Читать книгу Monokultur. Alternative für Andi - Johannes Finkbeiner - Страница 4
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Ende August, der Sommer war mal wieder lauwarm und verregnet gewesen, trat Andi Locher aus dem heruntergekommenen Etagenhaus, in dem er bei einer mafiösen Agentur namens Schröder Consult zu einem Wucherpreis ein Einzimmerappartement mietete, in die grau verhangene Gehwegtristesse von Düsseldorf-Flingern. Er hätte eigentlich seine Freundin treffen sollen – sie waren um neun in einem Café verabredet, und es war schon Viertel nach –, aber anstatt sich zu beeilen und in Richtung Birkenstraße zu gehen, schlurfte er nur matten Schrittes über die Wehrhahnbrücke und stellte sich unentschlossen an den Tresen einer Trinkhalle. Er bestellte ein Bier und dachte trinkend, dass er ihr theoretisch noch schnell eine SMS schicken könnte – eine kleine Notlüge würde ihm schon einfallen. Doch dann schaltete er einfach sein Handy ab.
Seine Beziehung zu Melanie war an Oberflächlichkeit nie zu überbieten gewesen. Sie hatte mit einem One-Night-Stand an Silvester angefangen, war dann in eine Art Langzeittest übergegangen und hatte sich schließlich irgendwo dazwischen zerfasert. Andi hätte gerne weiterhin einfach hier und da einen weggesteckt, Melanie dagegen wollte gerne etwas »Ernsteres«, wie sie es nannte. Sie hatten sich nie einigen, aber auch nie endgültig trennen können, so dass eben dieses komische Pseudo-Beziehungsding dabei rausgekommen war. Er wusste einerseits genau, dass er sich sehr komfortabel in dieser Zwischenzone eingerichtet hatte und ebenjenen Komfort durchaus vermissen würde, andererseits war ihm ihr treuseliges Gerede von Harmonie und Zweisamkeit aber derart suspekt, dass es ihn buchstäblich abschreckte. Leicht schaudernd leerte er sein Bier und überflog die Bild-Zeitung. »Unerhört: Frau goss Mann Atom in den Kaffee!«
Frau Gassmann – die Schlagzeile ließ ihn an seine Nachbarin aus dem Nebenhaus denken. Andi fragte sich, ob es wohl ein besonders schlechtes Zeichen war, dass er ausgerechnet an Frau Gassmann dachte, während Melanie auf ihn wartete, aber irgendwie passte der Gedanke ins Bild. Frau Gassmann hatte ihn vor wenigen Tagen auf Facebook eingeladen, ihr Freund zu werden. Er hatte reflexartig akzeptiert, und nun wurde er, ob er es wollte oder nicht, über allerhand uninteressanten Plunder auf dem Laufenden gehalten, beispielsweise die Großkundgebung irgendeiner politischen Bewegung oder sowas in der Art, deren Gründer offenbar Ulf Gassmann war. Andi fiel auf, dass er zwar den Vornamen von Frau Gassmanns Mann kannte, ihren aber nicht. Auf Facebook nannte sie sich »Giga-Byte«, was Andis Fantasie allerdings deutlich überstieg. Gisela vielleicht, das würde passen, dachte er. Ulf und Gisela Gassmann.
Er gab die Flasche zurück, kaufte noch zwei Pilsener für zu Hause und ging schließlich wieder die Hindenburgstraße hinunter. Als er das Treppenhaus betrat, überkam ihn noch einmal kurz so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Er wäre fast doch noch ins Beethoven gegangen, aber dann dachte er an den vorhersehbaren Ablauf des Abends und entschied sich endgültig, Melanie sitzen zu lassen. Ein bisschen Sex konnte ihn heute definitiv nicht für drei Stunden Harmoniegelaber entschädigen. Vielleicht machte sie ihm ja endlich mal eine Szene, dann war es das eben, scheiß drauf. Dringlicher schien ihm, am nächsten Morgen halbwegs ausgeschlafen auf der Arbeit zu erscheinen, denn seine Chefin war weitaus weniger nachsichtig als Melanie. Seine Stelle bei der Übersetzungsagentur Dressler Sprachendienst war mit immerhin tausendvierhundert Euro im Monat bezahlt, das war der absolute Toptarif, seit er nach dem Abschluss seines Romanistik-Studiums auf der Suche nach Jobs in den abwegigsten Branchen herumkrebste. Nach einer quälend langen Zeit als Praktikant war Andi vor Kurzem zum Trainee befördert worden. Dies brachte ihm zwar nach knapp einjähriger Durststrecke endlich wieder ein Gehalt ein, von dem er gerade so leben konnte, allerdings änderte es nichts an der Tatsache, dass er als Arbeitnehmer nicht voll anerkannt wurde und laut Vertrag kaum Rechte hatte. Frau Dressler kannte sich im Paragraphen-Dschungel bestens aus und hatte sich darauf spezialisiert, den Praktikanten-Status maximal für ihre Firma auszunutzen. Den Mindestlohn umging sie elegant, indem sie normalerweise ausschließlich Studenten einstellte, die ein Praktikum für ihren Abschluss benötigten und sich daher mit einem Mini-Gehalt abspeisen ließen. In Andis Fall hatte sie das Praktikum zunächst auf nur drei Monate festgesetzt, es noch einmal um die gleiche Dauer verlängert und ihn dann für weitere neun Monate als »Teilnehmer an einer Einstiegsqualifizierung« deklariert.
Für Frau Dressler war das natürlich ein rentables Geschäft, mit dem kleinen Haken, dass zum Teil überaus verantwortungsvolle Positionen mit völlig unerfahrenem Personal besetzt waren. Bei Andi hatte sie offenbar erkannt, dass er auch bei einer etwas kostspieligeren Entlohnung für die Agentur immer noch einen hohen Mehrwert darstellte; 1388,62 Euro Mindestlohn waren genau so viel wie nötig, um Andi an die Firma zu binden. Der auf ein Jahr beschränkte Trainee-Vertrag, den er unterschrieben hatte, kam de facto allerdings nur einem überklebten Etikett gleich: Andi blieb ein Handlanger ohne Kündigungsschutz.
Aufgrund seiner Qualifikation und mittlerweile nicht unerheblichen Berufserfahrung war es eigentlich absurd, dass Andi noch immer in einem unsicheren Arbeitsverhältnis stand. Bei Dressler Sprachendienst einen unbefristeten Vertrag zu bekommen, war jedoch in etwa so wahrscheinlich wie die zweite deutsche Meisterschaft von Fortuna Düsseldorf seit dem Jahr von Hitlers Machtergreifung. Jeder, der sich auf Frau Dresslers Hinhalte-Taktik einließ, hatte entweder keine Alternativen oder lebte von der Hoffnung, durch ein Wunder irgendwann in Festanstellung übernommen zu werden. Am Anfang seines Berufslebens hätte Andi einen solchen Halsabschneiderjob sicher kurzerhand hingeschmissen, doch seit er eine bald fünfjährige Tochter hatte, konnte er sich derlei Egoismen nicht mehr leisten.
Träge stieg er die fünf Etagen zu seiner Wohnung hoch, sperrte die Tür auf und ging direkt auf den Balkon, um noch ein bisschen auf die Bahngleise zu schauen. Rachid, sein Flurnachbar, stand noch am Grill. Er grüßte wie immer sehr freundlich und reichte ihm auf einem Plastikteller zwei Köftespieße über das Balkongeländer.
»Suche Köfte, biete Bier«, sagte Andi nur.
»Nehm ich«, sagte Rachid. Andi hielt ihm eine der Flaschen aus der Plastiktüte hin und nahm sich die andere.
Sie kannten sich seit knapp drei Jahren, schon kurz nach Rachids Einzug hatten sie sich bei einer Tüte Bier angefreundet. Im Laufe der Zeit hatten sie herausgefunden, dass sie irgendwie gut zueinander passten; obwohl sie sich in fast allem total unterschieden, konnten sie sich über fast alles bestens unterhalten.
»Arizona wird übermorgen fünf, was soll ich der denn schenken?«, fragte Andi, nachdem er sich den ersten Spieß reingepresst hatte. »Mann, echt, Arizona, so ein Scheißname!«
»Hättest du dir vielleicht ein bisschen früher überlegen sollen«, sagte Rachid.
Andi zögerte kurz. »Was jetzt, das mit dem Geschenk oder das mit dem Vornamen?«
Rachid lachte. »Ja, das mit dem Namen auch. Probier’s doch mit ’ner schönen Puppe oder so.«
»Eine Puppe?« Andi horchte auf, die Idee gefiel ihm; Alternativen zu i-Pad, X-Box oder V-Tech machten sich schließlich rar. Dumm nur, dass seine Ex, die im Übrigen den Scheißnamen zu verantworten hatte, nach diesen Alternativen gar nicht erst suchte, so dass Arizona einer Puppe wahrscheinlich nur kurz mit dem Zeigefinger über das Gesicht wischen und sie dann mangels Touchscreen in die erstbeste Ecke knallen würde.
»Was kostet denn eine Puppe?«
»Weiß ich jetzt auch nicht so genau. Also für Hasna habe ich damals eine gekauft, die hat so um die dreißig Euro gekostet, Plastik, aber trotzdem schön und robust. Ist halt wie überall: Es gibt richtig edle Ausführungen, in Deutschland handgefertigt, mit Echthaar, Bürste und allem Drum und Dran. Daneben gibt es den üblichen Ein-Euro-Schrott mit schön viel Formaldehyd. Und für die ganz Hartgesottenen natürlich My Friend Cayla, die sprechende Bluetooth-Puppe. Ist aber, glaub ich, aus Sicherheitsgründen verboten worden, weil das Mikro offen war wie ein Scheunentor. Die gute Cayla war quasi eine Wanze.«
»Dreißig Euro geht, das passt gerade noch ins Budget.« Andi war nun sehr überzeugt. »Ich mach das. Ich schenk ihr ’ne Puppe«, bekräftigte er noch einmal. »Schlaf gut und danke.«
Er zog die Balkontür zu, stellte die leere Bierflasche neben den Mülleimer und ging Zähne putzen. Im Bett schaltete er sein Handy an. Fünf entgangene Anrufe, zwei Nachrichten auf der Mailbox.
»Janine hier, ich dachte, wenigstens abends gehst du mal ans Handy. Also, nur zur Info: Arizona bekommt von mir Bibi Blocksberg für die Wii, falls du je die gleiche Idee hattest … Man soll ja nie nie sagen. Vielleicht kommt ja tatsächlich irgendwann der Tag, an dem du dir was Originelleres einfallen lässt als Bücher. Em-Ef-Ge.«
»Mensch Andi, das ist jetzt aber schon ein bisschen fies von dir … Ich weiß doch genau, dass wir zwei uns was echt Harmonisches aufbauen könnten. Was ist denn mit dir? Was gefällt dir denn nicht? Ich fühl’s jedenfalls ganz tief drin in mir, was du mir bedeutest, verstehst du … Da ist was, was man schwer in Worte fassen kann, weißt du, ich würd’s einfach mal ein bisschen blumig mit Verliebtsein umschreiben … Und ich spüre, dass es bei dir auch so ist, nur kannst du’s irgendwie nicht so richtig rauslassen … Es ist echt okay Andi, ich versteh dich und ich lass dir die Zeit, die du brauchst … Wir können ja einfach nochmal über alles reden, einfach nur wir zwei … Aber nächstes Mal gib bitte Bescheid, es ist irgendwie doof für mich, eineinhalb Stunden allein im Café zu sitzen und auf dich zu warten, für mich ist das irgendwie unharmonisch. Großer Kuss und meld dich schnell!«
Andi fasste sich an den Kopf und fühlte, dass seine Stirn sehr heiß war. Melanie meinte das alles sehr ernst, Ironie ausgeschlossen. Er seufzte tief und schlief ein.
Der Freitagmorgen begann wie immer in einem zähen Ringen mit dem Wecker. Nachdem er die Snooze-Funktion bis zum Ende ausgereizt hatte, gab Andi um kurz nach sechs auf. Er quälte sich aus dem Bett, frühstückte einen vertrockneten Donut und nahm die Tram zum Hauptbahnhof. Dressler Sprachendienst befand sich in Köln, Andi musste jeden Tag pendeln. Der RE1 hatte mal wieder Verspätung, so dass er eine halbe Stunde schlaff und antriebslos am Gleis stand. Die Bild-Zeitung titelte: »Schon wieder Islam-Rabatt für einen Mörder«.
Mit hämmernden Kopfschmerzen betrat er schließlich um zwanzig nach acht die Agentur. Er hatte Pech: Frau Dressler war schon da und stand piccoloschlürfend am Empfangstresen. Normalerweise trödelte sie noch in der Kölner Innenstadt vor den Schaufenstern der Edelboutiquen herum und suchte sich fürs Wochenende was Hübsches aus, bevor sie in die Büroräume kam. Heute aber war einer der Tage, an denen sie es sich nicht nehmen ließ, höchstpersönlich die Pünktlichkeit ihrer Angestellten zu prüfen. Ihr vulgäres Äußeres schockierte Andi auch nach eineinhalb Jahren noch wie am Tag des Bewerbungsgesprächs. Zu ihren fast schon banal wirkenden Schlauchbootlippen trug sie im Sommer zu weit ausgeschnittene Cocktailkleider von Dior oder Hermès, im Winter abwechselnd Nerz oder Zobel; als lebendes Accessoire zerrte sie tagein tagaus ihren hörigen Dackel Gundis im Strickjäckchen hinter sich her.
»Mal wieder frisch wie eine Rose, was, Locher?«, grüßte ihn Frau Dressler spöttisch, um dann ihren Ton sofort zu verschärfen. »Arbeitsbeginn ist acht Uhr, wann geht das endlich in Ihr Spatzenhirn? Glauben Sie bloß nicht, dass Sie hier unersetzlich sind, auf meinem Schreibtisch stapeln sich die Bewerbungen. Also reißen Sie sich gefälligst zusammen, Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Sie bekommen gutes Geld bei mir, Locher, vergessen Sie das nicht. Und jetzt bisschen dalli!«
Andi grüßte nur devot und eilte gebückt den Gang entlang in ein enges, von Neonröhren ausgeleuchtetes Büro, das er sich mit zwei Kollegen teilte. Jens, der ihm gegenüber saß, lümmelte bereits dickbäuchig in seinem Drehstuhl und telefonierte geschäftig; Ingo, dessen Platz sich in einigem Abstand am Fenster befand, war noch nicht da. Andi sagte flüchtig guten Morgen, warf hektisch seine Jacke über die Stuhllehne und schaltete dann im Hinsetzen den Computer an. Seine Aufgabe bestand im Wesentlichen darin, Übersetzungsaufträge für mittlere bis große Wirtschaftsunternehmen abzuwickeln – die neudeutsche Jobbezeichnung war »Projekt-Manager«. Ab und zu durfte er auch selbst mal übersetzen, wenn es etwas aus dem Englischen oder Französischen gab. Da seine Mutter Französin war, tat Andi sich mit der Sprache ziemlich leicht, allerdings hatten sie in der Familie fast ausschließlich Deutsch gesprochen, so dass er Französisch zwar sehr gut, aber nicht auf muttersprachlichem Niveau konnte; Übersetzungen kamen daher nur ins Deutsche in Frage. Meistens waren es aber ohnehin freiberufliche Übersetzer, mit denen die Agentur zusammenarbeitete und mit denen Andi vorab den Tarif aushandeln musste. Viele Freelancer hatte das Unternehmen dabei schon vergrault, denn Frau Dressler bestand darauf, die Preise so stark wie möglich zu drücken. Der Preis, den sie für ein aus dem Englischen ins Deutsche übersetztes Wort zu bezahlen bereit war, lag aktuell bei drei Eurocent, aus dem Französischen bei fünf Eurocent, nur bei seltenen Sprachen wie Türkisch oder Portugiesisch etwas höher. Die Suche nach einem Übersetzer wurde in letzter Zeit immer schwieriger und zeitaufwändiger, da immer weniger Freiberufler die von Dressler Sprachendienst diktierten Preise akzeptieren wollten. Nicht selten wurde Andi mittlerweile am Telefon oder im E-Mail-Verkehr offen beleidigt oder angefeindet; wie er es überhaupt wage, ein solch unverschämtes Angebot zu machen, er und der ganze Ausbeuterverein sollten sich zum Teufel scheren, nein danke, nie wieder, Saftladen. Andi wunderte sich, dass bisher die Qualität noch nicht spürbar unter Dresslers Preispolitik gelitten hatte, denn immer öfter war er gezwungen, Studenten oder völlig unerfahrene Berufsanfänger zu engagieren, die etwa von Fahrzeugtechnik (Daimler-Benz), Chemie (BASF) oder Baumaschinen (Atlas Copco) kaum eine Ahnung hatten.
Er öffnete sein Postfach und überflog die anstehenden Aufträge. Gleich bei der ersten Mail verzog er das Gesicht: Der Übersetzer für den Porsche-Katalog hatte abgesagt, da drohte mal wieder Stress. Er verdrängte zunächst die schlechte Nachricht und las die übrigen neuen Mails quer. Der Auftrag für die Deutsche Bank stand kurz vor dem Abschluss und musste nur noch lektoriert werden; die Kölner Stadtapotheke bedankte sich überschwänglich für die »fantastische Gestaltung unserer Homepage in drei Sprachen«; von der Telekom war eine neue Anfrage für eine Software-Lokalisierung hereingekommen. Dann waren da noch einige Bestellungen und Reklamationen, sowie eine »Scherz«-Mail von Jens. Diesmal hatte er wenigstens keinen Youtube-Link, sondern nur einen Türkenwitz geschickt. (»Was sagt man zu einem Türken mit Krawatte? – Einen BigMac, bitte.«) Am dringlichsten war eindeutig die Suche nach einem Ersatz für den Porsche-Übersetzer. Andi öffnete also seine Adressdatei und scrollte zum zig-millionsten Mal die Namensliste herunter. Wen könnte er diesmal wohl überreden einzuspringen?
»Was’s los, Andi, gibt’s Ärger?«, fragte Jens Kaugummi kauend, der offenbar seine Grimasse bemerkt hatte.
»Ja, scheiße … Henderson hat mal wieder abgesagt, jetzt muss ich bei dem Porsche-Job wieder bei null anfangen«, sagte Andi genervt. »Hast du vielleicht den ganz heißen Tipp, wer sich für die vierhundert Seiten mit drei Cent pro Wort abspeisen lässt? Also meine Datenbank gibt da für Deutsch-Englisch nicht mehr allzu viel her …«
»So, so … Dann probier’s mal mit meiner Top-Secret-Spezial-Liste«, sagte Jens geheimnistuerisch. »Aber nur weil du’s bist. Liegt in ’nem Ordner ohne Namen auf dem Hauptserver. Die Datei heißt stuff.« Er grinste überlegen.
Andi wusste wie immer nicht so richtig, ob Jens ihm wirklich helfen wollte, was durchaus vorkam, oder ob er mal wieder dabei war, ihn auf den Arm zu nehmen.
»Okay, danke«, sagte er unsicher. Er klickte sich durch einige Register und fand problemlos den unbenannten Ordner. Tatsächlich befand sich darin die stuff-Datei mit einer kurzen Liste von Übersetzern in allen gängigen Sprachkombinationen. Andi kannte gerademal zwei davon. So schläfrig Jens für gewöhnlich daherkam, so fix und gewieft war er im Akquirieren von billigen Freiberuflern. Andi notierte fünf Namen und die dazugehörigen Daten. Da es schnell gehen musste, griff er zum Telefon. Der zweite Versuch saß, ein gewisser Winston Glazer aus einem Dorf in Cornwall traute sich den Job zu. Qualifikationen, Fachgebiete oder sonstige Vorkenntnisse der Partner zu prüfen, hatten sich Andi und seine Kollegen längst abgewöhnt; es ging einzig und allein darum, jemanden zu finden, der es machte.
Mit dem guten Gefühl, ein lästiges Problem gelöst zu haben, gönnte sich Andi erstmal eine Tasse Kaffee und einen kurzen Ausflug auf Facebook. Seine Schwester Céline hatte mal wieder eine Reihe von uninteressanten Fotos aus ihrem Bali-Urlaub gepostet (»Echt awesome, der Strand hier! Düsseldorf 18 Grad/Regen – lol! c u soon«), außerdem wurde er von irgendwelchen Leuten aufgefordert, ein Fußball-Video zu liken, in dem ein gewisser Petri Pasanen den sogenannten Rabona-Trick aufführte. Und dann war da noch ein neuer Post von Frau Gassmann, die erneut Werbung für eine politische Veranstaltung am Donnerstagabend machte und dabei die Internetseite der Partei ihres Mannes empfahl. Aus Langeweile sah Andi sich die Seite einfach mal an. Sofort fiel ihm das billige Layout auf: Viele kleine Fotos in verschieden guter Qualität und Auflösung klebten ungeordnet nebeneinander und bildeten ein unübersichtliches Mosaik, bei dessen Betrachtung Andis in der Zwischenzeit etwas abgeklungene Kopfschmerzen wieder neu aufflammten. Die Fotos zeigten fast ausschließlich Menschengruppen: Einerseits Flüchtlinge mit düsteren Mienen, die auf Booten zusammengepfercht saßen oder auf staubigen Landstraßen in Richtung Europa zogen, andererseits entschlossen dreinblickende Demonstranten, die mit Spruchbändern und Deutschlandfahnen durch die Straßen marschierten. Die Homepage erschien unter dem überdimensional fetten Titel Das wird man ja wohl noch sagen dürfen, darunter der etwas sperrige Name der Partei: Direkte Demokratie für Deutschland. Das Ganze war in Comic Sans MS gehalten, einer Schriftart, die Andi nur zu gut von Einladungskarten zu Kindergeburtstagen, Sonderangeboten in seiner Stammbäckerei oder sonstigen selbstgemachten Plakataushängen kannte, und die er im Übrigen völlig albern und nichtssagend fand. Andi scrollte tiefer. Dort erschien nun in Form einer Zehn-Punkte-Liste das, was man ja wohl noch sagen durfte:
»Gegen die Überfremdung und Islamisierung Europas!«, »Für ein Europa der starken Vaterländer!«, »Muezzin-Rufe verhindern – Deutschland muss deutsch bleiben!«, »Gegen die systematische Überflutung unseres Landes mit Menschen aus sicheren Herkunftsländern!«, »Sofortige Aussetzung des Schengener Abkommens!«, »Deutschen Nationalstolz fördern – verengte Erinnerungskultur aufbrechen!«, »Ansbach, Chemnitz, Breitscheidplatz: Alle Flüchtlinge sind potenzielle Gefährder!«, »Harte Hand bei Abschiebungen!«, »Flächendeckende Videoüberwachung jetzt!«, »Schluss mit dem toleranzbesoffenen Multikultiwahnsinn!«
Andis Langeweile wurde immer größer. Warum waren Nazis eigentlich immer so redundant? Er ging zurück auf die Facebookseite von Frau Gassmann und sah, dass sie einen neuen Post hinzugefügt hatte: »Nochmal zur Erinnerung: Am Donnerstagabend große Protestkundgebung der Direkten Demokratie, JEDER MUSS MIT! Flüchtlinge = Gefährder! Abschiebung JETZT!« Andi musste gähnen. Frau Gassmanns Hobby war also Faschismus, dachte er, wie originell. Ein gewisser Siggi D. hatte bereits auf den Post geantwortet. Er esse ja sehr gerne Döner, aber irgendwann reiche es – »Holen wir uns unser Land zurück!«
Die Eingangstür ging auf und Ingo kam hereingehetzt. Es war mittlerweile halb zehn geworden, er würde gegenüber Frau Dressler also eine verdammt gute Entschuldigung brauchen.
»Tach, Ingo! Verschlafen?«, fragte Jens amüsiert.
»Die Dressler hat mich gesehen, scheiße«, keuchte Ingo. »Technischer Defekt in der U-Bahn, was soll ich denn machen? Heute hat sie mir nicht mal mehr gedroht, schlechtes Zeichen …« Er sah besorgt aus.
»Komm, so einfach setzt die dich nicht vor die Tür«, versuchte Andi ihn zu beruhigen. »Die Dressler muss ja erstmal jemanden finden, der deinen Job macht. Da gibt’s nicht so viele, die Russisch, Türkisch und Griechisch können und nebenher noch die Kunden so gut einwickeln. Nur weil du nicht immer der Pünktlichste bist … Soll sie doch selbst erst mal jeden Tag um acht auf der Matte stehen, anstatt ihre Taschenratte durch die Boutiquen zu zerren.«
»Kleiner Tipp, Andi: Pass auf, was du hier so über die Chefin und ihren Hund erzählst«, maßregelte ihn Jens und linste warnend hinter seinem Monitor hervor. »Besser, sie kriegt davon nichts mit, sonst fliegst du nämlich noch vorher raus.« Genüsslich ließ er sich in seinem Stuhl nach hinten sinken, bevor er sich demonstrativ pflichteifrig wieder seinem Bildschirm zuwandte. Andi und Ingo sahen sich nur vielsagend an und machten sich dann schweigend an die anstehenden Aufträge. Ingo arbeitete schon seit längerem an einem Großauftrag für eine japanische Baumaschinenfirma, die englische Bedienungsanleitungen für Bagger, Raupen und Baukrähne unter anderem ins Türkische übersetzen ließ. Der Job war besonders heikel, da in der Baubranche eine Menge Geld auf dem Spiel stand, Fehler waren quasi unverzeihlich. Doch gerade deshalb saß Ingo eigentlich ziemlich fest im Sattel, denn er war ein ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet der Bautechnik und außerdem ein überaus kompetenter Übersetzer. Zwar wurde etwa ein Drittel der Anleitungen von spezieller Software übersetzt, die Ingo über die letzten Monate hinweg gewissenhaft mit der entsprechenden Terminologie gefüttert hatte, doch der Rest war immer noch hochanspruchsvolle individuelle Feinarbeit.
Ingo war schon nach wenigen Minuten tief in sein Schaffen versunken und tippte wie eine Maschine, während Andi sich bei dem Versuch, endlich das Angebot an die Telekom zu schreiben, immer wieder ablenken ließ, entweder durch die Reize des Internets oder durch sein Handy. Melanie hatte schon wieder versucht, ihn zu erreichen, und seine Mutter hatte ihn per SMS zum Abendessen eingeladen. Er entschloss sich nach einigem Zögern, Melanie nun doch kurz zu antworten. Um seine Ruhe zu haben, ging er auf die Toilette.
»Hallo Melanie, sorry, dass ich mich erst jetzt melde«, tippte er. »Bin gestern leider in Köln in der U-Bahn steckengeblieben (Technischer Defekt!!!), Handy im Büro liegen lassen, dumm gelaufen. War dann echt fix und alle, als ich zu Hause war (Viertel vor zehn!!!). Vielleicht dieses Wochenende? Küsschen, Andi«. »Küsschen, Andi« zu schreiben verursachte ihm zwar einen kaum zu unterdrückenden Brechreiz, doch er wusste, dass es das todsichere Mittel war, um Melanie zu besänftigen. Sich einfach nicht mehr zu melden, war ihm dann doch etwas leichtfertig vorgekommen, vor allem, nachdem er nochmal gut über Melanies Hintern nachgedacht hatte. Er pinkelte noch schnell routinemäßig, ging ans Waschbecken und trat dann mit nassen Händen wieder in den Gang. Frau Dressler hatte vor einiger Zeit aus Kostengründen den Papierspender abgeschafft und stattdessen einen Dyson Airblade anbringen lassen. Andi hasste es, seine Hände in den schmalen Spalt zwischen den beiden Hochdruckdüsen zu schieben. Seit er einmal mit den Fingerspitzen das abgestandene Tropfwasser unten in der Rinne berührt hatte, ekelte er sich vor dem Apparat.
»Locher!«, hörte er schon wieder Frau Dressler rufen. Der lockende Tonfall ließ erahnen, dass es diesmal nicht um einen Anschiss, sondern eher um eine Gefälligkeit ging, die sie ihm erweisen würde. Parfümumweht stöckelte sie ihm vom anderen Gangende her entgegen.
»Locher, ich hab da was aus dem Französischen für Sie! Villiers ist krank, Becker-Mougin ist ausgebucht und Kleefelder hat letztes Mal gepatzt, da dachte ich, das können Sie doch mal machen, außerdem kosten Sie ja nix, stimmt’s?« Sie lachte vulgär. Andi rieb sich unauffällig die Hände an den Gesäßtaschen seiner Jeans trocken. »Aber Vorsicht, Locher, es ist ein Neukunde, also blamieren Sie mich nicht! Ist nicht sonderlich eilig, Sie haben Zeit bis Anfang November … Die Datei müsste demnächst reinkommen, dann können Sie direkt loslegen. Bon courage!«
Sie verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Andi war ein bisschen überrascht über das Vertrauen, das sie ihm plötzlich entgegenbrachte. Er korrigierte sich jedoch sofort in Gedanken: Vertrauen, wie naiv er noch immer war! Sie hatte ihm den Job natürlich nur gegeben, weil sie keinen anderen Dummen gefunden hatte, und dazu war der Auftrag bestimmt nicht sonderlich lukrativ. Letztlich spielte das für Andi aber keine Rolle, die Aussicht auf ein wenig Abwechslung gefiel ihm. Er ging zurück an seinen Platz und wartete ungeduldig auf die Auftragserteilung. Als die Mail endlich kam, war es schon kurz vor Mittag. Wie jeden Freitag würde er mit Ingo zum Italiener gehen. Ingo war bereits aufgestanden und wartete auf ihn, so dass er den Inhalt der PDF-Datei nur kurz überfliegen konnte. Wenn er richtig gesehen hatte, handelte es sich um ein dreiteiliges Dossier über Umweltskandale in Frankreich.
Schon bald nach Andis Einstieg bei Dressler Sprachendienst hatten sie das Mittagessen am Freitag zum Ritual erhoben. Ingo erzählte ihm schon beim dritten Mal frei heraus, was er über Dressler dachte, so dass Andi schnell das Gefühl hatte, ihm vertrauen zu können. Er war früher Freiberufler gewesen, hatte davon aber die Schnauze voll gehabt. Mit achtunddreißig war er zwei Jahre älter als Andi; er war in der Türkei aufgewachsen und hatte ein abgeschlossenes Ingenieursstudium vorzuweisen, doch wie Andi hatte er bei seinen früheren Jobs kaum einmal angemessen verdient. Bei Dressler Sprachendienst war er einer der wenigen, die von Anfang an mehr oder weniger anständig bezahlt wurden. Frau Dressler hatte ihn vor drei Jahren mit der Aussicht auf Festanstellung in die Agentur gelockt, seither aber immer nur seinen Trainee-Vertrag verlängert und dabei sein Gehalt minimal aufgestockt.
Andi merkte, dass Ingo nicht ganz so ruhig war wie sonst, er schien sich um seinen Job ernsthafte Sorgen zu machen. Beim Essen hatten sie sich jedoch seit einiger Zeit ein striktes Verbot auferlegt: Kein Wort über die Arbeit.
»Was meinst du«, fragte Andi spaghettidrehend, »freuen sich Kinder heutzutage noch über Puppen?«
»Puppen? Ja, also, Puppen … Da muss ich, glaub ich, passen, Andi … Sagen wir mal so: Wenn ich Kinder hätte, würde ich heute vielleicht eher zum i-Phone tendieren, vom Preis jetzt mal abgesehen. Weiß auch nicht, schwere Frage, echt.«
»Also, ich denke halt, mit Puppen spielen ist doch viel fantasievoller, als auf ’nen Bildschirm zu glotzen. Aber klar, die Leute sagen: Spiel mal Minecraft, dann weißt du, was fantasievoll ist.«
»Ja, kann sein.«
Ingo wirkte irgendwie abwesend. Erst, als Andi ihn eine Weile wortlos ansah, beeilte er sich mit einer richtigen Antwort. »Okay, mit Puppen muss man das Spiel selbst erfinden, also könnte man meinen, es ist logischerweise kreativer. Es gibt aber wirklich sehr intelligente Videospiele, die absolut die Fantasie fördern. Das solltest du vielleicht nicht so radikal sehen.«
»Ja, ja, das sagt Janine mir ja auch die ganze Zeit. Nicht so radikal. Die Sache ist nur, Arizona hat morgen Geburtstag, und da Janine wie immer was für die Wii aus dem Hut zaubert, hab ich eigentlich keine andere Wahl, als mit einem Buch oder sonst einem Geschenk einen Gegenangriff zu starten. Vielleicht bin ich ein Spießer, aber ich habe einfach Horror davor, dass meine Tochter nur noch über Touchscreens kommuniziert … Die Kleine schaut ja jetzt schon jedes Mal auf ihren i-Pad, wenn man ihr ’ne Frage stellt – und sie wird erst fünf! Abgesehen davon sind solche Spiele scheißteuer, das könnte ich mir im Moment gar nicht leisten.«
»Gut, Andi. Kauf ihr einfach ’ne Puppe.« Ingo dachte ganz offensichtlich an etwas anderes, und Andi wechselte das Thema.
»Was meinst du, wie heißt wohl der neue Kellner mit Vornamen?«
Es war Ingo gewesen, der das Vornamenspiel erfunden und Andi damit angesteckt hatte. Immer mal wieder tippten sie auf den Namen irgendwelcher Leute, die sie nur vom Sehen beziehungsweise überhaupt nicht kannten. Sofern es sich nachprüfen ließ, wetteten sie auch, und Ingo hatte tatsächlich kürzlich einmal gewonnen, als er den Namen der neuen Mitarbeiterin aus der Buchhaltung (Sabine) erraten hatte. Andi hatte bisher noch nie den richtigen Riecher gehabt.
»Keine Ahnung. Ich sag mal Davide«, erwiderte Ingo mechanisch.
Andi legte sich auf Gianluigi fest, doch er lag mal wieder daneben: Auf der Rechnung stand »Es bediente Sie Alessandro«.
Auf dem Rückweg ins Büro gingen sie noch schnell im Spielwarenladen vorbei. Da Andi sich nicht entscheiden konnte, ließ er Ingo auswählen. Er zeigte auf eine schwarzhaarige mit grünen Augen. Andi zögerte zunächst, da sie nicht gerade billig war und außerdem Janine ein wenig ähnelte, aber dann gab er sich einen Ruck. Sechsundvierzig Euro, das gab sein Dispokredit gerade noch her.
Zurück an seinem Platz sah Andi sich das zu bearbeitende PDF genauer an. Der Auftrag kam von Greenpeace Deutschland und beinhaltete drei etwa zehnseitige Artikel aus dem Französischen, deren Übersetzung die Redaktion des Greenpeace-Magazins für ihre Internet-Dokumentation benötigte. Im ersten Text ging es um die Spätfolgen des Insektenschutzmittels DDT, im zweiten um die Wiederansiedlung des Wolfs in den Südalpen; der dritte Text schließlich hatte irgendetwas mit indonesischen Regenwäldern zu tun. Andi überlegte kurz, welcher Artikel wohl der einfachste wäre, beschloss dann aber, einfach der Reihe nach vorzugehen, und druckte sich die DDT-Reportage der französischen Vogelschutzorganisation LPO aus. Um ein Gefühl für die Sprache zu bekommen, öffnete er ein Online-Wörterbuch und begann mit einem Entwurf der Einleitung.
Der Schädlingskiller DDT ist seit über vierzig Jahren verboten – dennoch ist die hormonähnliche Substanz nach wie vor in der Umwelt zu finden. Eine Forschungsgruppe an der Université de Savoie hat nachgewiesen, dass das Pestizid sich im Boden angereichert hat. Auch Wasser- und Sedimentproben aus Seen und Flüssen enthielten DDT.
Ziemlich trockenes Thema, dachte Andi enttäuscht, und das zehn Seiten lang. Na ja, immer noch besser als vierhundert Seiten Porsche-Katalog. Irgendwie würde er sich da schon durchwursteln, auch wenn er weder von Chemie noch von Umweltschutz besonders viel Ahnung hatte. Sein Handy piepte, eine neue Nachricht. »Dann morgen Nachmittag bei mir? Freu mich auf dich … Küsschen für mein Bärchen«. Ermattet von Melanies unerträglichem Stil tippte Andi ein willenloses »Ok, bis morgen!« und drückte auf Senden. Erst danach fiel ihm ein, dass morgen ja Arizonas Geburtstag war. Sie wollte am Samstagnachmittag mit ihren Freundinnen feiern, und Andi hatte versprochen, zu kommen. »Scheiße!«, stöhnte er leise.
»Na, Locher, wie läuft’s? Schon fast fertig, wie?« Es blieb Andi ein Rätsel, wie Frau Dressler es immer wieder schaffte, sich trotz ihrer Klapperabsätze geräuschlos wie Winnetou ins Büro zu schleichen. Ingo hatte einmal die These formuliert, sie ziehe ihre Schuhe im Gang extra aus, um nicht gehört zu werden. »Wenn Sie nicht die ganze Zeit an Ihrem Handy hängen würden, wäre die Übersetzung vielleicht schon beim Kunden … Aber lassen wir das, ich will Ihnen ja nicht immer auf die Finger schauen wie einem Grundschüler … – So, meine Liebsten, ich geh noch mal eben mit Gundis Gassi … Ciao ciao!«
Sie versuchte ein joviales Grinsen, doch ihre Botoxlippen machten nicht so recht mit.
Der Nachmittag verlief zäh wie immer. Andi verplemperte eine weitere halbe Stunde auf Facebook und Amazon, bevor er sich schließlich noch einmal aufraffte und an der Übersetzung für Greenpeace weitermachte.
Dichlordiphenyltrichlorethan, abgekürzt DDT, wurde ab den vierziger Jahren als Kontakt- und Fraßgift eingesetzt. Hochwirksam gegen Insekten und Schädlinge, relativ ungiftig für Säugetiere und überaus einfach in der Herstellung, war DDT über Jahrzehnte das weltweit meistverwendete Insektizid. Als hochproblematisch stellte sich allerdings die Tatsache heraus, dass DDT sich wegen seiner hohen chemischen Stabilität und guten Fettlöslichkeit im Gewebe von Menschen und Tieren anreichert, was Anfang der siebziger Jahre schließlich zu einem Verbot des Mittels führte.
Hört sich an wie bei Wikipedia abgeschrieben, dachte Andi. Kurz vor Feierabend, er hatte gerade alle Fenster und Dateien geschlossen und wollte gleich seinen Rechner herunterfahren, platzte Frau Dressler noch einmal ins Büro.
»Nur zur Info, am Montag fängt bei uns ein neuer Kollege im Bereich Übersetzung an. Sehr begabter junger Mann, spricht fünf Sprachen fließend. Ich erwarte, dass Sie ihn hier wie immer freundlich aufnehmen. Das Audit und die Einführung in unsere Qualitäts-Charta übernehmen diesmal Sie, Locher. Ach ja, und bevor ich es vergesse – Staufenbiel!« Sie wandte sich an Ingo. »Sie sind entlassen.«