. Rivera quartierte sich im Hotel Cristoforo Colombo ein. Der Aufenthalt dort war von seinem unbekannten Auftraggeber im voraus bezahlt.

Enriquo hatte ihm drei Tage Zeit gelassen, um seine Partner zu suchen. Danach sollten sie genaue Instruktionen bekommen.

Rivera hatte vor, sich aus dem Geschäft sofort zurückzuziehen, wenn er die anderen Hälften der Banknoten bekommen hatte. Aber dieser gelassene Enriquo ließ sich nicht übers Ohr hauen. Nachdem er die Sache einen halben Tag überdacht hatte, kam Rivera zu dem Schluß, zunächst auf die Bedingungen einzugehen.

Er wäre zwar im Augenblick lieber untergetaucht, da in Mexico City sein Steckbrief in jeder Polizeistation hing. Andererseits war er vollkommen abgebrannt. Somit war klar, was er tun mußte.

Mit dem Nachtzug fuhr er nach Mexiko City.

Dort nahm er sich ein Taxi und fuhr auf dem kürzesten Weg in eine der engen, schmutzigen Vorstädte hinaus. Er atmete auf, als die Lichter einer Autowerkstatt aus der Dunkelheit auftauchten. Mexiko City war zur Zeit der letzte Ort, an dem er gern gewesen wäre.

Er bezahlte das Taxi und stieg aus. Durch das offene Garagentor konnte er ins Innere der Werkstatt sehen. Eir. paar Männer waren bei der Arbeit. Rivera war einen Moment unschlüssig, dann entdeckte er auf der anderen Straßenseite eine Telefonzelle. Er verschwand darin, kam nach wenigen Minuten wieder heraus und blieb ein paar Meter neben der Einfahrt im Schatten eines Torbogens stehen.

Kurz darauf schlenderte einer der Männer aus der Werkstatt. Er zündete sich eine Zigarette an und ging dann langsam die Straße hinunter.

„Holla, Compadre“, sagte Rivera und trat vor.

Der Mann blieb stehen. Sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen.

„Sieh einer an! Ich dachte, du wärst längst tausend Meilen weg von hier!“

„War ich, José“, antwortete Rivera grinsend. „Ich hatte das Pech, bei einer gewissen Sache erkannt zu werden, während ein gewisser José Ramblas ungesehen verschwinden konnte.“

Der Mann im blauen Overall lachte. Er war mittelgroß, kräftig gebaut und hatte ein flaches Gesicht mit einem schmalen Bärtchen auf der Oberlippe.

„Ich hatte Glück“, sagte er. „Auf mich fiel kein Verdacht. Auf dich dafür umso mehr! — Ehrlich gesagt, ich finde es mehr als leichtsinnig von dir, hier wieder aufzutauchen. Du bist geliefert, wenn dich ein Polizist erkennt.“

„Das mußte ich riskieren! Ich stecke nämlich in Verhandlungen für einen Auftrag. Dazu brauche ich dich, Ramblas! Ich soll einen Mann bringen, der etwas von Autos versteht, und du bist der gerissenste Autoknacker des Kontinents.“

Ramblas lachte geschmeichelt.

„Was kommt boi der Sache heraus?“

Rivera griff in die Tasche und holte eine, der halbierten Geldbündel heraus.

„Die andere Hälfte gibt cs, wenn wir mit unserem Auftraggeber handelseinig werden. Ich weiß nämlich selbst noch nicht, was wir tun sollen. Ich weiß nur, daß ein Mann, der etwas vom Schießen versteht, gebraucht wird, einer, der was von Autos versteht, und einer, der seine Fäuste gebrauchen kann.“

Ramblas blätterte das Bündel durch.

„Zweitausend Dollar als Handgeld. Nicht übel. Wenn man uns außerdem noch eine anständige Bezahlung anbietet, bin ich dabei! — vorausgesetzt, wir sollen nicht die Bank von Mexiko ausrauben.“

„Glaube ich kaum. Der Bursche, mit dem ich sprach, sah aus wie ein Vaquero.“

„Wer ist der dritte Partner bei dem Geschäft?“

„Den müssen wir noch finden!“

„Bueno!“ Ramblas überlegte einen Augenblick. „Ich gehe jetzt und kündige. In einer Viertelstunde treffen wir uns da vorne an der Ecke. Ich denke, ich weiß, wen wir als dritten Mann ins Geschäft nehmen.“

*

Sie schlenderten die Calle Eusebian hinunter. Rivera hatte den Hut in die Stirn gedrückt und sah sich mehrmals argwöhnisch um.

„Hier ist es“, sagte Ramblas und wies auf ein Lokal. „Gehen wir rein!“

Lärm schlug ihnen entgegen, als sie die Tür öffneten. Das Lokal war bis auf den letzten Platz besetzt. Auf einer kleinen Bühne rollten Darbietungen ab. Tanz, Gesang, es war ein pausenloses Programm. Sie ergatterten einen Platz in der Nähe der Bühne.

„Wann kommt dein Mann?“ fragte Rivera.

„Abwarten!“

Eine Stunde verging, dann erschien der gutgeölte Ansager und ließ sein Lächeln über die Gäste fließen.

„Señores“, rief er mit großartiger Geste. „Jetzt kommt der berühmte Manolete, der stärkste Mann der Welt. Einhundert Pesos zahlen wir demjenigen, der Manolete zu Boden zwingt.“

Die Kapelle wimmerte einen Tusch, und ein athletisch gebauter Mann mittleren Alters betrat die Bühne. Herausfordernd sah er sich um.

„Wie wäre es mit dem?“ grinste Ramblas.

„Nicht übel! Aber ist er überhaupt aus der Branche?“

Ramblas nickte.

„Er war vor zwei Jahren an dem Bankraub in Acapulco beteiligt. Übrigens ist er gar nicht so stark, wie er tut. Er versteht nur einiges von Judo. Im Augenblick ist er restlos abgebrannt, deshalb spielt er hier den Hanswurst.“

Sie sahen wieder auf die Bühne. Im Publikum hatte sich ein Mann erhoben. Seiner Kleidung nach war er ein Bauer. Er hatte die Figur eines Gorillas und schien schon ziemlich betrunken zu sein. Die Menge grölte begeistert, als er auf die Bühne kletterte. Der Kampf versprach gut zu werden. Der Bauer überragte Manolete um Haupteslänge.

„Achtung, Señores“, schrie der Ansager … Der Kampf beginnt. Alle Tricks sind erlaubt. Sowie Manolete zu Boden geht, zahlen wir unserem Freund hier seine hundert Pesos aus.“

Er packte das Mikrophon und brachte sich in Sicherheit. Die beiden Männer standen sich jetzt auf der Bühne allein gegenüber. Im Lokal setzte schlagartig Stille ein. Gespannt starrte alles nach vorn.

Der Bauer brachte die Fäuste hoch und tänzelte um Manolete herum. Der machte nur die Drehung mit. Seine Arme hingen lässig herunter.

Plötzlich stürzte der Bauer vor. Das Weitere geschah blitzschnell. Der Bauer wurde in die Luft gehoben und landete krachend auf den Holzbrettern.

Einen Augenblick blieb er verwirrt liegen, dann rappelte er sich mühsam wieder auf. In seinem alkoholumnebelten Gehirn begriff er nur langsam, was geschehen war. Dann stieß er ein Wutgeheul aus und stürzte sich von neuem auf Manolete.

Die Menge klatschte begeistert. Der Kampf entsprach ihrem Geschmack.

Mit wilden Schwingern drang der Bauer auf Manolete ein. Der deckte, ohne die Schläge zu erwidern. Als der Mann herangekommen war, griff er zu. Mit einem Ruck bog er den Arm des Gorillas um und drückte ihn nach hinten.

Der Bauer heulte vor Wut und Schmerz auf. Dann verlor er abermals den Boden unter den Füßen und krachte nach hinten.

Der Ansager ergriff das Mikrophon.

„Zweite Runde“, rief er. „Bisheriger Sieger: Manolete. Der Kampf gehl in die dritte Runde. Noch sind hundert Pesos zu gewinnen.“

Der Bauer blieb liegen. Langsam wurde er nüchtern. Er betrachtete Manolete von unten und stand dann langsam auf.

Er hatte wohl begriffen, daß er im Nahkampf nichts ausrichten konnte. Deshalb versuchte er eine neue Taktik. Er tänzelte an Manolete heran, gut’gedeckt, und versuchte, ihn mit kurzen, geraden Haken zu treffen.

Manolete machte das Spiel sofort mit. Der Kampf verlief nach den Regeln eines Boxkampfes, bis der Bauer versuchte, einen Tiefschlag anzubringen.

Ein empörtes Olè ging durch die Menge.

Manolete erstarrte. Dann schoß seine Rechte vor. Mit einem wuchtigen Hieb fegte er die Deckung des Gorillas beiseite und setzte einen linken Haken hinterher. Der Bauer ließ die Arme sinken und machte ein erstauntes Gesicht.

Atemlos verfolgte die Menge, wie Manolete Maß nahm. Dann landete seine Faust genau auf der Kinnspitze des Gorillas.

Ohne einen Laut von sich zu gehen, kippte der Bauer ein drittes Mal um. Begeisterter Applaus schwoll an, während zwei Mann den Bauern packten und auf seinen Platz zurücktrugen.

Rivera fuhr sich unwillkürlich über das Kinn.

„Ich glaube, der Bursche ist engagiert“, sagte er zu Ramblas.

Sie standen auf und durchquerten das Lokal. Am Hintereingang stießen sie mit Manolete zusammen, der eben im Begriff war, zehn Pesos zu kassieren. Ramblas sah ihm über die Schulter.

„Zum Rcichwerden ist das nicht genug, Amigo“, sagte er.

Manolete drehte sich heftig um und starrte ihn an.

„Weißt du einen besseren Weg?“

„Allerdings“, sagte Rivera. Der Athlet grinste plötzlich. „Ich glaube, dein Gesicht habe ich schon einmal gesehen!“

„Schon möglich, wenn du öfters auf Polizeistationen zu tun hast. Dort hängt mein Bild nämlich zur Zeit“, antwortete Rivera.

„Richtig! Wenn ich nicht irre, sind sogar tausend Pesos auf deinen Kopf geboten.“

„Bei dem Geschäft, das ich dir vorschlägen möchte, sind mehr als tausend Pesos zu verdienen!“ sagte Rivera ungerührt. Er zog die Banknoten aus der Tasche und erklärte Manolete, worum es sich handelte. Eine Viertelstunde später waren sic sich handelseinig.

„Wie heißt du wirklich?“ erkundigte Rivera sich abschließend.

„Manolete!“

„Ich dachte, das wäre eine Art Künstlername!“

„Nein, es ist mein richtiger Name. José Manolete. Paßt dir etwas nicht daran?“

„Im Gegenteil. Ich finde es nur seltsam, daß wir alle drei José heißen.“

„Warum nicht?“ brummte Manolete. „Es gibt in Mexiko wahrscheinlich eine halbe Million Josés. Für seinen Namen ist der Mensch ebensowenig verantwortlich wie für seine Fäuste.“

„Oder sein Gehirn“, grinste Rivera spöttisch.

„Vorwärts jetzt“, mahnte Ramblas. „Wir müssen sehen, daß wir den Nachtzug nach Punta noch erreichen.“

„Punta!“ knurrte Manolete.’„Das liegt im Norden. Da hab’ ich als junger Spritzer mal gearbeitet. Ich war Rausschmeißer in einem Lokal. Eines Tages bekam ich Streit mit dem Wirt und feuerte ihn auf die Straße. Das Ergebnis war dann, daß ich draußen saß.“

Sie winkten ein Taxi heran und ließen sich zum Bahnhof fahren.

Privatdetektiv Joe Barry - Drei ohne Gnade

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