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Überfall plus Kuss von Emma Peal

Kurt war unterwegs, wahrscheinlich auf dem Fahrrad. Mochte sein, es handelte sich um die Frühjahrstour mit den Pfadfindern. Mit dem Lenker stimmte etwas nicht; die geringste Bewegung, und er bog von der Straße ab. Manchmal rief ihm einer der Kameraden etwas zu, aber Kurt verstand nie den Inhalt. Es schien sich um eine Gebirgsstrecke zu handeln. Unter keinen Umständen durften die anderen etwas merken von Kurts Höhenangst. Kaum traute er sich, nach den Seiten zu blicken. Vermutlich ging es dort mehrere hundert Meter steil hinab. Ganz weit weg eine Art Sonnenaufgang in Technicolor. Musik war zu vernehmen, Streicher und Pauken. Dem Radler kam es vor, als befinde er sich in zwei oder drei Realitäten gleichzeitig. Vielleicht würde er gar nicht abstürzen, wenn er jetzt scharf nach links lenkte.

Vielleicht.

Das Sträßchen wurde schmaler. Bald war es nur noch ein Pfad, dann eine Plane aus undefinierbarem Material, schließlich ein Seil. Sie mussten die Schlucht überqueren. Kurt erinnerte sich dunkel: Ja, das gehörte zum Programm. Wer da nicht mitmachte, war draußen. Den anderen bereitete es offenbar kein Problem, die Balance zu halten; sie witzelten sogar, schaukelten mit den Armen. Kurt strampelte verbissen, immer geradeaus; er schwitzte so stark, dass die Hände abglitschten. Als er ängstlich hoffte, es würde jetzt bitte nicht auch noch regnen, fing es an zu regnen. Als er brabbelnd betete, es möge wenigstens nicht auch noch hageln, begann es zu hageln.

Da befanden sie sich an irgendeinem Etappenziel, eine Hütte, schräg in den Bergen. Die anderen – sie waren nur undeutlich zu erkennen – lachten sich kaputt: Wie der Kurt so ulkig ausgesehen habe beim Radfahren. Wie er so starr geradeaus geschaut habe vor lauter Angst. Kurt musste Kartoffelsalat machen. Mit beiden Armen griff er in eine Wanne voller Kartoffelsalat. Er mischte. Es waren blanke Knabenarme, die in der lauwarmen Masse herum fuhrwerkten. Kurt sagte etwas, in der Art: Niemand kann das so gut wie ich! Es ließ sich nicht bestimmen, ob sonst noch jemand dieser Ansicht war. Als er sich wünschte, dass seine Arme so blieben und nicht auf einmal zu haarigen Männerarmen würden, begannen die Haare auf seinen Armen rasch zu wachsen, meterlang.

Schmitt schreckte hoch.

Wieder einmal war er eingenickt auf der Couch. Aber halt, da gab es ein Geräusch, das sonst nicht da war. Wie konnte das sein: die Klingel! Heidelindes weiche, schleimige Türklingel, die man erst hörte, lange nachdem sie gedrückt worden war. Weshalb die Gäste früher wie verrückt mehrmals geläutet hatten, bis endlich geöffnet wurde. Wer sollte das sein? Es kam doch niemand mehr.

Wackelig, einen üblen Geschmack im Mund, den sonst so streng gezurrten Scheitel schräg nach oben abstehend wie bei einem kranken Punker, bewegte sich Schmitt durch den Flur. Noch einmal klingelte es, noch zweimal. Als er durch den Spion blickte, fühlte er sich zurückversetzt in einen dieser idiotischen Mittagsträume.

Die Schlesinger.

Deutlich älter geworden, aber auf alle Fälle die Schlesinger. Ihre Frisur saß fest wie eh und je. Schmitts Stimme war gleichzeitig rau und piepsig.

„Was?“

„Kurt?“

„Wer da?“

„Hallo, Kurt, mach doch auf. Ich bin´s, die Gisela.“

Sie standen einander gegenüber. Schmitt gefror sein Lächeln, das sich aus der Erinnerung heraufgetastet hatte.

„Wo ist der Essenwein?“

„Unten. Im Auto.“ Gisela Schlesinger, früher von allen „Emma Peal“ genannt, vor allem der Frisur wegen, wollte die Erklärung gleich hinterherschieben. Aber Kurt schnitt ihr das Wort ab.

„Du lässt dich von dem vor den Karren spannen. Das ist nicht wahr!“

„Kurt, lass mich doch rein.“

Er grunzte. Häkelte die Sicherungskette aus, öffnete die Tür einen größeren Spalt, verharrte aber. Gisela hatte erwartet, er würde sie nun hereinlassen, war zwei Schritte vorgerückt ... und stand nun ihrem langjährigen Kollegen nahe gegenüber. Sie wusste sich nicht anders zu helfen als ihm einen Begrüßungskuss auf die Wange zu drücken.

„Hallo, mein Lieber. Wie lange ist das her ...“

Der Mann im Türrahmen rang um Fassung. Wann war er zum letzten Mal geküsst worden? Es hätte keinen Sinn gehabt, darüber nachzudenken. Heidelinde hatte nicht geküsst, vermutlich aus hygienischen Gründen.

„Darf ich denn jetzt rein?“

„Was? Ach so. Dann komm halt.“

Schmitt schwenkte zur Seite. Wo sollte er die Schlesinger platzieren? Es war nirgendwo richtig sauber. In die Küche? Nein, da roch es nach Mittagessen. Suppe, wie jeden Samstag. Linsen-, Erbsen-, Kartoffelsuppe im Wechsel.

Gisela ging in Deckung, als sie das Wohnzimmer betrat. Es war schlecht gelüftet und staubig. Man hatte den Eindruck, hier wohne schon lange niemand mehr. Da sah sie die Couch. Zwei Kissen waren zusammengeknautscht.

„Hast du gerade ein Mittagsschläfchen gemacht, ja?“, versuchte sie einen scherzhaften Kommentar. Damit kam sie Schmitt gerade recht.

„Was? Ich? Mittagsschlaf? Seh` ich so aus?“

„Eigentlich ja.“ Gisela lächelte so sanft sie konnte.

„Ich hab“, verteidigte sich der Hausherr, „ich hab nur da gesessen.“

„Ach so. Darf ich auch da sitzen?“

„Ja. Natürlich. Setz dich. Ich kann dir leider nichts anbieten.“ Die letzten Worte hatte er fast höflich prononciert. Umständlich kippte er ein Fenster.

„Gar nicht nötig.“

Schmitt ließ die Pause nicht zu lange werden. Er trat zum Sofa.

„Also?“

„Du weißt ja schon ...“

„Ja, ich weiß.“ Jetzt klang er wieder wie verrostet.

Vorsichtig wandte Gisela den Kopf. Die Schrankwand. Das Sideboard. Die Bücherwand. Die Stereo-Anlage. Nichts davon schien im Gebrauch zu sein.

„Wie lange ist das her? Mit Heidelinde?“

„Zwei Jahre.“ Schmitt räusperte sich. „Und einen Monat. Und drei Tage.“

„Gehst du manchmal raus?“

„Wohin?“

„Auf den Friedhof?“

„Täglich.“

„Oh.“

„Ich weiß, dass man das heute nicht mehr so macht.“

„Ist doch egal, was man so macht. Hauptsache ...“

„Findest du das.“

Oh, dass es schwierig werden würde, hatte Gisela sofort gewusst, als Jens Essenwein mit seinem Plan herausgerückt war. Aber sie hatte gehofft, dass sich etwas einstellen würde ... etwas von der Nähe zurückkäme, die ja doch immerhin weit über zwei Jahrzehnte lang Bestand gehabt hatte. Selbstverständlich war es andersherum gewesen: Nicht sie, die Jüngere, hatte um den Abteilungsleiter geworben, wie es seine biestige Gattin ihr – immer indirekt – vorgehalten hatte.

Gisela war sein Trost gewesen.

Und jetzt? Verflixt! Sie empfand widersprüchlich. Einerseits verabscheute sie Essenweins Idee, hatte zunächst dagegengeredet:

„Das ist ... das ist Seniorenmissbrauch, jawohl!“

Doch das Gegenargument hatte sie nicht von der Hand weisen können.

„Was soll´s denn?“, war ihr der Direktor mit einem Mal fast menschlich vorgekommen, „wie lebt er denn? Ist das nicht furchtbar? Der Mann ist doch vollkommen isoliert. Wenn es uns gelingt, ihn wieder in die Firma zu holen, egal wie lange, befreien wir ihn immerhin aus seiner Isolation, okay? Das ist es doch wert! Auch wenn es zugegeben etwas heikel zugehen könnte, wenn die Ballenbergers anrücken und hier so einen Stinkstiefel als Geschäftsführer vorfinden. Hihi, das wünsch ich mir! Duell der Giganten.“

Die Chancen, dass Schmitt zusagen würde, hatte der Direktor auf 50:50 eingeschätzt, Gisela Schlesinger auf 10:90.

Da begann ihr Gegenüber auf einmal, betont sachlich, Fragen zu stellen.

„Wie sieht´s mit den Kapitalrücklagen aus?“

„Aufgezehrt. Alle. Seit Dezember. Da hat ...“

„Und die Auftragslage?“

„Man geht zur World Packaging über.“

„Sag Ballenberger. Dieser englische Quatsch.“

Es dauerte eine Viertelstunde, da hatte sich Kurt Schmitt durch präzises Nachhaken ein ungefähres Bild vom Zustand der Packura gemacht. Währenddessen war seine Stimme sicherer, seine Haltung aufrechter geworden.

Er seufzte vernehmlich.

„Willst du vielleicht doch einen Kaffee? Ich trinke nur morgens welchen. Sechs Tassen.“

„Vielen Dank. Weißt du, der Essenwein sitzt doch unten im Auto.“

„Wie kann er denn auf so eine beschissene Idee verfallen, ausgerechnet mich zu fragen? Er weiß doch, dass ich von den neuen Abläufen keinen Schimmer habe.“

„Ich hatte den Eindruck, die neuen Abläufe sind ihm mittlerweile selbst suspekt.“ Gisela nutzte Kurts Nachdenklichkeit. „Jeder lernt dazu. Jedem muss man die Chance geben, dass er ...“

„Ja, ja.“

Und dann kam er, völlig unabsichtlich, dieser alles entscheidende Ausfallschritt ins Religiöse.

„Vergebung, Kurt! Letztendlich sind wir alle auf Gnade angewiesen, irgendwann. Nicht?“

Über Kurts heroische Vergangenheit bei den christlichen Pfadfindern hatte sie einst jedes Detail erfahren – und zwar hundertfach. Dennoch, der Rückgriff auf die gemeinsame protestantische Sozialisation war ohne Kalkül geschehen. Es arbeitete in Schmitt.

Gern hätte er einen Korn genommen.

„Also: Was hat er vor?“

„Nur das eine, Kurt: Mit uns zur Packura fahren. Kurzer Rundgang. Und dann, in den nächsten Tagen ...“

„Wenn, dann entscheide ich mich gleich. Geh bitte runter und sag ihm: in fünf Minuten. Wir fahren mit meinem Auto. Ich habe Zeit bis 15.30. Dann muss ich auf den Friedhof. Zu einer Besprechung.“

Es war der erste gelungene Witz seit fünf Jahren.

In exakt fünf Minuten kam Schmitt die Treppe herunter.

Was war mit ihm vorgefallen? Sicher, er hatte sich rasiert. Hatte ein frisches Hemd angezogen. Die Haare vermittels Pomade in die altangestammte Scheitelform gebracht. Aber das Entscheidende: die schräggestreifte Krawatte! Aus der Mode gekommen gegen Ende der Siebziger Jahre, stellte das Accessoire einen so feurigen Kontrast zu allem dar, was irgendeiner heute trug, Politiker ausgenommen, dass Gisela loskichern musste.

„Sie haben ja gute Laune ...“, wunderte sich Essenwein.

Gisela konnte nicht antworten. Zwar hatte sie ein schlechtes Gewissen deswegen, doch deutete sie in die Richtung, aus der Schmitt herannahte, offensichtlich um einen energischen Auftritt bemüht.

Da lachte auch der Direktor.

Kurz darauf bemerkte Gisela, dass es doch nicht die Krawatte war, jedenfalls nicht in der Hauptsache; die Art und Weise, wie Schmitt seinen ehemaligen Vorgesetzten begrüßte, kannte sie nur zu gut, diese gleichwohl joviale, dabei vollkommen loyale und dienstbeflissene Angestellten-Attitüde. Dies also war vor sich gegangen: in den wenigen Minuten, seit Gisela Schlesinger auf die zäh läutende Klingel gedrückt hatte, war eine Verwandlung vollzogen worden – aus dem in jeder Hinsicht geknickten, perspektivlosen, vereinsamten alten Miesepeter hatte sich der Abteilungsleiter von ehedem herausgeschält.

Nicht zu glauben.

Während Essenwein gewartet hatte, waren ihm allerlei unerfreuliche Details durch den Kopf gegangen. Dieser Zorn, diese Verachtung, diese Radikalität hatten ihn verwirrt. Nach und nach hatte sich die Aggressionslust, die aus Schmitts Brief sprach, materialisiert: Jens sah es vor sich, wie die Haustür zu diesem tristen Vorstadtbau aus den Fünfzigern sogleich mit Macht aufgerissen würde ... und ein gutes Dutzend rachelüsterner Plagen mit gesträubten Haaren, Hacken und Harpunen (wieso eigentlich Harpunen?) sich hornissengleich auf ihn stürzten. Das kam in letzter Zeit öfter vor, solch blödsinnige Sekundenvisionen, allesamt Zeichen der Überarbeitung und demzufolge Nervenreizung, welche die Kurbedürftigkeit mit Macht unterstrichen.

„Mehrere übergangene Burnouts“, hatte sein vorvorletzter Arzt vielsagend genickt. Ob das ernst gemeint war? Gab´s das?

Essenwein hatte vergessen zu fragen.

Und dann kam die Begrüßung.

Fest und warm wie früher war Schmitts Händedruck. „Durch und durch ein Profi“, sinnierte der Direktor erleichtert, bemerkte aber, dass der Pensionär auf der linken Seite unterm Ohr schlecht rasiert war. Jens schüttelte zurück, übertrieben herzlich.

„Also das ist ja fantastisch, Herr Schmitt! Sie sind ein Mann, auf den man sich verlassen kann. Toll! Wirklich toll!“

Der Konter blieb nicht aus.

„Ich habe nichts versprochen. Dass ich mich in den alten Anzug gezwängt hab, verdanken Sie Frau Schlesinger. Mein Auto steht um die Ecke.“

Die Sekretärin und der Direktor wurden genötigt, auf dem Rücksitz des historischen Mercedes Platz zu nehmen. „Sein Auto ist besser in Schuss als die Wohnung“, dachte Gisela.

Dann begann eine Fahrt, wie sie beide noch nicht erlebt hatten; der schon immer zackige, besser: ruckhafte Fahrstil hatte sich im Laufe der Jahre verschärft. Überall witterte Schmitt Verkehrsfeinde.

„Die schießen aus allen Rohren, diese Arschis“, fand der Fahrer eine ungewöhnliche Metapher, raste auf die Hauptstraße und bremste abrupt vor einer ausgeschalteten Ampel. Er ergänzte: „Man muss hier fahren wie der Teufel! Sonst hat man keine Chance. Die bügeln einen glatt um.“

Wer eigentlich? Die Vorstadt war im Augenblick menschenleer.

„Äh, Herr Schmitt! Sie sind dran vorbeigefahren.“

„Was?“

Der Mercedesfahrer trat fest auf die Bremse.

„Wo?“

„Urps – . An der Packura. Wir fahren – Urps! Urps! – selbstverständlich auf den Firmenparkplatz. Wenn Sie einmal um den Block ...“

Den Vorschlag hätte sich Essenwein sparen können. Gequält drehte Schmitt den Hals, aber nur zur Hälfte oder eher zu einem Viertel, denn seine Nackenverspannungen waren chronisch. Dann setzte er mit Vollgas zurück, stark schlingernd und weit über das Ziel hinausschießend.

„Halt! Halt, Herr Schmitt! Jetzt sind Sie wieder dran vorbei gefahren!“

„Was?“

„Die Firma ... das Bürogebäude ... jetzt ist es wieder da vorne.“

„Wenn Sie alles besser wissen, warum fahren Sie nicht selber? Man kriegt doch keine klaren Anweisungen mehr.“

Einmal mehr gelang es Gisela Schlesinger, den Ex-Kollegen zu beruhigen.

Die Packura ---. Eine bösartig übergrelle Nachmittagssonne ließ die weiße Fassade des Bürotrakts der Firma blendend aufleuchten.

Schmitt stand still.

Dem Auto entstiegen, bemühte er sich offenbar, aus dem Fremden das Vertraute herauszuspähen.

Es misslang.

„Was ist das hier?“

„Tja, Herr Schmitt.“ Essenwein schob sich von schräg hinten näher. „Wären Sie auf unsere Weihnachtsfeiern gekommen ...“

„Hören Sie auf mit dem Kiki. Wer hat hier so viel Geld verplempert?“

„Vor drei Jahren mussten wir die Packura einem Facelifting ...“

„Was?“

„ ... unterziehen.“

„Das Gebäude wurde renoviert“, flüsterte die Schlesinger.

Es war alles viel schlimmer als befürchtet.

„Wo ist der Schriftzug? Die Leuchtschrift?“

„Abmontiert.“

„Warum?“

Die Sekretärin hob die Schultern.

Wie einen Moribunden nahmen die beiden Schmitt in die Mitte und führten ihn die neugestaltete Auffahrt hinauf, gesäumt von schweineteuren Schlangentannen und kinetischen Kunstwerken aus Aluminium. Das sei gerade hip, hatte der Manager der Gartenbaufirma geflötet. Mit seiner Chipkarte öffnete Jens die edelgrau und maigrün eingefasste Sicherheitstür. Wo früher das filigrane Treppengeländer aus den Fünfzigern den Kunden im Schwung entgegengeeilt kam, entbreitete sich jetzt eine Empfangshalle, wie sie einem soeben eröffneten Luxushotel wohlangestanden hätte. Inmitten fieselte eine Quelle aus einem weiteren kühlen Kunstwerk hervor und verlor sich zwischen Basaltplatten.

Schmitt schwieg.

Von einem gläsernen Aufzug wurden sie in den dritten Stock empor gehoben, Schmitts alte Etage. Hier saß die Verwaltung. Die Organisation. Die Büroleitung. Nichts erkannte er wieder. Essenwein erzählte, die Schlesinger beschwichtigte, und Schmitt schwieg. Großraumbüros mit von überall einsehbaren Computertischen wechselten mit loungeartig offenen Sitzgruppen, wintergartenähnlichen Konferenzräumen, baumbestandenen Verbindungsfluren.

„Schön hell geworden, was?“, wagte Essenwein einen Vorstoß.

Schmitt schwieg.

Nur ein einziges Mal sagte er was. In den Fluren kamen den Besuchern einzelne Eifrige entgegen. Gisela und Jens grüßten, mal geschäftsmäßig, mal freundschaftlich. Zweimal wurde Schmitt offenbar höchst bedeutsamen Mitarbeitern vorgestellt. Die sahen aus, als wären sie aus Knetgummi zusammengefummelt. Er blickte zur Seite, verweigerte den Handschlag.

Als sie wieder zu dritt waren, wandte er sich an Gisela:

„Was machen die alle hier? Es ist doch Samstag.“

Der Direktor drängte sich mit einer Antwort dazwischen.

„Das gab es doch schon, als Sie noch hier tätig waren, Herr Schmitt. Damals hieß das „gleitende Arbeitszeit“, erinnern Sie sich? Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind mündig! Sie können sich frei einteilen, wie sie ...“

„Schwachsinn.“ Schmitt fingerte eine HB aus der Jackentasche. „Wochenende ist Wochenende. Wann sollen sich die Leute denn erholen?“

Giselas Blick, den er aus dem Augenwinkel empfing, beinhaltete leise Zustimmung.

Als der Gast im eigenen Hause auch noch ein Feuerzeug auspackte und seine Zigarette anglühte, musste der Direktor einschreiten. Er keuchte beinahe:

„Herr Schmitt, bitte. Wir haben striktes Rauchverbot. Seit den frühen Neunzigern, mindestens. Auf der Dachterrasse ...“

„Ist mir Wurscht.“

Schmitt rauchte, Essenwein keuchte, und die Schlesinger grinste.

Die Führung dauerte nicht mehr lange. Im Gegensatz zu den Räumlichkeiten für die Chefs und Angestellten entbehrten sowohl Fertigung als auch Lager und Versand jedweder neuzeitlichen Aufhübschung.

„Hier hat der Zaster dann wohl nicht mehr gelangt,“ ließ sich der Ehemalige am Hinterausgang vernehmen. „Da zieht´s noch genauso wie früher. Ein Furunkel hab ich mir geholt.“

Es war die Stelle, wo er seine letzten drei Monate abgesessen hatte.

Essenwein widersprach nicht. Er schien erschöpft: So ein verdammter Knacker! Unangenehm, verdammt unangenehm. Aber genau darum hatte er die ganze Prozedur ja ins Rollen gebracht. Falls Schmitt zusagte, begab er, Essenwein selbst, sich schon am Dienstag nach Bad Gastein – für mindestens drei Monate, besser ein halbes Jahr. Dann hatten die anderen den Trubel. Ballenberger würde enorme Verluste – vor allem an Humankapital – hinnehmen müssen, bis er den reaktivierten Rentner loshatte.

Wie wär´ das schön!

„Sie hatten gesagt“, Essenwein wedelte in der Luft, um Schmitts dritte Zigarette nicht riechen zu müssen, „dass Sie sich rasch entscheiden würden?“

„Habe ich.“

„Und das gilt noch?“

„Was denken Sie denn? Ich entstamme einer Generation, wo das Wort noch gegolten hat.“

„Ich dachte nur, es hat sich ja so viel verändert, hier. Und die ganzen Formalitäten und ...“

„Kann ich Sie heute Abend erreichen?“

„Sicher. Gerne. Hier ist meine Karte.“

„Ich rufe Sie Punkt 19 Uhr an.“

Die Rückfahrt geriet nicht weniger haarsträubend als der Hinweg. Gleichzeitig bremsten Schlesinger und Essenwein immer wieder hinten mit. Einmal wich Schmitt mit Schwung einem Möbeltransporter aus, der, von Warnblinklichtern scheinbar gesichert, in zweiter Reihe parkte. Dabei übersah der Fahrer zwei Studentinnen mit Kisten und Topfpflanzen, die sich empört in Sicherheit brachten.

„Das ist eine Fahrbahn!“, schrie Schmitt, ohne jede Aussicht, dass die Unvorsichtigen ihn hätten hören können. „Eine Fahrbahn ist keine Parfümabteilung, Ihr Flittchen!“

Auch eine Hundehalterin samt Golden Retriever entkam nur unter Aufbietung von Akrobatik einer Attacke des immer noch erstaunlich flotten Mercedes´.

„Diese Arschis“, keifte Schmitt. „Alles zukacken, aber die Klappe aufreißen. Wo sind wir denn hier?“

Aber dann waren sie da. Essenwein, ein wenig zittrig, zog sich rasch in seinen eigenen PKW zurück, schob den schärfsten Fisherman ein, den er hatte und wartete auf Gisela. Die drückte Kurt kräftig die Hand.

„Vielen Dank. Danke, Kurt. Ich kann mir denken, was das ...“

„Pscht“, presste Schmitt seinen wulstigen Zeigefinger vor seine Lippen. „Das muss ja keiner wissen.“

Als sie wegfuhren, stand er noch auf der Straße. Beinahe hätte er gewinkt.

Zurück zu Schmitt!

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