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Der dritte Schuh
ОглавлениеWenn man vom Bab es Saouda, dem schwarzen Tor her den Souk betritt, muss man die dritte Abzweigung nach links nehmen um direkt zur Strasse der Schuhmacher zu gelangen.
Hier findest du noch echte Schuhmacher, nicht nur Schuhflicker, nein, wirkliche Schuhhersteller, die dir ein Paar Schuhe nach Mass anfertigen, so passend, dass du das Gefühl hast, die Schuhe seien ein Teil von dir selbst. Diese Schuster sind wahre Meister ihres Faches, vor allem aber Abd el Khader, der Altmeister der Zunft, der auch alle meine Schuhe geschnitten und genäht hat, der kennt alle Geheimnisse des bequemen Gehens, selbst wenn dein Fuss nicht unbedingt ideal geformt ist.
Je zarter ein Mensch gestaltet ist, desto empfindlicher ist auch sein Fuss, das bedeutet wiederum, dass er besonders gut sitzende und bequeme Schuhe braucht. Daher kam es nun, dass die ganze vornehme Weiblichkeit unserer Stadt sich die Schuhe nur noch von ihm, dem alten Schuhkünstler anfertigen liess, denn so zartes Safianleder wie er, verwendete niemand ausser ihm an dieser Strasse.
Als er mir kürzlich das Mass für ein neues Paar Schuhe nahm, kamen wir so ins Plaudern. Dabei erwähnte er, dass man als einfacher Schuhmacher so viel erlebe, selbst wenn man sein Leben lang auf der Welt nie weiter gekommen sei, als bis zum Palmengarten im Oued, unterhalb der Stadt.
Ob er mir nicht mal ein Müsterchen seiner Erlebnisse anvertrauen könne, fragte ich ihn. Er sei kein guter Erzähler, meinte er, aber so die eine oder andere Begebenheit sei vielleicht doch des Erzählens wert, nun, er könne es ja mal versuchen.
Nach einigem Schweigen begann er plötzlich still vor sich hin zu lachen und sagte dann: «Ja, da war doch damals die Geschichte mit dem dritten Schuh. Aber ich will von Anfang an erzählen.
Wie du weisst, habe ich vorwiegend weibliche Kundschaft, da man mir nachsagt, ich könne besonders feine und zarte Schuhe herstellen. Meist kommen die Damen in Begleitung ihrer Ehegatten, wenn es darum geht, die genauen Masse der Füsse zu nehmen, denn das ist ja wahrlich eine heikle Arbeit.
Hat sie einen misstrauischen und eifersüchtigen Mann, wird dir dieser verflixt gut auf die Finger schauen, damit du keinen verdächtigen Griff oberhalb der Knöchel an seinem gehüteten Kleinod verübst, dass sich kein noch so flüchtiger Blick an eventuell sichtbare Waden verirrt, sondern dass du nur immer gleichgültig zu Boden starrst, sonst riskierst du im schlimmsten aller Fälle einen spitzen Dolch, der sich in deinen Rücken bohrt. Noch eifersüchtigere Männer, und die gibt es hier wirklich, die bringen nur einen einzelnen Schuh als Vorlage, einen Schuh, der vor zwanzig Jahren vielleicht gepasst haben mag, aber aus dem die einst so zarte Pflanze inzwischen üppig herausgewuchert ist. Ich sage dir, bis dieser Schuh endlich passt, kann gut und gern ein Jahr vergehen.
Junge Damen aber, die modern sein wollen, kommen entweder mit ihrer Frau Mama oder in Begleitung einer Freundin und sind die unterhaltsamsten Kundinnen. Da wird gekichert und gelacht, geseufzt und tief geatmet, dass man oft seine eigenen vergangenen Jährchen ein ganz klein wenig bedauert. Nun ja, was man dabei alles erfährt, das würde Bände füllen, aber davon vielleicht ein anderes Mal. Diesmal will ich dir von Ahmed und Fatima erzählen.
Es sind nun schon viele Jahre her, dass ich einen Lehrjungen hatte, der unser feines Handwerk erlernen wollte. Ahmed war ein anstelliger, intelligenter Bursche, hatte gute Augen und eine äusserst geschickte Hand.
Natürlich liess ich ihn niemals an einem zarten Damenfuss das Mass nehmen, das wäre denn doch etwas riskant gewesen, obschon ich oft bemerken konnte, dass schon ein einziger Blick von so einem verschleierten Wesen genügte, ihn erröten zu lassen und nach dem zweiten Blick wagte er nicht mehr aufzuschauen und seine Sprache begann sich zu verwirren.
Eines Tages kam die Tochter eines Wesirs, oder wie wir auch sagen eines Ministers, in Begleitung ihrer Dienerin und liess sich ein Paar Schuhe anfertigen.
Der Lehrjunge hatte irgendwie einen Blick der jungen Dame erhaschen können und dieser, wohl rein zufällige und allerhöchstens neugierige Blick bohrte sich irgendwie heiss in sein Gehirn ein und muss ihm durch die grosse Hitze ein wenig das Hirn verbrannt haben. Von diesem Augenblick an begann er zu träumen, statt zu arbeiten, hieb sich mit dem Hammer auf die Finger, statt auf die Nägel und wenn er abends die Werkstatt verliess, warf er immer noch einen Blick auf die Schuhe der Wesirstochter und seufzte dazu.
Nun, ich dachte, dass sich das irgendwann von alleine beruhigen würde, aber der Kerl wurde vor eingebildetem Liebeskummer beinah krank und ich war froh, als die Schuhe endlich zum Abholen fertig waren. Es waren besonders weiche Schuhe aus hellblauem Saffianleder. Da war mir wieder einmal ein Meisterwerk gelungen!
Als die Kundin den Laden betrat, sass der arme Junge wie gelähmt in seiner Ecke und starrte Löcher in den Boden und als ihn die Dienerin, ein frisches und keckes Wesen ansprach, da stotterte er viel unverständliches Zeugs, bis ich ihn schweigen hiess.
Als sich herausstellte, dass am linken Schuh noch eine ganz kleine Veränderung nötig war, atmete er hörbar auf. Das hiess nämlich für ihn, dass die Holde nochmals kommen würde.
Aber als der Schuh bereit war, kam die Dienerin allein.
Er war völlig zerschmettert und als ihn die junge Dame nach seinem Kummer fragte, wurde er rot wie ein gekochter Krebs und begann zu stottern und zu stammeln.
Da fragte ihn die Kleine keck, ob er denn nicht normal sprechen könne, oder ob er am Ende verliebt sei und dazu kicherte sie.
Ich übergab die Schuhe und sagte ihr, falls die Meisterin noch irgend eine Änderung möchte, so könnte sie die Schuhe jederzeit wieder bringen. Und während wir redeten, sah ich, wie mein Lehrjunge heimlich ein Zettelchen in einen der beiden Schuhe schob. Die Dienerin musste es auch bemerkt haben, denn sie nahm nun plötzlich die Schuhe an sich und hatte es offensichtlich sehr eilig hinauszukommen.
Dass sie schon am nächsten Tag wieder gekommen war, ist mir damals freilich entgangen, denn ich war den ganzen Morgen beim Lederhändler gewesen, aber den zierlichen blauen Damenschuh, den der Lehrjunge bei meinem Kommen rasch versteckte, den hatte ich noch gesehen.
Als ich aber nach Arbeitsende danach suchte, konnte ich nichts finden.
Etwas später fiel mir auf, dass mir ein Stück vom hellblauen Saffianleder fehlte. Aber ich sagte nichts, ich wollte erst mal beobachten, was da vor sich ging.
Nun, ja, was ging da vor sich?
Der Junge war fast jeden Morgen vor mir im Souk, was früher gar nicht seine Art gewesen war. Einmal, als ich etwas früher dran war, schien mir, ich sehe vor meinem Laden eine weisse Gestalt weghuschen, aber ich musste mich getäuscht haben, denn dort stand nur mein Lehrjunge, ganz allein.
Ein anderes Mal schien es mir, als ob unter einem Haufen von Lederresten, die Spitze eines hellblauen Schuhs hervorgucke. Ich schickte den Jungen mit einem Auftrag weg und fischte mir dann den Damenschuh hervor. Hatte ich es mir doch gedacht! Es war der linke Schuh der Wesirstochter!
Was zum Kuckuck machte denn dieser Schuh hier?
Er schien auch noch nicht viel getragen worden zu sein. überhaupt, je länger ich ihn betrachtete, desto sicherer war ich, dass es sich hier um eine, freilich recht gute Kopie jenes Schuhs handelte. Aber halt, was sah ich da in seinem Innern?
Ein handbeschriebenes Blatt Papier war da in die Öffnung gerollt worden.
Ich schaute es mir etwas genauer an und merkte bald, dass es sich um eine Art von Liebesbrief, das heisst, um ein Liebesgedicht handelte, in welchem mein Lehrjunge eine junge Dame besang.
Wie der Targhi seine Liebste mit seinem Kamel vergleicht, so hatte er seinen Wortschatz aus der Schusterei entliehen und verpackte seine Dame in feinstes Leder aus den Bergen Marokkos, nähte mit dem stärksten Schusterzwirn an ihr herum und bettete sie auf biegsames Sohlenleder.
Ich muss gestehen, dass ich noch nie in meinem Leben zuvor schönere Poesie gelesen habe und so setzte ich mich hin und kopierte dieses herrliche Gedicht. Also wenn der Junge schon nicht allzu fleissig war, aber für unser Handwerk hatte er allerhöchstes Talent, denn ein echter Schuster betrachtet nun mal die Welt von seinem Hocker aus und falls ihn gar mal die Lust ankommen sollte, Allahs Werk zu besingen, so wird er es eben mit Schustersworten tun.
Ich fand bald einmal heraus, dass dieser Schuh nur als Transportmittel für die Liebesbriefe der beiden Verliebten diente. Auch die Briefe seiner Angebeteten, die mich natürlich auch interessierten, las ich mit allerhöchstem Vergnügen, denn auch die kleine Dienerin konnte ihre Gefühle recht gut in Worte fassen.
Manchmal schien mir zwar, sie hätte es irgendwo abgeschrieben, aber was tut man nicht alles um der Liebe willen.
Der Junge arbeitete wieder zu meiner vollen Zufriedenheit und ich begann mir schon zu überlegen, ob ich nicht in ihm meinen Nachfolger für mein Geschäft gefunden hätte, denn wie du ja weisst, habe ich meine beiden Söhne während des Befreiungskrieges verloren. Allah möge sie gnädig aufgenommen haben.
An einem Abend, als der Bursche schon gegangen war, kam die Dienerin in den Laden gehuscht. Ich erklärte ihr, dass Ahmed schon weg sei.
Sie wollte mit mir sprechen.
Sie erzählte mir von ihrem Briefpostsystem im Damenschuh und von den Gedichten und plötzlich brach sie in Tränen aus.
Sie sagte, dass sie unbedingt meine Hilfe brauchte, denn der arme Junge hatte immer noch nicht gemerkt, mit wem er den regen Briefwechsel betreibe.
Er glaube nämlich, dass seine Briefpartnerin die Tochter des Wesirs sei und alle Versuche, ihn in die Wirklichkeit zurück zu holen, seien bisher vergeblich gewesen.
Überhaupt behandle er sie, als ob sie Luft wäre, gestand sie schluchzend, ausser dann, wenn sie sich mal für ein paar Tage nicht gezeigt habe, dann könne er schon mal ganz eklig werden.
Ja, was macht man in einer solchen Situation?
Dem Bürschchen mussten endlich die Augen geöffnet werden, das war klar.
Ich riet ihr, in Zukunft den Briefschuh zu bringen, wenn auch ich im Laden wäre und dann würden wir sehen, ob ich nicht irgendwie ins Geschehen eingreifen könnte. Überglücklich schwirrte die Kleine hinaus.
Am nächsten Morgen kam bereits wieder Briefpost. Der Junge tat sichtlich verärgert, dass ihm da ein einzelner Schuh gebracht wurde, aber ich sagte ihm, er solle ruhig den Auftrag ausführen, ich hätte genügend Vertrauen in ihn.
Als die Dienerin draussen war, fand ich, das sei nun mal ein feines Mädchen, mit der könne man Pferde stehlen gehen, wohl dem, der ihre Liebe erringen könne.
Die Reaktion des Jungen war enttäuschend, denn er war in seinen Gedanken völlig abwesend, weit weg, in einem Land, das es gar nicht gibt.
Ich versuchte ihm eine Weile lang die Augen zu öffnen, ihn zur Vernunft zu bringen, aber ohne den allergeringsten Erfolg, denn wer im Netz seiner Einbildungen gefangen ist, der will die Wirklichkeit um keinen Preis erkennen.
Mir begann die Kleine leid zu tun.
Aber wie konnte man diesem verstörten Kerl das Irrwitzige seines Tuns begreiflich machen? Da träumt dieser Esel von unerreichbar fernen Rosenknospen, während er schönstes Heu und besten Hafer in Hülle und Fülle vor sich hat! So ein Dummkopf!
Als ich ihm einmal, so zart und durch die Blume klar machen wollte, dass ein Schusterjunge nur im Märchen seine Prinzessin bekommt, in Wirklichkeit aber müsse er froh sein, überhaupt eine Frau zu finden. Aber sobald er das Wort Prinzessin gehört hatte, schwebte er in einer rosaroten Wolke der Glückseligkeit davon und ward lange nicht mehr gesehen .
Auch die Briefbotin versuchte alle ihre fraulichen Tricks um ihn von seiner Traumwolke herabzuangeln, aber ohne den geringsten Erfolg.
Ich war völlig am Ende meiner Weisheit, als das Schicksal zuschlug.
Die Familie des Innenministers gab in der Zeitung die frohe Nachricht bekannt, dass sie gedenke ihre über alles geliebte Tochter Zahra mit Mahmoud, dem einzigen Sohne des Ministerpräsidenten zu vermählen.
Ich schnitt diese Nachricht aus der Zeitung heraus und steckte sie in den hellblauen Schuh, der frühmorgens eintraf, bevor Ahmed aufgestanden war.
Ich beobachtete ihn, um gegebenenfalls eingreifen zu können, aber er las die Nachricht, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Etwas später nahm er seinen Bleistift zur Hand und begann auf den weissen Zeitungsrand zu schreiben. Er schusterte mit verklärtem Blick eine weitere Zeile seiner Liebesidylle.
Hatte er die Botschaft nicht begriffen? War er wahnsinnig geworden?
Oder hatte er endlich kapiert und schrieb nun endlich die ersten Zeilen an jene Frau, die ihn wirklich gern hatte?
Er steckte sein neustes Gedicht in den Schuh und tat dann seine Arbeit, als ob nichts geschehen wäre.
Nach der Siesta hatte er sich verspätet und war noch nicht da, als die Dienerin kam, um den Schuh zu holen. Ich erzählte ihr von meiner Schocktherapie, die aber offensichtlich nichts gebracht hatte.
Aber was konnten wir tun, um ihn aus seiner Verwirrtheit zu erlösen?
Wir berieten lange hin und her, als ich zusammenfassend sagte: «Also, was ist da eigentlich geschehen? Der Junge hat sich verliebt, da kann man nichts machen, aber in wen hat er sich wirklich verliebt? In die Zahra, von der er nicht mal den Namen gewusst hat? Ist doch eigentlich alles Quatsch. Er hat sich in ein Bild verliebt, in einen Traum, in eine Fata Morgana, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Also, muss man ihm diese Luftspiegelung beschaffen, muss dieses Traumbild mit echtem Leben füllen. So einfach ist das. Na, wir wollen doch sehen, ob wir den Kerl nicht kriegen!»
Im nächsten Pantoffel erfuhr er, dass seine literarische Geliebte Fatima heisse.
Er übernahm den Namen sofort und konnte ihn auch gleich meisterhaft in seine neusten Gedichte einflechten.
Nun wurde ein Treffen vereinbart.
Dann wurde das Treffen um zwei Tage verschoben (denn man musste ihn nun so richtig im Saft schmoren lassen)
Dann wurde das Erkennungszeichen ausgemacht: Sie trägt die blauen Schuhe, und er, er bringt den dritten Schuh mit (aber der dritte Schuh blieb noch zwei weitere Tage bei ihr liegen).
In der Zwischenzeit hatte sich Fatima von ihrer Herrin die blauen Schuhe als Abschiedsgeschenk geben lassen.
So hatten wir nun alles beisammen.
Der heimliche Treffpunkt der beiden Verliebten war meine Schusterwerkstatt kurz nach Sonnenuntergang (denn das Dämmerlicht hat bekanntlich seinen ganz besonderen Reiz).»
Der Schuhmacher schwieg und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. «Ja, und wie ist es ausgegangen?» wollte ich wissen.
«Frag mal meinen jungen Compagnon, den Ahmed im Laden vorn,» sagte er schmunzelnd.