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1. Kapitel

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Das Zuchthaus von Scranton, Pennsylvania, war ein schmucker Bau. So schmuck, daß es einige Leute gab, die sich überhaupt nicht davon trennen konnten. Scranton hatte eine Menge langjähriger Kunden. Manche waren schon zum zweiten-, dritten — oder viertenmal dorthin zurückgekehrt.

Es gab eine Menge Leute, denen Scranton zur zweiten Heimat geworden war, und wenn man der Ansicht ist, daß ein Ort, an dem man sich länger als fünf Jahre aufhält, so etwas wie eine Heimat ist, dann war Pritchie Hutchkins in Scranton zu Hause.

Denn Pritchie Hutchkins war schon über zwölf Jahre dort.

Er stammte aus dem Süden, aus Tennessee. Er war früh auf die schiefe Bahn gekommen, und als er erst einmal darauf war, hatte sie sich in eine Rutschbahn verwandelt, auf der Pritchie immer tiefer rutschte.

Im Jahre 1949 war er ganz unten angelangt. Zu dieser Zeit war er der Polizei kein Unbekannter mehr. Seine Strafakte hatte sich längst zu einem hübschen handlichen Buch ausgewachsen, und wenn irgendwo in den Vereinigten Staaten bekannt wurde, daß Pritchie Hutchkins in der Gegend auftauchte, reiste ihm dieses Buch nach. Der betreffende Polizeichef vertiefte sich in die Lektüre und sah sich alsbald vor die Wahl gestellt: Entweder sah er zu, daß er Pritchie aus seinem Bereich herausbugsierte oder, wenn er ehrgeizig war, machte er sich daran, Pritchie zu überführen und ihn festzusetzen.

Um die Wahrheit zu sagen, es gab eine Menge Polizeichefs im Mittleren Westen und im Süden, die an dieser Aufgabe gescheitert waren.

Das änderte aber nichts an ihrer Überzeugung, daß Pritchie Verbrechen anzog, wie Baldrian den Kater.

Wenn Pritchie etwa in Cleveland, Ohio, gesehen wurde und gleichzeitig in Cleveland eine Bank geplündert wurde, dann war jedem Einsichtigen klar, daß hier ein gewisser Zusammenhang bestand. Die Frage war nur, konnte Pritchie etwas bewiesen werden? Meistens war das unmöglich.

Erst im Jahre 1949 war man soweit. In Philadelphia wurde der Tresor einer Versicherungsgesellschaft geplündert. Ein Zeuge erkannte Pritchie wieder, und die Jagd nach ihm begann. Kurze Zeit später konnte er in New York Citygestellt werden. Er wurde nach Philadelphia gebracht, vor Gericht gestellt und zu sechs Jahren verurteilt.

Diese sechs Jahre wären 1955 vorbei gewesen. Aber Pritchie war schon immer ein ungeduldiger Mensch gewesen. Zwei Jahre vor seiner Entlassung legte er sich mit einem Aufseher an. Er verletzte den Mann nicht unerheblich und bekam ein neues Verfahren angehängt. In Anbetracht seines Vorstrafenregisters wurde seine Strafe verlängert. Damit hatte er sich auch die letzte Chance vergeben, jemals mit Bewährungsfrist vorzeitig entlassen zu werden. Er mußte seine Zeit absitzen bis zum letzten Tag.

Dieser letzte Tag stand dicht bevor.

Der 13. August 1963.

*

In der Zelle 1183 von Scranton betrachtete Pritchie sich im Spiegel und fand sich nicht schön.

Er war nie schön, aber auf seine Art ein anziehender Mann gewesen.

Er war groß, über einsachtzig. Als man ihn eingeliefert hatte, vor nunmehr vierzehn Jahren, war er einundzwanzig gewesen. Seine Lippen bewegten sich lautlos, als er rechnete. Einundzwanzig und vierzehn macht fünfunddreißig. Fünfunddreißig Jahre war er jetzt alt. Kein schlechtes Alter, überlegte er. Die Chance, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden, war jedenfalls noch nicht vorbei. Der jüngste Präsident bisher war vierundvierzig gewesen. Hatte er also noch neun Jahre Zeit, überlegte er grimmig.

Er hatte Männer kennengelernt, die zu kürzerer Haft verurteilt worden waren als er selbst. Er hatte gesehen, wie diese Männer sich verwandelten, wie ihnen die Zuchthausluft das Mark aus den Knochen saugte, und wie ihnen das durch Gitter gefilterte Licht die Haut gerbte. Er hatte gesehen, wie Männer in wenigen Jahren zerfielen, bis sie nur noch Wracks waren. Äußerlich Wracks und innerlich.

Er hatte auch die anderen beobachtet, die sich äußerlich fit gehalten hatten, die das Zuchthaus beherrschten, aber er wußte, daß diese Männer nach den langen Jahren innerlich ausgebrannt und leer waren. Daß sie unfähig waren, sich in einer anderen Umgebung zu behaupten, und er hatte beobachtet, wie diese Männer immer wieder zurückkamen.

Pritchie hatte daraus gelernt.

Er hatte versucht, sich fit zu halten. Es war ihm besser gelungen, als er geglaubt hatte. Er war körperlich mindestens ebensogut beisammen wie zum Zeitpunkt seiner Einlieferung, und er hatte alles getan, um seinen Geist und seinen Verstand nicht verkümmern zu lassen.

Der Grund dafür war einfach. Pritchie hatte all die Jahre über gewußt, was er tun würde, wenn er heraus kam Er hatte es hundertmal geplant. Er hatte mit keinem darüber gesprochen. Der Plan war in den Jahren gereift und stand jetzt so deutlich vor ihm, daß ihm selbst die kleinste Einzelheit geläufig war.

Aber ein Plan allein hätte noch nicht ausgereicht, um einen Mann vierzehn Jahre hinter meterdicken Betonmauern physisch und geistig aufrecht zu erhalten. Es kam noch etwas hinzu.

Pritchie haßte. Er haßte einen Mann, der sechzig Meilen von Scranton entfernt in New York lebte, den Mann, der ihn hierher gebracht hatte und der sich all die Jahre hindurch — davon war er überzeugt — im Speck mästete. Diesem Mann galt sein Haß, und diesen Haß hatte er gepflegt, vierzehn Jahre lang.

Jetzt war er bereit.

Die Zellentür wurde geöffnet, und Leutnant Stonewall Jackson erschien, der bestgehaßte Mann im Bunker. Spielerisch ließ er seinen kurzen, ungestrichenen Holzknüppel über die Stäbe der Gittertür klimpern, dann starrte er Pritchie an.

„Mitkommen!“ sagte er kurz.

„Ist was passiert, Herr General?“ höhnte Pritchie.

Leutnant Jacksons Gesicht blieb ungerührt.

„In vierzehn Jahren solltest du gelernt haben, wer in diesem Bau die Fragen stellt und wer sie beantwortet“, knurrte er.

Verächtlich wälzte Pritchie sich von seinem Bett, zog sich lässig die Hosen hoch und ging vor dern Leutnant auf den Gang. Ihre Absätze klapperten über die Eisenplatten.

Es war kurz vor Mittag. Vom Küchenflügel her kam Essengeruch — immer der gleiche Fraß. Eintopf, Dörrgemüse, Kartoffeln und sonntags mageres Fleisch.

Sie passierten die Zentrale und erreichten den Verwaltungstrakt. Die Böden waren hier mit spiegelndem Linoleum belegt. Vor der Tür des Direktors stoppte der Leutnant, klemmte sich den Knüppel unter den Arm und klopfte an.

„Der Strafgefangene. Hutehkins, Sir!“ meldete er.

„Führen Sie ihn herein, Leutnant, und lassen Sie uns allein“, kam die Stimme des Direktors von drinnen. Pritchie trat ein und sah sich mit unbewegtem Gesicht um.

Er kannte den Mann, der unter dem Sternenbanner an dem schweren Mahagonischreibtisch saß. Der Direktor, ein Endfünfziger, mit frischem Gesicht und weißem Haar, war ein beliebter Mann im Bunker. Nur konnte er sich nicht recht gegen seine Leute durchsetzen; da führte der Leutnant das Kommando.

„Setzen Sie sich, Hutchkins!“ Der Direktor schob eine Zigarettenschachtel über den Tisch.

„Zigarette?“

„Sir“, sagte Pritchie, „ich habe die Erfahrung gemacht, daß immer, wenn ein Cop einem eine Zigarette anbietet, ein fauler Trick dahintersteckt.“

Der Direktor lächelte.

„Nicht bei mir, Pritchie. — Ich will ganz offen zu Ihnen sein. Ich mache mir Sorgen Ihretwegen.“

Pritchie hob die Brauen.

„Das tut mir aber schrecklich leid“, sagte er grinsend.

„Es ist nicht so spaßig, wie Sie denken. — Wie alt waren Sie, als Sie bei uns eingeliefert wurden?“

„Einundzwanzig“, sagte Pritchie mürrisch.

Der Direktor blätterte in seinen Akten.

„Und heute sind Sie fünfunddreißig. Das ist ein kleiner Unterschied.“

„Wir alle werden älter.“

Der Direktor sah den Häftling prüfend an.

„Hören Sie zu, Pritchie. Sie haben sich nicht eben gut geführt bei uns, das wissen Sie.“

„Ja“, knurrte Pritchie. „Ich habe mich so geführt, wie ein Mann sich eben führt, der genau weiß, daß gutes Benehmen ihm doch nichts einbringt.“

„Aber schlechtes Benehmen schadet.“

„Sie können meine Zeit hier nicht willkürlich verlängern, Sir“ hielt der Häftling dem weißhaarigen Mann hinter dem Schreibtisch entgegen.

„Das ist richtig, nur“ — der Direktor machte eine Pause, dann fuhr er fort —, „Hier leben ist eine Sache — draußen sein eine andere. Draußen wird für Sie ein Eiertanz beginnen. Sie werden es nicht leicht haben. Sie sind nicht daran gewöhnt, sich in Freiheit zu bewegen Sie sind zu lange bei uns gewesen, Pritchie. Sie sind gezeichnet. — Und es kommt noch etwas hinzu: Sie werden sich doppelt zusammenreißen müssen. Sie wissen, bei Ihnen genügt die geringste Kleinigkeit, und Sie landen wieder bei uns, und zwar diesmal für immer.“

Pritchie grinste plötzlich.

„Wenn Sie auf die Geschichte mit dem Geld anspielen, Direktor, die hat einen Bart.“

„Einen Bart kann man rasieren, Pritchie. Fest steht folgendes: Der Einbruch, an dem Sie damals beteiligt waren, und weswegen Sie verurteilt wurden, brachte mehr als eine halbe Million Dollar ein. Dieses Geld blieb spurlos verschwunden.“

„Ich habe nichts damit zu tun“, sagte Pritchie.

„Die Platte kennen wir“, knurrte der Direktor. „Sie sind unschuldig, wie alle hier im Haus. — Well, ich erwarte nicht, daß Sie sich jetzt plötzlich eines anderen besinnen und mir sagen, wo Sie das Geld versteckt haben oder wer es hat, aber ich mache Sie auf eines aufmerksam, Pritchie: Bilden Sie sich nicht ein, Sie könnten aus Scranton herauskommen und sich mit dem Geld ein feines Leben machen. Das wird Ihnen nicht gelingen. Wir werden Sie im Auge behalten. Es wäre vernünftiger, Sie machten sich das rechtzeitig klar. Vielleicht fällt Ihnen dann etwas ein, was Sie uns noch zu sagen haben, bevor Sie uns verlassen.“

Pritchie nahm sich jetzt erst eine Zigarette aus der Packung.

„Direktor, wenn ich etwas an Ihnen bewundere, dann ist es Ihre Ausdauer“, sagte er. „In den vergangenen Jahren haben Sie mich, wer weiß wie oft, gefragt, wo das Geld ist, und ich habe Ihnen ebenso oft geantwortet, ich wüßte es nicht. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich kein Geld versteckt habe. Wenn Sie glauben, daß ich jetzt, kurz vor meiner Entlassung, mürbe werde, dann haben Sie sich geirrt. Wie oft wollen Sie mir noch mit dieser Frage kommen?“

Der Direktor sah ihn schräg an.

„So oft, bis du mir die Wahrheit sagst.“

„Da müssen Sie sich aber beeilen“, kicherte Pritchie. „Keine zwei Wochen mehr, und die Fragerei hat aufgehört.“

Der Direktor hob die Schultern.

„Wir werden sehen“, brummte er vierlsagend. Dann drückte er auf die Taste seines Sprechgerätes.

„Leutnant, führen Sie den Mann in seine Zelle zurück.“

Der Leutnant war eine Viertelstunde später wieder im Office des Direktors. Er warf sich in den Ledersessel unter dem Präsidentenbild, streckte die Beine aus und schob sich die Mütze in den Nacken.

Der Direktor sah ihn verdrossen an.

„Sie mit Ihren famosen Methoden!“ knurrte er wütend. „In den vergangenen Monaten habe ich mir Pritchie mindestens zehnmal kommen lassen. Meinen Sie, der Kerl hätte sich auch nur darüber aufgeregt? Keine Spur! Der hat eine Haut wie ein Panzernashorn.“

Der Leutnant massierte sich den Nacken.

„Ich weiß nicht recht“, brummte er. „Je länger ich den Burschen beobachte, desto sicherer bin ich, daß er das Geld da draußen irgendwo versteckt hat.“

„Sie vergessen nur eines dabei“, erwiderte der Direktor. „Wenn der Verdacht der Polizei richtig ist, hatte Pritchie damals Komplicen, und die werden sich in all den Jahren um das Geld gekümmert haben, darauf können Sie Gift nehmen.“

„Möglich“, gab der Leutnant zu „Aber wenn er Komplicen hatte, dann ist ebenso sicher, daß er der Chef war, und ich glaube kaum, daß die Burschen es gewagt haben, das Geld durchzubringen. Sie konnten sich leicht ausrechnen, wann Pritchie wieder herauskommt. Bei dem Ruf, den er hatte, werden sie nicht gewagt haben, die Bucks zu verjubelnd. Glauben Sie mir, das Geld ist irgendwo, und mit meiner Taktik kriegen wir heraus, wo er es hat!“

Der Direktor schwang in seinem Drehstuhl herum.

„Wie weit ist Ihr Mann?“ erkundigte er sich dann.

Der Leutnant hob die Schultern.

„Es geht langsamer als ich geglaubt hatte“, gab er zu. „Pritchie ist ein mißtrauischer Knabe. Ihm einen Spitzel in die Zelle zu schmuggeln, war nicht einfach. Ich habe lange gesucht, bis ich den richtigen Mann gefunden habe. Dan Reno ist der richtige Mann. Natürlich schafft er es nicht auf Anhieb. Bei einem so mißtrauischen Kaliber wie Pritchie dauert das seine Zeit; aber ich bin völlig sicher, daß unser Freund keine Ahnung davon hat, daß sein Zellengenosse ein Spitzel ist.“

„Ausgerechnet Dan Reno“, sagte der Direktor mißbilligend. „Ich habe dem Burschen nie recht getraut.“

„Er ist höllisch scharf darauf, auf Bewährung freigelassen zu werden“, sagte der Leutnant. „Er wird alles tun, um uns zufriedenzustellen. Dan Reno ist eine richtige kleine Ratte. Auf den paßt die hübsche Bezeichnung: klein aber mies.“

Dan Reno war ein kleiner Ganove. Er hatte ein halbes Dutzend Vorstrafen. Sein Strafregister reichte von Unterschlagung bis zum Taschendiebstahl. Daß er in Scranton einsaß, also in einem Zuchthaus, verdankte er der Tatsache, daß sein letztes Abenteuer mit Falschgeld zu tun hatte, und auf Falschmünzerei steht überall in der Welt Zet. Dan war seit zwei Jahren in Scranton; er hatte noch ein Jahr vor sich, und als professionellem Gefängniskunden behagte ihm die Zuchthausluft überhaupt nicht. Er wollte raus, um jeden Preis.

— Der Leutnant, der lange überlegt hatte, wen er zu Pritchie in die Zelle stecken sollte. war schließlich auf ihn verfallen. Seit drei Monaten saß Dan mit Pritchie zusammen, aber in dieser Zeit hatte er noch nichts erreicht.

„Ihr Plan leuchtet mir ein“, sagte der Direktor und trommelte nervös mit den Fingern auf die Tischplatte. „Sie sind überzeugt davon, daß Pritchie eine ganz bestimmte Vorstellung davon hat, was er tun wird, wenn er heraus kommt. Möglich, daß Sie recht haben, aber ich bezweifle, daß Sie mit Ihrer Methode herausfinden werden, was er vorhat.“

Der Leutnant strömte unerschütterlichen Optimismus aus.

„Ich tue lange genug in Zuchthäusern Dienst“, sagte er. „Ich kenne die Leute hier; ich weiß, wie ein Mann aussieht, der fünf oder zehn Jahre im Zuchthaus sitzt. — Glauben Sie mir, Pritchie hat ein Ding vor. Bestimmt nichts Gutes. Ich weiß nicht, ob er nur auf das Geld scharf ist, das er vielleicht irgendwo versteckt hat. Wenn es das nicht ist, dann … Ich will das herausfinden. Dazu gehört, daß wir ihn ständig reizen. Ich werde in den nächsten Tagen noch viel massiver werden, Chef.

Solange der Bursche mit uns zusammen ist, wird er natürlich immer den kaltschnäuzigen Ganoven spielen. Aber wenn er dann in die Zelle zurückkommt, wenn er unter seinesgleichen ist, dann wird er vielleicht seinem Ärger Luft machen. Darauf spekuliere ich. Ich hab Dan Reno eingeheizt. Er wird mir jedes Wort genau wiedergeben.“

„Well, hoffen wir, daß wir es noch schaffen“, sagte der Direktor. „Viel Zeit haben wir nicht mehr.“

Die hatten sie wahrhaftig nicht. Zehn Tage blieben ihnen noch.

Privatdetektiv Joe Barry - Quittung in Blei

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