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Zweites Kapitel

Nimbus

Nach dem Kampf gegen den Bergdämon machten sich Griechen und Trojaner einträchtig auf den Heimweg. „Von euch hat auch keiner Paris gesehen?“, fragte Hektor die Männer aus Ithaka. „Sieben Höllen, nein. Die Begegnung ist mir glücklicherweise erspart geblieben“, bemerkte Odysseus und verdrehte die Augen. „Da heißt es immer, die Welt ist so furchtbar und schlimm. Aber wenn ich mir die Aktionen deines Bruders zu Gemüte führe, tut mir eher die arme Welt leid.“ Der Trojaner nickte zustimmend. „Die reinste Landplage ist er, und ich habe ernsthaft den Verdacht, dass er meiner geliebten Dido nachsteigen will“, zischte Aeneas. Hektor schnaubte leicht. „Also ist er verschwunden, und keine Menschenseele weiß, wohin.“ Auf diese Folgerung hin empörte sich sein Schwager abermals. „Auf Paris ist einfach kein Verlass mehr.“ – „Da erzählst du ja ganz was Neues. Auf den hat man sich schon vor 3000 Jahren nicht verlassen können.“ – „Dann verstehe ich nicht, wieso du ihn nicht hochkant und umgehend rauswirfst! Glaube mir Hektor, der größte Schaden wird’s schon nicht sein.“ – „Ach Aeneas, wenn ich jeden rausschmeiße, der mir nicht in den Kram passt, komme ich billiger davon, wenn ich mir gleich eine eigene Wohnung nehme.“

Sie warfen sich vielsagende Blicke zu. Der junge Remus war jedoch anderer Meinung. „Ich bin trotzdem dafür, dass wir ihn suchen sollten. Womöglich steckt er in Schwierigkeiten.“

Die beiden Älteren musterten ihn missbilligend. „Der wird in Schwierigkeit stecken, wenn ich ihn erst erwische. Vergiss nicht, dass er gestern meinen Wagen gestohlen und mein Konto leergeräumt hat. Meine Bruderliebe in allen Ehren, aber irgendwie sollten wir doch wenigstens die Heizkosten für den Winter abdecken können. Ich für meinen Teil möchte jedenfalls nicht den Erfrierungstod sterben.“ Die Zwillinge schwiegen. Eigentlich hatten sie als Einzige Paris sogar etwas gern. Er war immer gut gelaunt, für jeden Schabernack zu haben und nicht so forsch wie Hektor oder aufbrausend wie Aeneas. Doch es stimmte, dass die meisten Probleme, die sie heute hatten, Paris zuzuschreiben waren. „Was hältst du übrigens von dem neuen Hauswärmesystem, das ich mir einfallen ließ?“, fragte Romulus unverblümt. „Ah ja, die Hypokausten-Heizung, ich weiß schon. Ich verspreche dir, ich werde drüber nachdenken“, versicherte ihm der Anführer der Trojaner. Remus biss verlegen auf seiner Unterlippe herum. Die Tatsache, dass selbst Hektor die Sache mit seinem Bruder mehr oder weniger abgeschrieben hatte, war bedenklich. Sollten sie als Familie denn nicht zusammenhalten? Doch schwarze Schafe und Unglücksraben gab es wohl überall, und Paris stellte in der Beziehung den absoluten Hauptgewinn dar. Das wussten auch die Griechen, die erstaunt darüber waren, dass die Trojaner wirklich erwogen, den Missratenen und Verächtlichen in die Verbannung zu schicken.

Achills Brauen wanderten nach oben. „Ich habe euch gar nicht zugetraut, dass ihr so hart und skrupellos durchgreifen könnt.“ – „Am liebsten würde ich ihn morgen gleich auf einer einsamen Insel aussetzen, falls ich nicht am Ende derjenige wäre, der die Quittung dafür erhält. Abgesehen davon graut es mir eher davor, was er alles anstellen könnte, wenn uns die Kontrolle über ihn endgültig entgleitet“, lachte Hektor grimmig. „Mittlerweile bin ich so weit, dass ich überlege, diese gesamte Angelegenheit sich selbst zu überlassen und mich einfach abzusetzen.“ Die übrigen Trojaner schluckten. „Aber es wäre feige, und ich habe schließlich auch noch eine Familie, um die ich mich kümmern muss. Da stelle ich meine Interessen eben hintenan, davon abgesehen, dass die sowieso noch nie jemanden interessiert haben. “ Er ließ die glotzenden Gefährten einfach stehen und trabte stur weiter, ohne auf mögliche Einwände zu hören.

Odysseus hielt unterdessen immer noch eine Drachenklaue in der Hand, die er mitgenommen hatte. Nachdenklich drehte und wendete er das abgerissene Körperteil, um es zu begutachten. „Dem werde ich es heimzahlen. Niemand entführt meinen Filius und schleudert mir ungestraft eine Brandbombe durchs Haus“, erklang seine Stimme hart und kalt. „Nun, wenn wir sie schon nicht wegen Körperverletzung und Sittlichkeitsbruch drankriegen, dann wenigstens wegen Vandalismus“, meinte Achilles. „Ha, und wo willst du Minos verklagen, beim Obersten Gerichtshof, dessen Richter er selbst ist?“ Darauf wusste auch Achilles keine Antwort. „Du bist der Denker von uns beiden, Odysseus. Lass dir eine schöne List für unsere Rache einfallen.“

Plötzlich ertönte ein Schrei, und Achill stürzte geradewegs in einen Abgrund. Der Erdboden, auf dem sie standen, war trocken und spröde. Ehe sich’s der Abgott versah, fand er sich ein Stockwerk tiefer am Grund einer Schlucht wieder. Hektor und der König von Ithaka beugten sich vorsichtig über den Rand. Das jedoch hätten sie besser unterlassen, denn der Fels brach, und mit lautem Getöse fielen auch sie hinterher. Aeneas gelang es gerade noch, die Übrigen wegzureißen. „Hektor! Odysseus! Sofort runter von mir! Ihr drückt mir ja die Rippen entzwei!“, keifte Achilles verärgert. Doch außer ihnen war noch jemand hier unten. „Achilles, bist du das?“, sprach eine Stimme aus der Dunkelheit. Der Abgott rappelte sich auf seine schlanken und schnellen Beine, um dem Ruf nachzugehen. „Paris!“ Hektor rannte zu ihm und umarmte ihn. „Bei Phoebus Apollon, was hast du jetzt wieder fabriziert? Ich habe mir verdammt große Sorgen um dich gemacht, Brüderchen.“ Paris sah mit seinen schönen Gesichtszügen und den großen Augen zu ihnen auf. „Ich wollte für Helena einkaufen gehen, so als Versöhnungsgeschenk, du weißt schon. Ich fahre also friedlich mit dem Wagen los, und ganz plötzlich verschwindet das Erdreich unter mir. Dann bin ich hier unten ein wenig umhergelaufen, bis ich in diesem blöden Loch hängengeblieben bin. Ich habe lange gebrüllt, doch es wollte keiner kommen, und dann habe ich euch gehört.“ Die Älteren sahen auf. Die Geschichte des tollpatschigen jungen Paris schien sie ziemlich zu amüsieren. Ein paar gehässige und anmaßende Bemerkungen fielen. „Unverschämtes Glück war das. Bist du verletzt?“ – „Nein, ich glaube nicht, Hektor. Wärst du nun bitte so freundlich, mir aufzuhelfen?“ Dessen Augen blitzten unverwandt und wütend auf. „Vorher gibst du mir mein Geld zurück. Und unterstehe dich ja, dich noch einmal ungefragt an meinen Sachen zu bedienen.“ Paris sah ihn mit seinem unwiderstehlichen Welpen-Blick an. „Das Schmollen kannst du dir schenken.“ – „Entschuldige, Hektor“, flüsterte er.

Starke Arme packten ihn und zogen sein Bein aus dem tiefen Spalt. Kaum stand er wieder auf festem Untergrund, schlug ihn der Ältere mit der Faust gewaltsam nieder. „Dafür entschuldige ich mich nicht!“ Der jüngere Trojaner mit den schwarzen Locken und dem ansehnlichen Körper starrte ihn geschockt an, als er bemerkte, dass Blut aus seinen Nasenlöchern rann. „Heul nicht gleich los, Jungchen“, zischte Achill ihm zu und lachte schadenfroh. „Das ist dafür, dass du den Wagen genommen hast. Meinen Wagen, möchte ich wohl betonen.“ Hektor sah ihn abfällig an und betrachtete danach wehmütig die Überreste des Fahrzeugs und die zwei toten Pferde. Paris reichte ihm zerknirscht einen Beutel mit Münzen. „Sehr brav, Bruderherz, und nun sollten wir alles daranlegen, wieder ans Tageslicht zu kommen, sofern niemand etwas Gegenteiliges einzuwenden hat.“ Dieser Entschluss erschien allen als das Vernünftigste. Zumindest fiel in dieser Situation auch den Griechen nichts Besseres ein. Achilles ging voraus, sich vorsichtig an der Wand entlang hangelnd, jeden Millimeter mit den Händen abtastend. Der Fels war rissig und sehr rau. Ihm folgten Hektor und Odysseus. Paris lief als Letzter hintendrein. Um sie herum nichts als nasser und kalter Stein. „Au, du stehst auf meinem Fuß!“, fauchte Achilles böse in Hektors Richtung. „Dann geh gefälligst weiter, wenn’s genehm ist, Pelide!“, kam eine patzige Antwort. Odysseus stöhnte entnervt auf. Eine schöne Bescherung war das in der Tat. Langsam verbreiterte sich der Weg und teilte sich in vier Pfade auf, die abschüssig ins Innere führten. „Da vorne ist eine Gabelung!“, stellte Paris fest, für den Fall, dass es noch keinem aufgefallen war. „Ist nicht wahr, und die Erde ist in Wirklichkeit auch keine Scheibe, Brüderchen!“ Worauf Achilles ein hartes Lachen ausstieß. Offenbar war der Anführer der Trojaner doch nicht so humorlos, wie er immer dachte. „Echt jetzt?“, fragte Paris etwas irritiert. Die Griechen brüllten los und lachten. Hektor schüttelte den Kopf über so viel Unwissen. „Große Güte, Paris. Jedes Kind weiß, dass die Welt rund ist“, sagte er gepresst, denn offenbar riss ihm bald der Geduldsfaden über die Hirngespinste des Verwandten. „Burschen, wollen wir wieder einmal zur Sache kommen? Wie Paris schon,messerscharf’ analysiert hat, trennen sich hier unsere Wege.“ Der Ernst in seiner Stimme ließ selbst Achilles das Lächeln auf den Lippen ersterben. „Teilen wir uns also auf, und falls einer von uns rauskommt, holt er sofort Unterstützung!“, entschied der König von Ithaka ganz undiplomatisch. „Gut, dann muss ich eure Visagen nicht mehr sehen“, schnalzte Achilles mit der Zunge, und weg war er.

Hektor und Paris sahen ihm lange nach. Er hatte einen der mittleren Wege gewählt, weshalb Paris sich nach rechts wandte und die anderen beiden nach links. Im Untergrund verlor Odysseus bald jedes Zeitgefühl. Er orientierte sich eher am Hungergefühl in seinem Magen, der ihn mürrisch daran erinnerte, dass bald ein Mittagessen fällig sei. Nach schätzungsweise einer Stunde, in der er über breite Felsen gestakst war, kam Übelkeit in ihm hoch. Seit fast fünf Monaten hatte er sich nur von Rübeneintopf ernährt. Auf Dauer konnte so eine unfreiwillige und vegetarische Diät nur schiefgehen. Plötzlich blendete ihn ein Licht. Es war gleißend hell und doch kein Tageslicht. Tausende Kristalle schimmerten um ihn herum. Sie leuchteten und glitzerten in allen erdenklichen Farben. Mal verfärbten sich die Nuancen und Schattierungen, sobald man an ihnen vorbeiging, oder sie gaben klirrende Töne von sich. Odysseus musste an ein Glockenspiel denken, das leise klimperte. Er war so überwältigt von den vielfältigen Sinneswahrnehmungen, dass er einfach stehen blieb und staunte. So etwas hatte er noch nie gesehen. Und diesen Anblick würde er auch nicht so schnell wieder vergessen. Da hörte er auf einmal Stimmen. Sie kamen ihm bekannt vor, und augenblicklich wünschte er sich, er hätte lieber nichts vernommen. Es war gruselig. Wirklich unheimlich, als ob sie ihn verfolgen würden. Mit äußerster Vorsicht spähte er um die nächste Biegung, nur um dahinter seine schlimmsten Befürchtungen mehr als bestätigt zu sehen.

Der Weg mündete in eine weitere Höhle vom Ausmaß einer Basilika. Dort ragten viele kleinere Kristalle leuchtend aus dem Boden, sodass sie wie Fliesen aussahen. Eine steile Treppe führte auf ein Felsplateau. Darauf thronte ein mächtiges und steinernes Portal – zu dessen Fuße niemand anderes als König Minos saß. Vor ihm ging sein Schwager unruhig auf und ab. Derbe Wortfetzen von sich gebend fuchtelte er mit den Händen durch die Luft. „Aietes, jetzt entspann dich mal.“ – „Ich werde nicht zulassen, dass das Haus dieser Hurensöhne aus Ithaka weiterbesteht!“ Minos erhob sich. „Du musst mal lernen, gelassen zu bleiben. Wir haben ja alles unter Kontrolle. Mit diesem wertlosen Bauerntrampel werden wir uns später beschäftigen. Mir geht es einzig um das Amulett. Und darf ich dich daran erinnern, dass du sie alle hast entkommen lassen?“ Ein Schatten erschien auf seinem Gesicht. Nicht ohne Vorwurf fuhr er fort: „Tja, da hättest du besser aufpassen müssen, Idiot. Nun ist es zu spät. Diese korrupten Trojaner haben es in ihre dreckigen Hände bekommen, und was willst du dagegen tun?“ Da lächelte er den Drachenfürsten an. „Hier in diesen Stollen liegt die Lösung. Die höchsten magischen Errungenschaften werden hinter dieser Tür verwahrt. Folglich sind wir am Ziel. Sobald die Macht des olympischen Feuers auf uns übergegangen ist, hält uns niemand mehr auf. Diesen lästigen Abschaum fegen wir dann anschließend ganz nebenbei vom Spielfeld in die Vergessenheit.“ Minos ließ seinen Blick siegessicher durch die Halle schweifen. „Ich, liebster Schwager, habe versucht, mit meinen stärksten Sprüchen das Portal aufzubrechen, doch es will mir bislang nicht gelingen. Mir schwant, dass wir dafür doch das Amulett benötigen“, gab Aietes aalglatt zu. Verärgert sah Minos umher. „Wozu bist du eigentlich ein Zauberer?“, blaffte er den anderen an. „Dann beschaffe es mir gefälligst, und zwar schnell, wenn ich bitten darf. Ich schwöre, noch einmal so ein Versagen und ich lasse dich wegen Sabotage hinrichten, auch wenn ich hundertmal der Mann einer deiner verdorbenen Schwestern bin.“ Der Drachenfürst fletschte herausfordernd die Zähne. Wenn Minos unbedingt Streit suchte, konnte er ihn haben.

Odysseus lauschte so gebannt diesem interessanten Gespräch, dass er gar nicht merkte, wie Paris und Achilles neben ihm auftauchten. Sie sahen zu, wie Minos aufsprang und sein Kurzschwert zog. „Nun, mir scheint, dass es vielleicht gar nicht mal so weit entfernt ist.“

Er schnippte mit den Fingern, und ein riesiger Drache trat in Erscheinung. Seine Flügel waren so groß wie die Segel einer Jolle. Dann ein wütender Aufschrei, und eine Gestalt wurde von dem Lindwurm in den Saal geschleudert. Triumph zeigte sich bei den Anwesenden. „Mittwoch scheint wirklich mein Glückstag zu sein. Sieh an, was uns da ins Haus geflattert kommt, mein Amulett. Nein wirklich, Götter, das wäre doch nicht nötig gewesen!“ Aietes warf den Kopf in den Nacken und lachte voller Häme. „Wenn du es uns freiwillig gibst, verspreche ich, wenigstens deine garstige Brut am Leben zu lassen, Trojaner.“ Hektor erhob sich gequält auf die Knie. Er hustete und blickte finster zu den Feinden auf. „Das könnt ihr Verräter euch so was von abschminken. Wie kommt ihr zwei überhaupt dazu, eure eigenen Landsleute zu hintergehen und Forderungen zu stellen, widerwärtiges Griechenpack!“ –

„Sag mal, wie redest du eigentlich mit mir, dem angehenden Wächter der olympischen Flamme! Zeige uns Respekt, Sterblicher!“ Ein Schlag, dann ein paar Tritte, und er hatte den Brünetten am Hals gepackt. Mit einem schnellen Ruck riss er ihm das Amulett ab. „Die letzten Worte?“, säuselte er geradezu freundlich. Eine Hand vergrub sich in den dunklen Locken, die andere hielt das Schwert. „Du kannst mich mal, Aietes!“ Hektor riss seinerseits die Klinge aus dem Gürtel und stieß sie nach seinem Angreifer. Die Waffe bohrte sich durch dessen gesamten Unterarm zwischen Elle und Speiche hindurch. Dann sank er brüllend zu Boden, denn offensichtlich hatte er nicht damit gerechnet, fast aufgespießt zu werden. Im nächsten Moment herrschte das pure Chaos. Odysseus hatte die Gelegenheit genutzt, Paris seinen Bogen von den Schultern gezogen, und nun hagelten Pfeile auf Minos und Aietes nieder. Zuvor war er heimlich auf den gegenüberliegenden Felsvorsprung geklettert, um die Geschosse vorzubereiten. Die Bogensehne surrte in Sekundenschnelle, die Spitzen waren frisch geschliffen worden und bereit zu treffen. Auch Achilles blieb nicht untätig. Während Aietes und Hektor sich zu einem kreischenden und um sich tretenden Bündel verkeilten, nahm er sich den Drachen vor. Es war dasselbe Biest, das Telemachos entführt hatte. Mit einem gellenden Schrei, der Stein zermahlen konnte, stieß der Abgott nach dem Untier. Dieses hatte nicht mit einem Frontalangriff gerechnet und sandte einen Flammensturm los. Das war ein weiterer Moment, in dem Achill durchaus dankbar dafür war, unverwundbar zu sein. So geschah ihm nichts. Der Lindwurm, der nicht zu den intelligentesten Geschöpfen dieser Welt zählte, sah verwundert den Peliden auf ihn zu rennen. Dann war er hinüber. Der Blonde hatte ihm das Schwert durchs Auge ins Gehirn gerammt. „Eine Nervensäge weniger“, stellte er vergnügt fest. Hektor und Aietes kämpften immer noch erbittert gegeneinander. Der Zauberer trieb den Trojaner vor sich her, obgleich beiden ihre Waffen abhandengekommen waren. Notdürftig hatte er seine Wunde mit Magie versorgt und schlug nun mit einem Stein auf den Kopf des Rivalen ein. Doch es war gar nicht so einfach, den Brünetten lange unter sich am Boden festzuhalten. Dieser trat wild um sich, sodass es Aietes eine ganze Menge an Magie und Selbstbeherrschung kostete, den Mann ruhigzustellen. Hektor hielt das Amulett immer noch verkrampft in den Fingern, auf denen nun Blut glänzte. Da stand Achilles plötzlich hinter ihnen und zerrte den Drachenfürsten von ihm herunter. Schwer atmend rieb er sich den Hals und sah würgend zu den beiden Griechen. Der tödliche Hass schien die Luft zum Brodeln zu bringen. „Ha, du kommst zu spät, Sohn der Göttin!“, kreischte Aietes hysterisch. Und spätestens jetzt konnte man sich sicher sein, dass er das Land der Vernunft verlassen hatte.

„Jetzt krieg nicht gleich wieder einen Lachkrampf!“, spuckte der Blonde ihm entgegen.

„Nach deiner Meinung hat nun wirklich niemand gefragt!“, höhnte der andere und deutete nur auf das Portal. Ächzend öffneten sich seine Türen. Das Amulett steckte wie ein Schlüssel im Schloss. Aietes trat ein. Dahinter lag ein einziger Bergkristall, der das Licht der Sonne, des Mondes und der Sterne in sich vereinte. Mit gierigen und schmutzigen Händen griff er sich das hohe Gut. Er trat nach draußen und hielt es demonstrativ über sein Haupt. Odysseus nutzte diese einmalige Chance und legte an. Er war von dem Vorsprung gestürmt und stand nun am Fuß der Treppe. Neben ihm, völlig nutzlos und panisch, der junge Paris. Die Angst war ihm förmlich ins Gesicht gemeißelt, doch der Listenreiche ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Pragmatisch und gelassen schoss er mit seinem letzten Pfeil dem Drachenfürsten die begehrte Beute aus der Hand. Der Bergkristall zerschellte am Boden, und ein Schrei der Verzweiflung war zu hören. „Elendiger Bastard! Du vollkommen übergeschnappter und irregewordener Volltrottel! Wird der Kristall zerstört, wird die gesamte Magie auf einmal freigesetzt!“ Aietes schäumte vor Wut. Sein Kopf war hochrot und man musste befürchten, der Schlag würde ihn jeden Moment treffen. Doch zumindest seine Worte bewahrheiteten sich. Die Magie suchte sich ihre eigenen Wege, sich neu zu erfinden.

Hier noch ein paar wesentliche Anmerkungen zur Magie im Allgemeinen. Sie lässt sich prinzipiell in zwei Energiequellen unterteilen, die der Sonne und die des Mondes. Jedes Gestirn speist seine eigene magische Kraft. Die Sonne bildet die Basis für das olympische Feuer, welches von Göttern und Menschen gleichermaßen auf unterschiedliche Arten genutzt wurde.

Der Wächter dieser Flamme wurde immer aus einem Kreis von halbgöttlichen Helden auserwählt. Zuletzt hatte der kluge Held Perseus diese große Aufgabe innegehabt. Der Posten war mit viel Verantwortung verbunden, weswegen die Götter jedem potenziellen Kandidaten eine Prüfung abverlangten. Achilles, dessen Ehrgeiz mindestens so groß war wie dessen Egoismus, hatte sich ebenfalls freiwillig um diese Position beworben. Sein stärkster Konkurrent war dabei der Zauberer und Drachenfürst gewesen. Dieser hatte als Sohn des Sonnengottes Helios weitaus bessere Chancen als Achilles, der in seinen Augen nur von irgendeiner niedrigen Meeresgöttin abstammte. Doch der Pelide wäre nicht er selbst gewesen, hätte er diese Beleidigung einfach auf sich sitzen lassen. Schließlich hatte er einen gewissen Ruf zu verteidigen. Allein für diese Angelegenheit hatte er sogar in Kauf genommen, dass die Trojaner nun den Seeweg dominierten. Er aß wenig und schlief kaum, quälte sich durch Unmengen von Akten und vernachlässigte seinen Patroklos. Kurzum, Achilles wollte nichts anderes mehr, als der Wächter des olympischen Feuers zu werden. Dass es ausgerechnet ein Zauberer war, der ihm nun in seine Angelegenheit pfuschte, trieb die Ehrsucht des Blonden fast an die Spitze. Denn bisher hatte es, abgesehen von Hektor vielleicht, noch niemand gewagt, sich ihm offen entgegenzustellen.

Und dann gab es da zu allem Überfluss auch noch Aietes. Dieser wusste, dass Achill ihm kräftemäßig weit überlegen war, und so riskierte er zuvor keinen offenen Konflikt. Doch auf bürokratischer Ebene streute er kontinuierlich Sand ins Getriebe, bis das Werkel an sich selbst erstickte. Achilles hatte daraufhin einen seiner berühmten Wutausbrüche, bei denen bedauerlicherweise der Küchentisch zu Bruch ging. Doch bekanntlich half das auch nicht weiter. Schreiend und fluchend war der Abgott durch das Haus gestürmt und hatte Anträge und Bescheide zerfetzt. Nicht einmal Pat hatte es mehr gewagt, ihn anzusprechen. Er hatte zum ersten Mal wirklich Angst um seinen Lehrmeister, den nichts mehr zu besänftigen schien. Achilles war ein Berserker. Diese Tatsache allein genügte meist schon, dass es im Normalfall keinen Widerstand gegen ihn gab. Alle Griechen waren sich einig, sich nicht mit ihm anzulegen. Sie vertraten notdürftig seine Interessen, da sie kein unnötiges Risiko eingehen wollten. Wer es sich sonst mit ihm verscherzte, lebte nicht besonders lange. Nur Hektor wagte es, ihm entgegenzuwirken. Das Ganze hatte aber weniger mit Abneigung zu tun als mit System. Die Trojaner hatten gemeinsam mit ihren Verwandten, den Römern und Sabinern, eine zentrale Blockade gegen die Griechen erbaut. Das störte Achilles und dessen Interessen durchaus, und selbst nach Jahrhunderten im Totenreich hasste er den Brünetten noch wie die Pest. Doch da sie bisher nur einmal aufeinandergetroffen waren, war die Situation weniger riskant und daher kalkulierbar geblieben. Bei diesem Treffen wären sie sich zwar am liebsten gegenseitig an die Kehle gesprungen, doch sich in aller Öffentlichkeit zu Tode zu prügeln, warf auf niemanden ein gutes Licht. Achill konnte dem Drang, seinem Erzfeind das hübsche Gesicht blutig zu schlagen, auch nur deshalb widerstehen, da er sich als angehender Wächter keine Skandale erlauben konnte. Aufgrund dessen hatten sie nur Beleidigungen ausgetauscht und versuchten, den anderen zumindest mit Blicken im Voraus zu vernichten. Nach der Begegnung vermieden es beide tunlichst, sich abermals über den Weg zu laufen. Achilles mühte sich Tag und Nacht ab, um den Göttern ihre Erwartungen, die sie stellten, zu erfüllen. So hatte er schon allein rein zeittechnisch keine Möglichkeit, sich mit Hektor zu schlagen. Doch er schwor, dies auf jeden Fall nachzuholen. Und wer hätte auch jemals gedacht, dass es Leute geben könnte, die Achill schließlich noch ein wenig mehr verabscheuen würden? Erstaunlicherweise hasste Hektor persönlich den Peliden nicht so wie dieser ihn. Nein, er empfand nur schlichtes Grauen vor dem Abgott. Furcht war es allerdings nicht, die ihn leitete, denn er war immer schon sehr tapfer gewesen, aber er hielt es für vernünftiger, sich nicht in die Angelegenheiten der Griechen zu mischen.

Das olympische Feuer hatte aber noch eine gleichstarke Gegenkraft, die Macht des Mondsteins. Dieser entsprang tatsächlich dem Erdtrabanten. Vor Tausenden von Jahren war ein Teil des Mondes mit der Erde kollidiert und hatte dieses magische Artefakt hervorgebracht. Die alten Titanen nutzten bereits seine Macht. Kronos, der Titan der Zeit, sollte angeblich sogar damit durch die Epochen gesprungen sein. Doch der milchige Stein galt als verschollen, denn im Krieg der Götter wurde Kronos besiegt und die Macht des Mondsteins von seinem Gegenstand getrennt. Daraufhin wurde die Essenz mit anderen magischen Zaubern und Formeln in einem Bergkristall verschlossen, worauf der Mondstein selbst nachhaltig geschwächt wurde und verschwand. Das olympische Feuer regierte die Welt, und seine Gegenkraft geriet in Vergessenheit. Doch die Götter selbst wussten durchaus, wo er zu finden war. Und irgendwann tauchte er schließlich wahrhaftig aus der Versenkung wieder auf. Niemand anderes als Hektors alter Vater hatte ihn entdeckt. Was genau damit anzufangen war, wusste er nicht, weshalb er ihn an seine erstgeborenen Söhne weitervererbt hatte, fest in dem Glauben, dass dieser wunderbare Stein den Trojanern Glück bringen würde. Hektor hatte ihn daraufhin in ein Amulett verarbeiten lassen und scheute sich auch kaum davor, diese starke und zerstörerische Magie einzusetzen. Er stellte im Laufe der Zeit fest, dass das Amulett ihm auch Hoffnung verlieh, weshalb er es behielt. Paris interessierte sich sowieso mehr für weibliche Schenkel und sein perfektes Aussehen als für irgendwelche Steine. Sein älterer Bruder hingegen erkannte den Mondstein durchaus und war geradezu fasziniert von dessen Schlagkraft.

So existierten also die beiden entgegengesetzten Naturgewalten wieder in ihrer Vollständigkeit und in einer Form, mit der es möglich war, ganze Dimensionen auszulöschen. Nach der Zeit der Titanen waren sie wieder an neue Besitzer geraten. Es mag eine groteske Fügung des Schicksals sein, dass das Gleichgewicht der Gestirne sich genau zwischen Achilles und Hektor teilte.

Als nun der Kristall zerbrach, ging die Kraft der Sonne, der Heilung und des Feuers auf Achill über. Dieser war darüber natürlich hocherfreut. Währenddessen war die Magie des Mondsteins wieder zusammengefügt worden und vereinte sich in Hektors Amulett. Ist die Geschichte nicht einfallsreich und kreativ? Aietes war verständlicherweise nicht begeistert von dieser Entwicklung. Der eigentliche Plan sah vor, alle Magie des Universums an sich zu reißen, um anschließend Griechen wie Trojaner endgültig auszulöschen. Das war ja nun ziemlich danebengegangen, und Schuld daran war nur Odysseus. Diese Meinung vertrat jedenfalls der Drachenfürst.

Die kleinen Naturzauberkräfte gingen auf den Listenreichen über, und die Herrschaft der Winde, die einst der große Aiolos befehligte, fiel auf Paris. Das Machtverhältnis war wieder in seinem ursprünglich geviertelten Zustand. Alles war in bester Ordnung. Trotz alledem hätte es paradoxer kaum sein können. Nach dieser ausgiebigen Energiezufuhr leuchteten die Augen Achills vor Freude. Endlich hatte er sein Ziel erreicht. Er war nun der Wächter der olympischen Flamme. Augenblicklich schwor er sich, diese Position zu halten, komme, was da wolle. Der Abgott würde diesen Anspruch bis an sein Ende verteidigen. Die Aura, die er nun ausstrahlte, stellte jeden mediterranen Sonnenuntergang in den Schatten. Achilles war nun auserwählt, dessen war er sich völlig sicher. Eine ungeahnte Magie durchströmte ihn plötzlich. Es glich einem klaren Morgen, an dem die Vorhänge zur Seite gezogen werden und die ersten warmen Sonnenstrahlen den Raum durchdringen. Alles an ihm glänzte und leuchtete im Licht einer funkelnden Wolke. Diese hatte sich in der gesamten Halle ausgebreitet. Das Gegenstück, der Mondstein, sandte grelle Blitze in die Luft. Diese kollidierten mit der Flamme, und innerhalb kürzester Zeit wurde die unterirdische Halle in Stücke gerissen. Die Magie war so stark, dass sich die Wände aufzulösen schienen. Feige wie Aietes und Minos nun mal waren, flohen sie abermals so schnell wie möglich. An dieser Stelle war dies jedoch verzeihlich, da Achilles mithilfe der Flamme das Erdreich zum Explodieren brachte. Der Drachenfürst brachte es als talentierter Zauberer durchaus fertig, seinen Schwager und sich an einen sichereren Ort zu transferieren. Sie zogen sich in ihre eigene Wehrfeste zurück, die hoch in den Bergen lag. Kaum waren sie verschwunden, lichtete sich auch die Umgebung wieder. Das Portal war durch die Erschütterungen freigelegt worden, und bald machte sich Ratlosigkeit breit. „Was ist denn hier gerade passiert?“, fragte Odysseus etwas neben sich stehend. Doch schließlich hatte so ein Ereignis auch nichts Alltägliches an sich. „Eine sehr berechtigte Frage, aber ich denke, ich bin gerade zum Wächter der olympischen Flamme geworden“, merkte Achilles an. „Hört, hört, er kann seit Neuestem auch noch denken, der Abgott Achilles“, stichelte Hektor leicht. Eine klaffende Wunde zog sich von seinem linken Haaransatz quer über die Stirn bis hin zum rechten Nasenflügel. Das Amulett in seiner Hand leuchtete wie der Mond selbst. Achill ging langsam auf ihn zu. Mit hoch erhobenem Haupt stand er dem anderen gegenüber. „Ich würde lieber schweigen, es sei denn, du willst unbedingt eine zweite hässliche Narbe davontragen. Wäre doch etwas bedauerlich und schade um dein Gesicht, nicht wahr, Hektor?“

„Achilles! Achilles! Da bist du ja endlich. Bitte, sieh mir nach, dass ich abgehauen bin.“ Patroklos kam auf ihn zu gelaufen. Er fiel dem Peliden direkt in die ausgebreiteten Arme. Heiße Tränen rannen ihm vor Erleichterung übers Gesicht. „Ich hatte solche Angst … ich … tut mir leid … verzeih mir bitte … ich habe …“, stotterte er vor sich hin. „Schon gut, Pat, ich hätte dir mehr Zeit geben sollen. Da bin ich dir jetzt wohl mehr als eine Antwort schuldig.“ Sein Schüler klammerte sich geradezu an ihm fest. Der Abgott presste seine Lippen auf dessen Augenbrauen und den zarten Hals. „He, Pat, du brauchst dich nicht mehr zu ängstigen. Ich bin immer bei dir und beschütze dich.“ In ihrem Windschatten waren Telemachos, Aeneas, Romulus und Remus aufgetaucht. Achilles hielt Patroklos immer noch fest umschlungen, flüsterte ihm beruhigende Worte zu und strich ihm übers Haar. „Bei Hermes und Pallas Athena!“, rief Odysseus plötzlich aus. Alle wirbelten zu ihm herum. Der König von Ithaka starrte gebannt auf seine Handinnenflächen. Um ihn herum erblühten Blumen, Pflanzen und Bäume auf ein Neues. Glitzernder Blütenstaub schwebte langsam rund um ihn herum zu Boden. Dort erscheinen sogleich neue Gewächse. „Große Götter, ist das abgefahren, Vater!“ Telemachos sah ihn voller Bewunderung an. Achilles und Hektor stimmten in diesem Punkt einhellig dem Sohn der Penelope zu. Das war wirklich erstaunlich. „Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich falle um vor Hunger“, sprach der Listenreiche, nachdem er sich damit abgemüht hatte, von einem gerade frisch erschienenen Baum ein paar Früchte zu pflücken. Achilles lachte. Und dieses Lachen war so ungezwungen, dass es ihn noch schöner erschienen ließ. In jenem Moment sah er wundervoll aus mit seinem blonden Haar und den blauen Augen. „Ach ja, Odysseus, da sagst du was. Waren wir nicht ursprünglich zum Essen verabredet?“, stellte Aeneas fest. Alle bejahten.

Ende von Kapitel zwei

„Götter, dieser Wein ist wirklich eine Zumutung!“, zischte Achilles und spuckte angewidert den Inhalt seines Mundes auf den Boden. Er nahm sich eines der Brote und begann langsam darauf herum zu kauen. „Es ist hoffnungslos. Das alles hier. Umsonst.“ Er biss ein weiteres Stück ab. „Dann stimmt es also, du bist einfach nur ein schlechter Verlierer. Weißt du, mir macht es längst nichts mehr aus, wenn du mich beleidigst oder erniedrigst. Vielleicht hast du sogar ausnahmsweise einmal recht. Was die jetzige Situation aber betrifft, haben wir schon verloren, wenn wir gleich aufgeben, ohne zu kämpfen!“ Hektor lehnte sich leicht zur Seite, um genauer in diese furchtbar blitzenden Augen zu sehen. „Ha, diese naive Hoffnung ist etwas für niedrige Geister. Gemüter, die sich an schlichte Lösungen halten, weil sie das Unabwendbare nicht akzeptieren können. Für mich zählen die Naturgesetze. Fressen und gefressen werden, das ist der Lauf aller Dinge. Und wenn wir dieses Mal untergehen, dann soll es eben wohl so sein.“ Achilles griff erneut zu diesem äußerst grässlichen Gesöff und stürzte es schnell hinunter. Hektor wickelte sich fester in seinen Umhang. Ihm war sehr kalt geworden. „Aber, wenn wir keine Hoffnung mehr haben, dann haben wir überhaupt nichts mehr. Da fällt der Himmel auf uns hinab und bricht in tausend Stücke. Nun, dir scheint das ja auch gleich zu sein.“ Achilles schwieg. Die Temperatur sank weiter in Richtung Gefrierpunkt. Das Feuer war schließlich ganz erloschen. Totale Stille. Totenstille. Dann ein Geräusch. „Was war das?“ Ein Blick in die Dunkelheit. „Ich denke, ich weiß, was das war, und Götter, hoffentlich irre ich mich.“ Achill tastete nach seinem Schwert. Vergeblich versuchte Hektor, ebenfalls auf die Beine zu kommen. Doch sein verletzter Oberschenkel verweigerte jede Bewegung. Er konnte nicht mehr tun, als unter dem Peliden kauernd weiter zu verharren. Da glomm gleißendes gelbes Licht auf. Ein Augenpaar, jedes einzelne Auge von der Größe einer Turmuhr, starrte sie an. Das Wesen hatte sich genau vor ihnen aufgebaut. Achilles fiel als Erster wie vom Blitz getroffen um. Ungebremst schlug er auf den harten Felsen auf. Seine Rüstung schepperte unheilvoll. Seinem Gefährten war nichts geschehen. Hektors Wunde hatte wieder zu bluten begonnen, sodass er nun, über den Verband gebeugt, sitzen blieb. Sein Blick war nach unten gerichtet. So hatte das Licht ihn nicht erreichen können. Er sah erst wieder vorsichtig hoch, als Achill neben ihm aufprallte. Der Trojaner brauchte nicht lange, um zu begreifen, was geschehen war. Einer Intuition folgend griff er nach dem Schwert des Griechen und warf es nach oben in Richtung des Angreifers. Zwar war ihm durchaus bewusst, dass dieses normalerweise wenig dazu geeignet war, um als Wurfgeschoss verwendet zu werden, doch im Notfall war dies legitim. Um das Ungeheuer nicht zu verfehlen, spähte er kurz in dessen Richtung. Zum Glück strahlte kein gelbes Licht mehr aus dessen Augenhöhlen. Offenbar schien es zu glauben, beim ersten Angriff alle Feinde bezwungen zu haben. Ein fataler Fehler, wie sich herausstellen sollte. Die Bestie explodierte über ihren Köpfen, noch kurz darüber verwundert, aufgespießt zu werden. Hektor atmete schwer, biss die Zähne zusammen und kroch zu Achilles. Während­dessen regnete es Magensäfte und Organe. Das schwarze dickflüssige Blut ergoss sich über den Felsen. Mit zwei Händen packte er Achilles und schüttelte ihn. „Verfluchter Mist, Pelide! Wach auf! Komm schon, wir dürfen nicht aufgeben!“ Doch der Blonde regte sich nicht. Entgeistert schrie er ihn weiter an. „Achilles, du Dreckskerl, kannst mich doch hier nicht alleine lassen!“ Ein Krampf durchfuhr seinen Körper. Die Schmerzen im Bein brachten ihn fast um. Dennoch zerrte und rüttelte er an dem Griechen wie wild. Dem Wahnsinn immer näher drosch er schließlich mit der Faust auf dessen makelloses Gesicht ein. Dieser, da bekanntlich unverwundbar, trug keine einzige Schramme davon, obgleich die Wucht ausgereicht hätte, um seine Zähne herausbrechen zu lassen. Aber die Wirkung war dennoch erstaunlich. Der Schlag holte den Abgott wieder in die Gegenwart zurück. Achill öffnete die blauen Augen, rappelte sich hoch und starrte Hektor an, als wäre dieser ein Gespenst. „Sag mal, hast du mich gerade geschlagen?“ Grob zerrte er den Mann an seinen Haaren zu sich. Anstatt zu antworten nickte der nur leicht zu den Körperteilen des Dämons. Skeptisch betrachtete der Abgott sie, dann ließ er den Trojaner einfach los. Ein schmerzerfülltes Stöhnen war zu hören. Der Abgott faltete die Hände zusammen und legte sie an seine Stirn, wo die blonden Haare sich wie Vorhänge schlossen. Hektor saß, ein leises Winseln von sich gebend, da und starrte auf seine Hände, die sich langsam rot färbten. Da geschah etwas Unerwartetes. Achilles kniete sich neben ihn und umfasste die zittrigen Finger. „Lass mich das machen, bevor du mir hier noch verblutest.“ Er riss einen Teil seines Hemdes von seinem Leib und wickelte es um die Wunde. Anschließend fixierte er das Ganze mit seinem Gürtel. „Immerhin schulde ich dir für mein Leben wenigstens deine Existenz. Das ist schon recht so. Keiner soll mir nachsagen, ich würde meine Schulden nicht begleichen.“ Mit groben und ruppigen Bewegungen versorgte er den Trojaner weiter. Hektor sah nur schweigend dabei zu. Achilles war ein erfahrener Feldarzt und verstand durchaus etwas von dem Handwerk, doch eine gewisse Brutalität und Dominanz ließ sich auch hier nicht leugnen. „Leg dich schlafen. Unser Spiel verlegen wir ins Morgengrauen, bis dahin wirst du stark genug sein, dich meiner zu erwehren.“ Damit drehte Achilles sich von ihm weg, schlang seinen Umhang um sich und versuchte, ebenfalls Ruhe zu finden.

Der Fuchs

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