Читать книгу Privatdetektiv Joe Barry - Den letzten fressen die Geier - Joe Barry - Страница 5
2. Kapitel
ОглавлениеDer hellgraue Ford, der dem Gefangenentransporter seit seiner Abfahrt gefolgt war, hielt zuerst an der Fluchtstelle. Die drei Insassen beugten sich gleichzeitig nach vorn und bekamen große Augen. Der Mann am Steuer bekam den Mund nicht wieder zu, als er sich fragend umdrehte.
Shed DeRuyter, ein eleganter Mittvierziger mit grauen Schläfen und buschigen Augenbrauen, fand als erster die Sprache wieder. Er nahm die Karte von seinen Knien hoch und befahl dem Fahrer, den nächsten Feldweg einzuschlagen. Sie schoben sich an dem schräg stehenden Transporter vorbei und kurvten knapp dreißig Meter weiter auf einen Feldweg ein, der schnurgerade durch die Maisfelder führte. Franklin Pocono, der Mann am Steuer, staunte immer noch Bauklötzer. Für ihn war der schöne Plan ins Wasser gefallen, aber Mr. DeRuyter schien schon einen neuen auf Lager zu haben. Er dirigierte ihn kreuz und quer, immer weiter ab von der Hauptstraße, bis sie sich einer Farm näherten. Er ließ den Wagen vor einer dichten Hecke abstellen, so daß er von der Farm aus nicht auf den ersten Blick gesehen werden konnte.
„Laß den Schlüssel stecken und kurble das Fenster herab!“ befahl De-Ryter in seiner arroganten Art. Franklin gehorchte und stieg anschließend aus. Der dritte Mann, der neben De-Ryter im Fond saß, hatte kleine Schweinsäuglein und war weißblond. Er kaute unentwegt an seinem Gummi und sprach kein Wort. Schweigend beugte er sich nach vorn und schaltete das Autoradio ein. Er drehte den Einstellknopf so, daß der Polizeifunk klar zu hören war, nachdem der Apparat warm geworden war. Sie hörten die einzelnen Meldungen über die erfolglose Suche nach dem entflohenen Untersuchungshäftling.
„Ihr bleibt hier und wartet auf mich“, sagte De Ryter und stiefelte davon, direkt auf das Bauernhaus zu, vor dem ein verdreckter Traktor stand. Ein paar Minuten später war er vor der Tür, klopfte kurz an und trat ein.
„Entschuldigen Sie, Madam, darf ich mal telefonieren?“ fragte er die Farmerin, die ihn erst mißtrauisch betrachtete. Mit seinem öligen Lächeln zerstreute er ihre Bedenken, außerdem legte er sofort eine Dollarnote auf den Tisch. „Es ist ein Ferngespräch, und es dauert höchstens eine Minute“, versicherte er.
Sie zeigte ihm den Apparat, und er stellte sich mit dem Rücken zu ihr in die entfernte Ecke. Siebenmal drehte er die Wählscheibe zurück, dann hörte er einmal das Freizeichen. Sofort legte er auf und wählte die Nummer neu. Diesmal wartete er, bis sich der Teilnehmer meldete.
Shed DeRuyter tat nichts weiter, als sich einen Wagen zu bestellen. Wie er sagte, hatte der Ford eine Panne und sollte stehenbleiben. Er gab den genauen Ort an, wo er abgeholt werden wollte, und legte auf. Mit ein paar Dankesworten verabschiedete er sich, dann sprang er mit seinen schwarzglänzenden Schuhen über die große Lehmpfütze vor der Haustür. Als er zu seinen Begleitern zurückkehrte, schüttelten sie den Kopf. Das hieß, daß den Meldungen nach Little Tupper entkommen war.
„Wieviel Sprit ist noch im Tank?“ fragte Shed.
„Gut zehn Gallonen“, sagte Franklin. „Außerdem haben wir zwei Gallonen im Reservekanister.“
„Okay, laß den Tank leerlaufen!“ ordnete Shed an.
„Leer?“ staunte Franklin.
„Hörst du schlecht“, fauchte der Weißblonde und richtete seine Schweinsaugen auf seinen Begleiter. Der kroch sofort mit einem Schraubenschlüssel unter den Ford und löste die große Mutter am Tankboden. Kurz darauf ergoß sich ein dicker Strahl Benzin auf den weichen Boden und tränkte die fette Erde. Als der letzte Tropfen heraus war, schraubte Franklin wieder zu.
„Und jetzt kipp den Reservekanister in den Tank!“ forderte DeRuyter auf. Zum zweitenmal an diesem Morgen blieb Franklin der Mund vor Staunen offenstehen. Er kapierte jetzt überhaupt nichts mehr und blickte hilflos von einem zum anderen. Alton Dexter, der Weißblonde, schnippte nur kurz mit den Fingern, und Franklin gehorchte. Widerwillig holte er den Kanister aus dem Kofferraum und setzte ihn an den Tankstutzen.
„Reicht das, Al?“ fragte Shed.
„Gut für dreißig Meilen“, bestätigte dieser.
Franklin goß die zwei Gallonen in den Tank, verstaute den Kanister im Kofferraum und leerte dann das Handschuhfach. Mit einem Griff riß er auch das Stromkabel aus dem Radio, dann war DeRuyter zufrieden. Er fischte seine Zigarettenpackung aus der Tasche.
„Ich verstehe nur noch Bahnhof“, brummte Franklin.
„Macht nichts“, sagte Shed DeRuyter sanft. „Du wirst nicht fürs Denken bezahlt.“
Er warf einen Blick auf die Uhr und drängte zum Aufbruch. Der bestellte Wagen sollte sie in einer Viertelstunde abholen.
„Hast du die Papiere im Wagen gelassen?“ fragte er im Weggehen noch.
„Führerschein und Wagenpapiere“, nickte Alton. „Beides ist echt.“
In ihren dunklen Anzügen sahen sie wie Mondfahrer auf einem Diplomatenempfang aus. Aber das störte sie nicht weiter. Im Gänsemarsch schlugen sie einen Bogen um die Farm, kamen auf die Zubringerstraße und marschierten diese in südlicher Richtung entlang. Nach einer halben Meile tauchte ein Chevrolet auf. Der Fahrer betätigte dreimal die Lichthupe, als er die drei Gestalten sah. DeRuyter hob den rechten Arm, riß den Hut vom Kopf und setzte ihn mit der linken Hand wieder auf. Das war das vereinbarte Zeichen, und gleich darauf stiegen sie ein.
„Hallo, Lee“, sagte Shed, „unser Plan hat sich etwas geändert. „So kommen wir schneller zum Ziel.“
„Mir soll es recht sein“, brummte der mit Lee Angesprochene, wendete den Wagen und fuhr bis zur Hauptstraße zurück. „Warten wir hier?“
„Ein Stück weiter ist ein Rasthaus, dort fällt es am wenigsten auf“, schlug DeRuyter vor. „Stell dich auf den Parkplatz und halte die Augen offen. Er muß hier vorbeikommen.“
Sie fuhren die halbe Meile weiter, dann rangierten sie den Chevrolet in eine günstig gelegene Lücke, so daß sie schnell starten konnten. So gut es ging machten sie es sich in dem Wagen bequem.
Little Tupper hatte den einzigen Wunsch, in ein Mauseloch kriechen zu können. Er fürchtete nicht die beiden Wärter mit ihren Taschenkanonen, die etliche Maiskolben ummähten. Auf allen vieren kroch er durch das Feld. Wie ein See-Aal wand er sich durch die Halme. Er mußte so schnell wie möglich verschwinden, bevor die große Suchaktion einsetzte und das ganze Gelände abgeriegelt wurde. Als er einen Zwischenraum zwischen zwei Feldern erreichte, konnte er einen Dauerlauf einlegen. Dabei zog er den Kopf so tief wie möglich ein und ging bei jedem Sprung in die Knie.
Im rechten Winkel von der Hauptstraße weg führte ihn die Flucht. Er wußte nicht genau, wo er war und hetzte nur stur weiter. Die Zunge hing ihm schon zum Hals heraus, als er einen kräftigen Baum erblickte, der ziemlich einsam stand. Little Tupper kletterte hinauf und wurde völlig durch die dichtbelaubten Äste verdeckt. Trotzdem fand er genügend Lücken, um die Gegend gut zu überblicken. Er entdeckte eine Meile weiter die Farm, und seine erste Überlegung war, einen großen Bogen darum zu schlagen. Dann besann er sich und war sicher, daß sie noch nichts von seiner Flucht wissen konnten. Vielleicht fand er dort die Möglichkeit, seinen Reiseetat aufzufüllen oder wenigstens ein Fahrrad zu stehlen. Geduckt hielt er darauf zu und fand nach zehn Minuten den Wagen.
Fünf Minuten lang beobachtete er mißtrauisch das verlassene Fahrzeug. Der Ford trug eine Zulassung aus New York und sah noch gut erhalten aus.
Als Tupper näher schlich, sah er das offene Fenster und den Zündschlüssel im Schloß. Bevor er jedoch den Wagen bestieg, erkundete er den Weg und sah vom Besitzer weit und breit keine Spur. Er konnte zumindest bis vor die nächste größere Ortschaft fahren und dort leichter untertauchen.
Wenn ihm nicht der Boden unter den Füßen gebrannt hätte, wäre Little Tupper zu Fuß weitermarschiert. Doch so wischte er alle Bedenken beiseite, kletterte hinein und startete den Wagen. Ein Blick auf die Tankuhr zeigte ihm, daß er nicht sehr weit kommen würde. Gierig nahm er sich eine Zigarette und zündete sie an. Seit drei Tagen das erstemal.
Little Tupper schonte weder Stoßdämpfer noch Reifen. Zweimal krachte die Karosserie auf Unebenheiten auf, aber das störte ihn nicht. Er kam im Bogen auf die Straße zur Farm, entfernte sich von ihr und sah bald die Lichter der Wagen auf einer größeren Straße. Er schätzte die Entfernung zurück und entschloß sich, nach New Brunswick zu fahren. Bis dahin mußte der Sprit reichen, und wenn er wirklich ausging, würde er laufen. Aber dort wußte er, wo genügend Geld auf ihn wartete, und er war sicher, daß ihn die Polizei zuallerletzt in ihrer Nähe vermuteten.
Es war ziemlich hell. Ohne Licht bog er auf die Hauptstraße ein. Dann begnügte er sich mit Standlicht, und als er einen Tanklaster eingeholt hatte, hängte er sich dicht dahinter. Bisher war ihm noch kein Streifenwagen begegnet. Little Tupper begann aufzuatmen. Er pfiff ein Lied vor sich hin und malte sich aus, was er alles mit dem vielen Geld anfangen konnte, zumal er nicht zu teilen brauchte. Keine Gedanken des Bedauerns verschwendete er an seine beiden auf der Strecke gebliebenen Kumpane.
Sooft er auch in den Rückspiegel blickte, niemand verfolgte ihn. Ein einziges Mal tauchten zwei Lichter auf und näherten sich schnell. Little Tupper fuhr langsamer. Doch der Wagen überholte ihn, ohne daß der Fahrer auch nur einen Blick auf den langsam dahinzockelnden Ford warf. Dann war er wieder allein hinter dem Laster.
Rechter Hand tauchte eine Raststätte auf. Er hätte sich gar zu gern einen doppelten Whisky genehmigt, aber erstens war das zu riskant, und zweitens besaß er keinen Cent. Es wurde Zeit, daß er sich ein Stück von dem Kuchen abschnitt, der in New Brunswick auf ihn wartete.
Die Nadel der Benzinuhr pendelte um Null, aber solange sie sich überhaupt bewegte, waren noch ein paar Liter im Tank. Bis New Brunswick hatte er noch etwa fünfzehn Meilen und Little Tupper hoffte, daß der Sprit reichte.
„Das ist er“, sagte Alton Dexter ruhig und warf einen anerkennenden Blick auf Shed. Die Idee, dem flüchtenden Gangster ein fahrbereites Auto direkt in den Weg zu stellen, war goldrichtig gewesen. Es hatte prompt geklappt, und sie brauchten dem Bursehen nur noch zu folgen.
Lee startete augenblicklich, zog den Wagen elegant auf die Straße und fuhr ohne Licht. Sie hatten die Rücklichter des Tankers und des Ford vor sich, und das genügte, um den Verlauf der Straße zu erkennen. Lee behielt ständig den Rückspiegel im Blickfeld, damit er einen nachfolgenden Wagen rechtzeitig erkennen konnte. Sie wollten jetzt nicht einer Verkehrsstreife in die Hände fallen und wegen mangelnder Beleuchtung angehalten werden.
„Mit dem wenigen Benzin bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als sich direkt zum Versteck zu begeben“, kicherte Lee. „Ich wette, er holt sich das gesamte Geld und will sich damit absetzen, bevor alle Straßen abgesperrt werden.“
„Und daß wir hundert Meter hinter ihm hängen, ahnt er nicht einmal“, bestätigte DeRuyter zufrieden. Er sah immer noch so würdevoll aus wie ein Entwicklungsminister im Fernen Osten.
Scheinwerfer tauchten weit hinter ihnen auf. Lee beschleunigte etwas, bis ein Straßenschild auftauchte. Er bremste den Wagen mit der Handbremse ab und fuhr in die Seitenstraße. Da die Bremslichter nicht aufleuchteten, konnte der nachfolgende Fahrer ihn nicht sehen. Dicht am Straßenrand hielten sie, warteten, bis der andere vorbei war, und kurvten dann im Dunkeln zurück. Mit Vollgas jagten sie dem Ford nach, bis sie ihn wieder eingeholt hatten. DeRuyter merkte zuerst, daß es nicht der Ford war, sondern ein Chevrolet, der hinter dem Tankwagen klebte. Er ließ einen wüsten Fluch los, und Lee trat im gleichen Augenblick das Gaspedal bis zum Bodenbrett durch. Jetzt schaltete er das Licht ein und jagte mit Höchstgeschwindigkeit an den beiden Wagen vorbei. Die Straße machte eine große Kurve, und als sie durch waren, sahen sie den Ford. Der Wagen hatte seine Geschwindigkeit erheblich erhöht.
„Laß die Lichter an!“ befahl Shed. „Es fällt ihm jetzt nur auf, wenn du plötzlich dunkel fährst. Wir folgen in größerem Abstand.“
Es waren nur noch ein paar Meilen bis New Brunswick, und kurz darauf tauchten die ersten Häuser auf. Der Ford bremste an der ersten Kreuzeung ab und bog rechts ein.
„Geradeaus!“ zischte DeRuyter, und Lee gehorchte. Er fuhr über die Kreuzung, beschleunigte und nahm mit pfeifenden Reifen die nächste Straße nach rechts.
Sie sahen die Lichtkegel schon kommen. Geistesgegenwärtig schaltete Lee auf Standlicht. Vor ihnen schob sich der Ford über die Kreuzung. Er war wieder abgebogen und hatte die Parallelstraße zur Hauptstraße benutzt, kam um die Kurve und ihnen direkt entgegen. Shed und Al bückten sich rechtzeitig, Franklin zog den Hut ins Gesicht, und Lee kratzte sich mit der rechten Hand am linken Kinn. In dem kurzen Lichtblitz, mit dem die Scheinwerfer des Ford die beiden Männer erfaßten, konnte man unmöglich ihre Gesichter erkennen.
DeRuyter drehte sich als erster um und sah den Ford nach rechts blinken.
„Fahr parallel zur Hauptstraße!“ befahl er und zeigte Lee die Richtung. Der Wagen neigte sich nach rechts, Lee kurbelte scharf, und gleich darauf hatten sie die neue Richtung.
„Er muß jetzt bis zur Louis Street fahren und kann dort nur geradeaus oder links weg“, erklärte er. Lee beeilte sich und hielt mitten auf der Straße. Vier Köpfe starrten nach links die Straße entlang bis zur nächsten Kreuzung. Dort tauchte nach zwanzig Sekunden der Ford hinter einer Hausecke auf und fuhr geradeaus.
„Er hält direkt auf die Bank zu“, sagte Shed zufrieden. „Meine Theorie stimmt. Das Geld liegt dort ganz in der Nähe.“
Zwei Blocks weiter bogen sie links und gleich darauf wieder rechts ein. Jetzt hatten sie den Ford wieder vor sich. Hinter ihnen kamen zwei andere Wagen, so daß sie nicht weiter auffielen.
Als sie fast durch die Stadt waren, scherte der Ford rechts in eine Parklücke. Die Lichter erloschen, und Little Tupper blieb regungslos sitzen. Der Chevy fuhr an ihm vorbei, bog in die nächste Querstraße ein und hielt. Alle vier Türen gingen gleichzeitig auf, und die Insassen sprangen aus dem Wagen, als könne er jeden Augenblick explodieren.
„Ihr zwei geht durch die Wiese!“ zischte Shed und deutete auf den Zaun neben sich. Franklin und Alton nickten und flankten darüber hinweg. Lee folgte dem Chef auf die Hauptstraße, wo sie gelassen zurückbummelten. Nach ein paar Schritten sahen sie den Ford. Er war leer.
„Verdammt!“ knirschte Shed und erstarrte. Dreißig Meter vor ihnen bogen zwei Streifenpolizisten aus einem Hauseingang und kamen ihnen entgegen. Zum Weglaufen war es zu spät.
„Mach ein freundliches Gesicht, Lee“, sagte DeRuyter salbungsvoll und blickte selber lammfromm nach vorn. Mit ruhigem Schritt ging er auf die beiden Polizisten zu, von denen einer auf sie zumarschierte, während der andere beim Ford stehenblieb und seinen Strafzettelblock zückte.