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Die Muse von Jamu
ОглавлениеMystisch und zauberhaft ist das Märchen, das mir eine Einheimische erzählt hat. Es ist die Antwort auf meine Frage, woher Jamu eigentlich stammt. Denn wo die historischen Quellen – von denen wir noch hören werden – aufhören, fängt die Mystik an. In Indonesien verehrt man die Göttin des Indischen Ozeans namens Nyai Roro Kidul. Sie ist das erste Wesen, das dank Jamu geheilt wurde. So schildert es eine der ersten Bekanntschaften auf meiner Reise. Bei einer Tasse grünem Tee am Rand von Jakarta erzählt eine alte Dame mit weißen Haaren und wissenden Augen folgende Geschichte.
»Im indonesischen Königreich Sunda entstand vor Tausenden von Jahren ein neues Zentrum in West-Java. Pukan Pajajaran hieß die pulsierende Hauptstadt. Sie war eingebettet zwischen zwei Flüssen, umgeben von Bergen und Wäldern. Hier erblühte die königliche Herrschaft zu neuem Leben. Der Nachwuchs ließ nicht lange auf sich warten. Eine Tochter. Gesegnet mit einer Schönheit wie man sie kein zweites Mal findet.«
Das Mütterchen strahlt mich an. Sie schwärmt von der Prinzessin wie von ihrer eigenen Tochter.
»Der sudanesische König behütete sie wie seinen Augapfel, immerhin war sie das erste Kind und würde einst mit ihrem Mann den Thron besteigen. Es sollte eine Hochzeit geben. Die Jahrhunderthochzeit. Für die schönste Frau in Indonesien. Aus dem ganzen Land strömten die Werber und Schaulustigen zum Palast, um sich selbst von dem atemberaubenden Antlitz zu überzeugen. Doch …«
Das Lächeln schwindet aus dem Gesicht der Erzählerin.
»Die Menschen können es einfach nicht ertragen, wenn etwas so perfekt ist.«
Traurig blickt sie in ihre Tasse. Ihre kleinen Hände halten das Porzellan fest umklammert. Sie fährt fort.
»Im Schatten der Palastmauern gediehen neidische Blicke. Sie gönnten dem König sein Glück nicht. Konnten die anmutige, liebreizende Dewi Kadita nicht ertragen. Neid und Hass kann alles zerstören. Und so geschah es auch. Eine Woche vor der Hochzeit kam eine Hexe nach Pukan Pajajaran. Gerufen von den Feinden des Herrschers. Sie schaffte es mit List und Tücke bis zur Prinzessin vorzudringen und verdunkelte deren Leben mit ihrer schwarzen Magie. Ein grausamer Fluch, der sich über die makellose Haut legte. Die Arme bekam eitrige Pusteln und Geschwüre. Der ganze Körper war voll davon. So konnte sie nicht verheiratet werden.«
Schweigen. Die alte Frau kreist kurz in ihren eigenen Gedanken. Vielleicht denkt sie an ihre eigene Hochzeit. Das wichtigste Ereignis für die Indonesierinnen. Ihr Blick bleibt wieder an mir hängen.
»Das ganze Land fiel in Trauer. Der König war verzweifelt. Seine Herrschaft war in Gefahr. Seine wunderschöne Tochter, verwandelt in eine hässliche Gestalt. Kein Heiler konnte helfen. Jedes Mittel war wirkungslos. Nichts konnte den Fluch brechen. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie verzweifelt das Mädchen sein musste.«
Die Dame selbst hat in jungen Jahren wohl kein Problem gehabt, einen Mann zu finden. Unter dem Schleier des Alters steckt eine Schönheit, das sehe ich.
»Dewi Kadita floh aus dem Palast. Sie wusste keinen anderen Ausweg mehr. Sie wollte ihrem Leben ein Ende setzen und sich in die Fluten des Indischen Ozeans stürzen. Als der Mond am höchsten stand und die dunklen Klippen erleuchtete, warf sich die Prinzessin in die reißenden Wellen.«
Die Niedergeschlagenheit verwandelt sich wieder in Hoffnung. Und wischt ein paar Jahre aus dem Gesicht der alten Frau.
»Aber die Götter wollten sie nicht sterben lassen. Ganz im Gegenteil. Gerechtigkeit walten lassen. Das salzige Nass der See wusch alle Unreinheiten weg. Nur die bronzefarbene, ebene Haut blieb zurück. Die Geister und Dämonen krönten die Verstoßene daraufhin zur Königin des Indischen Ozeans.«
Die Frau steht auf und geht zu einer Kommode an der Wand. Sie kramt in der obersten Lade und findet, was sie sucht. Mit langsamem Gang kommt sie zu mir zurück und drückt mir eine kleine Zeichnung im Holzrahmen in die Hand. Ich sehe eine in Blau und Türkis gekleidete Frau. Geschmückt mit Gold wie eine indonesische Königin. Ihre Füße formen sich zu einem Fischschwanz und tauchen in die Wellen des Ozeans ein. Rundherum Fische und Meerestiere. Der Vollmond erleuchtet die Szene.
»Das ist Nyai Roro Kidul. Die Göttin des Meeres. Ich schenke dir das Bild. Es soll dich auf deiner weiteren Reise begleiten. Sie wacht über dich und hilft dir, die richtigen Menschen für dein Vorhaben zu finden.«
Sie meint meine Suche nach den Geheimnissen von Jamu.
Ich bedanke mich herzlich in ihrer Sprache. »Terima Kasih Sama Sama. Sama Sama Terima Kasih.«
Die Frau lächelt mich zufrieden an. Ihre Augen sind ganz und gar in den braunen Falten verschwunden. Der schmale Mund ist die einzige Linie im Gesicht, die noch nach oben geht. Ich verbeuge mich.
Morgen ziehe ich weiter. Kehre der Großstadt den Rücken zu und mache mich auf zu einer Expedition in den indonesischen Regenwald. Gemeinsam mit einer kleinen Gruppe und einem Reiseleiter namens Satria. In den kleinen, abgelegenen Dörfern wird Jamu fleißig praktiziert. Dort hoffe ich auf mein Glück. Ich bin gespannt. Und Sie wahrscheinlich auch.