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Würzburg
ОглавлениеSimon hielt einen Augenblick inne und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. In der Backstube war es schon am frühen Morgen unerträglich heiß, und das Teigkneten trug sein Übriges dazu bei. Doch nun waren alle Laibe ordentlich geformt und die ersten bereits in der Backkammer.
Anna Reber und Melchior Bernbeck hatten kurz nach Ablauf der dreimonatigen Trauerzeit geheiratet. Simons Mutter brachte eine Menge Geld mit in diese Ehe, und ihr gerade angetrauter Gatte hatte sich ermuntert gefühlt, darüber nachzusinnen, sich ein großes Backhaus mauern zu lassen. Nur noch wenige Bäcker brachten ihre Laibe zu gemeinschaftlich genutzten Backhäusern, wie er bisher auch. Durch die Heirat hatte er nun genügend Gulden, um seine Brote im eigenen Ofen zu backen. Doch damit nicht genug. Er kaufte zwei Esel, ließ einen Stall errichten, riss den windschiefen Schuppen ab, um für einen größeren Platz zu schaffen, und erstand neue Möbel und Kleidung für sich und seine Kinder.
Simon, obwohl er noch keine vierzehn Lenze gezählt hatte, war argwöhnisch gewesen. Doch seine Mutter hatte nichts hören wollen.
»Es ist mein Erbe, das Melchior nun im wahrsten Sinne verbrennt, indem er einen Ofen bauen lässt. Wie kannst du nur so blind sein? Wir hatten genug zum Leben, warum musstest du unbedingt diesen Bäcker heiraten?«
»Schweig still, kümmere dich nicht um Dinge, die du noch nicht verstehst«, hatte ihn Anna entgegen ihrer sonst sanftmütigen Art zurechtgewiesen.
»Doch, ich verstehe nur zu gut, was hier vor sich geht. Melchior verfügt nun über Vaters Geld! Vierhundertfünfzig Gulden waren in der Truhe, das hast du mir selbst erzählt. Das kann nicht rechtens sein. Glaubst du, Vater hätte das so gewollt? Warum hast du Melchior überhaupt geehelicht? Die meisten Witwen kümmern sich um ihre Kinder und Bedürftige und führen ein gottgefälliges Leben. Konntest wohl nicht schnell genug in Melchiors Bett kommen. Was scheren dich Barbara und ich!«
Simon hatte sich eine schallende Ohrfeige eingefangen und ohne Abendbrot zu Bett gehen müssen. Seine Kammer, die er mit seiner kleinen Schwester teilte, grenzte an Annas und Melchiors Schlafraum, und er hatte sich die Finger in die Ohren gesteckt, um nicht hören zu müssen, was nebenan vor sich ging.
Simon erhielt einen Stoß in den Rücken, und die ihm verhasste Stimme seines Stiefbruders Wulf gellte in seinen Ohren.
»Was stehst du hier rum, du Faulpelz? Es gibt noch jede Menge zu tun!«
»Lass mich zufrieden, Wulf. Die Brote habe ich längst zu Laiben geformt, und die Backkammer ist gefüllt. Wolltest du nicht Holzscheite nachbringen, damit das Feuer nicht erlischt?«
»Ich bin der Sohn des Meisters, geh du und hol das Holz«, entgegnete Wulf hochmütig.
Ein Meistersohn konnte schon, kaum dass er geboren war, aufgedingt und freigesprochen werden. Er musste lediglich von seinem Vater bei der Zunft angemeldet werden. Kein Lehrbrief, keine Lehrjahre, keine sonstigen Bedingungen. Wulf war es einfach in den Schoß gelegt worden.
Simon seufzte und schluckte seine Erwiderung hinunter. Schweigend nahm er den großen Weidenkorb und ging nach draußen in den Hof zur Scheune, wo die Buchenscheite fein säuberlich gestapelt und trocken gelagert waren. Es war kalt, und die Luft roch nach Schnee. Für einen Augenblick hielt er inne und sah hinauf in den grauen Novemberhimmel, dachte an seinen Vater, der vor einem Jahr verstorben war. Er fröstelte, schüttelte sich und zog das Scheunentor auf.
Morgen war Simons Aufdingung. Seit er mit seiner Familie bei Bernbeck eingezogen war, half er zwar in der Backstube mit, aber bisher war die Aufnahme in die Zunft noch nicht erfolgt. Die Zunftmitglieder entschieden darüber, wer sein künftiger Lehrmeister sein sollte. Simon schickte jeden Abend vor dem Einschlafen ein Stoßgebet zum Himmel und bat Gott darum, ihn nicht bei seinem Stiefvater zu belassen. Lehrjungen lebten meist im Haushalt ihres Meisters, und Simons Hoffnung klammerte sich daran, wenigstens nicht mehr mit Wulf unter einem Dach wohnen zu müssen.
Außer Simons morgiger Aufdingung stand einen Tag später noch eine spannende Entscheidung an. Ganz Würzburg, ob Bettler oder Kaufleute, Dirnen oder Hebammen, Katholiken oder Protestanten, sprach von nichts anderem mehr als darüber, auf wen die Wahl zum nächsten Fürstbischof fallen würde. Schließlich vereinte ein Fürstbischof die geistliche und weltliche Macht auf sich. Vor nicht einmal vier Wochen war Friedrich von Wirsberg gestorben, der gegenüber seinen Schäfchen ziemlich geduldig gewesen war. Nun fragte sich ganz Würzburg, ob ihm ein sittenstrenger Zuchtmeister auf den Thron folgte oder alles mehr oder weniger beim Alten blieb. Was die meisten hofften, mit denen Simon gesprochen hatte. Die angespannte Stimmung lag über der Stadt wie eine schwere wollene Decke. In den Wirtshäusern redeten die Leute über nichts anderes mehr, und sie schlossen Wetten ab, wer Wirsbergs Nachfolger werden würde.
Im Zunftsaal hatten sich alle Mitglieder eingefunden und sich an mehreren Tischen verteilt. Zunftmeister Schlichting läutete eine Glocke, damit Ruhe einkehrte.
»Simon Reber, du weißt, dass es mehrere Bedingungen gibt, damit du in die Bäckerzunft aufgenommen werden kannst«, begann Schlichting.
»Ja, Meister«, antwortete Simon mit klarer Stimme.
Seine Mutter hatte ihm neue Kleider gekauft. Eine knielange, geschlitzte weite braune Hose, ein dunkelgrünes Wams und ein gefälteltes weißes Hemd mit Stehkragen, außerdem hatte sie darauf bestanden, dass er zum Barbier ging und sich die Haare schneiden ließ. Nun stand er mit fein säuberlich geschnittenem und gekämmtem Haar vor den Zunftmitgliedern, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und knetete aufgeregt seine Mütze.
»Als Zunftmeister habe ich alle Bedingungen überprüft, wie es die Zunftordnung vorschreibt. Du bist von ehrlicher und ehelicher Geburt und alt genug, um eine Lehre zu beginnen. Das Lehrgeld für den Meister, bei dem du arbeiten wirst, beträgt sechs Gulden. Zusätzlich musst du einen Gulden für die Armenkasse und fünf Viertel Wein für die Zunft berappen.« Sorgsam legte er den Geburtsschein in die Zunftlade, die vor ihm auf dem Tisch lag.
»Jawohl, Meister, ich habe das Geld zusammen und kann die Rechnung begleichen.«
»Simon, kannst du zwei Bürgen benennen, die das Bürgschaftsgeld von dreißig Gulden für dich garantieren?«
»Ja, Meister. Meine Bürgen sind Schreinermeister Stamitz und der Apotheker Konrad Sterzing.«
Seine Mutter hatte ihm zu den eben Genannten geraten, beide waren Freunde seines Vaters gewesen.
Stamitz und Sterzing erhoben sich und bekräftigten ihre Bürgschaft. Das Geld diente dazu, falls ein Lehrknecht Schaden in Haus oder Werkstatt seines Meisters anrichtete, diesen zu begleichen, aber auch um den Lehrling an den Meister zu binden, damit er nicht davonlief. Dies kam hin und wieder vor. Dann drohte dem Lehrling der Ausschluss aus der Zunft, kein anderer Meister durfte ihn ausbilden, und die Bürgen verloren ihr Geld. Außer die Schuld lag beim Meister, weil er seinen Lehrjungen schlecht behandelte, was tatsächlich viele taten. Doch meistens schrieben die Zunftmitglieder die Schuld dem Lehrling zu.
»Simon Reber, schwörst du, dich an die Zunftordnung zu halten, deinen Meister zu ehren und ihm gehorsam zu dienen und deine volle Kraft in die drei Lehrjahre einzubringen? Dann lege die linke Hand auf die Zunftlade und hebe deine Rechte zum Schwur.«
Simon trat näher an den Tisch und gelobte feierlich, was von ihm verlangt wurde. Als er geendet hatte, klopften die Zunftmitglieder mit den Handknöcheln zustimmend auf die Tischplatten.
»Wir haben lange überlegt, wer dein Lehrmeister werden soll, und uns für Melchior Bernbeck entschieden, da er keinen Lehrling hat und du sein Stiefsohn bist«, sagte Schlichting.
Simon schluckte, ließ sich aber seine Enttäuschung nicht anmerken. Dann verneigte er sich vor seinem Stiefvater und dankte ihm, dass er ihn in die Lehre nahm.
»Und nun lasst uns feiern gehen«, rief Melchior laut. Bernbeck hatte die Zunftmitglieder in den Gasthof ›Zu den drei Raben‹ eingeladen, um dort Simons feierliche Aufnahme zu zelebrieren. Das Gasthaus war das größte der Stadt und verfügte über riesige Stallungen, um die Pferde der Durchreisenden aufnehmen zu können. Hier gab sich die Welt die Klinke in die Hand, und man erfuhr die neuesten Nachrichten von den Treidelreitern, die die Schiffe von Mainz bis in den Würzburger Hafen brachten. Niemand sonst konnte so viel Platz für Rösser und Menschen bieten wie der Rabenwirt. Allerlei fahrendes Volk befand sich im Schlepptau der Treidler, und die Würzburger erfreuten sich an der Vielzahl der Spielmänner, Gaukler und Bänkelsänger, ganz zu schweigen von den hübschen Dirnen.
Wulf warf Simon einen scheelen Blick zu. Er hasste es, nicht im Mittelpunkt zu stehen. Ihm war solch ein Fest nicht vergönnt gewesen, er als Sohn eines Meisters hatte keine Aufdingung benötigt. Einerseits war es ihm recht gewesen, denn so waren ihm die Lehrjahre erlassen worden und mit sechzehn Jahren war er Bäckergeselle. Aber andererseits, angesichts der Zeremonie, die für Simon abgehalten wurde, packte ihn der Neid. Auf dem Weg nach draußen, um sich zu erleichtern, drängte er sich an Simons Platz vorbei und beugte sich zu ihm hinunter.
»Glaub bloß nicht, du wärst jetzt etwas Besseres, weil du in die Zunft aufgenommen wurdest, anstatt wie bisher nur als Handlanger in der Backstube zu arbeiten«, zischte er Simon zu.
Simon tat so, als hätte er ihn nicht gehört, und hob seinen Becher, um Stamitz zuzuprosten.
Der gute Wein aus Franken floss in Strömen, und das Gespräch drehte sich um die bevorstehende Fürstbischofswahl. Inzwischen waren auch die meisten Ehefrauen der Zunftmitglieder anwesend, die bei Simons Aufnahmezeremonie nicht hatten dabei sein dürfen.
»Ich setze auf den Domherren Erasmus Neustetter genannt Stürmer«, verkündete der Apotheker lautstark seine Meinung. »Er und kein anderer wird unser nächster Landesherr werden.«
»Seid Euch nicht zu sicher, Sterzing. Da wette ich doch lieber auf Albrecht Schenk von Limpurg. Er wäre der Richtige, um die beiden Glaubensrichtungen zu versöhnen, damit der Frieden in der Stadt gewahrt bleibt. Auch Wirsberg war dies immer wichtig«, wandte Schlichting ein.
»Limpurg ist ein kränkelnder Mann. Und wer wählt schon einen Mann zum Fürstbischof, der bald vor unserem Herrgott stehen könnte? Aber vielleicht wäre es an der Zeit, wenn wieder mehr Strenge geübt werden würde«, mischte sich Melchior ein. »Seht euch doch nur um. Es wird zu viel gesoffen und gehurt, das ist nicht gottgefällig. Selbst in den Klöstern schert man sich nicht um das Keuschheitsgebot, und die Nonnen und Mönche trinken mehr Frankenwein, als sie vertragen können.«
Stamitz, der dem Wein bereits ordentlich zugesprochen hatte, lachte und hieb sich auf die Schenkel. »Das sagst ausgerechnet du, Melchior? Du hast doch ständig deine Finger unter irgendwelchen Röcken!«
Simon erstarrte. Aufmerksam hatte er die Gespräche der Männer verfolgt. Stimmte, was Stamitz gerade behauptet hatte? War sein Stiefvater untreu und beging Ehebruch? Er war froh, dass seine Mutter nicht mit am Tisch saß. Sie war untröstlich gewesen, als der Arzt sie ermahnt hatte, wegen des Fiebers das Bett zu hüten und auf Simons Aufdingungsfeier zu verzichten.
Bernbeck winkte ab. »Unter die Röcke zu fassen, ist keine Hurerei, Stamitz, allenfalls holt man sich Appetit für das eheliche Schlafgemach«, lallte er und schenkte sich einen weiteren Becher voll.
Angewidert stand Simon von der Bank auf, warf seinen Mantel über und ging nach draußen, um frische Luft zu schnappen. An die Hauswand gelehnt betrachtete er den Unrat in den Straßen. Vielleicht wäre es tatsächlich gut für die Stadt, wenn jemand hier für Ordnung sorgte. Es wurde immer schlimmer, jeder kippte einfach seinen Dreck aus dem Fenster in die Gassen. Er hatte keine Lust mehr, wieder hineinzugehen, stieß sich von der Hauswand ab und schlug den Weg zur Lilien-Apotheke ein. Die Feier würde ohnehin bald zu Ende sein. In seiner Manteltasche tastete er nach den Kreuzern, die Anna ihm für ihre Arznei mitgegeben hatte.
Die Apotheke mit ihren kunstvoll gedrechselten Möbeln aus Walnussholz wirkte gediegen. Getrocknete Kräutersträuße baumelten vor den Fenstern, und die Schränke und Regale, auf denen in verschiedensten Holzstandgefäßen die Arzneien und Gewürze Platz fanden, reichten bis unter die Decke. Davor stand ein Tisch von beeindruckender Handwerkskunst, auf ihm eine Waage aus Messing mit unterschiedlichen Gewichten, ein steinerner Mörser mit Pistill und ein silbernes Tablett mit feinstem Marzipan. Simon spürte, wie ihm das Wasser im Munde zusammenlief.
»Junge, kann ich dir helfen?«
Die Frau des Apothekers war gerade vom angrenzenden Laboratorium in die Offizin gekommen. Dort wurden Destillationen durchgeführt und Salben hergestellt. Sie trug eine schneeweiße Tudorhaube, die ihr Haar vollständig bedeckte und ihre Haut dunkler erscheinen ließ.
Teresa Sterzing war die Tochter eines Kaufmanns, den ihr Gatte Konrad auf einer Reise nach Venedig kennengelernt hatte. Pietro Tardelli war ein liebenswerter Kerl, alle Zeit munter und fröhlich und redete ohne Unterlass. Konrad und er hatten sich auf Anhieb verstanden, und Pietro hatte den Apotheker eingeladen, Gast in seinem Hause zu sein, bevor dieser die Rückreise nach Würzburg antreten musste. Als Konrad Sterzing Teresa Tardelli zum ersten Mal gesehen hatte, war er der schwarzhaarigen, glutäugigen Schönheit gleich verfallen. Seine Familie hatte später die Nase gerümpft ob der etwas dunkleren Haut seiner Braut, doch Konrad hatte es nicht gekümmert. Pietro Tardelli hingegen hatte keine Einwände gehabt. Im Gegenteil, Teresa war das zwölfte von dreizehn Kindern, und jedes Maul, das er nicht zu stopfen hatte, war eine Erleichterung.
Simon fischte den Zettel des Arztes heraus, und Teresa streckte auffordernd die Hand danach aus, die Simon geflissentlich übersah.
»Gott zum Gruße. Meine Mutter ist krank«, antwortete Simon und las von dem Stück Papier ab. »Sie soll ein Elixier aus Weidenrinde, Lindenblüten und Sauerdornwurzel bekommen. Die Weidenrinde zur Hälfte, die beiden anderen Kräuter je zu einem Viertel.«
In den dunklen Augen der Apothekerfrau lag ein erstaunter sowie ein belustigter Ausdruck.
»Verzeih, ich konnte nicht ahnen, dass du des Lesens mächtig bist. Die meisten Jungen und Mädchen können es nicht. Nun, dann wollen wir mal sehen, ob wir den Trunk für deine Mutter bereiten können.« Sie drehte ihm den Rücken zu und angelte drei Gefäße aus den Regalen hinter sich. »Es dauert nicht lange, ich muss nur das Elixier zusammenmischen.«
Geschickt nahm sie die Glasflaschen und verschwand im Laboratorium. Simon ließ seine Augen umherwandern, murmelte dabei die Namen der Inhalte vor sich hin, die auf den Gefäßen prangten.
»Pfefferminzblätter, Rosenblüten, Süßholzwurzel, Ingwer, Kamille, Schafgarbe, Augentrost …«
»Suchst du was?«, unterbrach ihn eine glockenhelle Stimme.
Simon fuhr zusammen und drehte sich um. Ihm gegenüber stand ein Mädchen mit schwarzen Haaren und dunklen Augen, eindeutig die Tochter der Familie. Sie trug ein schlichtes blaues Kleid mit einem viereckigen Halsausschnitt, der mit weißer Spitze gesäumt war und ihren heranreifenden Busen erahnen ließ. Ihre Lippen besaßen die Farbe tiefroter Kirschen, und die langen Locken wurden durch zwei seitlich geflochtene Zöpfe, die am Hinterkopf zusammengebunden waren, nur mühsam gebändigt. Bisher hatten Mädchen Simon nur mäßig interessiert, doch dieses Mal war es anders. Sie war etwas Besonderes.
»Bist du stumm?« Nun klang ihre Stimme besorgt, und ihre Augen ruhten auf seinem schmalen Gesicht mit den hohen Wangenknochen.
»N… nein, ich warte nur auf die Arznei für meine Mutter.«
»Oh, was hat sie denn?«
»Fieber. Der Arzt hat ihr verboten, das Bett zu verlassen. Dabei wollte sie unbedingt mit zu meiner Aufdingung.«
Wieso erzählte er ihr das? Das ging sie doch gar nichts an.
»Ich bin Julia, meinem Vater gehört die Apotheke. Tut mir leid, dass sie nicht dabei sein konnte.« Sie hielt ihm ihre rechte Hand hin.
Simon nahm die dargebotene Hand und spürte die samtweiche Haut.
»Mein Name ist Simon.«
»Du kannst meine Hand wieder loslassen«, schmunzelte sie.
Errötend entließ er die zarte Mädchenhand aus seiner, wenn auch widerstrebend. Es hatte sich so gut angefühlt, sie zu halten. Was war nur auf einmal los mit ihm?
»Was für eine Lehre wirst du denn beginnen?«
»Bäcker. Ich werde Bäcker.«
»Du klingst nicht sonderlich begeistert«, stellte sie fest und musterte ihn aufmerksam.
»Ich wäre viel lieber in die Fußstapfen meines Vaters getreten, er war Bildhauermeister. Weißt du, als Bildhauer schafft man ständig irgendetwas Neues, Eigenes, man kann seine ganze Seele in die Werke legen. Ein Laib Brot ist ein Laib Brot, dafür bedarf es keines Einfallsreichtums«, sprudelte es aus ihm heraus.
Sie strich sich eine Locke aus dem Gesicht. »Du sagst ›war‹. Ist dein Vater gestorben?«
Simon sah zu Boden. »Ja, letztes Jahr«, erwiderte er leise.
Julia legte ihm für einen Augenblick mitfühlend die Hand auf die Schulter.
»Das tut mir leid. Nun weiß ich auch, wer dein Vater war. Gebhard Reber. Meine Eltern haben eine kleine Marienfigur aus Alabaster von ihm fertigen lassen. Möchtest du sie sehen?«
Sie wartete seine Antwort gar nicht ab und nahm ihn bei der Hand, zerrte ihn hinter sich her und führte ihn in den Nebenraum, wo ihre Mutter gerade dabei war, das fertiggestellte Elixier zu verkorken.
»Julia, was machst du hier?«, fragte sie stirnrunzelnd. »Du solltest doch den Wintertrunk abfüllen.«
»Mutter, das ist Simon. Weißt du, sein Vater war der Bildhauermeister, der die Marienstatue geschaffen hat, die auf der Anrichte steht. Ich wollte sie ihm zeigen. Und dann fülle ich den Trank ab«, entgegnete Julia.
Teresa Sterzing stellte die Flasche beiseite. »Ja, geht nur. Dein Vater war ein herausragender Künstler, Simon, du kannst stolz auf ihn sein.«
Die Marienstatue war ein kleines Kunstwerk. Die verschiedenen Rosétöne durchzogen das Alabasterweiß und ließen Mariens Mantelfalten lebendig wirken. Auf ihrem Gesicht lag ein gnadenbringender Ausdruck. Simon hatte viele Werke seines Vaters gesehen, doch diese Marienstatue rührte ihn an. In ihrer Linken hielt sie einen Rosenkranz, dessen Kreuz mit winzigen Röschen verziert war.
»Sie sieht aus, als ob sie jeden Sünder in die Arme schließen wollte«, sagte er mit Blick auf die Hände, die sich dem Betrachter entgegenreckten.
»Ja, sie ist wunderschön«, bekräftigte Julia leise.
Als sie wieder in der Offizin angelangt waren, bezahlte Simon den Trunk und bedankte sich bei der Apothekerfrau.
»Julia, nun geh aber an deine Arbeit«, mahnte Teresa Sterzing. »Und Gottes Segen für deine Mutter, Simon«, fügte sie hinzu und verschwand nach nebenan.
»Danke, dass du mir die Statue gezeigt hast«, sagte Simon leise und wandte sich zur Tür.
»Warte! Hier, nimm ein Stück Marzipan, das ist gut gegen Kummer.«
Simon bekam große Augen, griff zaghaft zu und ließ das Konfekt zwischen seinen Lippen verschwinden.
»Weißt du«, gab ihm Julia zum Abschied mit auf den Weg, »Teig lässt sich formen und verändern. Vielleicht kannst du ja auch damit Neues schaffen.«
Der Junge hatte Julia gefallen. Seine blonden Haare und die strahlenden blauen Augen, die an die Fayencekeramikgefäße in der Apotheke erinnerten. Zudem mochte sie sein eher schüchternes Auftreten, er war so anders als die Gassenjungen, die ihr nachpfiffen und ihr manchmal anzügliche Worte zuriefen.
»Julia, träumst du?«, fragte ihr Vater, der plötzlich neben ihr stand. »Du solltest doch deiner Mutter zur Hand gehen.«
»Verzeih, ich mache mich gleich an die Arbeit. Weißt du, gerade war Simon da. Sein Vater hat die Marienstatue auf der Anrichte geschaffen.«
»Ach, sieh an, der junge Reber. Ich kannte seinen Vater gut, Gebhard, Gott hab ihn selig.«
Julia schlang ihrem Vater die Arme um die Körpermitte und drückte sich an ihn. »Simon hat mir erzählt, sein Vater sei letztes Jahr gestorben. Ist das nicht schrecklich? Ich will nicht, dass du so jung stirbst«, murmelte sie.
Konrad Sterzing strich ihr über den dunklen Scheitel. »Das liegt allein in Gottes Hand, mein Kind. Was wollte Simon denn?«
»Arznei für seine kranke Mutter. Er hat mir leidgetan, deshalb habe ich ihm ein Stück Marzipan gegeben und ihm die Statue gezeigt.«
Sie legte den Kopf in den Nacken und sah aus ihren dunklen Augen zu ihrem Vater auf. Vielleicht mochte sie Simon deswegen, weil auch ihr Vater blond und blauäugig war.
»Du magst den Jungen«, stellte Konrad lächelnd fest. »Ich komme eben von Simons Aufdingungszeremonie und habe für ihn die Bürgschaft für seine Lehrzeit übernommen.«
»Wirklich?« Julia strahlte.
»Ist meine schöne Tochter ein klein wenig verliebt?« Belustigt zwinkerte er ihr zu.
Ihr schoss die Röte ins Gesicht. »Nein«, wehrte sie ab, »wo denkst du hin, er ist ein netter Junge, das ist alles.«
Der gewaltige Würzburger Dom, dem Heiligen Kilian als Schutzheiligem der Stadt geweiht, war festlich geschmückt. Hunderte Kerzen erleuchteten sein Inneres, der Weg zum Kapitelsaal, in dem nach dem Hochamt die geheime Bischofswahl stattfand, war mit dicken Teppichen ausgelegt. Maler hatten die Wappen der Domherren neu aufbereitet, wo sie in einem Seitenschiff bewundert werden konnten. Alle von Rang und Namen innerhalb und außerhalb Würzburgs waren gekommen, und Kirchendiener wiesen ihnen ihren Platz zu: hohe Geistliche, Bürgermeister, die Räte der Stadt, Amtmänner und Zentgrafen. Der Dom schien aus allen Nähten zu platzen. Hinter den kunstvoll geschmiedeten Gittern, die den Altarraum abtrennten, saßen die Domherren, ihre Mienen angespannt und doch erhaben. Einer von ihnen würde zum nächsten Fürstbischof gewählt werden.
Nachdem die Messe gelesen war, erklang Musik vom Positiv, einer fein gearbeiteten tragbaren Tischorgel, begleitet vom Domchor, der das Te Deum anstimmte. Ergriffen lauschten die Menschen den herrlichen Klängen, bis die letzten Töne verhallten und es plötzlich ganz still wurde. Kaum jemand traute sich, sich zu rühren. Dann erklang die glockenhelle zarte Stimme eines Mädchens adliger Herkunft und verzauberte die Anwesenden mit der Reinheit ihres Gesangs, der manchen gar zu Tränen rührte. Als sie geendet hatte, wurden die Anwesenden, mit Ausnahme der Chorherren, vom Dompropst aus der Kirche geschickt. Doch nur zögernd wurde der Aufforderung Folge geleistet. Alle wollten der Prozession der Domherren durch den Kreuzgang und vorbei an den Grablegen ihrer Vorgänger zum Kapitelsaal beiwohnen. Nachdem der letzte Domherr vorübergeschritten war und das Tor sich hinter den Hofschreibern und Wahlleitern geschlossen hatte, hängten Hellebardenträger eine Kette vor und stellten sich mit gekreuzten Waffen zum Schutz auf.
Draußen auf dem Platz vor dem Dom drängte sich das Volk. Kinder, Alte und Junge, Huren und Handwerker, Bauern, Bürger und Bettler. Sie alle waren gekommen und warteten gespannt auf den Ausgang der Wahl. Die Luft schwirrte von all den Stimmen, denn natürlich wurde lauthals darüber debattiert, wer Wirsbergs Nachfolger werden würde. Auch die umliegenden Wirtshäuser waren zum Bersten voll, kein Platz war mehr frei. Schließlich konnte man sich ja so lange mit einem Becher Wein die Zeit vertreiben. Das war allemal besser, als draußen in der Kälte des ersten Dezembertages sich die Beine in den Bauch zu stehen. Bestimmt reichte die Zeit auch für einen zweiten Becher oder vielleicht für ein schnelles Stelldichein mit einer Dirne in der Gasse um die Ecke.
Simon hatte einen Platz vor dem Hauptportal ergattert. Langsam war er immer weiter nach vorn gerückt. Menschen vor ihm hatten der Kälte nicht mehr getrotzt und sich lieber in eine warme Gaststube gezwängt oder die Menge verlassen, um sich irgendwo zu erleichtern. Inzwischen hatte er eiskalte Füße, doch er wollte auf keinen Fall den großen Augenblick verpassen, wenn verkündet wurde, wer künftig über Würzburg und das gesamte Hochstift herrschte. Zusammen mit Melchior und Wulf – Anna hütete noch immer das Bett – war er zum Domplatz gegangen, doch den beiden war es schnell zu langweilig auf dem Platz geworden, und so hatten sie sich davongemacht. Simon war es nur recht.
Auf der Suche nach bekannten Gesichtern ließ er seinen Blick durch die Menge schweifen. Dort drüben unterhielt sich Schlichting, der Zunftmeister der Bäcker, mit Schreinermeister Stamitz. Etwas abseits von ihnen war der Apotheker Sterzing ins Gespräch mit dem Stadtarzt vertieft. Simons Herz machte einen kleinen Sprung, als er Julias schwarze Locken entdeckte. Sie stand neben ihrer Mutter zur Rechten ihres Vaters. Dieses Mädchen war etwas Besonderes, ganz anders als die Gören in seiner Nachbarschaft. Plötzlich trafen sich ihre Blicke, und, als sie ihn erkannte, huschte über Julias Gesicht ein Lächeln. Er hob die Hand und winkte ihr zu, doch sie kehrte ihm den Rücken und war mit einem Mal nicht mehr zu sehen. Enttäuscht wandte er sich ab und heftete den Blick auf das Hauptportal. So allmählich könnten die Domherren sich einig werden, wen sie in den Rang eines Fürstbischofs erhoben.
Als ob seine stumme Bitte erhört worden war, erklang ein dreimaliges Pochen aus dem Dominneren. Das Stimmengewirr der Menge ebbte ab, alle Köpfe richteten sich auf das Portal. Das Tor öffnete sich und heraus traten zwei Domherren. Einer davon war Erasmus Neustetter, auf den viele gewettet hatten. Nun, sie hatten sich offenbar getäuscht.
»Der Fürstbischof von Würzburg wurde erwählt. Preiset den Herrn. Von Stund an ist unser geschätzter Domdekan Julius Echter von Mespelbrunn euer und unser Herr. Gelobt sei der Herr.«
Verblüffung machte sich breit, nur vereinzelt erhoben sich Jubelschreie. Simon wusste mit dem Namen nichts anzufangen. Gespannt lauschte er den Gesprächen in seiner Nähe.
»Sie haben den Domdekan gewählt? Der ist doch noch so jung. Ist er überhaupt in der Lage, das fürstbischöfliche Amt zu vertreten?«
»Echter soll sehr gelehrt sein, trotz seiner jungen Jahre.«
»Trotzdem. Wie kommen die Domherren dazu, solch ein Jüngelchen zu wählen? Echter zählt keine dreißig Lenze.«
»Frag den Herzog von Bayern, der hat sicher seine Finger im Spiel. Albrecht ist ein strenger Verfechter des alten Glaubens, die Protestanten sind ihm schon lange ein Dorn im Auge. Echter, dem man nachsagt, er sei ein Gegner der Reformation, ist damit für Herzog Albrecht genau der Richtige auf dem Bischofsstuhl. Außerdem wird gemunkelt, Echters Vater sei mit dem Bayern gut bekannt.«
»Wir können uns alle darauf gefasst machen, dass sich viel verändern wird.«
»Zum Guten oder zum Schlechten?«
»Das kommt darauf an. Wenn sich Mönche, Nonnen und Priester wieder mehr auf ihre Gelübde besinnen, anstatt zu huren und zu saufen, ist das nicht das Schlechteste. Ob der Friede in der Stadt gewahrt wird, wenn der neue Fürstbischof die Protestanten, wie der Bayernherzog die Juden, aus der Stadt und dem ganzen Hochstift vertreibt und damit Geld, Handel und Handwerker verlustig gehen, ist das wohl eher zu unser aller Schaden.«
»Düstere Aussichten. Kein Würfelspiel, keine Besäufnisse, keine Hurerei. Alles, was das Leben etwas bunter macht, wird von einem wie Echter ausgemerzt werden.«
Plötzlich setzte Domglockengeläut ein. Der Augenblick war gekommen, da sich der neue Fürstbischof in vollem Ornat seinem Volk zeigte. Die Glocken verstummten und Posaunen ertönten. Als wäre der Herrgott selbst mit der Wahl zufrieden, riss die graue Wolkendecke auf, und die Sonne sandte ihre Strahlen herab auf Julius Echter von Mespelbrunn, der just in diesem Augenblick vor die Menge trat. Sein mit Perlen besetzter und mit Gold- und Silberfäden durchzogener Chormantel funkelte im Sonnenlicht, die Reliefstickereien, die das Gewand zierten, eine meisterliche Kunst der Seidensticker. Es schien, als ob die fein gearbeiteten, farbenprächtigen Figuren darauf gleich zum Leben erweckt würden.
Julius Echter hob seinen Bischofsstab und klopfte damit auf die Stufe, auf der er stand. Die Menge sank zu Boden, kniete vor dem Mann mit dem schmalen, scharf geschnittenen Gesicht.
»In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti. Amen«, rief er mit klarer Stimme.
»Amen«, scholl es aus der Menge.
Der Fürstbischof schritt die Stufen hinab, ihm entgegen kam der Dompropst mit dem fränkischen Herzogsschwert. Echter gürtete sich selbst das Zeichen der weltlichen Gewalt um. Das kostbare Schwert, dessen Parierstange reich mit Edelsteinen besetzt war, steckte in einer Scheide mit goldgetriebenem Rankenmuster. In dem sich windenden Blattwerk tummelten sich Tiere und Fabelwesen. Wie auch bei den Reliefstickereien des Chormantels war hier ein wahrer Meister zu Werke gewesen.
Echters Schimmel wurde herbeigeführt. Zaumzeug und Sattel waren poliert und glänzten mit den Goldfäden des Bischofsmantels um die Wette. Geschmeidig schwang sich der Fürstbischof auf den Rücken des edlen Tieres und ritt durch die Menge, gefolgt von den hohen Herren, die ihn hinauf zur Burg begleiteten. Dort oben über der Stadt, mit Blick auf den Main und die umliegenden Weinberge, würde er ab jetzt residieren. Echter zügelte sein Pferd, sah auf die Menschen herab und segnete sie ein weiteres Mal.
Eine zarte Hand schob sich plötzlich in Simons Linke. Verblüfft wandte er den Kopf. Er war von der bischöflichen Pracht so gefangen gewesen, ohne zu bemerken, dass Julia sich zu ihm gesellt hatte. Für einen Augenblick hatte er gar das Gefühl gehabt, der Fürstbischof hätte ihm tief in die Augen gesehen und seine Seele berührt. Doch das war sicher nur Einbildung gewesen.
»Er sieht wahrlich fürstlich aus, findest du nicht?«
»Doch. Erhaben und unnahbar«, erwiderte Simon und genoss es, ihre Hand zu halten.
»Wollen wir der Menge bis hinauf zur Burg folgen?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht. Eigentlich sollte ich nach meiner Mutter sehen. Und du? Musst du nicht zu deiner Familie?«
Sie schüttelte den Kopf. »Meine Eltern mögen dich offenbar und vertrauen dir. Schließlich hat mein Vater für dich gebürgt, wie ich erfahren habe. Warum hast du das nicht erzählt? Ist ja auch gleich, jedenfalls habe ich gesagt, du begleitest mich bis zur Außenmauer und wieder nach Hause, und sie waren einverstanden.« Auf ihrem Gesicht lag ein spitzbübisches Grinsen.
»Du bist ein wahrer Schelm, Julia«, entgegnete Simon lachend. »Gut, lass uns gehen. Ich war noch nie dort oben.«
Sie hatten die Hälfte des steilen Anstiegs bewältigt und blieben einen Moment stehen. Noch immer hielten sie sich an den Händen. Es war wie ein Zauber. Ihnen zu Füßen breitete sich die Stadt aus. Über die einzige Brücke, die den Main mit ihren acht steinernen Bögen überspannte, eilten jede Menge Menschen, oder sie drängten sich an den Verkaufsständen. Dazwischen mühten sich Fuhrwerke voran, um von einem Ufer zum anderen zu gelangen. Die Wasser des Flusses glichen einem breiten glitzernden Band.
»Wie schön muss es hier erst im Frühling sein, wenn alles blüht«, entfuhr es Simon, der sich an dem Anblick nicht sattsehen konnte.
»Hier steckst du also«, herrschte eine raue Männerstimme ihn an.
Simon fuhr herum, ließ Julias Hand los und sah sich seinem Stiefvater gegenüber. Hinter diesem stand Wulf mit vor Anstrengung gerötetem Gesicht und schnaufte.
»Warum bist du nicht längst zu Hause und kümmerst dich um deine kranke Mutter? Stattdessen treibt sich der junge Herr herum«, fuhr Bernbeck fort.
»Es geht ihr besser, wie du weißt. Außerdem ist die Magd da, falls meine Mutter etwas braucht«, erwiderte Simon trotzig.
»Widersprich mir nicht! Du gehst jetzt auf der Stelle nach Hause. Auch in der Backstube gibt es zu tun.«
»Ich werde zuerst Julia begleiten.«
»Wulf kann das machen. Du kommst jetzt mit mir.«
Melchior Bernbeck packte Simon am Arm, seinen Zorn nur mühsam unterdrückend, und zerrte ihn den Hang hinunter.
»Meister Bernbeck«, rief Julia, »so haltet ein! Es ist meine Schuld, dass Simon hier ist. Er wollte zu seiner Mutter, aber ich habe ihn überredet.«
»Lass gut sein, Mädchen«, entgegnete Bernbeck unwirsch. »Geh mit meinem Sohn.«
»Ich will aber, dass Simon mich begleitet. Mein Vater ist der Apotheker Sterzing, nur damit Ihr’s wisst.«
Julia legte die Stirn in Falten und sah den Bäckermeister finster an, die Arme in die Hüften gestemmt. Simon war hingerissen. Was für ein mutiges Ding sie war.
»Was fällt dir ein, mir zu widersprechen, du rotzfreches, eingebildetes Gör! Du wirst jetzt tun, was ich sage!«
Doch Julia blieb bockig. »Sonst?«
»Sonst kannst du allein durch die Stadt gehen. Das wird dir nicht gefallen, bei all dem Gesindel in den Gassen.«
Stur schüttelte sie den Kopf.
Wulf nahm sie am Arm, auch ihm schien das Mädchen mit den schwarzen Haaren außerordentlich gut zu gefallen.
»Nun komm schon, übertreib es nicht. Ich bringe dich nach Hause.«
Sie versuchte, ihn abzuschütteln.
»Wenn du nicht augenblicklich mitkommst, dann werde ich dafür sorgen, dass Simon es noch bitter bereuen wird, mit dir gegangen zu sein«, raunte Wulf ihr ins Ohr.
Julias Widerstand erlahmte. Sie warf Simon einen bedauernden Blick zu und folgte Wulf, der nun ihren Arm freigab.
Kaum waren sie außer Sichtweite, versetzte Bernbeck seinem Stiefsohn eine schallende Ohrfeige.
»Wag es nie wieder, dich mir zu widersetzen. Hast du verstanden?«
Simons Wange brannte, von seiner aufgeplatzten Lippe rann warmes Blut, das er mit dem Handrücken abwischte. Er hasste diesen Mann und seinen Sohn. Doch sein Entschluss stand fest. Er würde die Zähne zusammenbeißen und die drei Jahre Lehrzeit hinter sich bringen. Der Tag seiner Freisprechung würde der letzte sein, den er in Würzburg zu verbringen gedachte.