Читать книгу Gottes Herz für dein Dorf - Johannes Reimer - Страница 10
2.2.Was ist wichtig auf dem Land?
Оглавление•Was ist also wirklich wichtig auf dem Land?
•Wo und inwieweit unterscheiden sich die einzelnen ruralen Räume von der Stadt und voneinander?
•Wie empfänglich ist die Landbevölkerung für das Evangelium?
•Geht es hier um ein traditionelles ökonomisches Bewusstsein oder eher um eine Bevölkerung, die sich aus ökologischen und anderen Gründen auf dem Land niederlässt?
•Was bestimmt das Leben und was bestimmt den Glauben auf dem Dorf?
Auf dem Dorf gelten eigene Regeln. Jeder, der einmal aus der Stadt aufs Land gezogen ist, wird das festgestellt haben. Eine dörfliche Umgebung entschleunigt Prozesse, verlangsamt den Lebensrhythmus, bringt Ruhe und Muße auf die Tagesordnung. Und damit auch einen gewissen Hang zu Tradition.
Untersuchungen in England zeigen, dass der ländlichen Bevölkerung selbst da, wo sie sich nicht mehr zur Kirche hält, letztlich das Kirchengebäude wichtig ist. Die Autoren von Faith in the Countryside schreiben:
„Sie (die Kirche, Anm. d. Verf.) ist ein Totem, ein Fixpunkt der eigenen Identität, sogar für solche Menschen, die kaum über ihre Schwelle kommen ... sogar solche, die nichts mehr mit dem Christentum zu tun haben, sind oft dabei, wenn Geld gesammelt wird, um das Kirchengebäude zu renovieren.“18
Traditionsbewusstsein kann zu einer gewissen Erstarrung von Gemeindeinhalten und Strukturen führen. Karl Barth schrieb vor Jahren über eine in Traditionen verhaftete Gemeinde: „Sie kann sich nicht mehr erneuern, sondern erzeugt immer wieder Gesetzlichkeit, und die Freude am Evangelium erlischt.“19 Das ist sicher ein Grund, warum man heute auf dem Land so wenig geistliches Leben findet. Aber Traditionen haben auch positive Seiten. Sie halten Symbole hoch, die für Fremde zu einem willkommenen Anlass werden können, sich doch einmal Gedanken über den eigenen Glauben zu machen.
Mir fällt an dieser Stelle Sabine ein. Sie ist 50 und erst vor Kurzem aus Köln in das kleine idyllisch gelegene Dorf im Sauerland gezogen. Mitten im Dorf liegt die jahrhundertealte katholische Kirche. Schon lange werden hier keine regelmäßigen Gottesdienste mehr angeboten. Aus Pfarrermangel, wie es offiziell heißt. Sabine ist weder katholisch noch gläubig. Trotzdem sagt sie von sich:
„Ich gehe mittlerweile regelmäßig in die Kirche. Die Ruhe in ihren Räumen, das sakrale Etwas, tut mir gut. Die Erinnerungen nach der Scheidung von meinem Mann verstummen dann. Irgendwie finde ich hier zu mir selbst. Manchmal rede ich vor mich hin, klage den alten Mauern meine Situation. Oder auch den Bildern an den Wänden. Neulich konnte ich mir sogar zum ersten Mal vorstellen, dass es vielleicht doch so etwas wie Gott gibt.“
Sabine ist bei Weitem nicht die Einzige, die so etwas in verlassenen Landkirchen erlebt. Tausende begeben sich auf ihrer Suche nach Stille, Sinn und spiritueller Lebenstiefe aufs Land. Manche Landregionen werben bereits mit entsprechenden Angeboten, so beispielsweise das Tölzer Land in Bayern.20 Pilgerschaften, Wanderschaften, Zeiten der Stille und des Schweigens – all das scheint der gestressten Seele in unserer schnelllebigen Welt gutzutun.
Natürlich bezieht sich ein solch dörfliches Traditionsbewusstsein nicht nur auf das Kirchengebäude und die Erhaltung religiöser Bräuche. Da kann es auch um ein altes Backhaus oder den Dorfversammlungsplatz gehen. Wo wenige Menschen auf beschränktem Raum zusammenleben, sind gemeinsame Werte von ganz besonderem Interesse. Sie nicht zu fördern ist auf kurz oder lang kontraproduktiv. Man gewinnt Beachtung bei den Menschen nur dann, wenn man ihren Lebensstil und ihre Geschichte wertschätzt.
Es macht daher Sinn, altbewährte Strukturen mit Leben zu füllen, statt völlig neue zu schaffen. Die Renovierung einer alten Kirche kann deshalb mehr bewirken als der Bau eines völlig neuen Gemeindezentrums. Der Aufbau neuer Formen des Glaubens sollte traditionelle Strukturen berücksichtigen.