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VON SILBERSTERNS ANKUNFT
ОглавлениеIm Altertum betraten die Shianti erstmals das Land, das die Menschen Magnamund nennen. Zuvor waren sie lange als heimatlose Wanderer durch die Leere gereist und hatten nach einem Ort gesucht, an dem sie sich niederlassen konnten. So sahen die Shianti staunend auf das Land vor ihnen. Sie sahen eine Welt voll namenloser Berge, dichter Wälder und Landstriche, die wild und unberührt waren. Da entschieden sie sich, ihre Wanderschaft zu beenden und fortan dieses Land zu erforschen und zu verstehen.
Zur großen Freude der Shianti breiteten sich zu dieser Zeit auch die Menschen aus, und sie beobachteten interessiert, wie sich diese langsam zu einer zivilisierten Gesellschaft entwickelten. Den primitiven Menschen kamen die Shianti wie Götter vor. Hochgewachsen und stolz wandelten sie unter ihnen und strahlten Magie und arkane Geheimnisse aus. Mit ihren Zauberkräften halfen die Shianti den Menschen dabei, sich zu entwickeln.
Im Laufe der Jahrhunderte gingen die Menschen dazu über, die magischen Shianti anzubeten, deren Macht immer weiter anwuchs. Sie gierten danach, die größten Geheimnisse zu erkunden, und entsandten ihren Verstand in andere Existenzebenen und seltsame Welten jenseits der materiellen Ebene von Aon. Ihre Weitsicht war ohnegleichen und die Macht ihrer Gedanken war beeindruckend. Es war zu jener Zeit, dass sie den Mondstein erschufen. Dieser durchsichtige Edelstein war aus dem Stoff der astralen Ebene des Daziarns gewoben. Nie zuvor hatten die Shianti mit ihren Zauberkünsten mehr erreicht. Der Mondstein enthielt die gesamte Magie der Shianti sowie die Summe ihres Wissens. Das goldene Zeitalter der Shianti war angebrochen und der Mondstein war das Instrument ihrer Herrschaft über ganz Magnamund. Dagegen waren die Menschen kaum mehr als ein Schatten, geblendet von dem strahlenden Licht der Shianti-Herrlichkeit. Doch mit der Erschaffung des Mondsteins war gegen die ungeschriebenen Gesetze der Natur verstoßen worden. Der Mondstein war – wie die Shianti selber – etwas von außerhalb der Menschenwelt. Er beleidigte die von den Schöpfern der Welt bestimmte natürliche Ordnung und untergrub das Gleichgewicht, das die Götter vorgesehen hatten.
Die Göttin Ishir, Hohepriesterin des Mondes und Mutter aller Menschen, erschien den Shianti und offenbarte ihnen das Schicksal der Menschheit: »Die Kinder dieser Welt müssen ihr Erbe antreten. Ihre Zeit ist gekommen und sie müssen lernen, dass sie auf sich selbst angewiesen sind. Sie sind von ihrem Weg abgekommen, indem sie euch anbeten, und der Tag naht, an dem sie die Macht des Mondsteins begehren werden.«
Da sagten die Shianti: »Vergib uns, große Göttin, denn wir hatten keine böse Absicht. Wir lieben die Menschen so sehr wie du. Wir wollten Gutes tun und unsere Kinder beschützen.«
Ishir entgegnete: »Daran zweifle ich nicht, doch diese Welt ist nicht für euch bestimmt. Die Menschen müssen frei sein, um ihr eigenes Schicksal zu erfüllen, und ihr müsst diese Welt verlassen, denn ihr seid nicht befugt, hier zu verweilen.«
Dies erfüllte die Shianti mit Trauer. Sie fürchteten sich davor, in die Leere und zu ihrer einsamen Wanderschaft zurückzukehren, und flehten Ishir an, sie in dieser Welt verweilen zu lassen. Ishir hatte Mitleid mit ihnen und sprach erneut: »Wenn ihr bleiben wollt, müsst ihr befolgen, was ich euch gebiete. Ihr müsst schwören, euch niemals in das Schicksal der Menschen einzumischen. Als Zeichen, dass ich euch vertrauen kann, müsst ihr den Mondstein aufgeben und ihn in jene Ebene zurücksenden, der er entstammt.«
Feierlich erklärten sich die Shianti dazu bereit. Sie legten einen Schwur vor Ishir ab und der Mondstein kehrte in das Daziarn zurück. Dann zogen die Shianti nach Süden auf die Insel Lorn. Sie umgaben ihre neue Heimat mit Verzauberungen, magischen Nebeln und Winden, damit die Menschen die Zuflucht im Meer der Träume niemals finden würden. Das Wissen um die Shianti verblasste im Laufe der Zeit, außer im Südlichen Magnamund, wo es in Legenden weiterlebte und die Shianti immer noch angebetet wurden. Die Priester der Shianti-Religion bewahrten ihre Lehre und warteten geduldig auf den Tag, an dem die »Altvorderen« zurückkehren und den ewigen Frieden und Segen eines neuen goldenen Zeitalters mit sich bringen würden.
Zweitausend Jahre vergingen und die Menschen entwickelten sich weiter, so wie es Ishir vorausgesagt hatte. Sie bauten große Städte und kultivierten das Land. Sie führten Kriege, liebten und lachten und wurden Meister ihres eigenen Schicksals. Doch in der Provinz Shadaki regte sich eine neue Macht. Dort herrschte Shasarak, der Hexenkönig. Der finstere Totenbeschwörer führte ein Heer brutaler Soldaten an. Seine Männer waren ihm treu ergeben und folgten seiner Religion der Dämonenverehrung und Opferrituale. Die Anhänger der Shianti und anderer Kulte wurden gnadenlos verfolgt und ermordet. Der Hexenkönig vernichtete seine Gegner unbarmherzig und begann einen furchtbaren Krieg gegen die Völker der Nachbarprovinzen. Aus den Trümmern des Krieges errichtete Shasarak das Shadakinische Großreich. Die anderen Länder mussten sich seiner grausamen Herrschaft unterwerfen. Hilflos sahen die Shianti mit an, wie eine Provinz nach der anderen von Shasarak erobert wurde. Sie waren an ihren Schwur gegenüber der Göttin Ishir gebunden, sich niemals in die Geschicke der Menschen einzumischen.
In der Nacht, als Shasarak zum Obersten Herrscher des Shadakinischen Großreiches gekrönt wurde, tobte ein schwerer Sturm über dem Meer der Träume – ein Sturm von unnatürlicher Stärke. Aufgepeitscht von Wind und Regen wogten die Wellen im Schein zuckender Blitze voller Wut zum rhythmischen Donnern des Sturmes. Selbst die Verzauberungen der Shianti konnten ihm nichts entgegensetzen. Als sich das Unwetter endlich wieder beruhigt hatte, sahen die Shianti verwundert, dass ein schwer beschädigtes Schiff auf ihre Küste zutrieb. So etwas war noch nie zuvor geschehen, da die Verzauberungen und magischen Winde die Shianti immer vor der Neugier der Menschen beschützt hatten, indem sie die Menschen dazu zwangen, sich nicht zu weit vom Festland zu entfernen.
Die Shianti eilten zu dem zerstörten Schiff und fanden nur einen Überlebenden – einen Säugling. Sie verstanden die plötzliche Ankunft dieses Menschenkindes als ein Zeichen von hoher Bedeutung und ersannen einen Plan, wie sie den Menschen helfen könnten, ohne ihren Schwur zu brechen. Die Shianti gaben dem Waisenkind den Namen Silberstern, denn in dem Glauben der Shianti ist ein Stern das Symbol der Hoffnung und das Kind hatte eine silberne Strähne in seinem ansonsten rabenschwarzen Haar. Heimlich, um den Zorn der Göttin Ishir nicht herauszufordern, zogen sie den Jungen wie einen der ihren auf und brachten ihm die Geheimnisse der Shianti bei. Mit großer Sorgfalt unterrichteten sie ihn, denn sie wollten aus ihm den Retter der Menschheit machen. Mithilfe der Zauberei und Weisheit der Shianti sollte Silberstern ebenso mächtig werden wie der Hexenkönig von Shadaki, um diesem eines Tages entgegenzutreten. Denn den Shianti war bewusst, dass die Menschen nur dann wieder frei über ihr eigenes Schicksal würden bestimmen können, wenn Shasarak tot war.