Читать книгу Privatdetektiv Joe Barry - Sein Freund der Henker - Joe Barry - Страница 5
2. Kapite1
ОглавлениеAttorney Brown war ein schmächtiger Mann mit dem Gesichtsausdruck eines Magenkranken. Er war ständig von der Vorstellung geplagt, einen Fall zu versieben, und nicht zuletzt dieser Eigenschaft war es zu verdanken, daß er ein außergewöhnlich guter Attorney war.
Cyril Hopkins kannte er von früher her. Sie waren Studienfreunde gewesen und hatten sich später oft vor Gericht wiedergesehen. Die Tatsache, daß Hopkins, grob geschätzt, sechsmal so viel verdiente wie der Attorney, machte Brown den Besuch des Anwalts nicht sympathischer.
Andererseits kannte Brown seinen Kollegen als äußerst zuverlässigen Mann. Er zweifelte nicht daran, daß der Anwalt die Wahrheit sagte.
„So sieht’s aus“, schloß Hopkins. „Sie können die entsprechenden Schlußfolgerungen selber ziehgn, Attorney. Ich kann mir nicht verstellen, daß diese wesentlich von meinen Sehlußfolgerungen abweichen.“
„Lassen wir doch die Förmlichkeiten“, brummte Brown. „Nun mal offen, Cyril, was hast du vor?“
Hopkins lächelte dünn.
„Ich habe nun mal was gegen einen Justizmord, erst recht, wenn es sich um einen meiner Mandanten handelt.“
„Absolut richtig. Was du sagst, klingt ungeheuerlich. Das muß genau geprüft werden. Dafür stehe ich gerade, Cyril.
Aber du wirst zugeben, daß das, was du eben vorgebraeht hast, noch kein hundertprozentiger Beweis ist.“
„Es sind Indizien. Bessere Indizien als die, die dem Schwurgericht in Utica zu einem Todesurteil genügten. Das vor allem zählt. Natürlich mußt du den Fall überprüfen.“
„Das werde ich tun, Cyril, auch wenn ich mir dabei mein eigenes Grab schaufle. Ich glaube, du kennst mich gut genug, um das zu wissen. Aber —“ Er brach ab.
Das Lächeln in Hopkins Gesicht verstärkte sich.
„Du denkst an die Wahlen, die bald stattfinden?“
„Keine Spur“, sagte der Attorney und grinste müde, „Ich möchte dich nur um etwas Zurückhaltung gegenüber den Pressehaien bitten.“
„Wird gemacht. Bin doch kein Unmensch. Ich will dich nicht hereinreißen. Andererseits will ich auch Druck hinter die Sache setzen, und aus Erfahrung weiß ich, daß es keinen besseren Druck gibt als eine wütende Presse. Nichts bringt die Polizei schneller auf Vordermann. — Also schließen wir einen Kompromiß. Ich gebe dir eine Woche. Eine Woche lang kannst du sicher sein, daß ich die Zeitungen aus dem Spiel lasse.“
„Eine Woche ist äußerst wenig.“
„Mag sein. Aber mehr geht beim besten Willen nicht. Wenn es wirklich stimmt, daß der Mann, der in Scranton hingerichtet wurde, unschuldig war, muß ich dafür sorgen, daß das schnellstens bekannt wird und die Fahndung nach dem wahren Mörder beginnt. Ihr hattet es so eilig, ihn hinzurichten; ihr könnt dieses Tempo ruhig beibehalten. Heute in einer Woche schalte ich die Zeitungen ein. Und dann möchte ich erleben, was die öffentliche Meinung mit euch anstellt.“
„Hopkins erhob sich.
„Die Unterlagen lasse ich hier. Ich habe Durchschläge in meinem Büro. Wenn doch Fragen sein sollten, ich stehe immer zur Verfügung.“
Er nahm seinen eleganten Stetson.
„Ich wünsche dir ehrlich viel Erfolg, Brown, aber wir beide haben uns oft genug im Gerichtssaal gegenübergestanden und brauchen uns nichts vorzumachen. Also denk daran. Leicht hast du’s nicht mit mir. Du mußt dich ziemlich anstrengen, wenn du ohne angesengte Kopfschwarte aus der Geschichte herauskommen willst. — Bye, Sir.“
Der Attorney starrte finster hinter seinem Besucher her. Dann langte er sich das Telefon.
„Ja, Sir?“ meldete sich die Stenomaus. Attorney Brown hatte gelegentlich die Angewohnheit, laut zu sagen, was er dachte.
„Ich brauche unbedingt den besten Mann, den wir im Hause haben.“
„Also Lieutenant Starr“, sagte das Mädchen sofort und schaltete durch.
Lieutenant Antony Starr war Chef der Mordkommission Manhattan und tatsächlich der beste Mann im Center. Jedenfalls war das die Meinung vieler.
Als Antony das Büro des Attorney betrat, spürte er sofort, daß etwas Unangenehmes vorgefallen war. Wenn Brown Ärger hatte — und ein District Attorney hatte beruflich fast nur Ärger — drang das durch alle Ritzen bis zum Hauptsafe in der Stahlkammer.
Wenn Brown seinen Ärger mit Spott mischte, war das so erfrischend wie eine Ätzdusche mit rauchender Salpetersäure.
„Setzen Sie sich, Captain“, knurrte Brown. „Seit wann sind Sie bei uns?“
„Seit zehn Jahren.“
„Und wie lange Chef der Abteilung II?“
„Sieben Jahre.“
„Ist es Ihnen schon einmal passiert, daß ein Mörder, den Sie oder Ihre Leute überführt haben, hingerichtet und hinterher als Unschuldiger rehabilitiert wurde?“
„Also daher weht der Wind“, brummte Antony und bediente sich aus der Zigarettenpackung seines Vorgesetzten. „Um wen handelt es sich?“
„Nick Romano.“
„Ich kenne den Fall. Ich habe Leutnant Myers mit einer Sonderkommission nach Utica geschickt. Er hat ihn geschmissen. Wir saßen Nickboy schon lange auf den Fersen.“
„Well, was würden Sie dazu sagen, wenn der Mann, der am 15. Mai hingerichtet wurde, überhaupt nicht Nick Romano war?“
Antony starrte den Attorney überrascht an.
„Ist das Ihr Ernst?“
„Cyril Hopkins, der Verteidiger des Hingerichteten, ist rührend darum besorgt, dafür den Beweis zu erbringen.“
„Hopkins“, murmelte Antony. „Ein gerissener Bursche! Was verspricht er sich davon?“
„Er scheint von seiner Ansicht überzeugt.“
„Aber das ist doch Unsinn, Nick Romano wurde einwandfrei von Zeugenwiedererkannt. Er hatte genug Gelegenheit, auszusagen, aber er hat monatelang geschwiegen. — No, Sir, das ist Unsinn.“
„Zehn Minuten vor seiner Hinrichtung behauptete Nickboy plötzlich, ein anderer namens Dyme Lodge zu sein.“ Browns Stimme wurde immer lauter. „Ich kenne genau die Bedenken, die Sie gegen derartige Storys vorzubringen haben. Was der Mann wenige Minuten vor seiner Hinrichtung behauptet hat, ist überhaupt nichts — kein Beweis, kein Argument — nichts! Aber Hopkins hat den Burschen ernst genommen. Er hat vergeblich versucht, einen Hinrichtungsaufschub zu erwirken. Dann hat er diesen Fall nachgeprüft. Hier sind seine Ergebnisse.“
Die Faust des Attorney fuhr krachend auf das Aktenbündel vor ihm auf dem Tisch. Dann öffnete er eine Schublade und zog einen Bericht heraus, den er sich vorher bereitgelegt hatte.
„Und hier sind die Ergebnisse der Ermittlungen Ihrer famosen Leute, Captain, angeführt von Leutnant Myers. Die Ergebnisse, die das Schwurgericht dazu brachten, Nickboy oder wer immer es gewesen sein mag, zum Tode zu verurteilen.“
Brown gab die Stichworte an.
„Punkt eins: Nick Romano wird von New Yorker Polizei schon lange gejagt. Da Verdacht besteht, daß ein in Utica wegen Mordverdachts festgenommener Mann mit Nick Romano identisch, Entsendung von Leutnant Myers. Zeugenaussagen bestätigen, daß der Festgenommene tatsächlich Nickboy ist.
Punkt zwei: Mordprozeß gegen Nick Romano. Nickboy verweigert jede Aussage. Er wird aber von einem Kollegen des ermordeten Bankkassierers wiedererkannt. Alibi kann er nicht nachweisen. Sein beharrliches Schweigen bringt die Geschworenen nicht auf seine Seite. Hopkins versucht vergeblich, die Aussage des Bankmannes zu erschüttern.
Punkt drei: Es gelingt Myers im letzten Augenblick, einen Mann aufzutreiben, der unter Eid aussagt, früher zu Nickboys Bande gehört zu haben. Dieser Mann bestätigt, daß der Angeklagte Nickboy ist und daß er sich zu dem fraglichen Zeitpunkt in Utica aufhielt und einen Banküberfall, so, wie tatsächlich dann ausgeführt, plante. —
Nickboy wird verurteilt und hingerichtet.“
Der Attorney ließ das Blatt sinken.
„Klingt doch prächtig, oder? Einen lückenlosen Indizienbeweis nennt man so etwas, oder?“
„Wie wär’s, wenn Sie mal hören ließen, was der schlaue Hopkins herausgefunden hat“, schlug Antony Starr vor.
„Okay. Hopkins ging von dem Namen Dyme Lodge aus. Wie Sie wissen, hatte Nickboy im letzten Augenblick behauptet, in Wirklichkeit so zu heißen und von dem echten Nick Romano mit Versprechungen dazu gebracht worden zu sein, sich verurteilen zu lassen.“
„Ich würde sagen, nie war eine Lüge offensichtlicher“, brummte Antony.
„Das war auch mein erster Gedanke, Starr. Aber manchmal erlebt man die unglaublichsten Geschichten. Hopkins hat herausgefunden, daß es tatsächlich einen Mann namens Dyme Lodge gab, und zwar hier in New York. Dieser Dyme Lodge war ein harmloser Irrer, wenn Sie sich das vorstellen können.“
„Von der Sorte kenne ich mehrere.“
„Er war ständig arbeitslos und Dauergast in den Wohlfahrtsheimen der Bowery. Sein Name taucht dort überall in den Listen auf. Nebenbei war er mit der Ginbuddel verheiratet. Dieser Dyme Lodge hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Nick Romano, den er auch kannte. Nickboy verwendete ihn gelegentlich für kleinere Aufträge, Botengänge und ähnliches. Wahrscheinlich benutzte er auch die Ähnlichkeit, um sich Alibis zu zimmern — nicht für die Polizei, sondern für die Konkurrenz. Nickboy war nämlich ein Außenseiter in der Branche und hatte mit allerhand Schwierigkeiten zu kämpfen.“
„Wer behauptet das alles?“
„Seine Frau.“
Antony stieß heftig den Rauch seiner Zigarette aus.
„Die hat man gefunden?“
„Hopkins hat sie gefunden“, betonte Brown und biß die Spitze seiner Zigarre ab. „Ja, Captain, es kommt noch besser. Diese Aussagen wurden von Leuten in der Bowery bestätigt, die Dyme Lodge gut gekannt haben. Offenbar hatte er eine redselige Ader. Well, unterstellen wir mal, daß das alles wahr ist. Erwiesen ist ferner, daß Dyme Lodge nicht gerade das Pulver erfunden hat. Vor zwölf Jahren wurde er mit dem gelben Schein aus der Armee entlassen — als geistig unzurechnungsfähig. Nur weil er harmlos war, steckte man ihn nicht in eine Anstalt.“
„Die Geschichte finde ich nicht sehr erheiternd“, sagte Antony Starr.
„Abwarten“, winkte Brown ab. „Wissen Sie, wann Dyme Lodge zum letztenmal gesehen wurde? Am 30. Oktober 1962. Das war einen Tag vor der Ermordung von Steve Forester in Utica!“
„Und seitdem nicht mehr?“
„Jedenfalls kennen wir keinen, der ihn seitdem gesehen hat. Seiner Frau hat er erzählt, Nickboy habe einen größeren Auftrag für ihn, der ihm eine Stange Geld einbringen werde. Ein paar Tage später wurde der Mörder von Forester in Utica verhaftet. Was mit dem Mann weiter geschah, ist bekannt. Die Frau von Dyme Lodge dachte erst, ihrem Mann wäre etwas zugestoßen. Deshalb erstattete sie am 6. Dezember Vermißtenanzeige, zog sie aber nach drei Tage wieder zurück.“
„Warum?“
„Well, laut Hopkins hat sie Nachricht von einem Mitglied der Romano-Bande erhalten. Nickboy sei hochgegangen und Dyme Lodge werde noch von der Polizei gesucht. Die Gang werde aber für ihn sorgen. Sie solle sich ruhig verhalten und keinen Staub aufwirbeln. Wenn Nickboy erst einmal verurteilt sei, werde das Interesse an Dyme Lodge nachlassen und er käme zu ihr zurück. Sie hat das geglaubt, zumal um die gleiche Zeit die Meldung durch alle Blätter ging, der Mörder in Utica sei Nick Romano. Sie unternahm nichts.“
„Sie stellte auch keine Nachforschungen an?“
„Nein, sie wollte zwar erst nach Utica fahren und der Verhandlung beiwohnen, aber sie bekam Nachricht von der Bande, die Polizei werde sie beschatten. Um ihren Mann nicht zu gefährden, unternahm sie nichts.“
„Well, was so eine treusorgende Gattin ist …“
„Hopkins hat sie natürlich aufgesucht, ohne ihr den Grund zu verraten. Er zeigte ihr nur ein Foto. Es stellte den angeblichen Nickboy dar, aufgenommen im Zuchthaus Scranton, kurz vor seiner Hinrichtung. Hopkins sagt, die Frau habe ausgerufen: ,Das ist ja Dyme!‘ Was sagen Sie nun?“
Antony hob die Schultern.
„Wenn es stimmt, daß Dyme Lodge und Nickboy sich ähnlich sahen, ist die Verwechslung durchaus erklärlich.“
„Captain, bleiben Sie auf dem Teppich. Eine derartige Verwechslung mag Fremden passieren, aber doch niemals der eigenen Ehefrau. Nein, ausgeschlossen!“
Antony rieb sich hart über das Kinn.
„Mit anderen Worten — Sie glauben, der Hingerichtete von Scranton war Dyme Lodge. Nickboy hat es verstanden, die zufällige Ähnlichkeit des Mannes und seine Geistesschwäche auszunutzen.“
„Na, endlich, Starr!“
„Muß der Bursche bescheuert gewesen sein“, knurrte Antony.
„Das ändert nichts an der Tatsache. Für Nickboy ist die Sache natürlich doppelt und dreifach vorteilhaft. Er existiert damit offiziell nicht mehr und kann seine Geschäfte um so besser wahrnehmen. Übrigens haben wir schon lange den Eindruck, daß die alte Nickboy-Gang nach wie vor intakt ist. Jetzt wird das auch deutlich. Die Firmenleitung hat ja überhaupt nicht gewechselt.“
„Nicht so hastig“, bremste ihn Antony. „Es ist das erste Mal, daß man meiner Abteilung den Vorwurf macht, zu einem Justizmord beigetragen zu haben. Das ist eine ernste Sache, Sir.“
„Ich hab’s nie für einen Witz gehalten.“
„Bewiesen ist aber noch nichts.“
„No, und deshalb habe ich noch die Hoffnung, es stellt sich heraus, daß der Hingerichtete doch Nickboy war. Der absolut sichere Beweis wäre, diesen Dyme Lodge zu finden. Aber da sehe ich schwarz.“
„Die Presse wird uns in der Luft zerreißen“, murmelte der Captain.
„Yeah, wenn sie es erfährt. Eine Woche wird Hopkins stillhalten, länger nicht. Die Zeitungen werden sich auf den Fall stürzen, besonders nach dem langen Streik. ,Justizmord!‘ —,Anwalt versucht vergeblich, in letzter Minute den Gouverneur zu erreichen‘. Wir sitzen auf einer Bombe, und die Zündschnur brennt schon.“
„Betrachten wir’s mal ganz nüchtern“, riet Antony. „Um den Vorwurf des Mr. Hopkins zu entkräften, müßten wir nach Dyme Lodge suchen und ihn finden. Wenn das aber bekannt wird, ist es soviel wie ein Eingeständnis, daß wir selbst Zweifel daran haben, ob der Hingerichtete der Richtige war oder nicht. Zweifel bei einem Todesurteil — das sollte nicht Vorkommen. Nehmen wir umgekehrt aber die Suche nach dem möglicherweise noch lebenden Nickboy auf, stecken wir erst recht in der Klemme. Die Polizei kann nicht nach jemanden fahnden, der schon hingerichtet ist.“
„Das weiß ich alles selbst.“
„Wir können praktisch nichts tun.“
„Und abwarten, bis das Gewitter losbricht? Wenn Hopkins sein Material in die Öffentlichkeit bringt, glaubt kein Mensch mehr, daß der Mann, der in Scranton hingerichtet wurde, Nickboy war. Dann lande ich als Reviercop, und Sie bekommen ein Motorrad und dürfen auf dem Pennsylvania Turnpike Streife fahren — günstigstenfalls.“
„Wäre auch nicht das schlechteste.
Aber Sie haben mich mißverstanden, Sir. Ich wollte sagen, offiziell dürfen wir nichts unternehmen. Das Center ist ständig von Reportern belagert; undichte Stellen gibt’s genug. Jede Aktion von uns würde als ein Zeichen von Unsicherheit ausgelegt, und dann hätten wir genau das Gegenteil von dem, was wir erreichen wollen.“
„Wollen Sie die Hände in den Schoß legen?“
„Das nicht gerade. Natürlich müssen wir die Wahrheit herausfinden. Und wenn tatsächlich ein Unschuldiger hingerichtet wurde, werden wir, sofern wir überhaupt etwas zu verantworten haben, dafür geradestehen. Das versteht sich von selbst. Nur ist es noch lange nicht soweit.“
„In einer Woche ist es soweit“, brummte Brown düster.
Antony fingerte in seinen Taschen nach dem Feuerzeug.
„Wir sitzen auf Dynamit“, stellte er bedächtig fest, „können aber nicht riskieren, selbst dafür zu sorgen, daß wir in die Luft gehen. Grund genug, den besten Mann anzusetzen, den es überhaupt gibt. Er hat den Vorteil, nicht bei der Polizei zu sein. Wenn einer überhaupt hier Klarheit schaffen kann, dann er.“
„Schon wieder Starr“, knurrte Brown. „Ich möchte wissen, ob wir mal ohne ihn auskommen.“
Antony grinste.
„Das haben Experten nun mal an sich. Sie sind unentbehrlich. Habe ich Ihr Einverständnis?“
„Zum Teufel, was bleibt mir anderes übrig?“
… wenn ich wieder Attorney werden will, ergänzte der Captain im stillen.
Er schob seine Geldschrankfigur in die Höhe.
„Die Akten nehme ich mit. Wollen Sie dafür sorgen, daß Starr jede Unterstützung bekommt, die er braucht?“
„Geht in Ordnung. Und sagen Sie ihm, er soll mich auf dem laufenden halten. Ich mag seine Geheimniskrämerei nicht.“
So kam Lieutenant Antony Starr diesmal ins Geschäft.
Erst am Abend erreichte der Captain den Freund.
Joe war seit sechs Uhr früh in Newark gewesen. Er hatte es im Auftrag einer Fluggesellschaft auf einen Mann abgesehen, der mit einer Flinte den Kassenboten zu einer größeren Barzahlung überredet hatte. Joe kam die Art des Verbrechens bekannt vor; er tippte auf einen bestimmten Mann, und nach zehn Stunden harter Arbeit bestätigte sich sein Verdacht. Gegen abend nahm er den Burschen fest und konnte auch noch den größten Teil des geraubten Geldes zurückbringen.
Er war hundemüde, als er nach Bronx zurückkehrte.
Den Dienstchevy, der vor dem Haus Gun. Hill Road 234 stand, erkannte er sofort. Der Wagen des Captains parkte oft hier.
Mac, der Hausmeister, begrüßte ihn mit ihrem alten Geheimzeichen: Churchills Victory-Zeichen. Es hieß soviel wie: alles okay.
„Die Polizei ist da“, sagte er. „Ich habe ihnen den Schlüssel gegeben. Du hast doch nichts dagegen, Joe?“
„Keine Spur“, sagte Joe und drückte auf den Liftknopf. „Wenn ich verhaftet werde, vererbe ich dir den großen Rubens über dem. Sofa.“
In der vierten Etage stieß er die Tür auf und kniff die Augen zusammen. Antony war nicht allein gekommen; Leutnant Myers war ebenfalls da.
„Hallo“, sagte Joe, „hat man euch gekündigt?“
„Fristlos“, knurrte der Captain.
Joe fingerte einen Yaleschlüssel aus der Tasche, öffnete den Wandsafe und stellte eine Flasche Kentucky Straight auf den Tisch.
„Gepriesen sei meine Vorsicht“, sagte er. „Whisky ist das einzige, was ich im Safe aufbewahre. Was wäre wohl mit dieser Flasche geschehen, wenn sie offen hier herumgestanden hätte?“
„Du irrst. Wir haben den Safe längst geknackt, die Flasche geleert und mit Wasser nachgefüllt“, konterte Antony. „Wo hast du gesteckt? Seit einer Stunde warten wir hier.“
„Muß ja mächtig eilig sein. Was ist passiert? Hat man den Attorney gekidnappt? Oder das Center in Brand gesteckt?“
„Wenn es weiter nichts wäre.“
„Also etwas Ernstes!“ sagte Joe sachlich.
„Ja, um die Wahrheit zu sagen, wir sitzen da in der Tinte, wo sie am schwärzesten ist.“
Und Antony gab einen kurzen Bericht. Er erwähnte alles, was wesentlich war, auch die Schwierigkeiten, die sich für die Polizei hinsichtlich der Aufklärung des Falles ergaben.
„Wir sind kein Geheimdienst“, brummte er. „Wir sind eine große, im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehende Polizeiorganisation. Auf die Dauer können wir keine Untergrundarbeit leisten. Das mindeste, was die Presse erfährt, ist, woran wir arbeiten, und das würde in diesem Falle genügen, um im ganzen Land einen Zeitungssturm zu entfachen.“
„Das sieht allerdings böse aus“, gab Joe zu. „Ich kann verstehen, daß dem Attorney kalt um die Laufmaschen wird.“
„Ein Justizmord ist das Schlimmste, was in unserer Branche passieren kann“, sagte Antony.
„Allerdings. Das Urteil besorgt zwar das Gericht, aber ihr besorgt die Beweise.“
„Und ich bleibe dabei: Der Mann, der in Scranton hingerichtet wurde, war Nickboy“, sagte Myers. Es war das erste Mal, daß er etwas sagte.
„Das hoffen wir alle“, brummte Antony.
Joe sah den jungen Leutnant an. Er wußte, daß Myers absolut zuverlässig war. Er selbst hatte Ron Myers zur Polizei gebracht, damals, als er seinen ersten großen Fall löste.a) Er konnte sich gut vorstellen, wie es jetzt in dem Jungen aussah. Schließlich hatte der Leutnant die Beweise zusammengetragen, die zu dem Todesurteil geführt hatten. Die Presse hatte lobend darüber berichtet. Es war klar, wie sie jetzt reagieren würde, wenn Hopkins mit seinem Material herauskam.
„Ich habe dem Attorney meine Kündigung angeboten, aber er hat abgelehnt“, sagte Myers, etwas blaß um die Nase und gar nicht mehr schnodderig.
„Was sehr vernünftig von ihm war“, brummte Joe. „Brown besteht zwar zu neunzig Prozent aus Galle, aber wenn es darauf ankommt, hat er Sich noch immer bewährt.“
„Du mischst also mit?“ fragte Antony.
„Natürlich“, sagte Joe. „Das ist doch Ehrensache.“
Er füllte den Whisky ein und verteilte die Gläser.
„Cheerio, Freunde. Frankreich ging auch nicht an einem Tag verloren. Noch steht nicht fest, daß Hopkins’ Behauptungen zutreffen. Trinken wir, und dann knobeln wir, wie wir vergehen.“
Sie stellten die Gläser ab, und Antony sagte:
„Es gibt zwei mögliche Marschrichtungen. Erstens: Wir müssen verbuchen, Dyme Lodge zu finden. Gelingt uns das, ist alles klar. Finden wir ihn nicht, ist immer noch nichts bewiesen.“
„No, aber Hopkins hat Oberwasser“, brummte Myers.
„Zweitens: Wir müssen Nick. Romanos alter Bande auf den Pelz rücken. Der Verein muß ausgehoben Werden. Dann läßt sich ja feststellen, wer die Firmenleitung inne hat.“
„Das wird ein Spaß“, sagte Joe nachdenklich. „Was weiß man von den Brüdern?“
„Nichts, außer der Tatsache, daß es sie geben muß.“
„Ihr seid ja prächtig informiert!“
„Es gibt ein paar ungeklärte Verbrechen, die man ihnen zur Last legt. Ich habe die Unterlagen mitgebrächt“, sagte Myers.
„Die alte Masche. Kann ein Fall nicht aufgeklärt Werden, so schiebt man ihn dem gerade prominentesten Gangster in die Schuhe!“
„Es gibt ein paar Methoden, die für Nick Romano typisch waren. Dazu gehört, daß er ständig den Schauplatz wechselt und niemals mehr als einmal in derselben Gegend arbeitet. Außerdem vermeidet er die großen Städte. Die Kleinstadt von fünfzigtausend Einwohnern — das ist genau sein Fall. Er plant präzise und geht nach einem sorgfältig ausgeklügelten Plan vor. Er setzt nie alles auf eine Karte, um einen ganz großen Coup zu landen, sondern bewegt sich immer in der mittleren Preislage.“
„Kann ich die Akten hierbehalten?“ fragte Joe.
„Natürlich. Ist eine prima Bettlektüre. Ich denke, du machst dich erst einmal mit dem Fall vertraut. Falls dir dabei etwas einfällt, kannst du mich anrufen, ja?“ Antony erhob sich.
„Noch etwas“, fügte er hinzu. „Attorney Brown steht diesmal hundertprozentig hinter dir. Das ist so ungewöhnlich, daß ich extra darauf hinweisen muß.“
Joe grinste.
„Die gute alte Haut! In einem Vierteljahr muß er sich zur Wiederwahl stellen, oder?“
Der Captain strich sich über die Bürstenfrisur.
„Jeder von uns hängt an seinem Job. Das ist nun mal so.“