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Hasan der Töpfer

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Kaum waren seine Beine stark genug, musste der kleine Hasan in Vaters Töpferei Lehm stampfen. Es machte dem Jungen grossen Spass im feuchten Dreck herumzuwaten und sich dabei mit Ton derart zu verschmieren, dass er nach kurzer Zeit aussah, wie eine frisch geformte Statue, wie ein kleines graues Lehmteufelchen.

Besonders angenehm war ihm bei dieser Arbeit, wenn die nasse und geschmeidige Tonerde zwischen den Zehen durchquoll.

Kamen Nachbarsjungen vorbei, so bewarf er sie lachend mit feuchten Lehmklumpen, bis sie laut schreiend Reissaus nahmen und einmal hatte er sogar seine kleine Schwester Fatima, die er wirklich gut mochte, herzlich umarmt und dabei auf ihren schönen Kleidern echt garstige Spuren hinterlassen.

Was ihm aber gar keinen besonderen Spass machte, das war die lästige Wascherei am Abend. Da wurde er in einen Bottich gesteckt, mit viel Wasser übergossen und geschrubbt und gefegt, bis unter der dicken Lehmschicht Hasan, der kleine Junge wieder erschien. Zwar wusste er, dass auch sein Vater sich vor dem Abendgebet reinlichst säuberte, aber wer sagt denn schon, dass Dinge, die für Erwachsene gut sein mögen, auch für Kinder geeignet sind. Und das Unsinnigste schien ihm der Umstand, dass der ganze Reinlichkeitsfimmel seiner Eltern am nächsten Morgen schon nach wenigen Minuten wieder sein Ende finden würde. Aber wozu sich unnötige Gedanken machen, das gehörte nun einmal zum Leben eines Töpfers, auch seine Brüder, die jetzt alle in der Werkstatt arbeiteten, hatten mit Lehmstampfen begonnen und durften heute Teller, Schüsseln und Krüge herstellen, wobei sie freilich schmutzige Hände bekamen. Aber was ist schon Händewaschen im Vergleich zur unangenehmen Wascherei von oben bis unten, die er täglich zu erdulden hatte.

Ihre Keramik war weit herum begehrt und berühmt, nicht etwa, weil sie unzerbrechlich gewesen wäre, nein, denn Töpfer müssen ja auch gelebt haben, sondern die Farben der Glasur dieses Geschirrs waren das Besondere: nicht ockergelb oder umbragrün, wie es hier üblich war, sondern rubinrot oder marineblau.

Und die Herstellung eben dieser prächtigen Glasuren war ihr streng gehütetes Familiengeheimnis.

An den Tagen, wo die grossen Karawanen ankamen oder abreisten, war mit Hasan nicht viel anzufangen. Dann strolchte er mit andern Jungen auf dem grossen staubigen Platz vor dem Stadttor herum, dort wo die vielen Kamele lagerten und wo Händler aus der Stadt mit den Karawanenleuten tagelang feilschten. Manchmal durfte er helfen beim Füttern und Tränken der Dromedare, oder er wurde für Botengänge in die Stadt geschickt, oder ein Kamelführer zeigte ihm, wie man aus Grashalmen die Seile flechten konnte, mit denen man die Lasten festband und einmal durfte er sogar auf einem Kamel reiten, meist aber stand er einfach da und staunte und träumte.

Auch Hasans Vater erwartete jede Karawane voller Ungeduld, denn seine Töpferware musste ja auch verkauft werden. Von dem wenigen Geschirr, das im Oasenstädtchen ersetzt werden musste, hätten sie nicht leben können, daher war es wichtig, dass er den Karawanen, die hier durchzogen, möglichst viel von seiner zerbrechlichen Arbeit mitgeben konnte.

Hatte er einen Käufer gefunden, so musste die Ware bruchsicher verpackt werden. Das ergab jedes Mal riesige Packen, die zur Hauptsache aber aus Palmblättern, Strohhalmen und Grasmatten bestanden, unförmige Bündel, vor denen sich die Lasttiere fürchteten, weil sie annahmen, dass ein Riesenpaket auch riesig schwer sein müsse. Da galt es dann, die schlauen Kamele beim Beladen zu überlisten, weil sie sich brüllend, umsichbeissend und mit allen Vieren umsichtretend wehrten, wenn man ihnen zuviel aufladen wollte. Nun, dann verband man ihnen einfach die Augen, damit sie nichts sehen konnten, lud ihnen die Töpfe auf den Rücken, liess sie aufstehen und ein paar Schritte gehen, damit sie merkten, dass die Last nicht allzuschwer war und nahm ihnen dann die Augenbinde ab. So einfach geht das mit Kamelen.

Wenn die Karawane die Oase verlassen hatte, wurde es wieder ruhig und auf dem grossen Platz scharrten nur noch ein paar streuende Hunde in den Abfällen und machten den Ziegen die wenigen fressbaren Brocken streitig. Hasan stampfte wieder Lehm oder einige Zeit später, als er in die ersten Geheimnisse der Töpferei eingeweiht worden war, sass er an der Töpferscheibe und formte kleine Krüge, Tassen und Teller. Dabei schweiften seine Gedanken manchmal hinaus in die weite Wüste, dort wo die grossen Karawanen ihren langen Weg gleichmütig gingen. Wenn man da mitreisen könnte! Nur ein einziges Mal! Die Welt sehen, die hinter dem Sandmeer lag. Bled es Soudan, das Land der Schwarzen, Agadez, Kano, Gao ... . Träume, unerreichbare Träume. Er würde sein Leben lang Töpfe drehen, brennen und glasieren und wenn eine Karawane kam, hinausgehen und mit den Kaufleuten verhandeln, ihnen Geschirr verkaufen, wie es sein Vater und seine Brüder taten.

Die Karawanen kamen und gingen, die Sehnsucht Hasans wurde grösser und grösser, aber er machte schweigend seine Arbeit.

Es gingen aber Jahre ins Land, in denen die Nachfrage nach Töpferwaren immer kleiner wurde und im Hause Hasans Eltern begann der Hunger aus den dunkeln Ecken zu starren. Zwei seiner Brüder arbeiteten bereits, sehr ungern zwar, bei einem Fellah, einem Gemüsebauern in der Oase, da zu Hause keine Arbeit für sie mehr war und halfen mit ihrem magern Verdienst über die grösste Not hinweg. Die Karawanen wurden aber immer seltener, immer kleiner.

Da kam endlich wieder einmal ein richtig grosser Handelszug in die Stadt. Es mochten über tausend Lasttiere gewesen sein, Esel, Maultiere und Kamele. Und was für herrliche Kamele! Kaufleute in reichen, bunten Gewändern erwarteten mit stolzer Gleichgültigkeit Kundschaft, die vielen Kameltreiber schrien und brüllten herum, wohl um ihre eigene Wichtigkeit zu zeigen und eine grosse Schar von schwarzen Männern beeilte sich die Lasttiere zu entladen, zu füttern und zu tränken.

Die Handwerker hofften alle auf grosse Geschäfte, aber Hasans Vater konnte nur eine allereinzige Kamellast von Geschirr einem befreundeten Kaufmann verkaufen. Die Geschäfte würden nicht mehr so gut gehen wie früher, klagte dieser, der Salzpreis sei niedrig wie noch nie und an den Datteln liesse sich auch nichts mehr verdienen, sogar der Transport von Hirse sei ein Hungerleidergeschäft geworden und Töpfe, das kleine dicke Männchen schnaubte verächtlich durch die Nase, Töpfe und Geschirr nehme er aus purer Freundschaft zu Hasans Vater noch mit auf die Reise. Da jeder zerbrochene Teller auf seine Kosten gehe, könne man sich leicht ausrechnen, was für ihn noch übrig bleibe, lamentierte der recht wohlgenährte Kaufmann weiter. Wenn das so weitergehe, seufzte er, seinen dicken Bauch streichelnd, werde er demnächst verhungern, elendiglich verhungern. Na ja, so sei das nun einmal und nur Allah allein wisse, wozu das gut sein möge. Das Männchen seufzte ein weiteres Mal und sagte traurig, dass er sogar seinen Gehilfen hätte entlassen müssen, weil der zuviel Lohn gefordert habe, aber wer belud nun seine Kamele? Wer hütete seine Waren, wenn er einen dringenden Geschäftsgang zu tun hatte?

Hasan, der diesmal bei den Geschäftsverhandlungen zugegen war, fühlte, dass jetzt der wichtigste Moment seines Lebens da war. Hier bot sich die Möglichkeit, endlich seinen grossen geheimen Wunsch zu erfüllen.

Der Vater, ein Sesshafter, war von der Idee seines Sohnes, ein Reisender und Karawanenhändler zu werden, gar nicht begeistert. Das müsse man noch alles durchdenken, meinte er, aber der Kaufmann hatte eingeschnappt, er hatte ja bereits im Stillen gehofft, Hasans Vater trete ihm einen seiner Söhne ab, um den weggelaufenen Gehilfen zu ersetzen. Arbeit war keine da, das Essen fehlte und auch die Kleider dieser Leute waren offensichtlich nicht die allerneusten. Hier musste man froh sein, einen unnützen Esser loszuwerden. So etwa hatte sich der Händler Omar die Sache vorgestellt, nun kam ihm der junge Bursche noch entgegen.

Hasans Vater äusserte viele Bedenken. Was hatte man nicht alles schon gehört von verirrten und verdursteten Karawanen, von verheerenden Sandstürmen, die in kürzester Zeit den grössten Lastzug unter riesigen Dünen begruben, von wilden Tieren, von Räubern und Sklavenjägern.

Omar meinte dazu, das vom Sandsturm sei ein dummes Märchen, wie so vieles, was man von der Wüste erzähle. Und die Räuber, ja freilich, die gebe es schon, aber die würde er nicht fürchten und mit rollenden Augen blickte er auf seine Pistole mit dem armdicken Kanonenrohr, die er nun aus seinem Gürtel zog. «Pif, paf, pum und selbst die blauen Männer auf ihren Rennkamelen ergreifen die Flucht,» schrie der mutige Omar und fuchtelte dabei wirklich furchterregend mit seinem unförmigen Schiessprügel in der Luft herum.

Hasans Vater war scheinbar wenig beeindruckt von dieser kriegerischen Demonstration und meinte nur, Omar solle das Ding wegstecken, er könnte sich damit noch wehtun.

Schliesslich einigte man sich, dass Hasan mitziehen werde. Vorerst würde die Reise durch einige Oasenstädte der Gegend gehen, wo Datteln eingekauft wurden, dann quer durch die grosse Wüste bis nach Agadez. Dort sollte Hasan mit der nächsten Karawane nach Norden seinen Heimweg antreten, denn Vater wollte nicht, dass er bis zu den Salzoasen mitreiste.

Von der grossen Tenerewüste hatte er schon zu viele Schauergeschichten gehört.

Omar schwor, dass er Hasan behandeln und behüten werde, wie einen eigenen Sohn, Allah solle Zeuge sein, und vielleicht könne er sogar einen tüchtigen Händler aus dem Jungen machen, der später ihre Töpferwaren in der ganzen Welt der Gläubigen vertreiben und verkaufen werde, In schah' Allah!

Als sich die grosse Karawane von der Oase entfernte, ritt Hasan an der Seite seines Meisters auf einem schönen weissen Kamel, das ihm dieser als Reittier zur Verfügung stellte. Omar hatte wirklich Wort gehalten und behandelte Hasan wie einen eigenen Sohn und verlangte auch von den Kamelführern und Sklaven, dass sie ihm respektvoll begegneten und seinen Anweisungen Folge leisteten ohne zu Murren. Hasan staunte schon am ersten Reisetag, wie gross die Welt war. Nach zehnstündigem Ritt und Marsch durch eine eintönige steinübersäte Ebene traf man endlich auf ein Brunnenloch. Der Anführer gab Befehl zum Anhalten und Abladen .

Hasan war von der langen Reise in der Sonnenglut und dem heissen, trockenen Wind wie ausgedörrt. Dass das Reiten auf einem Kamel auch gelernt werden musste, war seine zweite schmerzliche Erfahrung und dass das Gehen neben oder vor dem Reittier in der Felswüste eine sehr harte Angelegenheit war und jeder Schritt im weichen Sand ihn spüren liess, wie schwer seine eigenen Füsse waren. Müde, durstig, hungrig und mit blasenbedeckten und zerschundenen Füssen musste er das Abladen der Kamele überwachen, damit nichts zerbrach und nichts verloren ging.

Als er in seine weiche Decke gehüllt am warmen Feuerchen auf das Essen wartete, fiel er in einen derart tiefen Schlaf, dass ihn der schwarze Koch, der das Abendbrot brachte, mit keinem Mittel wachkriegen konnte. «Lassen wir ihn schlafen,» meinte Omar, der fürsorglich noch eine weitere Wolldecke über den Jungen legte, damit dieser sich in der Kühle der Nacht nicht erkälte.

Frühmorgens, lange bevor der Tag anbrach, noch vor dem Morgengebet, wurden die weidenden Kamele eingefangen, auf die Knie gezwungen und dann mit viel Geschrei, Lärm und Unruhe wieder beladen.

Über dem wiederangefachten Feuerchen hatte der Koch eine dicke Bohnensuppe, den Ful, gekocht und bevor die Sonne aufging, war die lange Karawane schon wieder auf dem Marsch. Hasan sass an diesem Tag schon etwas sicherer auf seinem Reittier und fürchtete sich fast nicht mehr vor dem Hinunterfallen, obschon der Boden immer noch gleich weit entfernt war, nämlich sehr, sehr weit unten. Er versuchte auch, wie er es bei seinem Meister sah, seine Beine über dem Kamelhals zu kreuzen, statt sie an den Seiten herunterbaumeln zu lassen, was nämlich für unwürdig und anfängerhaft gilt. Auch das Gehen fiel ihm heute schon etwas leichter, trotz geschwollener und blutiger Zehen. Kamelreiten heisst nämlich, dass man die eine Hälfte des Weges reiten kann und die andere zu Fuss gehen muss, damit das Dromedar sich nicht allzu sehr ermüdet und geschwächt wird.

Hasan war froh, als der Karawanenführer am späten Nachmittag anhalten liess. Sie waren in ein breites Flusstal hinuntergestiegen, in dem zwar nur alle 50 Jahre einmal Wasser floss, aber da gab es viele grüne Büsche und Bäume, stachelige Hadsträucher, saftiggrüne Tamarisken und dornenbewehrte Akazienbäume; alles wahre Leckerbissen für Kamelgaumen.

Die Kamele und die andern Lasttiere wurden von ihrer Packung befreit, an den Vorderbeinen derart gefesselt, damit sie nicht weit laufen konnten und dann liess man sie auf die grüne Pracht los, der sie sogleich übel zusetzten.

Nach weiteren zwei sehr mühsamen Tagen, quer durch eine glühendheisse, topfebene schwarze Steinwüste ohne Brunnen und ohne Pflanzen, erreichte die Karawane die nächste Oase. Der Lagerplatz war im Schatten alter Palmen an einem kleinen See, unweit des südlichen Stadttores.

Omar besuchte seine Geschäftsfreunde, um Waren zu kaufen und zu verkaufen und machte die Kaufleute mit Hasan bekannt, den er überall als seinen Nachfolger bezeichnete. Omar zeigte seinem Lehrjungen, wie man mit Geschäftspartnern ruhig, überlegt und mit endloser Geduld verhandelte, ohne aber das Ziel der Verhandlung je aus den Augen zu verlieren, wie man zäh am Preis der eigenen Waren festhielt, ohne aber dem Kunden die Hoffnung auf einen Preisnachlass zu nehmen, wie man den Preis einer zu kaufenden Ware drückte, ohne sie aber herabzuwürdigen, wie man dem Kunden schmeichelte, ohne aber plump zu werden. Er lehrte den Jungen auch, dass bei jedem Kauf oder Verkauf beide Teile das Gefühl haben mussten, sie hätten ein vorteilhaftes Geschäft getätigt, dass man mit schlechter Ware und mit Betrug nicht weit kam und andere wichtige Tricks des Handels.

Hasan wurde von Omar in den Souks bekannt gemacht, besuchte mit ihm die Moschee und den Hammam, das Bad, wo im heissen Dampf oft auch noch wichtige Geschäfte ihren Abschluss fanden.

Von hier weg marschierte die Karawane nach Süden. Es war der längste, mühsamste und gefährlichste Teil der Reise, den sie nun in Angriff nahmen. Man hatte noch einige junge Männer mit Gewehren angeheuert als Geleitschutz, denn man konnte ja nie wissen, was oder wer einem auflauerte. Die schwachen und ermüdeten Tiere wurden ersetzt, alle Tragriemen und Seile kontrolliert und die Ladungen so dicht wie möglich gepackt, damit sie weniger Raum einnahmen.

Alle Kamele, auch die Reittiere wurden mit Futter und vor allem mit Wassersäcken, den Guerba beladen, die aus Ziegenfellen genäht waren. Diese Ledersäcke hatte man mit Pech bestrichen, um sie richtig wasserdicht zu machen. Das Wasser bekam dadurch einen ganz eigenartigen und eindringlichen Geschmack von Ziegenbock und Schusterpech, an den sich Hasan erst gewöhnen musste, aber wenn man so richtig Durst verspürte, so trank man auch diese scheussliche Brühe und wenn die Suppe allzu penetrant stank, so warf der Koch einfach soviel Fil fil, das ist der scharfe rote Pfeffer, ins Wasser, dass jeder Geschmack und Geruch einfach weggebrannt wurde.

Am sechsten Tag der Reise trafen sie auf die erste Wasserstelle. Das Wasser war aber derart salzig, dass nicht einmal die Kamele davon trinken wollten. Der Karawanenführer hatte den sofortigen Weitermarsch befohlen, als in der Feme zwei Kamelreiter sichtbar wurden. Sie ritten eilig herbei, versicherten mit vielen Salams ihre friedliche Absicht und baten um Wasser, das man ihnen gab. Da sie den gleichen Weg hätten, wie sie erzählten, wollten sie die Karawane begleiten.

Der Karawanenführer liess sie, sichtlich ungern, mitreisen, wollte aber ein scharfes Auge auf sie haben.

Am nächsten Morgen waren die beiden spurlos verschwunden.

Omar wurde unruhig. Am folgenden Abend reinigte er seine Pistole und zeigte Hasan, wie sie geladen und wie sie abgefeuert wurde. Auch die anderen Kaufleute schienen sich Sorgen zu machen.

Nachts wurden Wachen aufgestellt, aber es blieb alles ruhig bis zum Morgen.

Als sich die Karawane wieder in Bewegung setzen wollte, waren sie plötzlich da. Vielleicht fünfzig, vielleicht auch mehr schwarzblau verschleierte Männer auf weissen Rennkamelen, den Mehari, und mit langen Lanzen bewaffnet stürmten übermütig schreiend herbei. Eine Rezzou, ein Raubüberfall!

Sofort herrschte ein grosses Durcheinander. Lanzen schwirrten durch die Luft, Schüsse krachten mit viel Rauch und Getöse, da war lautes Geschrei und viel Lärm, die Kamele gerieten in Panik und rissen brüllend aus, die Treiber liefen verstört irgendwohin oder warfen sich einfach zu Boden, die Kaufleute schossen donnernd und rauchend ihren Kugelvorrat leer und nach kurzer Zeit waren die Räuber absolute Herren der Situation.

Viele der Kaufleute waren getötet oder schwer verwundet. Auch Omar lag am Boden, tot, von einer Lanze durchbohrt. Hasan kniete weinend neben ihm.

Was sollte nun werden?

Die Krieger bestatteten die Toten, wie es sich für Gläubige gehört und zogen dann eilig mit der erbeuteten Karawane in die Berge.

Unterwegs begegneten die verschleierten Männer einem anderen Trupp ihrer Leute und berieten sich mit ihnen in einer Sprache, die Hasan nicht verstand. Die jungen Leute der Karawane wurden ausgesondert und mussten mit den neu gekommenen Räubern mit. Auch sie schienen es sehr eilig zu haben.

Nach einem mehrstündigen Eilmarsch gelangten sie in ein Versteck, wo eine grosse Zahl von edlen Reitkamelen bereitstand. Auf denen ging es nun weiter, ohne Halt auch durch die ganze Nacht hindurch. Am Morgen erreichten sie ein Berggebiet. Die Landschaft war derart bizarr und seltsam, dass sich Hasan wie in einem Märchen vorkam. Gegen Mittag machten sie halt. Zum Essen gab es harte, trockene Datteln und eine einzige Schüssel voll Wasser musste dem brennenden Durst genügen .

Trotz all der Aufregung schliefen alle bald ein und als sie geweckt wurden, war es bereits wieder Abend.

Nachts ritten sie durch diese märchenhafte Bergwelt. Da war ein Wald von Steinsäulen, dann ein Märchenpalast, der im Mondschein silbrig glänzte, dann eine enge Schlucht auf deren Grund ein kleiner See, eine Guelta schimmerte, dann ging es über eine steinbesäte Ebene, mit Steinen, rund wie Kugeln und glänzend wie Edelstein, dann über eine schneeweisse Düne aus deren Kamm ein turmhoher Steinfinger ragte und schliesslich folgten sie einer engen und sehr tiefen Schlucht.

Gegen Morgen gelangten sie in ein weites Tal, das von haushohen Steinblöcken übersät war zwischen denen riesige, tausendjährige Bäume standen, in deren Schatten die Hitze des Tages verschlafen wurde.

Hasan hätte gern gewusst, wohin die Reise ging, aber ihre Entführer sprachen nie mit ihnen und unter seinen Leidensgenossen war auch niemand, der nur die leiseste Ahnung vom Reiseziel hatte. Sicher war nur eines: Es ging in die Sklaverei. Der Weg dorthin aber konnte weit sein, sehr weit sogar. Ein junger Kameltreiber schätzte, dass sie mindestens zwei Monate unterwegs sein würden, bis die, welche die Strapazen überlebten, ihr Leben in der Knechtschaft verbringen könnten. Wer reiche Eltern hatte, konnte sich vielleicht freikaufen, aber die anderen, so meinte er grinsend, könnten sich auf ein wahres Hundeleben gefasst machen.

Für Hasan kam ein Freikaufen kaum in Frage, denn sein Vater hatte nichts und sein Beschützer und Wohltäter Omar war tot und...da überkam ihn plötzlich Heimweh, er fühlte sich einsam und elend. Ach wäre er doch zuhause geblieben! Welch ein Elend und welche Sorge brachte er über seine Familie!

Vater würde still um ihn trauern und Mutter würde im Dunkel der Wohnung um ihn weinen.

Die folgenden Tage und Wochen liessen ihn alle Schrecken der Wüste erleben. Hunger und Durst peinigten sie, der heisse Staubwind machte tagsüber jeden Atemzug zur Qual und die eisige Nachtkälte machte sie schlottern, einige starben an Fieber und Krankheit, salziges Wasser bereitete ihnen schmerzhafte Bauchkrämpfe, Datteln gab es schon lange keine mehr und wer essen wollte, musste sich Eidechsen oder Heuschrecken fangen, sie magerten ab zu Skeletten und ritten oder gingen wie im Traum, einer wurde irrsinnig und rannte schreiend ins weisse Nichts der sonnenglühenden Wüste hinaus, ein anderer wurde von einer Sandviper gebissen, schrie und heulte vor Schmerz die halbe Nacht, bis ihn der Tod erlöste. Die Not wuchs von Tag zu Tag, selbst Kamele fielen plötzlich tot um, aber die Reise ging unerbittlich weiter durch ein Land, das die Hölle als Paradies erscheinen liess.

Nach der Durchquerung einer endlosen Sandwüste mit riesigen Dünen, erreichte die entkräftete und mittlerweile klein gewordene Gruppe ein wildes Berggebiet. In einer tiefen Schlucht wurden sie erwartet:

Sklavenhändler.

Sie wurden wie Vieh angeboten, gemustert, verhandelt und verkauft. Ihre neuen Meister sprachen wieder arabisch.

Für Hasan war das Reiseziel schon ausgemacht. Misr. Nach Ägypten sollte er gebracht werden. Er begann wieder aufzuleben, zu hoffen, ja, in ihm machte sich sogar etwas wie Neugierde breit, Neugierde auf das, was vor ihm lag. Er hatte die monatelange Tortur der Wüste überlebt, EI hamd ul illah, Gott sei gelobt, es würde kaum noch schlimmer kommen.

Auf dem Ritt nach Ägypten fragte ihn sein neuer Meister nach seinem Woher, nach seinen Fähigkeiten und seinem Können. «Ah, Töpfer bist du und von da und da, so so, dann bist du ja wirklich dein Geld wert, ja, und wenn du gut arbeitest, kannst du dich bald einmal freikaufen, wenn es Allahs Wille ist.»

In einem kleinen Städtchen im oberen Ägypten kann man auf dem Markt eine ganz besondere Keramik kaufen, Töpfe, Teller, Tassen, Krüge und was man sonst noch alles aus Tonerde herstellt.

Das Aussergewöhnliche dieser Töpferware besteht in den Farben ihrer Glasur.

Ein tiefes, feuriges und doch dunkles geheimnisvoll leuchtendes Rot, das Rubin und Blut, das Leben und Tod in einem ist, Ekstase der Liebe und mordender Hass, der zarte Hauch der Morgenröte über weissen Dünenwellen und das drohende blutige Henkerschwert der Abendröte über schwarzer Hammada; und ein glanzvolles strahlendes Blau, das den Wüstenhimmel und die Meerestiefen in sich vereint, das wie das andächtige Schweigen vor dem Gebet ist, das ein fast goldenes Licht ausstrahlt und sich nur noch mit dem prächtigen Blau in der Moschee des Sultans Ahmed in Stambul vergleichen lässt.

Töpferkunst, die sehr an diejenige einer Oase am anderen Ende der grossen Wüste erinnert.

Manchmal, so an Freitagen zum Beispiel, sieht man den Meister der Töpferei, den reichen alten Hasan inmitten seiner grossen Enkelschar vor der Werkstatt sitzen, und dann erzählt er ihnen von einer abenteuerlichen Wüstenreise quer durch die weite Sahara, von einem äusserst bewegten Leben, von den Überraschungen des Schicksals, denen man nicht entrinnen kann, weil sie alle im grossen Buch des Lebens vorgezeichnet sind, Mektoub.

Die Damaszener-Rose

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