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2. Kapitel

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Diesmal leitete Lieutenant Antony Starr persönlich die Ermittlungen. Er traf zwanzig Minuten nach dem Mord am Tatort ein Und verhörte als erstes das Dienstmädchen.

Sie hatte sich inzwischen so weit erholt, daß sie aussagen konnte, Mrs. Loretto habe offenbar den Mörder erwartet. Um sechs Uhr habe es nämlich geläutet, und sie habe, ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit, selbst aufgemacht.

„Haben Sie den Besucher gesehen?“ wollte Tom wissen.

„Nein. Mrs. Loretto hatte mich extra weggeschickt. Sie tat sehr geheimnisvoll, schon die ganzen letzten Tage. Ich nehme an, daß es etwas mit dem Fest zu tun hatte. Sie plante eine besondere Attraktion für ihren Stand, aber niemand wußte, was das war. Sie erzählte es niemandem.“ Das war wenig genug, und der Captain begann die „Töchter der amerikanischen Unabhängigkeit“ zu befragen, die inzwischen eingetroffen waren. Ratlos standen sie in ihren eleganten Kleidern in der Halle, während die Chauffeure mit den Kartons für die Versteigerung wieder hinausstolperten.

Aber auch die Damen konnten dem Captain nicht helfen. Keine hatte eine Ahnung, wen Nancy Loretto um sechs Uhr noch empfangen haben mochte. Aber alle gaben übereinstimmend an, daß die Dame des Hauses Sehr auf den guten Ton achtete. Nie hätte sie jemandem, den sie nicht persönlich kannte, selbst die Tür geöffnet. Und schon gar nicht um diese Zeit, kurz vor dem großen Fest. Die meisten der Damen hatten selbst schon die Ehre gehabt, die Wohltätigkei tsveranstaltung auszurichten und wußten, welche Aufregung es in den letzten Stunden immer bedeutete. Sie hielten es für ausgeschlossen, daß Nancy Loretto da noch Zeit für einen Fremden gehabt hatte. Daraus zog Tom zwei Folgerungen.

„Es muß sich Um einen Freund oder Bekannten gehandelt haben“, sagte er. Und er muß im Zusammenhang mit dem Fest gekommen sein.“

Aber dann erhielt er eine Zeugenaussage, die seine erste Annahme ins Wanken brachte. Ein Nachbar, der im Haüs gegenüber wohnte, hatte den Fremden gesehen und meldete, sich jetzt, als er die Ansammlung der Polizeiwagen bemerkte.

Tom stürzte sich auf ihn und quetschte ihn aus wie eine Zitrone.

„Wie sah der Fremde aus?“

„Wie ein Tramp, Captain – ungelogen, wie ein richtiger Landstreicher. Sein Gesicht habe ich nicht gesehen, aber er trug einen zerlumpten Anzug und einen Hut mit einer altmodisch breiten Krempe – wie man sie schon seit Jahren nicht mehr trägt. Er hatte den Kragen hochgeschlagen und machte einen finsteren Eindruck – einen ganz finsteren, Eindruck, Captain!“

Tom schüttelte unwillig den Kopf.

„Nancy Loretto gehörte zur gesellschaftlichen Creme“, sagte er. „Sie wollen mir doch nicht weismachen, daß sie einen Tramp empfängt und ihm noch persönlich die Tür öffnet?“

„Ich will Ihnen überhaupt nichts weismachen, Captain. Ich sage Ihnen lediglich, was ich gesehen habe. Der Bursche war ein Tramp, oder ich kann einen Landstreicher nicht mehr von einem Bankdirektor unterscheiden.“

Da es sich bei dem Nachbarn selbst um einen Bankdirektor handelte, konnte der Captain seine Aussage nicht länger in Zweifel ziehen.

Und dann meldete sich bei ihm ein Mann, der ihn dazu veranlaßte, bei dem Bankdirektor innerlich Abbitte zu leisten. Es erschien Bill Tide, der Reporter vom „Guardian“. Tide war nur noch ein Nervenbündel. So hatte ihn der Captain noch nie gesehen.

„Ich bin schuld“, klagte er sich an. „Aber das konnte ich nicht ahnen, ich schwöre Ihnen, das konnte ich nicht.“ Nur mit Mühe brachte Antony Starr ihn dazu, eine zusammenhängende Aussage zu machen. Und als er dann die ganze Geschichte gehört hatte, starrte er den Reporter ungläubig an.

„Sie wollen behaupten, daß Sie zur Verzierung von Nancy Lorettos Fest einen Armen aufgetrieben haben? Tide, alter Knabe, ich habe Sie immer für einen vernünftigen Menschen gehalten! Daß Sie sich an diesen verrückten Millionärsleuten beteiligen würden, hätte ich nicht gedacht.“

„Es war ihre Idee“, sagte Bill Tide unglücklich. „Und warum sollte ich ihr den Gefallen nicht tun? Snuck Buck war völlig harmlos. Jedenfalls dachte ich das!“ „Snuck Buck?“ Tom zog die Brauen hoch.

„Das ist ein Stromer aus der Bowery, kein großes Licht. Einer, der gern bei anderen schnorrt und meist Erfolg hat, weil er bei allen Mitleid erweckt. Er muß den Verstand verloren haben, als er den Schmuck der Frau sah; anders kann ich es mir nicht erklären.“

„Moment mal!“ bremste ihn der Captain. „Nach Ihrer Beschreibung ist Snuck Buck ein frierendes, mitleiderweckendes Heimchen mit traurigem Blick, stimmt’s?“

„Besser hätte ich ihn nicht charakterisieren können, Captain.“

„Nach der Beschreibung vorhin war der Fremde aber ein finsterblickender Sehlagetöd.“ Tom schnippte mit den Fingern. „Da ist ein Widerspruch, Ron!“

„Aye Boß?“

„Gib die Großfahndung nach Snuck Buck durch. Und bring den Laden auf Trab. Ich Will Wind um mich spüren.“ Der gutgeölte Polizeiäpparat kam in Bewegung. Zwei Stunden später wurde Snuck Buck gefunden. Bewußtlos, auf einer Pier am Hafen. Am Hinterkopf hatte er eine klaffende Platzwunde.

Die Ärzte flickten ihn zusammen und holten ihn ins Diesseits zurück. Er war noch ziemlich benommen, aber er gab an, den ganzen Tag mit einem alten Freund zusammen in verschiedenen Kneipen gerecht Zu haben. Dem Freund habe er wohl auch von seinem Job bei den verrückten Millionärsweibern erzählt. Warum auch nicht? Auf dem Heimweg sei er dann plötzlich von hinten niedergeschlagen worden.

Wie der Freund denn heiße, Wurde er gefragt.

„Timothy Glenn“, sagte Snuck Buck. „Er ist eben erst aus dem Kittchen entlassen worden, aber ein feiner Kerl.“

Der Polizeiapparat wurde mit einem Ruck herumgedreht und auf Timothy Glenn angesetzt. Eine Stunde später hatte man ihn. Man fand ihn in einem billigen Hotel in der 112. Straße.

Glenn schlief oder stellte sich schlafend, als man ihn fand. Er War mürrisch und leugnete die Tat ab. Er leugnete auch ab, Snuck Buck zu kennen und von ihm übet dessen Job bei Mrs. Loretto informiert worden zu sein. Das war ein Fehler, denn inzwischen gab es noch mehr Zeugen, die das bestätigten; Barkeeper aus den Lokalen, in denen die beiden gesehen worden Waren.

Glenn war erst vor kurzem aus der Strafanstalt Scranton entlassen worden. Er hatte eine eindrucksvolle Vorstrafenlatte, die ihn als ziemlich rabiaten Zeitgenossen auswies.

Der Captain ließ ihn die Klamotten anziehen, die auf einem Stuhl neben dem Bett lagen, und stellte fest, daß auch ein abgetragener, breitkrempiger Hut dabei war. Der Captain eröffnete dem entlassenen Sträfling, daß er verhaftet sei, und ließ alles durchsuchen, um den gestohlenen Schmuck wiederzufinden.

Die Suche förderte den Schmuck nicht zutage, aber das hatte nicht viel zu sagen. Der Schmuck war schätzungsweise eine Viertelmillion Wert, und wenn Glenn der Täter war, hatte er die Beute bestimmt irgendwo gut versteckt.

Vor dem Abtransport ins Hauptquartier rief Tom dort an, um eine Gegenüberstellung mit dem Bankdirektor – dem einzigen Zeugen – zu veranlassen. Dabei teilte Myers ihm mit, daß ein erster, vorläufiger Obduktionsbefund vorliege. Mrs. Loretto war mit ihrem Kollier erwürgt worden.

„Der Doc meint, das Kollier müsse dem Mörder tief in die Hand eingeschnitten haben“, sagte Myers. „Er meint, dort müßten noch Spuren davon zu sehen sein.“

Tom drehte sich um und schnappte Sich Glenns rechte Hand. Nichts. Dann nahm er sich die linke Hand vor und grinste freudlos.

Quer über die Handfläche verlief eine blutige Schramme.

„Die habe ich mir an der kaputten Seitenscheibe meines Wagens geholt“, beteuerte Glenn. „Im übrigen bin ich Rechtshänder, Captain. Wenn ich ein Mörder wäre, hätte ich doch die rechte Hand benutzt – oder?“

„Es soll Leute geben, die ihre Hände abwechselnd gebrauchen, um sie gleichmäßig abzunutzen“, sagte Tom grimmig.

Er schaffte Glenn ins HQ und führte die Gegenüberstellung durch. Gemeinsam mit sechs anderen Männern – Beamten der Mordkommission, die zu diesem Zweck in abgetragene Kleider gesteckt wurden – führte man Glenn dem Bankdirektor vor.

Der zögerte lange und tippte schließlich auf Glenn.

„Wenn es einer von denen war, dann er, Captain. Sicher bin ich natürlich nicht. Es war immerhin schon dunkel, und ich habe den Burschen nicht aus der Nähe gesehen.“

„Trotzdem haben Sie den Richtigen erkannt“, sagte Tom.

Er sah auf die Uhr. Fünf Stunden waren seit dem Mord vergangen. Der Rekord von Jom O’Heyers war um drei Stunden geschlagen worden.

„Ruf die Reporter, Myers“, sagte er. „Wie es scheint, arbeiten wir neuerdings mit amerikanischem Tempo!“

Wieder eine Woche später. Joe, Barry, unter der Bezeichnung Privatdetektiv Joe Barry in der Unterwelt gefürchtet, schloß spätabends seine Wohnungstür auf. Er machte einen Schritt vorwärts und erstarrte.

Etwas Hartes preßte sich zwischen seine Schulterblätter. Joe brauchte nicht lange zu überlegen, um zu wissen, was es war. Eine Revolvermündung.

„Flossen hoch, KX, aber dalli!“ sagte eine träge Stimme in Brooklyner Dialekt.

„Was soll das heißen?“

„War ich nicht deutlich genug? Nimm die Hände hoch und geh weiter.“

Joe blieb nichts anderes übrig, als dem Befehl zu folgen. Der Unbekannte trat hinter ihm über die Schwelle und schlug die Tür zü. Er knipste das Licht an.

„Setz dich hin!“ befahl er. „Und laß die Finger von der Schulterhalfter. Ich weiß genau, daß du da eine Automatic stecken hast, aber ehe du hingelangt hast, habe ich dreimal abgedrückt.“

Joe setzte sich hin und sah Sich dann den Unbekannten an. Er erkannte ihn sofort.

„Champ Wilson“, sagte er gedehnt, „Na, wenn das keine Überraschung ist!“ „Wie ich sehe, kennst du mich noch.“ „Klar, ich erinnere mich an die meisten meiner alten Kunden. Ist zwar schon vier Jahre her, daß wir dich eingelocht haben, aber deswegen haben wir dich noch lange nicht vergessen. Wie war’s in Scranton?“ „Beschissen!“ knurrte Champ Wilson. „Haben sie dich ordnungsgemäß entlassen, oder bist du geflohen?“

„Entlassen“, knurrte der Gangster. „Man hat mir ein Jahr geschenkt, wegen guter Führung.“

Joe wies mit dem Kinn auf den schußbereiten Revolver.

„Und das willst du dir jetzt verkümmeln, was? Bist du gekommen, um dich an mir zu rächen?“

„No, KX. Darum geht es mir nicht. Ich gebe zwar zu, daß ich davon ein paar hundert Nächte lang geträumt habe, aber den Gedanken habe ich mir inzwischen aus dem Kopf geschlagen. Ich bin aus einem anderen Grund gekommen. Ich brauche deine Hilfe.“

Joe hob die Augenbrauen.

„Habe ich recht gehört?“

„Hast du. Ich will, daß du für mich arbeitest. Du hast damals dafür gesorgt, daß ich vier. Jahre im Knast verbringen durfte. Ich meine, jetzt wäre es an der Zeit, daß du mal was Positives für mich tust.“

„Und du bildest dir ein, ich wäre dazu bereit?“

„Warum nicht? Oder stört dich etwa meine Vergangenheit?“

„Mich stört nur die Kanone, die du in der Hand hast, Champ“, meinte Joe. „Solange du das Ding auf mich gerichtet hältst, bin ich nicht bereit, mit dir darüber zu diskutieren, ob ich etwas für dich tun kann oder nicht.“

Der entlassene Sträfling zog die Oberlippe hoch und entblößte ein gelbes Pferdegebiß.

„Die Kanone ist leider nötig. Reiner Selbstschutz. Könnte ja sein, daß du auf die Idee kommst, mich verhaften zu lassen.“

„Dich verhaften? Warum?“

„Um deinem Freund Starr einen Gefallen zu tun. Der sucht mich nämlich.“ Joe stieß einen leisen Pfiff aus und betrachtete Champ Wilson nachdenklich.

„Yeah, Mord. Das ist es, was man mir vorwirft.“

„Keine Kleinigkeit.“

„Sicher nicht. Aber bei der Geschichte ist ein Haken.“

„Und der wäre?“

„Ich bin unschuldig.“

„Das sagen alle!“

„Aber ich bin es wirklich!“

„Das sagen auch alle“, knurrte Joe. „Hast du was dagegen, wenn ich mir einen Drink nehme?“

„Nicht, wenn kein Trick dabei ist!“

Joe erhob sich, nahm die Flasche heraus und bediente sich.

„Warum gehst du nicht zum Captain und erzählst ihm das?“ fragte er.

„Weil der Captain ein sturer Polizist ist, ein engstirniger Bulle, der nichts sieht auner meinem Vorstrafenregister und dem Beweismaterial, das scheinbar gegen mich spricht. Der Captain hat in letzter Zeit sowieso die fixe Idee, alle Mordfälle in weniger als acht Stunden aufzuklären und ist Sauer auf mich, weil ihm das bei mir bisher nicht geglückt ist. Der hört nicht auf meine Argumente. Der locht mich ein und überweist den Fall ans Gericht.“

„Wenn das so ist, muß ja eine Menge gegen dich sprechen“, sagte Joe.

„Tut es auch. Das Material gegen mich ist handfest wie ein Henkerstrick.“

„Na also!“ sagte Joe. „Worüber diskutieren wir dann noch? Meinst du vielleicht, ich hätte Grund, dir irgend etwas zu glauben? Du bist vor vier Jahren haarscharf an einer Anklage wegen versuchten Mordes vorbeigekommen, vergiß das nicht, mp.“

„Aber ich bin unschuldig, Barry, Ich habe dich damals kennengelernt und habe Zeit gehabt, mir über deine Arbeitsweise Gedanken zu machen. Du gehst nicht wie die sturen Bullen vor, die auf der Polizeischule schon lernen, daß ein Verdächtiger So gut wie überführt ist, wenn, er ein Dutzend Vorstrafen hat. Für dich steht nichts fest, bevor du nicht selbst davon überzeugt bist. Deshalb bin ich zu dir gekommen. Du bist der einzige, der mir helfen kann.“

Joe betrachtete nachdenklich sein Glas. „Ich verspreche dir überhaupt nichts, Champ. Aber laß deine Geschichte mal hören.“

„Es ist nur eine kurze Geschichte“, sagte der entlassene Sträfling. „Vorgestern nacht wurde ein Mann im Brooklyn Battery Park ermordet und beraubt.“ „Handelt es sich um den Mann, der das I Schnellimbißlokal am Hyde Gate betrieb?“

„Ja, genau den. Kennst du den Fall?“

„Ich habe in der Zeitung davon gelesen“, brummte Joe.

„Der Mann hatte gegen Mitternacht sein Lokal geschlossen und wollte das Bargeld aus der Kasse zum Nachttresor seiner Bank bringen. Da es schon ziemlich spät war, ging er durch den Park. Dort wurde er überfallen und niedergeschossen. Der Täter schnappte sich die Tasche mit dem Geld und verschwand. Die Beute betrug etwa zehntausend Dollar, die gesamten Wocheneinnahmen ans dem Restaurant.“

„Und weiter?“

„Mehrere Zeugen hatten den Mörder gesehen und gaben eine Beschreibung von ihm ab. Diese Beschreibung trifft ungefähr auf mich zu. Sie gaben außerdem an, der Mörder habe einen schwarzen Ford, Baujahr 59, benutzt. Einer hatte sich sogar die Nummer des Wagons notiert.“

„Und?“

„Es war mein Wagen“, knurrte Champ Wilson. „Ich hatte ihn mir am Tag meiner Entlassung für zweihundertfünfzig Dollar gekauft – von meinem Arbeitsverdienst.“

„Willst du mir erzählen, daß der Wagen ohne dich dorthin gefahren ist?“

„No, er wurde gestohlen.“

„Hattest du Anzeige erstattet?“

Champ Wilson schüttelte den Kopf.

„Ich hatte ja den Diebstahl überhaupt nicht bemerkt. Die Diebe haben den Wagen nach der Tat zu meiner Wohnung zurückgebracht – in die Hyde Avenue in Brooklyn. Ich bewohne dort ein Zimmer.“

„Woher weißt du, daß er gestohlen war?“

„Als die Cops kamen, war ich nicht da“, sagte Champ. „Sie nahmen sich als erstes den Wagon vor und fanden im Handschuhfach den Revolver, mit dem der Mord verübt Worden War. Sie durchsuchten dann mein Zimmer und warteten auf mich. Aber ich hatte Glück. Ich habe einen Freund in der Nachbarschaft, der mich Warnte, als ich zurückkam. Daraufhin setzte ich mich sofort ab.“

„Du willst also behaupten, daß es einen großen Unbekannten gibt, der den Mord so gedeichselt hat, daß man dir die Tat in die Schuhe schiebt.“

„Yeah. Das Ganze ist eine Schweinerei. Aber ich lasse mich nicht fertigmachen, nicht auf die Tour.“

Joe betrachtete Wilson nachdenklich. Was der Junge ihm da erzählte, klang echt. Aber natürlich fiel es schwer, einem Champ Wilson zu glauben.

„Hast du Beweise für deine Behauptung?“ fragte Joe. „Wie steht’s mit einem Alibi für die Tatzeit?“

„Habe ich“, sagte Wilson. „Ich war zu der Zeit, als der Mord geschah, in der Nachtvorstellung der Tingle Revue in Carnegie Hall.“

„Allein?“

„Yeah, aber man könnte durch einen Aufruf die Leute ausfindig machen, die neben mir saßen. Nur – wenn ich dem Captain so etwas vorschlage, lacht der sich kaputt. Für den bin ich so überführt, daß mein Fall nur noch die Fahndungsabteilung interessiert, oder das Gericht.

Es gibt leider keine Möglichkeit, einem Polizeicaptain Vorschriften zu machen, Wie intensiv er Anhaltspunkten nachgehen muß, die gegen die Schuld seines Kunden sprechen. Bei dir ist das anders, KX. Du hörst dir ein vernünftiges Argument Wenigstens an.“

„Was bleibt mir anderes übrig, wenn du den Finger nicht vom Drücker deiner Artillerie nimmst“, knurrte Joe. „Das mit den Sitznachbarn in der Carnegie Hall ist faul. Da kannst du lange warten, bis sich einer erinnert und meldet. Gibt es sonst noch Pluspunkte für dich?“

Champ Wilson überlegte einen Moment.

„Wenn ich der Mörder wäre, müßte ich ja das Geld irgendwo haben, nicht wahr? Ich habe es aber nicht.“

„Du könntest es versteckt haben. Beweise mal, daß das nicht der Fall ist.“ „Ich weiß schon, daß ich tief in der Tinte stecke“, knurrte Champ. Dann hellte sich sein Gesicht auf. „Auf der Tatwaffe, die ich angeblich benutzt habe, sind keine Prints von mir zu finden. Das spricht doch für mich – oder?“

„Nicht, wenn man unterstellt, daß du Handschuhe getragen hast.“

„Yeah, stimmt. Man braucht nur wie ein verdammter Cop zu denken, dann ist man nie um ein dämliches Argument verlegen. Übrigens ist Captain Rowlond noch aus einem anderen Grund so wild darauf, mich zu kriegen.

In den letzten beiden Wochen hat er zwei Morde aufgeklärt, in denen die Täter entlassene Strafgefangene aus dem Gefängnis waren. Ich habe die beiden gekannt. Es waren Kumpels von mir. Der Captain denkt jetzt, jeder, der aus Scranton kommt, ist von vornherein mal doppelt verdächtig. Er hat gewissermaßen einen Scranton-Tick.“

„Kann man es ihm verdenken? In deinem Fall bestimmt nicht. Die Geschichte, die du mir erzählt hast, klingt ziemlich dünn.“

„Weiß ich. Wahre Geschichten haben das manchmal so an sich. Aber trotzdem ist sie wahr. Glaubst du, sonst wäre ich zu dir gekommen? Wenn ich wirklich schuldig wäre, hätte ich bestimmt nicht einen so scharfen Hund wie dich zum Beichtvater gewählt.“

„Es könnte ein Trick sein, mit dem du dich aus einer hoffnungslosen Lage herauszulügen versuchst.“

Champ Wilson betrachtete ihn kopfschüttelnd.

„Ihr Bullen seid doch alle gleich. Immer sucht ihr nach einer versteckten Gemeinheit.“

„Dieses Mißtrauen verdanken wir Leuten deines Schlages“, konterte Joe trocken. „Ich gebe zu, an deiner Geschichte besticht, daß sie wie eine faustdicke Lüge aufgemacht ist. Man sollte annehmen, daß jemand, der lügt, das zu verbergen trachtet. Aber es gibt Ausnahmen. Wer weiß – vielleicht bist du eine.“

Sein Gesicht hellte sich auf.

„Du bist also bereit, mir zu helfen?“

„Habe ich das gesagt? Der einzige Grund, warum ich dir so lange zugehört habe, ist die Tatsache, daß du eine Kanone in der Hand hältst.“ Joe stellte sein Glas ab. „Hast du eine Vorstellung, wer in Wirklichkeit der Mörder sein könnte?“ Champ schüttelte den Kopf.

„Nicht die Bohne. Aber es muß jemand sein, der mich gekannt hat. Das liegt doch auf der Hand. Und ich habe mir geschworen, den Burschen zu finden und es ihm heimzuzahlen. Nur muß ich da gegen zwei Fronten kämpfen. In jeder Polizeistation hängt mein Steckbrief. Du kannst dir selbst ausmalen, wie schlecht meine Chancen stehen.“

Joe nickte.

„Genau besehen, hast du überhaupt keine Chance. Ich mache dir einen Vorschlag. Stell dich der Polizei!“

„Niemals!“

„Stell dich der Polizei“, wiederholte Joe ungerührt, „dann verspreche ich dir, der Sache nachzugehen. Ich werde deine Angaben überprüfen. Wenn es jemanden gibt, der dir helfen kann, dann sind es der Captain und ich. Wenn du dagegen auf eigene Faust vorgehst, dann riskierst du nicht nur deinen Kopf, sondern auch deine Glaubwürdigkeit. Also, überleg dir meinen Vorschlag.“

„Abgelehnt“, sagte Champ Wilson lakonisch. „Mich bequasselst du nicht, Barry. Ich bin oft genug in die Mühle der Polizei geraten, um zu wissen, wie es in der Praxis aussieht. Freiwillig stelle ich mich nicht – nicht bei dem Beweismaterial.“ Joe zuckte die Achseln.

„Dann sieh selber zu, wie du mit der Sache fertig wirst.“

Champ Wilson zog sich langsam zur Tür zurück.

„Ist das dein letztes Wort, Barry?“

„Mein Angebot gilt. Stell dich der Polizei, und ich übernehme deinen Fall – kostenlos.“

„Ich hätte wissen müssen, daß es sinnlos ist“, sagte Champ Wilson finster. „Aber wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, kommt man eben auf die Verrücktesten Ideen.“ Sein Gesicht wurde hart. „Ich haue jetzt ab! Wenn du in den nächsten drei Minuten dein Gesicht im Flur sehen läßt, riskierst du eine Spritze aus einem Knaller. Versuch nicht, mir zu folgen, Barry. Würde dir schlecht bekommen!“

Er griff hinter sich, öffnete die Tür und trat rückwärts hinaus.

„Wilson!“ rief Joe.

Der Gangster stoppte.

„Was gibt’s?“

„Ruf mich morgen mittag an!“

Wilsons Gesicht hellte sich auf.

„Du willst mir also helfen?“

„Den Teufel will ich“, schnaubte Joe. „Ich werde lediglich ein paar Informationen einholen und mir dann überlegen, was ich tue. Also, ruf mich an.“

„Aber ohne Trick!“

„Trick?“

„Nun, mit überwachter Telefonleitung und ähnlichen Scherzen!“

„Keine Sorge“, brummte Joe. „Ich habe zwar in euren Kreisen einen ziemlich schlechten Ruf, aber ganz so schlimm ist er nun auch wieder nicht.“

Privatdetektiv Joe Barry - Kugeln aus zarter Hand

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