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Der Pflanzenflüsterer

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Früh morgens startet meine Reise in das ewige indonesische Grün. Den Regenwald. Noch etwas verschlafen und mit dem Bild von Nyai Roro Kidul in meiner Brusttasche sitze ich in dem kleinen roten VW Bus mit fremden Begleitern und neuen Kumpanen. Draußen geht das Grau der Häuser immer mehr in ein helles Grün über. Bevor wir den Rand des Regenwaldes erreichen, führt die Straße an Plantagen vorbei. An Ölpalmen. Aus deren Früchten das umstrittene Palmöl gewonnen wird. Das Produkt an sich wird von der Bevölkerung seit jeher verwendet. Palmzucker zum Beispiel kommt auch in Jamu-Rezepten vor. Es ist die steigende Expansion und die Industrie, die den Schaden anrichtet. Jeder Baum sieht gleich aus und hat den exakt selben Abstand zwischen sich und dem nächsten Stamm. Im ersten Moment dachte ich mir, dass wir schon im Wald angekommen sind. Doch Satria, der Reiseleiter, klärt auf und erzählt von der skrupellosen Abholzung des Regenwaldes.

»Jeden Tag zerstört die Industrie hektarweise natürliches Land, um die Welt mit dem Fett zu versorgen. Indonesien gehört zu den größten Lieferanten. Gut für das Land, schlecht für die Natur.«

Ein Umdenken muss passieren. Der Mensch muss als Teil des Ganzen gesehen werden, in dem alles aufeinander Einfluss hat. So wie es auch die Lehre von Jamu seit über tausend Jahren vermittelt.

Die Landschaft nimmt mehr Nuancen an. Die Flora und Fauna entwickelt sich zu einem bunten Dickicht. Farbtupfer sprenkeln das saftige Grün, als hätte Monet selbst den Pinsel gezückt. Endlich sind wir angekommen, wo meine Reise erst richtig beginnt. Zwischen tropischen Großblattpflanzen liegen die kleinen Dörfer der Einheimischen. Hier möchte ich herausfinden, was es mit Jamu auf sich hat. Wofür man die Pflanzen heranzieht, wie man sie verarbeitet und welche Tradition dahintersteckt.

Wir machen Halt. Endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Mein Kopf brummt. Die Autofahrten in diesem Land ziehen generell ein kleines Schütteltrauma nach sich. Zum Glück heißt es jetzt rasten und erholen. Wir befinden uns in einem kleinen Dorf. Hier ist die westliche Medizin zwar bekannt, wird aber nur in Ausnahmefällen angewendet. Schließlich ist jeder Einwohner überzeugt, dass die Natur alles bietet, was der Mensch für ein gesundes Leben braucht.

Kaum steige ich aus dem klimatisierten Auto, rinnen mir die Schweißperlen von der Stirn. An das Klima muss ich mich erst gewöhnen. Ich setze mich ein wenig von der Gruppe ab und mache einen Rundgang. Eine Dorfbewohnerin sitzt vor ihrer Holzhütte und bearbeitet ein paar bunte Blüten. Sie lächelt mich an. In gebrochenem Englisch gibt sie mir zu verstehen, dass ich müde aussehe, und deutet mir, ich möge mich zu ihr setzen. Wir kommen ins Gespräch mit Hilfe von Wortfetzen und Gesten. Bei mir ist es ein freundliches Fuchteln.

»Körper, Geist und Seele müssen im Einklang sein. Sonst geht es dem Menschen schlecht«, versucht mir die Frau zu erklären. Sie mischt ein Getränk namens Kunyit Asam. Nach altem Jamu-Rezept. Eine Mixtur aus Kurkuma, Tamarinde, Palmzucker, Wasser, Salz, einem kleinen Spritzer Zitronensaft und einem Tröpfchen Honig für den Geschmack. Klingt erfrischend. Schmeckt auch so. Mit jedem Schluck merke ich, wie mein Körper erwacht. Und nebenbei hilft der Drink auch noch gegen Körpergeruch. Ein Deo zum Trinken, na bitte. Meine erste Begegnung mit Jamu ist positiv. Ich fühle mich besser, es schmeckt etwas hölzern und mit einem süßlichen Abgang. Ich frage, woher das Wissen rund um die Wirkung der Pflanzen stammt. Sie deutet auf Satria, der gerade auf uns zukommt.

»Wo bleibst du denn so lange? Hast du eine neue Freundin kennen gelernt?«

»Die nette Dame hier hat mir ein Getränk gemischt zur Erfrischung. Sie wollte mir gerade erzählen, woher das Wissen zu den Inhaltsstoffen der Pflanzen kommt.«

Satria beginnt mit der alten Lady auf Indonesisch zu sprechen. Eigentlich sollte ich es verstehen können, aber das Ohr muss sich erst wieder einhören, und meine Zunge ist vollkommen eingerostet.

»Sie will eine Geschichte erzählen. Am besten, wir holen die anderen und setzen uns zusammen. Interessiert die anderen sicher auch.«

Wir versammeln uns in einem Kreis rund um die freundliche Dorfbewohnerin. Satria übersetzt ihre Erzählung wie folgt. Der balinesische Priester und Heiler Empu Kuturan war am Verzweifeln. Er war hoch angesehen und empfing wie jeden Tag seine Patienten. Am späten Nachmittag erreichte ihn schließlich ein Hilfesuchender mit starken Schmerzen. Bis zu jenem Tag hatte er jeden heilen können, der zu ihm kam.

Denn Empu Kuturan wusste, dass der menschliche Körper ein Mikrokosmos ist, in dem man die Balance zwischen Körper, Geist und dessen Umwelt und Gesellschaft halten muss. Sobald ein Baustein locker ist, wird ein Mensch krank. Er erkannte für gewöhnlich den Baustein und rückte ihn wieder an den rechten Platz.

Nicht so in diesem Fall. Seine ganze Kenntnis aufwendend, versuchte er alles, um die Schmerzen des Patienten zu lindern. Mehrere Stunden saßen sie erfolglos in seiner Praxis. Das gab es noch nie. Der Heiler begann an sich zu zweifeln. Er schickte den Leidenden weg, riet ihm aber am folgenden Tag noch einmal zu kommen.

Empu Kuturan suchte Rat bei den Göttern. Auf dem Friedhof vor dem Tempel ließ er sich auf den Steinen im Schneidersitz nieder und meditierte. Die heilige Stätte war Gott Hyan Widi geweiht, der im Tempel wohnte. Die Geister erhörten ihn und verliehen ihm die unsichtbare Kraft, alle Pflanzen zu sich einzuberufen und zu ihnen sprechen zu können, um mehr über ihre Fähigkeiten zu lernen.

Der weise Mann staunte nicht schlecht, als ihn tatsächlich die Banyan-Feige als Erstes besuchte.

»Wozu hast du mich einberufen?«, fragte sie.

Nach kurzer Sprachlosigkeit fand der Heiler seine Worte wieder und erzählte ihr von seinem Problem mit dem Patienten und bat sie um Hilfe. Die Feige meinte, alleine könne sie nicht helfen. Aber zusammen mit ihren Freunden würde er die Lösung finden. Also kam Sida, die zur Pflanzengattung der Malvengewächse gehörte. Sie erklärte ihm, dass ihr Holz von kaltem Charakter ist und Kleinkinder unter fünf Jahren heilen kann. Und dass sie ihm helfen könnte, gemeinsam mit ihren grünen Kollegen. Und so ging es weiter. Der indische Korallenbaum erklärte ihm, dass sein Holz ebenfalls von kaltem Charakter sei und die Rinde, vermischt mit Koriander, elf Samen des Cajeputbaums und schwarzem Salz, Blähungen heilt. Nach und nach suchten ihn über hundert Pflanzen auf, um ihm ihre Vorteile und Kräfte mitzuteilen.

Nach all den grünen Besuchern hatte er so viel über die Pflanzenheilkunde erfahren, dass es ihm möglich war, seinen Patienten von seinen Schmerzen zu befreien.

Empu Kuturan hatte ein Geschenk erfahren. Die Weisheit der Natur.

Für unsere Ohren klingt das alles befremdlich, in Indonesien dagegen gehört die Mystik zum Alltag.

Die Jamu-Therapie

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