Читать книгу Johann Wolfgang von Goethe - Faust I + II - Johann Wolfgang von Goethe (hg. von Redaktion Müller) - Страница 10

Nacht.

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In einem hochgewölbten, engen, gothischen Zimmer.

Faust unruhig auf seinem Sessel am Pulte.

Faust.

Habe nun, ach! Philosophie,

355 Juristerey und Medicin,

Und leider auch Theologie!

Durchaus studirt, mit heißem Bemühn.

Da steh’ ich nun, ich armer Thor!

Und bin so klug als wie zuvor;

360 Heiße Magister, heiße Doctor gar,

Und ziehe schon an die zehen Jahr,

Herauf, herab und quer und krumm,

Meine Schüler an der Nase herum –

Und sehe, daß wir nichts wissen können!

365 Das will mir schier das Herz verbrennen.

Zwar bin ich gescheidter als alle die Laffen,

Doctoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;

Mich plagen keine Scrupel noch Zweifel,

Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –

370 Dafür ist mir auch alle Freud’ entrissen,

Bilde mir nicht ein was rechts zu wissen,

Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,

Die Menschen zu bessern und zu bekehren.

Auch hab’ ich weder Gut noch Geld,

375 Noch Ehr’ und Herrlichkeit der Welt.

Es möchte kein Hund so länger leben!

Drum hab’ ich mich der Magie ergeben,

Ob mir durch Geistes Kraft und Mund

Nicht manch Geheimniß würde kund;

380 Daß ich nicht mehr mit sauerm Schweiß,

Zu sagen brauche, was ich nicht weiß;

Daß ich erkenne, was die Welt

Im Innersten zusammenhält,

Schau’ alle Wirkenskraf und Samen,

385 Und thu’ nicht mehr in Worten kramen.

O sähst du, voller Mondenschein,

Zum letztenmal auf meine Pein,

Den ich so manche Mitternacht

An diesem Pult herangewacht:

390 Dann über Büchern und Papier,

Trübsel’ger Freund, erschienst du mir!

Ach! könnt’ ich doch auf Berges-Höh’n,

In deinem lieben Lichte gehn,

Um Bergeshöle mit Geistern schweben,

395 Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,

Von allem Wissensqualm entladen,

In deinem Thau gesund mich baden!

Weh! steck’ ich in dem Kerker noch?

Verfluchtes, dumpfes Mauerloch!

400 Wo selbst das liebe Himmelslicht

Trüb’ durch gemahlte Scheiben bricht.

Beschränkt mit diesem Bücherhauf,

Den Würme nagen, Staub bedeckt,

Den, bis an’s hohe Gewölb’ hinauf,

405 Ein angeraucht Papier umsteckt;

Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,

Mit Instrumenten vollgepfropft,

Urväter Hausrath drein gestopft –

Das ist deine Welt! das heißt eine Welt!

410 Und fragst du noch, warum dein Herz

Sich bang’ in deinem Busen klemmt?

Warum ein unerklärter Schmerz

Dir alle Lebensregung hemmt?

Statt der lebendigen Natur,

415 Da Gott die Menschen schuf hinein,

Umgiebt in Rauch und Moder nur

Dich Thiergeripp’ und Todtenbein.

Flieh! auf! hinaus ins weite Land!

Und dieß geheimnißvolle Buch,

420 Von Nostradamus eigner Hand,

Ist dir es nicht Geleit genug?

Erkennest dann der Sterne Lauf,

Und wenn Natur dich unterweist,

Dann geht die Seelenkraft dir auf,

425 Wie spricht ein Geist zum andern Geist.

Umsonst, daß trocknes Sinnen hier

Die heil’gen Zeichen dir erklärt,

Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir,

Antwortet mir, wenn ihr mich hört!

Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.

430 Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick

Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!

Ich fühle junges, heil’ges Lebensglück

Neuglühend mir durch Nerv’ und Adern rinnen.

War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb?

435 Die mir das innre Toben stillen,

Das arme Herz mit Freude füllen,

Und mit geheimnißvollem Trieb,

Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen.

Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!

440 Ich schau’ in diesen reinen Zügen

Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.

Jetzt erst erkenn’ ich was der Weise spricht:

„Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;

Dein Sinn ist zu, dein Herz ist todt!

445 Auf bade, Schüler, unverdrossen,

Die ird’sche Brust im Morgenroth!“

Er beschaut das Zeichen.

Wie alles sich zum Ganzen webt,

Eins in dem andern wirkt und lebt!

Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen

450 Und sich die goldnen Eimer reichen!

Mit segenduftenden Schwingen

Vom Himmel durch die Erde dringen,

Harmonisch all’ das All durchklingen!

Welch Schauspiel! aber ach! ein Schauspiel nur!

455 Wo faß’ ich dich, unendliche Natur?

Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,

An denen Himmel und Erde hängt,

Dahin die welke Brust sich drängt –

Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht’ ich so vergebens?

Er schlägt unwillig das Buch um, und erblickt das Zeichen des Erdgeistes.

460 Wie anders wirkt dieß Zeichen auf mich ein!

Du, Geist der Erde, bist mir näher;

Schon fühl’ ich meine Kräfte höher,

Schon glüh’ ich wie von neuem Wein,

Ich fühle Muth, mich in die Welt zu wagen,

465 Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,

Mit Stürmen mich herumzuschlagen,

Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen,

Es wölkt sich über mir –

Der Mond verbirgt sein Licht –

470 Die Lampe schwindet!

Es dampft! – Es zucken rothe Strahlen

Mir um das Haupt – Es weht

Ein Schauer vom Gewölb’ herab

Und faßt mich an!

475 Ich fühl’s, du schwebst um mich, erflehter Geist.

Enthülle dich!

Ha! wie’s in meinem Herzen reißt!

Zu neuen Gefühlen

All’ meine Sinnen sich erwühlen!

480 Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!

Du mußt! du mußt! und kostet’ es mein Leben!

Er faßt das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimnißvoll aus.

Es zuckt eine röthliche Flamme, der Geist erscheint in der Flamme.

Geist.

Wer ruft mir?

Faust abgewendet.

Schreckliches Gesicht!

Geist.

Du hast mich mächtig angezogen,

An meiner Sphäre lang’ gesogen,

485 Und nun –

Faust.

Weh! ich ertrag’ dich nicht!

Geist.

Du flehst erathmend mich zu schauen,

Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn,

Mich neigt dein mächtig Seelenflehn,

Da bin ich! – Welch erbärmlich Grauen

490 Faßt Uebermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?

Wo ist die Brust? die eine Welt in sich erschuf,

Und trug und hegte; die mit Freudebeben

Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben.

Wo bist du, Faust? deß Stimme mir erklang,

495 Der sich an mich mit allen Kräften drang?

Bist Du es? der, von meinem Hauch umwittert,

In allen Lebenstiefen zittert,

Ein furchtsam weggekrümmter Wurm!

Faust.

Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?

500 Ich bin’s, bin Faust, bin deines gleichen!

Geist.

In Lebensfluthen, im Thatensturm

Wall’ ich auf und ab,

Webe hin und her!

Geburt und Grab,

505 Ein ewiges Meer,

Ein wechselnd Weben,

Ein glühend Leben,

So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit,

Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

Faust.

510 Der du die weite Welt umschweifst,

Geschäftiger Geist, wie nah fühl’ ich mich dir!

Geist.

Du gleichst dem Geist, den du begreifst,

Nicht mir!

Verschwindet.

Faust zusammenstürzend.

Nicht dir!

515 Wem denn?

Ich Ebenbild der Gottheit!

Und nicht einmal dir!

Es klopft.

O Tod! ich kenn’s – das ist mein Famulus –

Es wird mein schönstes Glück zu nichte!

520 Daß diese Fülle der Gesichte

Der trockne Schleicher stören muß!

Wagner im Schlafrocke und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand.

Faust wendet sich unwillig.

Wagner.

Verzeiht! ich hör’ euch declamiren;

Ihr las’t gewiß ein griechisch Trauerspiel?

In dieser Kunst möcht’ ich ’was profitiren,

525 Denn heut zu Tage wirkt das viel.

Ich hab’ es öfters rühmen hören,

Ein Komödiant könnt’ einen Pfarrer lehren.

Faust.

Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist;

Wie das denn wohl zu Zeiten kommen mag.

Wagner.

530 Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist,

Und sieht die Welt kaum einen Feyertag,

Kaum durch ein Fernglas, nur von weiten,

Wie soll man sie durch Ueberredung leiten?

Faust.

Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen,

535 Wenn es nicht aus der Seele dringt,

Und mit urkräftigem Behagen

Die Herzen aller Hörer zwingt.

Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,

Braut ein Ragout von andrer Schmaus,

540 Und blas’t die kümmerlichen Flammen

Aus eurem Aschenhäufchen ’raus!

Bewund’rung von Kindern und Affen,

Wenn euch darnach der Gaumen steht;

Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,

545 Wenn es euch nicht von Herzen geht.

Wagner.

Allein der Vortrag macht des Redners Glück;

Ich fühl’ es wohl, noch bin ich weit zurück.

Faust.

Such’ Er den redlichen Gewinn!

Sey er kein schellenlauter Thor!

550 Es trägt Verstand und rechter Sinn

Mit wenig Kunst sich selber vor;

Und wenn’s euch Ernst ist was zu sagen,

Ist’s nöthig Worten nachzujagen?

Ja, eure Reden, die so blinkend sind,

555 In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,

Sind unerquicklich wie der Nebelwind,

Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!

Wagner.

Ach Gott! die Kunst ist lang;

Und kurz ist unser Leben.

560 Mir wird, bey meinem kritischen Bestreben,

Doch oft um Kopf und Busen bang’.

Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,

Durch die man zu den Quellen steigt!

Und eh’ man nur den halben Weg erreicht,

565 Muß wohl ein armer Teufel sterben.

Faust.

Das Pergament, ist das der heilge Bronnen,

Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?

Erquickung hast du nicht gewonnen,

Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.

Wagner.

570 Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen,

Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;

Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,

Und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.

Faust.

O ja, bis an die Sterne weit!

575 Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit

Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.

Was ihr den Geist der Zeiten heißt,

Das ist im Grund der Herren eigner Geist,

In dem die Zeiten sich bespiegeln.

580 Da ist’s dann wahrlich oft ein Jammer!

Man läuft euch bey dem ersten Blick davon.

Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer,

Und höchstens eine Haupt- und Staatsaction,

Mit trefflichen, pragmatischen Maximen,

585 Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!

Wagner.

Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist!

Möcht’ jeglicher doch was davon erkennen.

Faust.

Ja was man so erkennen heißt!

Wer darf das Kind beym rechten Namen nennen?

590 Die wenigen, die was davon erkannt,

Die thöricht g’nug ihr volles Herz nicht wahrten,

Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,

Hat man von je gekreutzigt und verbrannt.

Ich bitt’ euch, Freund, es ist tief in der Nacht,

595 Wir müssen’s dießmal unterbrechen.

Wagner.

Ich hätte gern nur immer fortgewacht,

Um so gelehrt mit euch mich zu besprechen.

Doch Morgen, als am ersten Ostertage,

Erlaubt mir ein’ und andre Frage.

600 Mit Eifer hab’ ich mich der Studien beflissen,

Zwar weiß ich viel, doch möcht’ ich alles wissen.

(ab.)

Faust allein.

Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,

Der immerfort an schalem Zeuge klebt,

Mit gier’ger Hand nach Schätzen gräbt,

605 Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet!

Darf eine solche Menschenstimme hier,

Wo Geisterfülle mich umgab, ertönen?

Doch ach! für dießmal dank’ ich dir,

Dem ärmlichsten von allen Erdensöhnen.

610 Du rissest mich von der Verzweiflung los,

Die mir die Sinne schon zerstören wollte.

Ach! die Erscheinung war so Riesen-groß,

Daß ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.

Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon

615 Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew’ger Wahrheit,

Sein selbst genoß, in Himmelsglanz und Klarheit,

Und abgestreift den Erdensohn;

Ich, mehr als Cherub, dessen freye Kraft

Schon durch die Adern der Natur zu fließen

620 Und, schaffend, Götterleben zu genießen

Sich ahndungsvoll vermaß, wie muß ich’s büßen!

Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.

Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermessen.

Hab’ ich die Kraft dich anzuziehn besessen;

625 So hatt’ ich dich zu halten keine Kraft.

In jenem sel’gen Augenblicke

Ich fühlte mich so klein, so groß,

Du stießest grausam mich zurücke,

Ins ungewisse Menschenloos.

630 Wer lehret mich? was soll ich meiden?

Soll ich gehorchen jenem Drang?

Ach! unsre Thaten selbst, so gut als unsre Leiden,

Sie hemmen unsres Lebens Gang.

Dem herrlichsten, was auch der Geist empfangen,

635 Drängt immer fremd und fremder Stoff sich an;

Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,

Dann heißt das Beßre Trug und Wahn.

Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle

Erstarren in dem irdischen Gewühle.

640 Wenn Phantasie sich sonst, mit kühnem Flug,

Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,

So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,

Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.

Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,

645 Dort wirket sie geheime Schmerzen,

Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh;

Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,

Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen,

Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;

650 Du bebst vor allem was nicht trifft,

Und was du nie verlierst das mußt du stets beweinen.

Den Göttern gleich’ ich nicht! zu tief ist es gefühlt;

Dem Wurme gleich’ ich, der den Staub durchwühlt;

Den, wie er sich im Staube nährend lebt,

655 Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.

Ist es nicht Staub? was diese hohe Wand,

Aus hundert Fächern, mir verenget;

Der Trödel, der mit tausendfachem Tand,

In dieser Mottenwelt mich dränget?

660 Hier soll ich finden was mir fehlt?

Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen,

Daß überall die Menschen sich gequält,

Daß hie und da ein Glücklicher gewesen? –

Was grinsest du mir hohler Schädel her?

665 Als daß dein Hirn, wie meines, einst verwirret,

Den leichten Tag gesucht und in der Dämmrung schwer,

Mit Lust nach Wahrheit, jämmerlich geirret.

Ihr Instrumente freylich, spottet mein,

Mit Rad und Kämmen, Walz’ und Bügel.

670 Ich stand am Thor, ihr solltet Schlüssel seyn;

Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.

Geheimnißvoll am lichten Tag

Läßt sich Natur des Schleyers nicht berauben,

Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,

675 Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.

Du alt Geräthe das ich nicht gebraucht,

Du stehst nur hier, weil dich mein Vater brauchte.

Du alte Rolle, du wirst angeraucht,

So lang an diesem Pult die trübe Lampe schmauchte.

680 Weit besser hätt’ ich doch mein weniges verpraßt,

Als mit dem wenigen belastet hier zu schwitzen!

Was du ererbt von deinen Vätern hast

Erwirb es, um es zu besitzen.

Was man nicht nützt ist eine schwere Last,

685 Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.

Doch warum heftet sich mein Blick auf jene Stelle?

Ist jenes Fläschchen dort den Augen ein Magnet?

Warum wird mir auf einmal lieblich helle?

Als wenn im nächt’gen Wald uns Mondenglanz umweht.

690 Ich grüße dich, du einzige Phiole!

Die ich mit Andacht nun herunterhole,

In dir verehr’ ich Menschenwitz und Kunst.

Du Inbegriff der holden Schlummersäfte,

Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte,

695 Erweise deinem Meister deine Gunst!

Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert,

Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,

Des Geistes Fluthstrom ebbet nach und nach.

Ins hohe Meer werd’ ich hinausgewiesen,

700 Die Spiegelfluth erglänzt zu meinen Füßen,

Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.

Ein Feuerwagen schwebt, auf leichten Schwingen,

An mich heran! Ich fühle mich bereit

Auf neuer Bahn den Aether zu durchdringen,

705 Zu neuen Sphären reiner Thätigkeit.

Dieß hohe Leben, diese Götterwonne!

Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?

Ja, kehre nur der holden Erdensonne

Entschlossen deinen Rücken zu!

710 Vermesse dich die Pforten aufzureißen,

Vor denen jeder gern vorüber schleicht.

Hier ist es Zeit durch Thaten zu beweisen,

Daß Mannes-Würde nicht der Götterhöhe weicht,

Vor jener dunkeln Höhle nicht zu beben,

715 In der sich Phantasie zu eigner Quaal verdammt,

Nach jenem Durchgang hinzustreben,

Um dessen engen Mund die ganze Hölle flammt;

Zu diesem Schritt sich heiter zu entschließen

Und, wär’ es mit Gefahr, ins Nichts dahin zu fließen.

720 Nun komm herab, krystallne reine Schaale!

Hervor aus deinem alten Futterale,

An die ich viele Jahre nicht gedacht.

Du glänztest bey der Väter Freudenfeste,

Erheitertest die ernsten Gäste,

725 Wenn einer dich dem andern zugebracht.

Der vielen Bilder künstlich reiche Pracht,

Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklären,

Auf Einen Zug die Höhlung auszuleeren,

Erinnert mich an manche Jugend-Nacht,

730 Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,

Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht zeigen,

Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht.

Mit brauner Flut erfüllt er deine Höhle.

Den ich bereitet, den ich wähle,

735 Der letzte Trunk sey nun, mit ganzer Seele,

Als festlich hoher Gruß, dem Morgen zugebracht!

Er setzt die Schaale an den Mund.

Glockenklang und Chorgesang.

Chor der Engel.

Christ ist erstanden!

Freude dem Sterblichen,

Den die verderblichen,

740 Schleichenden, erblichen

Mängel umwanden.

Faust.

Welch tiefes Summen, welch ein heller Ton,

Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?

Verkündiget ihr dumpfen Glocken schon

745 Des Osterfestes erste Feyerstunde?

Ihr Chöre singt ihr schon den tröstlichen Gesang?

Der einst, um Grabes Nacht, von Engelslippen klang,

Gewißheit einem neuen Bunde.

Chor der Weiber.

Mit Spezereyen

750 Hatten wir ihn gepflegt,

Wir seine Treuen

Hatten ihn hingelegt;

Tücher und Binden

Reinlich umwanden wir,

755 Ach! und wir finden

Christ nicht mehr hier.

Chor der Engel.

Christ ist erstanden!

Selig der Liebende,

Der die Betrübende,

760 Heilsam’ und übende

Prüfung bestanden.

Faust.

Was sucht ihr, mächtig und gelind,

Ihr Himmelstöne mich am Staube?

Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.

765 Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube

Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.

Zu jenen Sphären wag’ ich nicht zu streben,

Woher die holde Nachricht tönt;

Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,

770 Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.

Sonst stürzte sich der Himmels-Liebe Kuß

Auf mich herab, in ernster Sabathstille;

Da klang so ahndungsvoll des Glockentones Fülle,

Und ein Gebet war brünstiger Genuß;

775 Ein unbegreiflich holdes Sehnen

Trieb mich durch Wald und Wiesen hinzugehn,

Und unter tausend heißen Thränen,

Fühlt’ ich mir eine Welt entstehn.

Dieß Lied verkündete der Jugend muntre Spiele,

780 Der Frühlingsfeyer freyes Glück;

Erinnrung hält mich nun, mit kindlichem Gefühle,

Vom letzten, ernsten Schritt zurück.

O! tönet fort, ihr süßen Himmelslieder!

Die Thräne quillt, die Erde hat mich wieder!

Chor der Jünger.

785 Hat der Begrabene

Schon sich nach oben,

Lebend Erhabene,

Herrlich erhoben;

Ist er in Werdelust

790 Schaffender Freude nah;

Ach! an der Erde Brust,

Sind wir zum Leide da.

Ließ er die Seinen

Schmachtend uns hier zurück;

795 Ach! wir beweinen

Meister dein Glück!

Chor der Engel.

Christ ist erstanden,

Aus der Verwesung Schoos.

Reißet von Banden

800 Freudig euch los!

Thätig ihn preisenden,

Liebe beweisenden,

Brüderlich speisenden,

Predigend reisenden,

805 Wonne verheißenden

Euch ist der Meister nah’,

Euch ist er da!

Johann Wolfgang von Goethe - Faust I + II

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