Читать книгу Privatdetektiv Joe Barry - Kugeln aus zarter Hand - Joe Barry - Страница 4
ОглавлениеDer Tag begann für James Haliday mit einer Pechsträhne. Als der Juwelier am Morgen in sein Büro fahren wollte, streikte der Lift. Das Dumme war, daß es gerade dann geschah, als Haliday zwischen der achtzehnten und neunzehnten Etage steckte. Er drückte auf den Alarmknopf. Bei dieser Gelegenheit stellte er fest, daß auch die Alarmanlage defekt war. Es dauerte zwanzig Minuten, bis man ihn herausholte.
In diesen zwanzig Minuten kam die Post, darunter ein geplatzter Wechsel über fünftausend Dollar. Einer von Halidays größten Kunden – und zugleich sein größter Schuldner – hatte Pleite gemacht.
Den nächsten Ärger überstand er nur mit Hilfe einer Gallenpille. Zwei bewaffnete Kuriere brachten ihm eine Auswahlsendung Rohdiamanten, die er bei der internationalen Diamantenbörse in Amsterdam bestellt hatte.
Haliday klemmte sich eine Lupe vors Auge, untersuchte die Steine und bekam einen Tobsuchtsanfall. So schlechtes Material hatte man ihm noch nie geliefert. Seine Firma war für erstklassige Juwelen bekannt, aber mit diesen Steinen hätte man nicht einmal ein Kollier machen können, das für Gimbles Warenhaus in der unteren Bowery gut genug gewesen wäre.
Er hängte sich ans Telefon und verlangte den für die Lieferung zuständigen Mann zu sprechen. Als er ihn endlich an der Strippe hatte, beschimpfte er ihn ausgiebig und ohne Pause – um nach fünf Minuten festzustellen, daß der Mann Holländer war und von seinen Vorwürfen aus sprachlichen Gründen höchstens ein Viertel verstand.
Haliday schmetterte den Hörer auf die Gabel, packte die Rohdiamanten in sein schwarzes Diplomatenköfferchen und raste los.
Er hatte vor, die Steine dem Holländer auf den Tisch zu knallen und ihn so persönlich von der Berechtigung seiner Vorwürfe zu überzeugen.
Aber Halidays Pechsträhne war noch immer nicht abgerissen. Zwei Häuserblocks von seinem Büro entfernt wurde er in einen Unfall verwickelt.
Es war nicht seine Schuld. Aus einer Nebenstraße war ein alter, zerbeulter Ford gekommen und hatte Halidays Wagen gerammt.
Für Halidays überreizte Galle war das ein erneuter Anlaß, in Tätigkeit zu treten. Er riß die Tür auf und sprang heraus.
„Verdammter Idiot!“ schrie er und besah sich die Bescherung.
Der Mann in dem Ford stieg ebenfalls aus.
„Tut mir leid, Mister“, sagte er und griff in die Manteltasche.
Haliday nahm an, der andere wolle seine Papiere herausholen. Aber das war ein Irrtum. Als der Mann die Hand aus der Tasche holte, lag ein großkalibriger Revolver darin.
Entsetzt starrte der Juwelier auf die Waffe.
„Was soll das?“ stammelte er.
„Tut mir leid, Mister“, sagte der Mann nochmals. Er zielte sorgfältig und schoß James Haliday mitten in die Brust.
Noch ehe der Juwelier zu Boden gesunken war, hatte sein Mörder das Köfferchen mit den Diamanten aus dem Cadillac geholt.
Gleich darauf war er mit seinem Ford verschwunden. Der Wert der Beute betrug schätzungsweise hunderttausend Dollar.
Der Fall war im Bereich der Mordkommission Manhattan geschehen und fiel somit in die Zuständigkeit von Lieutenant Antony Starr. Der Captain war Chef dieser Squad.
Als die erste Meldung über das zuständige Polizeirevier eintraf, setzte sich ein Fahndungsapparat in Bewegung, der zu den besten der Welt zählte. Seine Schlagkraft verdankte er drei Dingen, die alle mehr oder weniger mit dem Captain zusammenhingen. Da war einmal die Tatsache, daß Antony Starr jeden unaufgeklärten Fall in seinem Bereich als persönliche Beleidigung empfand, ferner, daß er jedem Cop, der an der erfolglosen Aufklärung beteiligt war, eindringlich das Gefühl vermittelte, zu dieser Beleidigung beigetragen zu haben; und da war schließlich die empfindliche Galle des Captain, die diesen Polizeiapparat antrieb.
Der Mord an James Haliday schien zunächst wenig Besonderheiten zu bieten. Der Captain kümmerte sich nicht selbst darum, sondern setzte seinen Stellvertreter, Leutnant Myers, in Bewegung und empfing über Telefon die Erfolgsmeldungen, die dann laufend eingingen.
Dreißig Minuten nach dem Mord hatte Myers bereits die Aussagen von drei Zeugen protokolliert. Übereinstimmend schilderten sie den Mörder als einen bärtigen Mann in abgerissener Kleidung, der wie ein Tramp ausgesehen habe. Außerdem gaben sie genaue Beschreibungen des Ford. Einer hatte sich außerdem gemerkt, daß der Ford eine New Yorker Nummer hatte.
Mit diesen Angaben wurde der Computer der Fahrzeugzulassungsstelle gefüttert. Er ermittelte rund achtzig Fahrzeuge, auf die diese Beschreibung zutraf.
Die zuständigen Polizeireviere wurden nunmehr beauftragt, zu überprüfen, ob eines dieser Fahrzeuge am rechten vorderen Kotflügel beschädigt war.
Genau vier Stunden nach dem Mord fand ein Polizist einen solchen Ford. Er parkte vor einem Haus in der 88. Straße. Sein Besitzer war ein gewisser Jim O’Hayer. O’Hayer bewohnte in diesem Haus ein Zimmer in der Dachetage, ein schäbiges Loch.
Er selbst War nicht da. Die Experten der Mordkommission nahmen eine Lackprobe von seinem Wagen mit und schickten sie zur Untersuchung ins Labor. Das Ergebnis war nach einer halben Stunde da. O’Hayers Wagen war mit dem Cadillac zusammengestoßen.
Eine in der Zwischenzeit durchgeführte Haussuchung hatte dazu geführt, daß man die Tatwaffe fand. Sie lag im Wäsdeschrank unter einem Haufen schmutziger Wäsche.
Zu diesem Zeitpunkt hielt Lieutenant Antony Starr bereits das Vorstrafenregister O’Hayers in der Hand. Eine eindrucksvolle Lektüre. Diebstahl, Körperveletzung, Raub – eine Kette von Straftaten war da festgehalten. Im übrigen war Jim O’Hayers erst vor zwei Monaten aus der Strafanstalt Scranton entlassen worden. Er lebte seitdem in New York und schlug sich als Gelegenheitsarbeiter durch.
Der Fall war eindeutig. Die Großfahndung setzte ein. Genau acht Stunden nach dem Mord fand man Jim O’Hayer. Stockbetrunken. Er hatte in einer Kneipe in der Bowory im Laufe des Tages eine Flasche Schnaps geleert. Als die ersten Fahndungsmeldungen über Radio durchgegeben worden waren, hatte der Barkeeper den Verdächtigen erkannt und die Mordkommission verständigt.
Man steckte Jim O’Hayer in eine Zelle und wartete mit der ersten Vernehmung, bis er seinen Rausch ausgeschlafen hatte. Aber der Fall war so eindeutig, daß Lieutenant Starr schon vorher eine Pressekonferenz gab.
Er schnurrte wie ein zufriedener Kater.
„Sie können in Ihren Abendausgaben melden, daß wir den Fall James Haliday aufgeklärt haben“, verkündete er, „und das in weniger als acht Stunden. Damit haben wir den Rekord vom Johnny-West-Fall im vorigen Monat noch um drei Stunden unterboten.“
„Ist ja langweilig“, knurrte Bill Tide, der ledergesichtige Polizeireporter vom „Guardian“. „So glatte Fälle interessieren die Leute nicht. So etwas ist schon in vierundzwanzig Stunden vergessen.“
Aber Bill Tide irrte. Glatt war der Fall keineswegs. Nur konnte das zu diesem Zeitpunkt noch keiner wissen.
Genau eine Woche später feierten die „Töchter der amerikanischen Unabhängigkeit“ ihr jährliches Wohltätigkeitsfest. Dieser Frauenverein hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Welt zu verbessern. Sein Entstehen verdankte er vor allem der Tatsache, daß amerikanische Manager vor ihren Frauen zu sterben pflegen und diese dann mit einem gefüllten Bankkonto und einem ungestillten Betätigungsdrang allein zu lassen pflegen.
Das Wohltätigkeitsfest wurde regelmäßig in Form einer Gartenparty abgewickelt, jedesmal bei einem anderen Mitglied des Vereins. Die Damen pflegten im Park Stände zu errichten, an denen sie allerlei Krimskrams feilhielten. Da gab es Nippesfiguren oder Modeschmuck, Bilder, Anhänger, Bücher– der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt. Die Gegenstände wurden auch zu Phantasiepreisen verkauft, und der Erlös kam den verschämten Armen zugute. Jede der Damen setzte ihren Ehrgeiz darein, den höchsten Umsatz zu erzielen, denn mit diesem Erfolg war zugleich der Triumph verbunden, das nächste Fest ausrichten zu dürfen.
Seit drei Jahren ruhte diese Krone auf dem Haupt von Mrs. Nancy Loretto, einer geborenen Tukerman aus Steubenville, Ohio. John D. Loretto hatte es in der Käsebranche mit dem Slogan „LorettoKäse macht schön“ zu mehreren Millionen gebracht, die er seiner Frau hinterlassen hatte, als er starb. Seitdem sah die gute Nancy den Hauptsinn ihres Lebens darin, ihre gesellschaftlichen Ambitionen mit dem Drang zur Wohltätigkeit zu verquikken, und die „Töchter der amerikanischen Unabhängigkeit“ boten ihr den idealen Rahmen dafür.
Sie wußte, daß ihr Erfolg dieses Jahr durch Amelie Vandenfeld gefährdet war. Mrs. Vandenfeld war eine blauweiße Mittsechzigerin, deren Mann in der Stahlbranche Geld gescheffelt hatte und die immer schon auf die Käse-Lorettos herabgesehen hatte. Um so beunruhigender war der Gedanke, Amelie Vandenfeld könnte vielleicht in diesem Jahr den größten Umsatz an ihrem Stand erzielen und damit die Ehre erringen, das nächste Fest auszurichten.
Diese Gefahr hatte Nancy Loretto monatelang beschäftigt, ehe ihr schließlich ein Gedanke gekommen war, der ihr den Erfolg sichern würde. Sie nahm sich vor, an ihrem Stand einen der „verschämten Armen“ höchstpersönlich zu präsentieren. Das würde sich unweigerlich auf die Kauflust auswirken – dies um so mehr, als sie darauf abgestimmte Waren feilbieten würde.
Sie stellte sich vor, daß es den Damen zweifellos Spaß machen würde, dem abgerissenen „Armen“ einen Pierre-CardinAnzug zu fünfhundert Dollar oder einen gefütterten Pelzmantel abzukaufen. Damit löste sie zugleich das leidige Problem, was man mit den erworbenen Sachen anfangen sollte.
Nancy Loretto behielt den Gag für sich. Niemand, und schon gar nicht Amelie Vandenfeld, sollte herausbekommen, welchen Schlager sie diesmal präsentieren würde.
Ein Haken war jedoch bei der Sache. Nancy Loretto kannte keinen der verschämten Armen. Um genau zu Sein, sie hatte auch noch nie einen gesehen. Sie hatte nur die unklare Vorstellung einer abgerissenen, frierenden Gestalt, die neben ihrem Stand kauern und dankbaren Blickes die Geschenke entgegennehmen Würde, die man zuvor bei ihr gekauft hatte … Kein Stück unter fünfhundert Dollar, versteht sich.
Nancy Loretto war jedoch eine resolute Dame und wußte sich zu helfen. Nach langem Nachdenken zog sie Bill Tide ins Vertrauen. Der war Polizeireporter beim „Guardian“ und hatte früher jahrelang die Gesellsspaltsspalte dieses Blattes bearbeitet. In dieser Zeit hatte er Nancys Vertrauen erworben, ganz besonders dadurch, daß er einmal einen boshaften Artikel über Amelie Vandenfeld veröffentlicht hatte. Als Polizeireporter mußte er einen verschämten Armen kennen.
Bill Tide Versprach zu helfen, und er hielt Wort. Er rief sie einige Tage vor dem Fest an und teilte ihr mit, er habe den rechten Mann gefunden – einen Stromer aus der Bowery, dem die Armut deutlich anzusehen sei.
Nancy Loretto war entzückt. Sie zweifelte nicht daran, daß der Abend ihr großer Triumph werden würde.
Als der bewußte Tag gekommen war, schwebte sie schon frühzeitig durch den Garten und überprüfte zum letztenmal die Arrangements. Sie selbst hatte ihre Staatstracht angelegt und glitzerte im vollen Familienschmuck. Um den Hals trug sie das Kollier das ihr Mann in dem Jahr gekauft hatte, als er die glückliche Idee gehabt hatte, Milch abzusahnen in Dosen zu füllen und zum doppelten Preis zu verkaufen. Und an ihrem Finger lastete schwer der Brillantring aus jener Zeit, als der Käsekrieg siegreich beendet worden war und das gesamte Gebiet nördlich des Potomac – jedenfalls was Käse anging – an die Lorettos gefallen war. Ihre Wangen glänzten rot in freudiger Erwartung.
Um Punkt sechs Uhr läutete es am Dienstboteneingang. Das Mädchen wollte öffnen, aber Mrs. Loretto wehrte ab und ging selbst zur Tür. Niemand sollte vorzeitig von ihrem Plan erfahren, auch das Dienstpersonal nicht. Nancy befürchtete – nicht ganz zu Unrecht –, das Mädchen könne sich durch einen Anruf bei Mrs. Vandenfeld ein Extratrinkgeld verdienen. Und es war ganz klar, daß der Triumph vorbei war, wenn Amelie Vandenfeld an diesem Abend plötzlich Migräne bekam und dem Fest fernblieb. Nein, Siege erfreuen immer nur durch die Besiegten.
Vor der Tür stand der Arme.ein großer Mann mit einem knochigen Gesicht. Er steckte in einem abgerissenen Anzug und hatte den Kragen hochgeschlagen. Sein breitkrempiger Hut mit dem verschlissenen Band war tief in die Stirn gezogen.
Nancy Loretto erbebte. Das also war die Armut. Sie schenkte dem Fremden ein Lächeln, das etwas zittrig ausfiel.
„Guten Abend, Mister …“
„Mein Name tut nichts zur Sache“, knurrte der Fremde und ging an ihr vorbei. Er sah sich um und nickte. „Verdammt feiner Laden hier, muß ich schon sagen.“
„Ich nehme an, Mr. Tide hat Ihnen Bescheid gesagt, worum es sich handelt?“ „Yeah, hat er“, knurrte der Fremde und sah Nancy Loretto finster an. „Ich soll hier den Affen spielen, damit ihr euch amüsieren könnt, stimmt’s?“
Nancy lief es kalt über den Rücken. „Nicht doch, verstehen Sie mich nicht falsch. Es handelt sich um ein Wohltätigkeitsfest, verstehen Sie?“
„Sicher“, sagte der Fremde. „Also, wo ist der Käfig?“
„Käfig?“
„Wo ich mich ‘reinsetzen soll.“
„Nicht doch!“ Nancy lachte nervös. „Ich dachte es mir so, daß Sie mir beim Verkaufen helfen. Aber es ist erst in einer Stunde soweit,“ Ihr kam ein Gedanke. „Sie haben doch sicher Hunger?“
„Das ist eine Idee. Hab schon seit Tagen nichts Warmes mehr im Bauch gehabt.“
„Prächtig, prächtig!“ säuselte sie und lief eilig vor ihm die Treppe empor. „Ich werde Ihnen ein Sandwich holen.“
Er folgte ihr in die Küche. Naserümpfend betrachtete er die Silberplatte mit den angerichteten Häppchen, die sie ihm hinhielt.
„Was soll das? Haben Sie nichts Handfestes?“
„Handfestes? Das ist das Beste vom Besten, Mister. Norwegischer Lachs, geräuchert, Parmaschinken, luftgetrocknet, Beluga-Kaviar …“ Mit einem schrillen Schrei ließ sie die silberne Platte fallen.
Der Fremde hatte blitzschnell zugepackt und das Diamantenkollier erwischt, das sie um den Hals trug.
„Das meine ich, wenn ich von etwas Handfestem spreche“, sagte er. Sein übelriechender Atem schlug ihr ins Gesicht. „Hast du verstanden, Puppe?“
Sie starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an – unfähig zu sprechen. Unerbittlich drehte der Fremde seine Hand. Immer tiefer schnitt das Halsband ins Fleisch und schnürte ihr den Atem ab. Verzweifelt versuchte sie sich zu wehren, aber gegen den eisenharten Griff des Mannes kam sie nicht an.
Nach einer Minute war es vorbei. Der Fremde ließ ihren leblosen Körper zu Boden gleiten. Dann bückte er sich Und nahm ihren Schmuck an sich.
Seine Taschen beulten schwer aus, als er die Küche verließ.
Zehn Minuten später betrat das Dienstmädchen die Küche. Sie erstarrte, als sie Nancy Loretto sah.
Und dann löste sich die Erstarrung in einem markerschütternden Schrei, der durch das Haus gellte.