Читать книгу Souk el Bazar - Johann Widmer - Страница 5
Das goldene Chomsa
ОглавлениеSchon den zweiten Tag durchstöberte ich die Auslagen und die Schatztruhen der Goldschmiede, denn ich suchte für meine Tochter ein passendes Geburtstagsgeschenk und zwar suchte ich ein goldenes Chomsa, so nennen wir die Hand Fatimas, denn sie gilt als wirksames Schutzsymbol für Frauen und schützt vor dem bösen Blick. Ich bin zwar nicht abergläubisch, aber was den bösen Blick angeht, nun ja, man kann wirklich nie wissen, auf jeden Fall kann so ein Amulett auch nichts schaden.
Ich konnte suchen wie ich wollte, ich fand keines der angebotenen Schmuckstücke meiner Tochter würdig, das heisst, ich fand keines, bei dem ich das absolut sichere Gefühl hatte, dass es auch wirksam sei. So etwas spürt man einfach.
Am Nachmittag betrat ich den Laden von Yussuf ben Yehuda, einem tüchtigen jüdischen Goldschmied. Als ich ihm meinen Wunsch vorgetragen hatte, schaute er mich lange an und sagte dann, dass er vielleicht das Passende hätte. Dabei zog er eine kleine Schmuckschatulle aus einer Schublade und öffnete sie. Auf schwarzem Samt glänzte da ein kunstvoll gearbeitetes Chomsa, das mir gleich in die Augen stach. Ich spürte, dass es dieses sein müsse und kein anderes und so fragte ich sofort nach dem Preis.
Yussuf klappte indes die Schachtel wieder zu und sagte lächelnd: «Nur schön langsam, ia Saidii, nur schön langsam, denn ich habe dir noch gar nicht gesagt, ob ich es auch wirklich verkaufen wolle. Keine Furcht, du kannst es wohl haben, aber erst nachdem du die Geschichte dieses Schmuckstückes kennst, sollst du entscheiden, ob du es immer noch haben willst. Einverstanden?»
Da ich ein grosser Liebhaber von Geschichten bin, erklärte ich mich einverstanden und zudem ist es immer gut, wenn man weiss, woher so ein Amulett kommt und was es schon alles hinter sich hat.
Nachdem Yussuf Kaffee hatte bringen lassen, machte er es sich bequem und begann: «Wie dir jeder Fachmann versichern kann, wurde dieses wundervolle Schmuckstück von einem meiner Vorfahren in Toledo oder in Sevilla hergestellt und zwar im Auftrage des Wesirs Mourad. Diese schützende Hand sollte über seiner jüngsten Tochter wachen, die ihm eben geboren worden war. Kurz nach der Geburt dieser Tochter wurde er zum Gouverneur von Tunis ernannt. Er reiste an seinen neuen Posten, während er seine Familie einige Monate später nachkommen liess. Aber das Schicksal wollte es, dass das Schiff mit seinen Leuten in einen schrecklichen Sturm geriet und schliesslich, nach tagelanger Irrfahrt an den Küsten Südfrankreichs strandete und an den Felsen zerschellte.
Als sich der Sturm etwas beruhigt hatte, fuhren zwei Fischer zur Unglücksstelle um zu sehen, ob ihnen das Meer irgendwelches Strandgut zurückgelassen habe. Aber da war nicht mehr viel Brauchbares übrig geblieben und enttäuscht wollten sie wieder in See stechen, als einer etwas schreien hörte. Er ging dem Ton nach und fand schliesslich auf einer Felsklippe ein dickes Tuchbündel mit einem kleinen Kind mittendrin. Als er die Kleine ausgewickelt hatte, sah er, dass sie ein goldenes Amulett trug, aber kein Kreuz, wie die Nazarener es tragen, sondern eine Hand.
Den beiden Fischern war sofort klar, dass es sich hier um ein moslemisches Kind handeln musste und sie überlegten, ob sie es am besten gleich wieder ins Wasser werfen sollten, weil es ja nicht auf Christenart getauft war.
Aber dann meinte der eine, dass Kind, Kind sei und es schliesslich nichts dafür könne, dass es am falschen Ort zur Welt gekommen sei und dass es übrigens Menschenpflicht sei, dem armen Wurm zu helfen.
Eine Fischersfrau, die in jenen Tagen ihren eigenen Säugling verloren hatte, war bereit, dieses «Heidenkind», wie sie es nannte, anzunehmen als ihr eigenes. Aber als der Dorfpriester von der Sache gehört hatte, kam er herbeigelaufen, schalt die Frau und erklärte ihr dann, dass man diesem Kind erst mal den Scheitan, oder den Teufel austreiben müsse, bevor man es stillen dürfe. Die Fischersfrau lachte den Priester aus und sagte ihm, dass dieses unschuldige Kind weit weniger Scheitan im Leib habe als manch ein frommer Priester. Da wurde dieser böse und eilte zum Bischof und erzählte ihm alles.
Dieser beschloss nun, dass die Frau das Kind behalten dürfe bis zu seinem siebten Lebensjahr, dann müsse es in ein Haus von frommen Frauen gebracht werden, die das Kind grosszuziehen hatten um aus ihm ein gutes Christenkind zu machen.
Man gab der Kleinen den Namen Meriem.
Meriem erlebte sieben sehr glückliche Jahre bei der Fischersfrau und sieben sehr unglückliche bei den frommen Frauen. Diese wollten, dass sie nun ihr frommes Leben fortsetze und für den Rest des Lebens als Nonne im Kloster bleibe.
Eigenartigerweise hatte ihr aber in all den Jahren niemand das Tragen ihres Amulettes verboten, aber es war auch niemand, der ihr Herkunft und Bedeutung dieser goldenen Hand erklären wollte oder konnte.
Sie ahnte aber, dass in diesem Zeichen ihr eigenes Geheimnis verborgen war, dass es der Schlüssel war, der das Tor zu ihrer Vergangenheit öffnen würde. Bevor sie aber dieses Tor nicht aufgestossen hatte, wollte sie keine Entscheidungen mehr treffen, also auch ihren endgültigen Eintritt ins Kloster noch etwas hinauszögern.
Bei einem Besuch bei ihrer Amme erfuhr sie nun endlich, dass man sie damals aus dem Meer gefischt habe und dass ihre echten Eltern wohl jenseits des Meeres gelebt hätten, eh sie in jener Nacht ertrunken seien.
Auf der Rückreise ins Kloster lernte Meriem einen jungen Mann kennen, oder man sagt vielleicht besser, die zwei verliebten sich ineinander, kaum hatten sie sich gesehen. Ja, so etwas gibt es tatsächlich.
Es ging nicht sehr lange und Meriem war die glückliche Ehefrau des jungen Kaufmannes aus Marseille. Er bestätigte ihr auch, dass sie bestimmt eine Araberin sei und er unterstützte sie in ihrem Wunsche arabisch zu lernen und er versprach ihr, dass er sie einst auf eine Reise in ein arabisches Land mitnehmen werde und zwar, sobald ihr Kind gross genug sei, um eine solche Reise machen zu können.
Aber bevor er sein Versprechen hatte wahr machen können, geschah das Unglaubliche. Sein Schiff verschwand irgendwo zwischen den beiden Kontinenten. Die einen meinten, es sei in einem Sturm untergegangen, andere vermuteten, dass er von Seeräubern gekapert worden sei und jetzt irgendwo als Sklave sich zu Tode schuftete.
Meriem spürte, dass er noch am Leben war, denn immer wenn sie ihr Chamsa in Händen hielt, sah sie ihn deutlich vor sich. Er stand dann, in einen feinen Nebel gehüllt vor ihr und lächelte ihr traurig zu, aber sobald sie ihn anfassen wollte, oder ihn ansprach, dann verschwand er. Sie spürte auch, dass er Qualen litt, sie sah, dass er manchmal sehr müde war, einmal sah sie, dass er an der linken Hand eine Verletzung hatte, ein anderes Mal spürte sie, dass er krank war und nach ihr rief.
Jetzt war sie sicher, dass er noch lebte und sie beschloss, ihn zu suchen.
In Marseille bestieg sie ein Schiff, das sie in den Orient bringen sollte, aber kaum recht auf hoher See überfielen kabylische Seeräuber den Segler, raubten ihn aus und verschleppten alle Menschenwesen in die Sklaverei.
Einzig Meriem und ihr Kind verschonten sie, auf Grund ihres Amulettes, denn daraus schlossen sie, dass die Frau eine Muslima sein musste.
Irgendwo an der Riffküste setzten sie die junge Frau an den Strand.
Meriem wanderte nun gegen Osten, denn sie wollte nach Tunis gelangen, weil sie dachte, dass der Statthalter des Kalifen wohl die beste Adresse sei, um ihr bei ihrer Suche nach ihrem Mann zu helfen.
Wir können uns heute von der Beschwerlichkeit der Reise keine Vorstellung machen. Sonne, Regen, Kälte, Hitze, Hunger und Durst waren ihre ständigen Begleiter. Wo sie auf Leute traf, bettelte sie um Nahrung für sich und ihr Kind.
Ein paar Tagesmärsche von Tunis entfernt starb ihr Kind.
Begleitet von ihrer tiefen Trauer traf sie in Tunis ein. Dort vernahm sie, dass der Statthalter und Kadi Mourad in eine südliche Stadt gezogen sei, um dort eine Rebellion niederzuschlagen oder eine Invasion abzuwehren.
Unbeirrt nahm Meriem ihre Wanderung wieder auf.
Als sie endlich am Ort angelangt war, wo Mourad sich aufhielt, musste sie feststellen, dass die fremden Krieger die Stadt belagerten und der Statthalter in der Falle sass.
Sie sprach mit einem Anführer der Belagerer und er hatte Erbarmen mit ihr. In tiefster Nacht liess man sie den Belagerungsring durchqueren und zeigte ihr eine Stelle, wo die Stadtmauer beschädigt war. Sie schlüpfte durch die Bresche in der Mauer in die Stadt, wo man sie sofort gefangen nahm.
Sie sei eine Spionin, hiess es und man werde sie am nächsten Morgen hinrichten. Als man sie zur Richtstätte führte, bat sie um eine Audienz beim Statthalter.
Nach einigem Zögern unterrichtete man Mourad von der Spionin, die ihn unbedingt sehen wolle. Er liess sie kommen in der Hoffnung, dass sie ihm etwas über die feindlichen Truppen erzählen könne.
Als man ihm die völlig zerlumpte Gestalt vorführte, bereute er bereits wieder, dass er versprochen hatte, sie anzuhören.
Bevor sie zu sprechen begann, nahm sie ihr Amulett in die Hände, damit es ihr Kraft und Mut gebe.
Mourad hatte das glitzernde Etwas in ihren Händen gesehen und wollte es nun genauer betrachten. Wie er es sah, erkannte er es auch gleich wieder. Er wollte wissen, woher sie dieses Chomsa habe, ob sie es irgendwo gestohlen habe oder gefunden.
Aus der Erzählung Meriems wurde ihm rasch klar, dass da seine eigene Tochter vor ihm stand. Er pries Allah für dessen Güte und dankte ihm für dieses Geschenk.
Nun, die Geschichte könnte hier zu Ende sein, aber sie nahm sehr rasch eine andere Wendung, denn noch am selben Tag überrannten die Belagerer die Stadt und metzelten gnadenlos alles nieder, auch den Statthalter Mourad, dem schliesslich dieser Kriegszug gegolten hatte. Als sie ihr blutiges Werk beendet hatten, brannten sie schliesslich die Stadt nieder.
Jene junge Frau aber, die man in der Nacht durchgelassen hatte, liessen sie unbehelligt, denn sie hatte recht eigentlich den Eroberern den Zugang zur Stadt ermöglicht, da durch ihre Festnahme die Wächter an der Mauer abgelenkt worden waren und nicht gesehen hatten, dass nach dieser Frau noch ein Dutzend Krieger durch dieselbe Bresche gekrochen waren, die dann am folgenden Tag den Belagerern die Stadttore geöffnet hatten.
Auf ihrer mühevollen Suche nach ihrem Mann kam Meriem wenige Wochen später auch auf der Insel Djerba vorbei. Dort erfuhr sie, dass die Seeräuber ihre Sklaven häufig nach Misr, nach Ägypten verkauften, weil man dort die höchsten Preise bezahle.
Sie wollte nun mit einem Schiff nach Kairo fahren, hatte aber kein Geld um die Reise zu bezahlen. So beschloss sie, wehen Herzens, ihr goldenes Amulett zu verkaufen . Zu diesem Zweck betrat sie in Houmt Souk den Laden des jüdischen Goldschmiedes Abraham ben Yehuda.
Abraham, einer meiner Vorfahren, oder sagen wir, ein entfernter Verwandter, wie unschwer zu erraten ist, hörte sich vorerst mal ihre Geschichte an, kaufte ihr das Kleinod ab und gab ihr, ausser dem Geldwert des Amulettes eine kupferne Kopie, die vergoldet war, mit auf ihren weiteren Weg.
Seither hat sich dieses Amulett in unserer Familie weitervererbt, als Erinnerung an unsere berühmten Vorfahren in Spanien, als kostbares Museumsstück sozusagen, aber immer an seine Geschichte geknüpft.»
Ich wollte nun wissen, wie es Meriem weiter ergangen war und ob sie ihren Mann wieder gefunden hatte, aber Yussuf zuckte nur mit den Schultern und sagte, dass er nur die Geschichte des Schmuckstückes kenne, nicht aber das seiner Besitzer.
Und, ob er mir dieses Chamsa wirklich verkaufen wolle, fragte ich weiter, und wie viel er dafür haben wolle.
Yussuf lächelte und nannte mir einen recht stolzen Preis, der ein Mehrfaches über dem Goldpreis lag, aber schliesslich handelte es sich da um ein antikes Museumsstück.
«Ist die Geschichte in dieser Summe eingerechnet?» fragte ich ihn.
«Oh, natürlich, alles inklusive, mit der Bedingung zwar, dass du deiner Tochter erzählst, was das Amulett schon alles erlebt hat,» mahnte er mich freundlich, «denn es ist gut, wenn die Frauen starke Vorbilder haben. Unsere Zeit braucht starke Frauen.»