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Januar

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Der EU-Beitritt

Es ist der erste Tag einer neuen Epoche und er fällt passenderweise auf einen Sonntag. Ein 1. Januar, der sich wie immer anfühlt: Die Wiener Philharmoniker brillieren unter der Leitung von Zubin Mehta bei ihrem traditionellen Neujahrskonzert, Andreas Goldberger wird beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen hinter dem Finnen Janne Ahonen Zweiter und befindet sich auf dem Weg zu seinem zweiten Tourneesieg. Einige ärgern sich wohl auch darüber, dass nun in Österreich keine Pumpguns mehr verkauft werden dürfen, ja, und vielen ist es noch gar nicht so richtig bewusst: Österreich hat, 50 Jahre nach Kriegsende, Abschied von seinem Inseldasein genommen, hat auf den wachsenden Druck des Globalisierungsprozesses reagiert und sich einer größeren Gemeinschaft anvertraut.


Feierstimmung zum Jahreswechsel 1994/​95: Österreich ist EU-Mitglied.

Die letzte Entscheidung dazu ist am 1. November 1994 gefallen: 78 Prozent der anwesenden Abgeordneten stimmen im Nationalrat dem EU-Beitrittsvertrag zu. In Anwesenheit von Kommissionspräsident Jacques Delors spricht Peter Kostelka, der Klubobmann der SPÖ, von einem „Meilenstein in der Geschichte Österreichs“, und Andreas Khol, Klubobmann der ÖVP, von einem „freudigen Ja“, das die ÖVP zu Europa gebe, jetzt komme es darauf an, „Europa in den nächsten zehn Jahren eine Seele zu geben“. Der „europäische Geist“, so schließt Khol in dieser denkwürdigen Sitzung, sei „die Zukunft“. Sehr kritisch äußert sich dagegen FPÖ-Obmann Jörg Haider (1950 – 2008): Der Beitritt zur EU würde einen Verlust von Bürgerrechten und Demokratie bedeuten, er erwarte sich negative Auswirkungen auf Landwirtschaft und Industrie, auch für das Preisniveau und den Arbeitsmarkt habe der EU-Beitritt keine positiven Effekte. Johannes Voggenhuber von den Grünen, der gegen den Beitritt gewesen ist, klagt über „gravierenden Reformbedarf“ in der EU und Heide Schmidt, die Klubobfrau des Liberalen Forums, warnt schließlich davor, die EU zu einer „westlichen Wohlstandsburg“ werden zu lassen. Vieles gehört jetzt der Vergangenheit an, ohne dass man es sofort spürt: die altgewohnte Geld- und Währungspolitik etwa, der mit der Einführung des Euro am 1. Januar 1999 auch der Schilling, die liebgewordene Währung der Republik, zum Opfer fällt. Und vieles sollte der Vergangenheit angehören, tut es aber nicht: etwa das engstirnige Mir-san-mir-Denken und der „Autarkie-Mythos“ (Oliver Rathkolb), der es zulässt, dass über einen EU-Austritt spekuliert wird.


Die Abschaffung der Folter

Den Stein ins Rollen bringt ein so verstockt als gefährlicher Böswicht namens Franz Sachs, der 1773 vor dem Stadt- und Land-Gericht Wien steht. Da Franz Sachs bereits in seiner Zelle großspurig angekündigt hat, dass er auch unter der Folter nichts aussagen werde, wird die sogenannte „Intercalar Tortur“ angeordnet: Die in der „Wiener Praxis“ üblichen drei Grade der Folter – Daumenschrauben, „Schnürung“ und „trockener Aufzug mit Gewichtsanhängung“ – kommen an drei aufeinanderfolgenden Tagen zur Anwendung; der Gefolterte hat dabei keine Möglichkeit, sich von den Qualen der vorausgehenden Folter zu erholen. Der Böswicht hat Glück: „Folterarzt“, der den Criminal-Inquisiten vor der peinlichen Frage (= Tortur) zu untersuchen hat, ist der angesehene Chirurg Ferdinand Leber (1727 – 1808), und dieser spricht sich nun in einem Gutachten gegen die „Intercalar Tortur“ aus. Unterstützung findet er in der medizinischen Fakultät der Universität Wien, die grundsätzlich diese verschärfte Foltermethode ablehnt – Maria Theresia verbietet daraufhin am 16. November 1773 die „Intercalar Tortur“, gleichzeitig lässt sie prüfen, ob die Folter nicht „gänzlich aufzuheben oder auf besondere species delicti zu beschränken wäre“.


In der „Wiener Praxis“ der erste Grad der Folter: der Daumenstock.

Während sich etwa der Oberst-Landrichter Freiherr von Hahn für eine Beibehaltung der Folter ausspricht, tritt Maria Theresias Berater Joseph von Sonnenfels mit einer eigenen Schrift (Über die Abschaffung der Tortur, 1775) entschieden für deren Abschaffung ein, sei sie doch nur ein Mittel, „an welchem alles ungewiss ist, als der Schmerz, die Lähmung, die Entehrung, die Verzweiflung, welcher der unglückliche Untersuchte preisgegeben wird“. Maria Theresia schließt sich den klaren Sonnenfels’schen Argumenten an, ja, sie geht sogar noch weiter als ihr Berater, indem sie die Aufhebung der Folter ohne Einschränkungen verfügt. In der allerhöchsten Entschließung dieses Januartages dekretiert sie den entscheidenden Satz:

Die peinliche Frage seye nach dem in mehreren Staaten schon Vorgegangenen Beyspiel, ohne einigen Vorbehalt allgemein aufzuheben; sämtliche Gerichtsbehörden in den Erblanden seien zur Nachachtung dieses Erlasses zu verständigen. Zu bedenken gibt die Monarchin weiters, ob nicht auch die Todesstrafe zumindest zum größten Theile aufzuheben sei, da man ja aus der Arbeit der Delinquenten noch einigen Nutzen ziehen könne.

Das Habsburgerreich ist nach Preußen der zweite europäische Staat, der die Folter abschafft. Eine „große That einer erlauchten Frau“, so der Linzer Kommunalpolitiker Franz Melichar (1835 – 1881) in einem Vortrag zum Jubiläum 1876.


Die Rumfordschen Suppenanstalten

Benjamin Thompson, Reichsgraf von Rumford (1753 – 1814), ist nicht nur ein bedeutender Experimentalphysiker, der den Boden für den Ersten Hauptsatz der Thermodynamik bereitet hat, sondern auch ein unermüdlicher Tüftler, dessen Erfindergeist auch vor kulinarischen „Problemstellungen“ keineswegs Halt macht. Von seinem Arbeitgeber, dem bayerischen Kurfürsten Karl Theodor, mit der Reorganisation der bayerischen Armee beauftragt, erfindet der Mann aus Massachusetts nicht nur wärmedämmende Unterwäsche für Karl Theodors Soldaten, sondern auch den Energie sparenden Rumfordherd und schließlich die Rumfordsuppe, ein Eintopfgericht, das 1795 erstmals an die Streiter des Kurfürsten ausgegeben wird. Schließlich sorgt die kräftige Suppe auch im Militärischen Arbeitshaus in der Münchener Au bei Bettlern und Arbeitslosen für Furore und von hier aus tritt sie ihren Siegeszug in der Armenfürsorge Europas an. „Sie verlangt“, so schreibt Benjamin Thompson, „freylich ein langes und starkes Kochen; aber wenn dies gehörig geschieht, so verdickt sie eine große Maße Waßer und bereitet es, wie ich vermuthe, zur Zersetzung vor. Sie giebt also einer Suppe, von der sie einen Bestandtheil ausmacht, einen Reichthum an nährenden Stoff, den nichts anderes zu geben im Stande ist.“ Die wichtigsten Zutaten neben Wasser: Rollgerste (Graupen), getrocknete gelbe Erbsen, Salz und Bier- oder Weinessig, wobei diese beliebig mit anderem Gemüse oder auch Fleisch oder Speck sowie diversen Kräutern und Gewürzen ergänzt werden können; häufig wird auch ein Teil der Rollgerste durch Kartoffeln ersetzt.


Erstmals billige Suppen für die Armen von Wien.

Während in Bayern und Teilen Preußens die Rumfordsuppe bereits während der Kriege gegen Napoleon an die Armen ausgeschenkt wird, hält sie in Wien erst im Revolutionsjahr 1848 Einzug: Die wachsende Armut in den Vorstädten Wiens macht die Errichtung von „Rumfordschen Suppenanstalten“ auch in der habsburgischen Residenz notwendig. Auf der Landstraße, in Mariahilf und auf dem Schottengrund wird nun die Suppe Thompsons an die Armen von Wien verteilt; allmählich findet seine „Kraft-Suppe“ aber auch den Weg in den bürgerlichen Haushalt, wie unter anderem etwa Katharina Pratos Kochbuchklassiker Die Süddeutsche Küche von 1881 beweist.


Die Eroberung von Bregenz

Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges nähert sich Unheil dem Land am Bodensee. Im Spätherbst 1646 zieht ein etwa 40.000 Mann starkes schwedisches Heer unter Feldmarschall Karl Gustav Wrangel nach Süden, man sucht nach Beute und bequemen Winterquartieren; die in Bayern stationierten kaiserlichen und bayerischen Truppen rühren keinen Finger, um dies zu verhindern. Am 29. November fordert der schwedische Generalproviantmeister von der Stadt Bregenz u. a. zweihunderttausend Pfund Brot und zweihundert Fass Wein, am 1. Dezember drohen die Schweden mit der Einquartierung von vier Regimentern Infanterie – die Bregenzer verzichten in beiden Fällen auf eine Antwort. Da auch eine neuerliche schwedische Quartierforderung am 28. Dezember erfolglos bleibt, beginnt Wrangel am Morgen des 4. Januar mit 8.000 Mann den Angriff auf Bregenz, das von etwa 2.200 Mann verteidigt wird. Den Verteidigern fehlt es an Proviant, Geschützen und Munition; die Schlüsselstellung, der sogenannte Haggen, fällt nach wenigen Stunden; ortskundige Einheimische führen die Schweden in den Rücken der Bregenzer Stellungen, die Verteidiger werden umkreist und zur Aufgabe gezwungen. Am längsten, so berichten die Quellen, wehren sich die Dornbirner Kriegsleute, Landammann Thomas Rhomberg bekräftigt seine Treue mit seinem Blut; Oberst Äscher, der kommandierende Offizier, veranlasst die kampflose Übergabe und versucht, auf einem Schiff aus dem Hafen zu flüchten, wird aber gefangen genommen.

In der einen Hand die Pistole, mit der anderen ihre Pferde am Zügel nachschleifend, dringen die schwedischen Reiter in die wehrlose Stadt ein, ein Haus nach dem anderen wird geplündert, diesen schlägt, diesen schießt man zu tod und war aller Orten lauter Jammer und äußerstes Elend, desjenigen was mit den ledigen und verheirateten Weibspersonen geschah, zu schweigen; zahlreiche Bewohner versuchen zu flüchten, dabei kommt es auf der überfüllten Achbrücke zu schrecklichen Szenen – im Gedränge werden viele ins Wasser gestoßen und ertrinken in der Hochwasser und Eis führenden Bregenzer Ache. Erst um fünf Uhr abends lässt Wrangel „Generalpardon und jedermann Quartier“ verkünden, das Totschlagen und Aufmetzgen hat damit ein Ende – etwa 200 bis 300 Tote sind zu beklagen, 17 Bregenzer Bürger umgekommen.

Feldmarschall Wrangel bezieht mit seinen Generälen Quartier in der Stadt, seine Soldateska, etwa 3.000 Mann, hausen zwei Monate lang in Bregenz und plündern systematisch die Häuser aus – täglich fahren mit Beute voll beladene Wagen über den Rhein, auf den Märkten jenseits des Flusses bekommen die rauen Kriegsmänner gutes Geld für den geraubten Hausrat, der in manchen Fällen von den geflüchteten Eigentümern selbst wieder zurückgekauft wird; Wrangel lässt sie gewähren. Erst am 6. März 1647 werden die Schweden die devastierte Stadt verlassen, nicht ohne vorher noch das Schloss auf dem Gebhardsberg zu sprengen und die Schanzen auf dem Pfänder zu zerstören.


Die Ermordung der burgenländischen Sinti und Roma in Kulmhof

Etwa 130 Kilometer östlich von Posen (Poznań) liegt das Dorf Chełmno nad Nerem, das die Deutschen „Kulmhof“ nennen. Hier, im Landkreis Warthbrücken im Reichsgau Wartheland, haben sie einen, wie sie meinen, guten Platz zum Massenmord durch „irgendein schnellwirkendes Mittel“ gefunden.

Für die geplante Vernichtungsstätte werden im Dorf Kulmhof ein unbewohntes Gutshaus, „Schloss“ genannt, nebst Park und Kornspeicher sowie Teile einer angrenzenden Gärtnerei gepachtet; das „Schlossgelände“ schirmt man mit einem Bretterzaun ab; ein Großteil der Dorfbewohner wird vertrieben, im November 1941 errichtet man die notwendigen Lagereinrichtungen. Am 8. Dezember 1941 kann das „Sonderkommando Kulmhof“, es sind dies etwa 15 SS- und Sipo-Männer unter dem Befehl von SS-Hauptsturmführer Herbert Lange, mit der Ermordung von Juden aus den benachbarten Amtsbezirken beginnen; getötet wird in einem großen „Gaswagen“, in den Motorabgase geleitet werden.

Wenig später sterben hier erstmals auch Österreicherinnen und Österreicher: Am 5. Januar 1942 trifft der erste „Transport“ von burgenländischen Roma und Sinti aus dem Ghetto Litzmannstadt in Kulmhof ein; bis zum 12. Januar 1942 folgen drei weitere „Transporte“. Insgesamt werden innerhalb dieser einen Woche gegen 5.000 Roma ermordet – es sind jene Menschen, die zwischen 5. und 9. November 1941 ins Ghetto Litzmannstadt deportiert und dort unter katastophalen Verhältnissen im „Zigeunerlager“ untergebracht worden sind – es gibt keine sanitären Einrichtungen und auch keine Möglichkeit zu kochen.

Unter den Ermordeten sind viele Kinder. Die Männer des Sonderkommandos Kulmhof erhalten Lohnzuschläge: täglich zwischen 10 und 13 Reichsmark, je nach Dienstrang – sie verdienen damit mehr als das Doppelte des normalen Lohns.


„Wir erinnern uns“: Gedächtnisstätte für die Opfer des Vernichtungslagers Kulmhof (Chełmno).


Bestätigung des „Privilegium maius“


Eine geschickte Fälschung: das „Privilegium maius“, mit dem sich Rudolf IV. grundlegende Rechte für sein Haus und die österreichischen Länder sicherte. Titelseite des für Kaiser Maximilian I. angefertigten Exemplars. Haus-, Hof- und Staatsarchiv.

Kaiser Friedrich III. lädt zu diesem feierlichen Akt hochrangige Gäste in seine Wiener Neustädter Residenz, sie alle sollen Zeugen dieses für das Haus Österreich so bedeutsamen Vorgangs werden: Kardinal Nicolaus Cusanus und der Nuntius Aeneas Silvius Piccolomini, sein ehemaliger Sekretär, sind ebenso erschienen wie Friedrichs Bruder Albrecht IV., Herzog Wilhelm von Sachsen, Markgraf Albrecht von Brandenburg und zwei Pfalzgrafen bei Rhein sowie die kaiserlichen Räte und Träger der Hofämter. Jetzt endlich soll durch das Oberhaupt des Reiches bestätigt werden, was Friedrichs Großonkel Herzog Rudolf IV. so verwegen hatte fälschen lassen: jene „Freiheitsbriefe“, die die Sonderstellung der habsburgischen Dynastie festschreiben, vor allem auch das „Kernstück“ dieser Fälschungen, das Privilegium maius, eine angeblich von Kaiser Friedrich Barbarossa ausgestellte Urkunde. Zu diesen bestätigten Privilegien zählen die Erblichkeit des Lehens, Steuerfreiheit, das Recht auf Tragen der Königskrone, kein Zwang zu einer Dienstleistung gegenüber dem Reich, keine Pflicht zum Besuch der Reichstage, oberste Lehenshoheit über alle österreichischen Güter, oberste Gerichtshoheit des Landesherren, die Unteilbarkeit der habsburgischen Länder und der Titel „Erzherzog“, den Friedrich allerdings ausdrücklich nur auf die steirische Linie der Habsburger bezogen wissen will. Und allein die steirischen Erzherzöge erhalten weitere zusätzliche Rechte, so werden sie ermächtigt, neue Steuern, Zölle und Mautgebühren einzuführen, und sie dürfen Wappen verleihen und akademische Titel zuerkennen – eine Vorgangsweise, die ein praktisches politisches Ziel hat: Friedrich will damit sein Mündel Ladislaus Postumus und Siegmund von Tirol, der inzwischen der Vormundschaft entwachsen ist, ausschalten.

Großzügig wird jedes einzelne Privileg bestätigt, ja, man findet auch nichts dabei, angebliche Urkunden von Julius Caesar und Kaiser Nero, die Rudolf IV. in ein Diplom Kaiser Heinrichs IV. hatte „inserieren“ lassen, zu bestätigen.


Die Hinrichtung von Herbert Eichholzer

Herbert Eichholzer, geboren 1903 in Graz, ist einer der begabtesten jungen Architekten der Ersten Republik und ein politisch engagierter Mann. 1932 wird er Mitglied des Republikanischen Schutzbunds und nimmt an den Februarkämpfen teil, 1937 arbeitet er für die Vaterländische Front und nach seiner Flucht tritt er im Exil der KPÖ bei. Er ist in Februar und März 1938 einer jener aufrechten Österreicher, die aktiv dem „Anschluss“ entgegenarbeiten – als Mitglied der „Sozialen Arbeitergemeinschaft“ verteilt er Flugblätter zur von Schuschnigg angekündigten Volksabstimmung, die für ein freies Österreich eintreten. Nach dem „Anschluss“ flieht Eichholzer nach Triest, dann geht er nach Paris, wo er unter dem Decknamen „Karl Hase“ Umschulungen und Hilfe für Flüchtlinge aus Österreich organisiert.

Nach einem Aufenthalt in der Türkei bei Clemens Holzmeister kehrt Eichholzer im April 1940 nach Graz zurück – die Gestapo hat ihm eine Rückreiseerlaubnis erteilt, da er vorgibt, sich von nun an nur nationalsozialistisch betätigen zu wollen. Auf der Rückreise lernt er einen österreichischen Kommunisten kennen, der ihm den Auftrag gibt, einen Grenzverkehr nach Zagreb einzurichten. Der Kontakt zwischen dem Auslandsapparat der KPÖ und den einzelnen KPÖ-Gruppen soll dadurch verbessert werden. Doch das ist dem Architekten, der in Paris bei Le Corbusier ein Praktikum absolviert hat, zu wenig: Er beschließt, sich freiwillig zur Wehrmacht zu melden, um auch hier politisch tätig werden zu können. Unmittelbar nach seiner Einberufung am 18. Oktober 1940 beginnt er mit dem Verfassen und Verteilen regimekritischer Flugzettel; der Widerstandsgruppe gehören neben ihm noch Karl Drews, Josef Neuhold, Franz Weiß und andere an. Man nimmt sich kein Blatt vor den Mund – in einem Flugblatt, das die Euthanasie anprangert, heißt es: „Vielleicht wird auch euer Hitler, den ihr vor März 1938 in Vorausahnung schon auf die Außenseite der Feldhofmauer gemalt habt, in Steinhof, aber innerhalb der Mauer landen. (…) Kein anständiger Mensch kann mehr in dieser Partei bleiben, die kaltblütig und überlegt kranke und alte Leute mordet.“

Am 7. Februar 1941 wird Herbert Eichholzer verhaftet; am 9. September 1942 verurteilt man ihn wie Drews, Neuhold und Weiß wegen „Hochverrat“ zum Tode. Ein Gnadengesuch wird abgelehnt, das Urteil am 7. Januar 1943 im Wiener Landesgericht vollstreckt.

Seit 1992 wird von der Stadt Graz und der Technischen Universität Graz alle zwei Jahre der „Herbert-Eichholzer-Förderungspreis“ vergeben, der an die „verantwortungsbewusste Auseinandersetzung des Architekten mit den Strömungen seiner Zeit“ erinnern und diese fortführen soll.


Der Tod des heiligen Severin

Im Kloster von Favianis, dem heutigen Mautern an der Donau, bereitet sich Severin von Noricum auf den Tod vor. Es ist Mitternacht, als der Heilige, der seit drei Tagen einen leichten Schmerz in der Seite spürt, seine Brüder zu sich kommen lässt. Er sagt ihnen nochmals, was mit seinem Leichnam zu geschehen habe, und wendet sich dann mit „eindringlichen und wunderbaren Worten“ an sie, anschließend tauscht er mit jedem einzelnen der Mönche einen Kuss und empfängt das heilige Abendmahl. Severin bittet sie, nicht um ihn zu weinen, dann „machte er mit ausggestreckter Hand über seinen ganzen Körper das Kreuzeszeichen und forderte sie auf, einen Psalm zu singen. Als sie vor übermäßiger Trauer zögerten, stimmte er selbst den Psalm an und sang:, Lobet den Herrn in seinen Heiligtümern … alles, was atmet, lobe den Herrn‘“ – mit diesem Vers auf den Lippen stirbt der Heilige.

Seine Mitbrüder tun, wie ihnen geheißen worden ist. Nach der Beisetzung fertigen sie einen hölzernen Sarg an, in dem die sterblichen Überreste Severins bei der Übersiedlung des Konvents nach dem Süden, die er vorausgesagt hat, mitgenommen werden sollen. Als 488, sechs Jahre später, auf Befehl des Skiren Odoaker der Abzug der romanischen Bevölkerung aus dem Land an der Donau Wirklichkeit wird und die Prophezeiung sich erfüllt, öffnen sie das Grab und finden den „ganzen Körper vollkommen erhalten“ vor.


Der Leichnam Severins wird von der 488 aus Ufernoricum abziehenden Bevölkerung mit in die neue Heimat genommen.

Mit dem Tod des heiligen Severin, dessen Sterben uns in der Vita Sancti Severini des Eugippius überliefert ist, neigt sich die Herrschaft Westroms in Noricum dem Ende zu. Eindringlich zeigt die Schrift des Eugippius, der die Entfernung der Provinzialbevölkerung als Mitglied des Klosters von Favianis selbst miterlebt, wie Severin, ein Mann vornehmer italienischer Abstammung, allein durch seine Autorität als Seelsorger, durch sein diplomatisches Geschick im Umgang mit den Germanenfürsten und durch seine soziale Fürsorge über knapp drei Jahrzehnte hinweg – er kommt 453 nach dem Tod des Hunnenkönigs Attila an die Donaugrenze – das Schicksal der Provinz bestimmt, auch über den Untergang des Reiches 476 hinaus.

Die Gebeine des heiligen Severin von Noricum ruhen seit 1807 in der Pfarrkirche von Frattamaggiore nördlich von Neapel.


Die Hinrichtung Walter Caldonazzis

Er ist der Erste, der aus der Widerstandsgruppe um Kaplan Heinrich Maier (siehe 22. März) und Semperit-Generaldirektor Franz Josef Messner (siehe 23. April) der Gestapo in die Hände fällt: Am 25. Februar 1944 wird der 1916 in Mals in Südtirol geborene und in Kramsach aufgewachsene Forstingenieur Walter Caldonazzi in Wien verhaftet. Die „Selbständigmachung Österreichs zum Schaden des Deutschen Reiches“ wird man ihm in der Anklageschrift vorwerfen, gemeint sind damit das Verteilen von Flugblättern und die Besorgung von fiebererregenden Medikamenten für Wehrpflichtige, die dem Dienst für „Führer“ und Vaterland entkommen wollen. Vor allem aber geht es den Gestapobeamten darum, in den Verhören mit ihm mehr über Arbeitsweise und Kontaktpersonen der Gruppe zu erfahren, bereitet man doch den entscheidenden Schlag gegen Maier und Messner vor.


1184 Hinrichtungen in der NS-Zeit: der Gedenkraum im Wiener Landesgericht.

Am 28. Oktober 1944 wird Walter Caldonazzi gemeinsam mit seinen Mitstreitern zum Tode verurteilt und wartet von nun an in der Zelle E44 auf die Hinrichtung. Am 1. Januar 1945 schreibt er an seine Familie und seine Braut Hedi Kapeller: „Meine Tage und Stunden sind bereits gezählt, wisset, daß ich mein Leben gerne für die Heimat hingebe, obwohl mich der Gedanke an meine Hedi und Hertha so manche bittere Träne kostete. Ihr wißt, ich war immer ein Gegner des Krieges, immer ein Feind des geistlosen preußischen Militarismus. Macht mir keine Vorwürfe, bitte, mir war dieser scheußliche Tod vorgezeichnet, ich trage mein Los voll treu ergeben als treuer Christ. Eine Freude hätte ich, das heißt Bitte: Bringt mir am schönsten Platz der Welt, wie es mir schien, am Almkranz auf der Praa-Alm ein Marterl an, mit der Bitte um Gebet und den Worten, O Land Tirol, mein einzig Glück, dir sei geweiht mein letzter Blick!‘“

Walter Caldonazzi, der „unentwegte Österreicher“ und engagierte Burschenschafter – er ist seit seiner Gymnasialzeit bei der Kufsteiner MKV-Verbindung „Cimbria“ und seit 1937 Mitglied der Wiener „Amelungia“ –, der für die Monarchie als Staatsform wirbt, ist ein tief religiöser Mensch und tritt mit dem Ruf „Es lebe Christus der König!“ den Weg zum Schafott an; er stirbt um 18.04 Uhr.

Gedenktafeln in Kufstein und Kramsach sowie auf der Praa-Alm und der Walter-Caldonazzi-Platz in Wien-Hietzing, auf dem 2008 ein Gedenkstein enthüllt wird, erinnern an den Tiroler Widerstandskämpfer.


Die Anarchistenmorde

Am Abend des 10. Januar 1884 geht die Nachricht wie ein Lauffeuer durch Wien: Im „Apothekerhaus“ in der Mariahilfer Straße 55 sei der Wechselstubenbesitzer Heinrich Eisert überfallen und durch einen Axthieb gegen den Kopf schwer verwundet und verstümmelt worden; sein elfjähriger Sohn Rudolf sei getötet, der neunjährige Heinrich ebenfalls schwer verletzt worden, die 65-jährige Caroline Baier, die Französischlehrerin der beiden Kinder, habe ebenfalls eine Verwundung erlitten; ein großer Teil der Wertgegenstände in der Wechselstube sei verschwunden.


Anton Kammerer versucht, sich bei seiner Verhaftung den Weg freizuschießen.

Die Täter, so kann man bereits am nächsten Morgen in den Blättern der Hauptstadt lesen, seien zwei Männer gewesen, einer davon groß und schlank „mit schwarzem Haar und ebensolchem Backenbart“; das „grauenvolle Verbrechen“, so erkennen die Ermittler der Polizei schnell, trägt die Handschrift der beiden „Anarchisten“ Anton Kammerer und Hermann Stellmacher, die wenig später wieder töten: Am 25. Januar 1884 wird der Polizeiagent Ferdinand Blöch auf offener Straße erschossen; Heinrich Eisert erliegt am 22. Januar seiner schweren Verletzung, Sohn Heinrich stirbt vier Tage später. Bereits am 15. Dezember 1883 hatten Kammerer und Stellmacher in Floridsdorf den Polizeibeamten Franz Hlubek erschossen. Nach den Morden tauchen jeweils Flugblätter auf, in denen den „Ordnungskanaillen vom Schottenring“ der „Kampf mit allen Mitteln“ angesagt wird – Wasser auf die Mühle der Regierung Taaffe, die nun glaubt, scharf gegen die radikalen Exponenten der Arbeiterbewegung vorgehen zu können: Am 30. Januar 1884 verhängt die Regierung Eduard Taaffe über die Sädte Wien, Wiener Neustadt und Korneuburg den Ausnahmezustand; bis zum 17. Februar 1884 werden 238 Personen wegen „anarchistischer Umtriebe“ aus Österreich-Ungarn ausgewiesen; Prozesse wegen Hochverrats, „Geheimbündelei“ oder der Verbreitung verbotener Druckschriften sind an der Tagesordnung; am 25. Juni 1888 wird vom Abgeordnetenhaus im Reichsrat ein „Sozialistengesetz“ mit zweijähriger Geltungsdauer verabschiedet, das starke Einschränkungen des Versammlungsrechts sowie die strenge Überwachung des Vereinswesens und der „sozialistischen“ Presse vorsieht.

Kammerer und Stellmacher werden am 28. Februar 1884 verhaftet, unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Presse (!) werden beide zum Tode verurteilt und hingerichtet: Stellmacher am 8. August 1884 im Landesgericht, Kammerer, der 1882 vom Infanterieregiment Nr. 84 desertierte, in der Alser Kaserne.


Die Lawinenkatastrophe 1954 in Vorarlberg

Der Schnee lässt im Winter 1953/​54 in Vorarlberg ungewöhnlich lange auf sich warten. Zu den Weihnachtsfeiertagen wirbeln zwar einige Flocken durch die Täler, von einer richtigen Winterlandschaft aber zeigt sich weit und breit keine Spur. Das ändert sich plötzlich am 9. Januar: Es beginnt in großen Flocken stark zu schneien. Die Schneehöhe wächst rasch, innerhalb von 24 Stunden fallen bei Temperaturen von minus fünf bis minus sieben Grad bis zu 1,7 Meter Neuschnee; der starke Wind führt oberhalb der Baumgrenze zu enormen Schneeverfrachtungen, dazu kommt, dass der lockere Neuschnee mit dem kompakt gefrorenen Altschnee keine Verbindung eingehen kann – die Lawinengefahr steigt im ganzen Land dramatisch.

In der Nacht vom 10. auf den 1. Januar schneit es noch immer, viele Verkehrsverbindungen sind bereits unterbrochen, zahlreiche Orte von der Außenwelt abgeschnitten und auch per Telefon nicht mehr erreichbar. Es beginnt eine unheimliche Serie schwerer Lawinenabgänge mit dem Zentrum Großes Walsertal: So verschüttet um sechs Uhr früh in Sonntag-Boden eine Lawine fünf Bauernhöfe und eine Sennerei, sechs Tote sind zu beklagen; kurz nach zehn Uhr zerstört im Gemeindegebiet von Blons eine Lawine, die sich vom Hohen Falv löst, 26 bäuerliche Anwesen, sechs Alphütten und drei Seilbahnstationen, 77 Menschen werden verschüttet, 27 können nur mehr tot geborgen werden. Um 12.45 Uhr fordert ein Lawinenabgang in Bartholomäberg-Lutt vier Tote, um 13.30 Uhr tötet eine Lawine in St. Gerold drei Menschen. Um 19 Uhr abends löst sich von den Hängen des Mont Calv eine Lawine und rast auf den Ortskern von Blons zu – zehn Bauernhöfe, vierzehn Ställe, eine Sennerei und drei Seilbahnstationen werden von ihr mitgerissen, darunter auch zwei Gebäude, in denen die Opfer der ersten Lawine des Tages versorgt worden sind. Von den 40 verschütteten Menschen sterben 21. Um 19.30 Uhr zerstört eine Lawine in Hittisau im Bregenzer Wald den Bauernhof der Familie Lipburger, sieben Menschen finden den Tod; um 20.45 Uhr fordert eine Lawine vom „Ruha Egg“ in Bartholomäberg 19 Menschenleben.

Erst am nächsten Tag wird das ganze Ausmaß der Zerstörungen sichtbar; es beginnt ein Großeinsatz der Hilfsorganisationen, zahlreiche Freiwillige aus dem In- und Ausland kommen in die Katastrophengebiete, wo die Überlebenden mit bloßen Händen nach ihren verschütteten Angehörigen suchen; erstmals werden auch Hubschrauber eingesetzt.

Die Vorarlberger Nachrichten klagen über das „ungeheure Leid“, das mit der Katastrophe über das Land gekommen ist: „Der weiße Tod hat uns heimgesucht, und die Heimstätten friedlicher Menschen, Haus und Hof mitgerissen und vielen Bewohnern ein kaltes Grab bereitet. … Wir neigen uns in Ehrfurcht vor den Bahren der bereits Geborgenen und beten um das Leben jener, die noch unter dem weißen Leichentuch begraben sind.“


Das Hofdekret über die Klosteraufhebungen

Es ist ein wahrer Paukenschlag im Rahmen der josephinischen Reformen. Ein kaiserliches Dekret verfügt die Aufhebung kontemplativer Ordenshäuser, der gesellschaftliche Nutzen wird dabei zum entscheidenden Kriterium: Wer sich nicht dem Unterricht in Schulen, der Krankenbetreuung und der praktischen Seelsorge widmet, hat in Josephs Augen keinen „Wert“ für den Staat und ist „unnütz“; dazu kommt, dass ihm die Klöster als „Quellen des Aberglaubens“ und des „religiösen Fanatismus“ gelten. Von 915 Klöstern, 780 Männer- und 135 Frauenklöstern, bleiben im deutschsprachigen Teil der Monarchie einschließlich Böhmen, Mähren und Galizien 388 erhalten. Die Dotation des „Religionsfonds“, in dem die Vermögen der Klöster zusammengeführt werden, steigt auf 35 Millionen Gulden; die Gebäude versucht man sinnvoll für die Allgemeinheit zu nützen.

Abgewickelt werden die Klosteraufhebungen von einer „Geistlichen Hofkommission“, zu deren umfangreichen Aufgaben auch die Gründung neuer Pfarren gehört – damit soll eine bessere seelsorgerliche Betreuung der Gläubigen gewährleistet sein. Die Kirche reagiert auf diese spektakuläre Aktion mit der Reise von Papst Pius VI. im Frühjahr 1782 nach Wien; in den Gesprächen mit dem Heiligen Vater bleibt Joseph II. allerdings im Wesentlichen bei seinen Entscheidungen. Das emotionslose Urteil des Kaisers: „Unsere Verhandlungen haben schließlich zu nichts geführt.“


Kaiser Joseph II. bleibt in den Gesprächen mit Pius VI. bei seinem Reformkurs: der Papst beim Besuch der Michaelerkirche in Wien. Gouache von Anton C. Kaliauer, 1782.


Das Josephinische Strafgesetz

Mit Patent vom 13. Januar 1787 wird von Joseph II. das Allgemeine Gesetzbuch über Verbrechen und derselben Bestrafung, ausgearbeitet von der „Kompilationshofkommission“ der Obersten Justizstelle, verkündet und tritt noch am selben Tag in Kraft. Das neue Strafgesetzbuch löst die umstrittene Constitutio Criminalis Theresiana aus dem Jahre 1768 ab und setzt zukunftsweisende Maßstäbe: Erstmals wird in den habsburgischen Erblanden die Todesstrafe im ordentlichen Strafverfahren abgeschafft, vorgesehen bleibt sie nur mehr für Verfahren vor dem Standgericht, also in der Militärgerichtsbarkeit. Endgültig abgeschafft sind nunmehr auch alle Verstümmelungsstrafen wie das Ohrenabschneiden, das man einst so gerne bei den widerspenstigen Bauern angewandt hatte. Ausdrücklich wird noch einmal die Folter als Instrument zur Wahrheitsfindung verworfen; „Ketzerei“, „Zauberei“ und „Hexerei“ sind keine Verbrechen mehr.


Joseph, der Nützlichkeitsfanatiker und aufgeklärte Despot, setzt auf Verurteilungen zu schwerer, der Allgemeinheit dienender Arbeit; eine dieser neuen Sonderstrafen, die als Äquivalent für die Todesstrafe dienen, ist die Verurteilung zum „Schiffsziehen“ im Osten des Reiches, einer Strafe von bizarrer Härte, die an die Galeeren alter Zeit erinnert. Das Ziehen der Schiffe entlang der Flüsse Save, Kulpa, Donau, Drau und Theiß kommt einem Todesurteil gleich: Nur wenige der Unglücklichen, die zu dieser qualvollen Sklavenarbeit auf den sumpfigen Treppelwegen verurteilt werden, überleben die unmenschlichen Bedingungen länger als zwei Jahre. Penibel wie immer überwacht Joseph genau die Durchführung seiner Anordnungen und zeigt sich taub gegen alle Vorhaltungen, die die Inhumanität dieser Strafe anprangern. Auch sonst bleibt so manches inhumane Element im Kanon der Strafen bestehen: das Brandmarken mit glühendem Eisen, das Stehen am Pranger und die Prügelstrafe sowie „langwierige“ Gefängnisstrafen bis zu hundert (!) Jahren. „Verbrecher“ erhalten ihren Status weiterhin in den Körper eingebrannt und eingebleut, werden so vor der Gesellschaft als „Ausgestoßene“ gebrandmarkt. Josephs Neffe Franz II./​I. wird mit dem „Kriminalpatent“ vom 2. Januar 1795 die Todesstrafe für das Delikt „Hochverrat“ wieder einführen.


Der Täufer Leonhard Schiemer

Seine Lehre birgt Explosivstoff und fordert weltliche und kirchliche Obrigkeit gleichermaßen heraus: Für jeden echten Christen, so verkündet der Täufer-Apostel Leonhard Schiemer, sei der Verzicht auf privates Eigentum selbstverständlich, ebenso der Verzicht auf Gewalt. Und nur der „innere Mensch“ sei fähig, das unmittelbare Wort Gottes zu hören, jenes Wort Gottes, das den Menschen zur opferbereiten Nachfolge Christi veranlasse. Das Leiden wird von ihm zur mystischen Erfahrung schlechthin erklärt und theologisch begründet: Christus selbst leide in den Gläubigen an dieser Welt.

Leonhard Schiemer, geboren in Vöcklabruck, das Geburtsdatum ist unbekannt, erlernt zunächst das Schneiderhandwerk, will dann Priester werden und tritt schließlich ins Barfüßerkloster in Judenburg ein, das er angeblich nach sechs Jahren „fluchtartig“ verlässt. Er geht nach Nürnberg, arbeitet wieder als Schneider und knüpft hier erstmals Kontakte zur Täuferbewegung, die ihn veranlassen, nach Nikolsburg (Mikulov) in Mähren zu ziehen. Hier lernt er die Täufergemeinde Balthasar Hubmaiers kennen, dann übersiedelt er nach Wien, wo er sich zu Pfingsten 1527 von Oswald Glait taufen lässt und als Mitglied der Wiener Täuferkirche von Hans Hut seine missionarische Tätigkeit beginnt. Im August 1527 nimmt Leonhard Schiemer an der Augsburger Märtyrersynode teil und wird von dort als „Sendbote“ nach Tirol gesandt; er wählt Rattenberg als Standort für seine Tätigkeit. Das kleine Städtchen, erst seit dem Kölner Schiedsspruch von 1504 bei Österreich, beherbergt eine kleine Täufergemeinde, die ihn sofort zu ihrem Bischof wählt.

Inzwischen hat jedoch Ferdinand I., der Bruder Karls V., bereits seinen „Kreuzzug“ gegen die verdambte Ketzerey begonnen, unablässig fordert der junge Habsburger von seinen Beamten hartes Durchgreifen, ja, er verlangt Todesurteile für die widertauffer, wo diese für Milde und Nachsicht stimmen. So sind auch Leonhard Schiemer nur wenige Wochen vergönnt, in denen er durch seine Predigten neue Anhänger gewinnen kann; er wird verhaftet und eingekerkert, während seiner Untersuchungshaft arbeitet er an der Abfassung neuer „Sendschreiben“ an die Gläubigen. Anfang Januar 1528 unternimmt er einen Fluchtversuch, der jedoch scheitert, er wird dem Scharfrichter übergeben und nach Folterungen am 14. Januar in Rattenberg enthauptet.

Einige der von einem mystischen Grundton getragenen Kirchenlieder Leonhard Schiemers haben bis heute im Liedgut der „Hutterischen Brüder“ überlebt; der Verfolgung und dem Martyrium der Täufer setzt er in einem berührenden Klagelied ein Denkmal. Darin heißt es:

Man hat sie an die bäum gehenkt,

erwürgt und zerhawen,

Heimlich und öffentlich ertrenckt,

vil Weiber und jungfrawn.

Die haben frey Ohn alle schew

Der warhait zeugnuss geben,

dass Jesus Christ die warhait ist (…)

Bis 1540 werden in Rattenberg weitere 70 Täuferinnen und Täufer für ihren Glauben sterben.


Der erste öffentliche Schwurgerichtsprozess

Der Verhandlungsbeginn ist für 9.30 Uhr angesetzt. Vor Gericht steht die 19-jährige, „nett“ gekleidete Dienstmagd Cäcilia Hunger, angeklagt wegen des „Verbrechens der Brandlegung sowie der Übertretung des Diebstahls und der Veruntreuung“. Am 28. September 1850 habe sie, so die Anklageschrift, im Hause ihres Dienstherren Daniel Oberbauer, Gumpendorf Nr. 532, gegen sieben Uhr abends mehrere brennende Zündhölzchen auf den Strohsack und die Kotzen eines Betts am Dachboden geworfen; in dem durch den Brand entstandenen Tumult habe sie dann die Brieftasche des Daniel Oberbauer mit 21 Gulden entwendet. Nach einer Anzeige ihres Dienstherrn beim Bezirkskommissariat Mariahilf sei sie arretiert und bis zum heutigen Tage „in Untersuchung“ gehalten worden. Das Feuer habe keinen großen Schaden angerichtet.

Ein alltäglicher Fall und dennoch ein Meilenstein in der Geschichte der Rechtsprechung in Österreich: Erstmals entscheiden Geschworene über „schuldig“ und „nicht schuldig“, ein Anlass, der viel Prominenz in den Gerichtssaal gelockt hat: Justizminister Anton von Schmerling und Unterstaatssekretär von Stelzhammer sind anwesend; der Präsident des Schwurgerichtshofes, Oberlandesgerichtsrat Dr. Josef Edler von Würth, leitet die Verhandlung. In seiner „würdevollen Ansprache“ betont von Würth, dass die Geschworenen dazu berufen seien, eines „der einflussreichsten Rechte des Staatsbürgers auszuüben“, es sei dies eine Reform, „in der sich die größte Achtung und Anerkennung der freien Persönlichkeit des Einzelnen wie die Gleichheit Aller vor dem Gesetze“ ausspreche, die Geschworenen – es sind nur Männer – ermahnt er zu „Besonnenheit, Unparteilichkeit und Mäßigung“.

Im Verhör, das der Vorsitzende mit Cäcilia Hunger dann anstellt, zeigt sich die Angeklagte reumütig, als Motiv für ihre Tat nennt sie die „Sehnsucht nach ihrer Heimat, um ihren Vater wieder zu sehen“; ihr Verteidiger, ein gewisser Dr. Dierl, weist darauf hin, dass die „Absicht der Angeklagten bloß auf Diebstahl und nicht auf Brandlegung“ gerichtet gewesen sei, laut Meinung der Sachverständigen sei es auch zu keinem „hellen Brande“ gekommen. Das offene Geständnis der jugendlichen „Verbrecherin“ hat im Publikum tiefen Eindruck gemacht, das Gericht formuliert nun vier Fragen an die Geschworenen, die sie zu beurteilen haben. Nach 45-minütiger Beratung beantworten die Geschworenen alle Fragen mit „schuldig“, bei Punkt 1, der Brandlegung, erkennen sie, in Überschreitung ihrer Kompetenz, wie der Vorsitzende kritisch anmerkt, auf „schuldig mit mildernden Umständen“ – im Bemessen des Strafausmaßes zeigen die honorigen Herren des Gerichts wenig Fingerspitzengefühl: Cäcilia Hunger wird zu drei Jahren (!) schwerem Kerker, dem vom Staatsanwalt geforderten Minimum, verurteilt; die Sitzung schließt um vier Uhr nachmittags.


Annemarie Moser-Prölls letzter Weltcupsieg

Wieder einmal ist die Elite des Damenskirennsports im kleinen Schweizer Ort Arosa in Graubünden zu Gast. Wenige Wochen vor den Olympischen Spielen in Lake Placid geht es für die Läuferinnen um letzte Standortbestimmungen – auch für die Königin des Weltcups im letzten Jahrzehnt, Annemarie Moser-Pröll. Zwölf Jahre sind seit ihrem denkwürdigen Debüt in der Weltcupabfahrt von Bad Gastein am 17. Januar 1968 vergangen, als das Mädchen vom Bergbauernhof auf vereister Piste nach Stürzen mit 30 Sekunden Rückstand auf ihre Teamkollegin Olga Pall 78. und Letzte geworden war; inzwischen stehen 61 Siege zu Buche und sechs Erfolge im Gesamtweltcup sowie vier Weltmeistertitel: Die Letzte von einst ist zur Größten geworden, daran hatte auch eine Unterbrechung ihrer Karriere vom März 1975 bis zum Dezember 1976 nichts ändern können.


Auf der Fahrt zum letzten großen Sieg: Annemarie Moser-Pröll gewinnt Gold in Lake Placid 1980.

Im ÖSV-Team ist „die Pröll“ die unumschränkte Nummer eins, es gibt niemanden, der ihr in diesem Weltcup- und Olympiawinter 1979/​80 auch nur annähernd Konkurrenz machen könnte. Auch im Riesentorlauf, der an diesem 16. Januar am Programm steht, ist sie noch immer stärkste Österreicherin, auch wenn ihr letzter Sieg in dieser Disziplin nun schon fast zwei Jahre zurückliegt – herausgefahren am 17. März 1978 in Arosa. Das Rennen wird geprägt vom Zweikampf Hanni Wenzels mit der Schweizerin Marie-Therese Nadig, in dem die Liechtensteinerin, die in dieser Saison auch den Gesamtweltcup für sich entscheiden wird, mit 29 Hundertsteln Vorsprung die Oberhand behält. Dritte am Siegespodest ist die Französin Perrine Pelen. Annemarie Moser-Pröll reicht ein solider Lauf für den siebenten Platz und ihren 62. und letzten Weltcupsieg: Sie gewinnt mit 10.61 Punkten klar die Kombinationswertung vor Hanni Wenzel (34.84) und Teamkollegin Ingrid Eberle (50.39).

Am 25. Januar wird die Skikönigin aus Kleinarl im Slalom von St. Gervais hinter Perrine Pelen Zweite und steht ein letzets Mal bei einem Weltcuprennen am Siegespodest; dann geht es zu den Olympischen Spielen nach Lake Placid. Ein allerletzter „herrlicher Sieg“ (Serge Lang) wartet hier am 17. Februar 1980 auf der Piste am Whiteface Mountain noch auf sie: die Goldmedaille in der Abfahrt.


Skandal im Theater an der Wien

Im Theater an der Wien steht eine Benefizvorstellung für den „beliebten Komiker und Bühnendichter, Hrn. Nestroy“ (Theaterzeitung) auf dem Programm. Angekündigt ist eine neue „Localposse mit Gesang“, der monströse Titel des Stücks, zu dem Adolf Müller die Musik beisteuert: Eine Wohnung ist zu vermieten in der Stadt, eine Wohnung ist zu verlassen in der Vorstadt, eine Wohnung mit Garten ist zu haben in Hietzing.


Provozierte sein Publikum: Johann Nestroy. Lithographie von August Prinzhofer, 1846.

Das Haus ist an diesem Abend „übervoll“, so dass manche Zuschauer im Parterre über die Schranken des Orchesters steigen müssen, um zu ihren Sperrsitzen zu gelangen. Nestroy selbst, der Beneficiant, spielt die Hauptrolle, den selbstgefälligen Herrn von Gundlhuber, einen Rentier; sein kongenialer Partner Wenzel Scholz (1787 – 1857) gibt den Hausmeister Cajetan Balsam. Das Stück basiert auf dem „komischen Gemälde in fünf Rahmen“ Wohnungen zu vermiethen! des Berliner Autors Louis Angely, was Nestroy in der Ankündigung jedoch verschweigt.

Die Stimmung im Publikum ist zu Beginn der Aufführung noch ausgezeichnet und der erste Akt entwickelt sich zunächst „in seinem Gange ungestört“, ja, man vernimmt sogar „Applaus und Vorrufe“, doch schon während des zweiten Akts setzt heftiges Zischen ein, schließlich werden die „Zeichen des Missfallens so laut und ununterbrochen, dass man von dem zweiten und dritten Akte nur Bruchstücke entnehmen konnte, und das Stück in eigentlicher Bedeutung gar nicht zu Ende gespielt ward. Somit ist denn auch kein Detail über den Inhalt zu erfassen gewesen.“ (Der Telegraph) Der Abend wird zu einem Fiasko, wie es Nestroy noch nicht erlebt hat; seine „ziemlich vorlaute Bemerkung“ am Schluss des Stückes, dass es „im Theater, wie in jedem Hause, Parteyen“ geben müsse, bringt die Kritiker erst recht gegen ihn auf. „Das Stück selbst hat keinen andern Fehler als den, dass es gegeben wurde“, ätzt Moritz Gottlieb Saphir im Humorist, die Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode spricht von einem „sinn- und witzlosen Machwerk“.

Die vernichtende Kritik bewirkt, dass das Stück nur mehr zweimal wiederholt wird und vom Spielplan verschwindet – die moderne Kritik sieht dagegen in dieser Posse Nestroys durchaus ein „Schlüsselstück des Nestroyschen Œuvres“ (W. E. Yates), sein scharfer satirischer Angriff auf das Wiener Spießbürgertum sei vom kleinbürgerlichen Publikum missverstanden worden.


Kaiserproklamation in Versailles

Es ist eine pompöse Inszenierung: Preußische Feldregimenter marschieren mit ihren Fahnen vor Schloss Versailles auf, Musikzüge, ein Altar ist im Spiegelsaal von Versailles errichtet worden – Preußens König Wilhelm I. wird zum „Deutschen Kaiser“ proklamiert. Österreich ist damit endgültig „draußen“ aus Deutschland, die „kleindeutsche Lösung“ fix, eine Realität, mit der viele Österreicher in der Folge nicht zurechtkommen. Entsprechend die Kommentare in den österreichischen Zeitungen: „Wir Österreicher“, so heißt es im Leitartikel der Neuen Freien Presse vom 20. Januar 1871, „sehen nicht ohne Schmerz der Erinnerung an vergangene Herrlichkeit den Triumph Preußens“; man fragt nach den Ursachen der „wunderbaren Expansionskraft“ Preußens und wie es nur kommen konnte, dass Österreich, das „mit seinem Leibe so oft Deutschland gedeckt, mit seiner Brust so oft die gegen Deutschland gerichteten Pfeile aufgefangen, so tausendfältig sein theuerstes Herzblut für Deutschland hingegeben“ habe, nun als der „ewige eigennützige Minderer Deutschlands“ hingestellt werde und der Hohenzollernstaat als dessen „einziger Schutz und Schirm“ erscheine.

Und es beginnt die Suche nach den Schuldigen und nach Argumenten, die zeigen sollen, dass „wir Österreicher“ doch die „besseren Deutschen“ sind: da ist die „deutschösterreichische Poesie“, da ist das Hofburgtheater, von Joseph II. als „deutsches Nationaltheater“ gegründet, und da sind österreichische Denker, die beigetragen haben zum „Tempel deutscher Geistesgröße“. Es entwickelt sich jenes Dilemma, das bis 1938 seine Wirkkraft entfalten wird: Als die preußisch-faschistische Staatsgewalt zum endgültigen Schlag gegen Österreich ausholt, weigert sich Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, den Schießbefehl zu erteilen – er wolle das Blut der „deutschen Brüder“ nicht vergießen.


Der Triumph Preußens: die Proklamation des Deutschen Kaiserreiches. Gemälde von Anton von Werner, Friedrichsruh, Bismarck-Museum.


Das Begräbnis von Feldmarschall Radetzky

Kaiser Franz Joseph persönlich ist nach Kleinwetzdorf gekommen, um dem toten Helden die letzte Ehre zu erweisen. „Dem Willen des Allmächtigen hat es gefallen“, so sagte er in einem Armeebefehl am Vortag, „den ältesten Veteranen meiner Armee, ihren sieggekrönten Führer, meinen treuesten Diener, den Feldmarschall Grafen Radetzky aus diesem Leben abzuberufen.“ Dem prunkvollen Leichenzug durch die Wiener Innenstadt zum Stephansdom und der feierlichen Einsegnung des Leichnams folgt nun eine schlichte Zeremonie inmitten der sanften Kuppen des Weinviertels.


Das Grabmal Feldmarschall Radetzkys in der Gruft am Heldenberg.

Am Abend hat man den Sarg mit einem „Separattrain“ nach Stockerau gebracht und von hier weiter auf einem Wagen zur Kapelle von Schloss Kleinwetzdorf, seit 1832 die Residenz des Armeelieferanten Joseph Gottfried Pargfrieder (1787 – 1863). Reich geworden durch Lebensmittel-, Schuh- und Stofflieferungen an die kaiserliche Armee, lässt Pargfrieder 1849 im Schlosspark die „Gedenkstätte Heldenberg“ errichten, 1854 kann er mit dem Leichnam des Feldmarschalls Maximilian Freiherr von Wimpffen einen ersten „Helden“ in seiner Ruhmeshalle begrüßen. Pargfrieder, der sich gerne als illegitimer Sohn Kaiser Josephs II. ausgibt, ist Nutznießer eines kleinen Lasters der beiden tapferen Militärs: Er hat für Wimpffen und Radetzky die hohen Spielschulden beglichen und sich dafür die testamentarische Verfügung erbeten, sie nach Ableben auf dem Heldenberg bestatten zu dürfen.

Nur wenige Menschen folgen dem Sarg Radetzkys, auf dem sein Marschallstab und die Insignien des Goldnen Vlieses liegen: der Kaiser, die einzigen noch lebenden Kinder des Toten, Friederike und Theodor, und der Kammerdiener Karl. Entlang der „Heldenallee“ stehen „zu tausenden die Bauern“, zusammengeströmt aus der Umgebung, um einen Blick auf den 27-jährigen Monarchen zu erhaschen. Sie knien nieder, als der Trauerzug sie passiert; Pargfrieder selbst nimmt als „Hausherr“ die Leiche bei der Säulenhalle in Empfang; gemeinsam mit dem Kaiser begleitet er den Sarg über vierundzwanzig Stufen hinunter in die Gruft zu der Nische, in der Radetzky, der Sieger von Custozza und Novara, zur ewigen Ruhe gebettet wird – fünf Jahre später wird es Pargfrieder selbst sein, der im rotgeblümten seidenen Schlafrock seinen Einzug in die Gruft hält.


Die Wannseekonferenz

Berlin, Am Großen Wannsee 56 – 58. Das wenige Monate zuvor eröffnete Gästehaus der SS, verwaltet von der von Sicherheitspolizeichef SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich errichteten Stiftung „Nordhav“, bietet jeden Komfort: „vollkommen neu eingerichtete Besucherzimmer, Geselligkeitsräume wie Musikzimmer, Spielzimmer, große Halle und Wintergarten, Terrasse zum Wannsee, Zentralheizung und fl. Wasser“. Die Übernachtung einschließlich Frühstück ist in dem ehemals dem Kaufmann Friedrich Minoux gehörenden Haus für „auswärtige SS-Führer von Sicherheitspolizei und SD“ für fünf Reichsmark mehr als wohlfeil; wer nicht selbst mit dem Wagen ankommt, kann sich jederzeit vom Bahnhof Wannsee abholen lassen, ein Anruf unter der Nummer 80 57 60 genügt.

An diesem Januartag geht es im repräsentativen Esszimmer der Villa hoch her, auf Einladung von Reinhard Heydrich hat sich ein illustrer Kreis von fünfzehn Herren aus diversen Reichsministerien und SS-Dienststellen eingefunden, die alle etwas mitzureden haben, wenn es darum geht, wie auf der Einladung so präzise formuliert, die „Endlösung der Judenfrage“ zu erörtern. Den Vorsitz bei der für 12 Uhr angesetzten „Konferenz“, die ursprünglich schon am 9. Dezember 1941 hätte stattfinden sollen, führt Heydrich selbst, auch ein „Ostmärker“ sitzt mit am Tisch und lässt sich kein Wort von dem entgehen, was die Chefs so diskutieren – muss er doch das Protokoll führen: Adolf Eichmann, der Leiter des „für Juden- und Räumungsangelegenheiten“ zuständigen Referats IV B4 beim Reichssicherheitshauptamt, der auch die Vorlagen für die heutigen Wortmeldungen Heydrichs verfasst hat. Eichmann, Jahrgang 1906, aus Linz stammend und seit 1932 NSDAP- und SS-Mitglied, gilt im Kreis der SS-Führer als der Spezialist für alle „organisatorischen“ Abläufe in den „Judenangelegenheiten“; durchdrungen von einer unbedingten „Ideologie der Sachlichkeit“ (Julia Schulze Wessel), hat er sich im Herbst 1941 eingehend über die Möglichkeiten zum industriellen Massenmord informiert und das in Bau befindliche Vernichtungslager Bełżec ​sowie die „Gaswagenstation“ Chelmno (Kulm) besucht, Letztere während des laufenden „Vernichtungsbetriebes“, eine Inspektion im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ist geplant. In seinem einleitenden Vortrag teilt Heydrich seine „Bestallung zum Beauftragten für die Vorbereitung der Endlösung der europäischen Judenfrage“ durch Hermann Göring mit und betont, dass nun an die Stelle der Auswanderung eine „weitere Lösungsmöglichkeit“ getreten sei, selbstverständlich nach „entsprechender vorheriger Genehmigung durch den Führer“: die Evakuierung nach Osten zum „Arbeitseinsatz“, wobei eine „natürliche Verminderung“ anfallen würde, der „allfällig endlich verbleibende Restbestand“ werde dann „entsprechend behandelt werden müssen“. Von dieser „Endlösung“ betroffen wären über elf Millionen Juden, darunter auch, wie eine dem Protokoll beigefügte Statistik ausweisen wird, immer noch 43.700 aus der „Ostmark“. Keinen Zweifel lässt Heydrich über seine Kompetenz in dieser Angelegenheit: Die „Federführung bei der Bearbeitung der Endlösung der Judenfrage“ liege „zentral“ beim Reichsführer-SS und dem Chef der Sicherheitspolizei, wichtig sei aber auch die „Parallelisierung der Linienführung“ mit den weiteren „Zentralinstanzen“. In „sehr unverblümten Worten“ wird dann „von Töten und Eliminieren und Vernichten“ (Adolf Eichmann) gesprochen, die Ordonnanzen der Herren reichen Kognak, die Stimmung ist entspannt und Reinhard Heydrich erreicht sein Besprechungsziel: Wilhelm Stuckart, der Staatssekretär des Innenministeriums, der für die Zwangssterilisierung aller Juden eintritt, und dessen Kollegen aus den anderen Ministerien geben „fröhlich“ ihre Zustimmung zu den geplanten „Lösungsmöglichkeiten“ und sagen entsprechende Unterstützung zu. „Jedermann“, so wird Eichmann später aussagen, „war froh, sich an der Endlösung der Judenfrage zu beteiligen.“


Am Großen Wannsee 56 – 58: Die „Endlösung“ ist beschlossene Sache.

Nach etwa eineinhalb Stunden ist die „Konferenz“ zu Ende; Heydrich, Eichmann und SS-Gruppenführer Heinrich Müller, der Chef der Gestapo, trinken am wärmenden Kamin des Nachbarraums noch einen Kognak, „nicht um zu fachsimpeln, sondern uns nach den langen, anstrengenden Stunden der Ruhe hinzugeben“, dann geht es zurück in die Stadt. Eichmann hat sein Büro in der Kurfürstenstraße 16; hier arbeitet er, penibel wie immer, sein fünfzehnseitiges Protokoll der Besprechung am Wannsee aus, das in 30 Ausfertigungen am 26. Februar 1942 den Teilnehmern zugesandt wird, um sie für die erste „Nachfolgebesprechung“ im Büro Eichmanns am 6. März 1942 zu instruieren – ein Dokument der Menschenverachtung, das seinesgleichen sucht.


Das Spatzenpatent

Auf den Haussperling (Passer domesticus L.) wurde seit jeher Jagd gemacht. Das kleine Tierchen gilt zwar nicht gerade als Leckerbissen, in den barocken Kochbüchern finden sich dennoch Rezepte für seine Zubereitung: Nimm ein höltzernes Fäßlein, darnach du viel Vögel hast, und legs voll an, saltz es, daß sie recht im Saltz seyn, leg ein wenig gestossene Wachholder-Beeren darzwischen, gieß ein mittelmäßigen Eßig daran, daß über die Vögel gehet, und vermach es.


Doch nun, beeinflusst vom „Nützlichkeitsdenken“ der Aufklärung, hält es Regentin Maria Theresia für an der Zeit, einen wahren „Vernichtungsfeldzug“ (Georg Wacha) gegen die „listigen, diebischen und gefräßigen Tiere“ zu beginnen. Da man ihnen die Schuld am Rückgang der Getreideernten zuschiebt – sie würden das Körnl mit dem Schnabel gleichsam ausdreschen und so die ganze Ähre leer machen –, erlässt sie 1749 nach preußischem Vorbild, wo die planmäßige Sperlingsbekämpfung bereits 1744 mit einem Edikt Friedrichs II. beginnt, erste Verordnungen betreffend den Kampf gegen die Spatzen. In einem kaiserlich-königlichen Patent vom 7. August 1749 für Niederösterreich verlangt sie eine genaue Prüfung der Modalitäten wegen Ausrottung deren Spatzen und bittet um entsprechende Vorschläge; wohl gestützt auf diese Erkenntnisse verfügt sie am 21. Januar 1750 für das Land Kärnten ein „Spatzenpatent“, mit dem sie im ganzen Land neun eigene Spatzen-Commissarii einsetzt. Die verantwortungsvolle Aufgabe der kaiserlichen Beamten: Sie müssen die Köpfe der getöteten Spatzen abliefern, wobei anhand einer amtlichen Liste überprüft wird, ob auch die vorgeschriebene Tötungsquote erreicht worden ist. Die Anzahl der zu tötenden Vögel richtet sich jeweils nach der Größe des Besitzes des Ablieferers; die Spatzenköpfe werden unter behördlicher Aufsicht verbrannt. Gelingt es einem Spatzen-Commissarius nicht, die vorgeschriebene Menge an Spatzenköpfen vorzuweisen, muss er eine Gebühr entrichten. Bis 1777 kann man diese Spatzen-Commissarii in Kärnten nachweisen.

Die Zahl der Vögel, die in den habsburgischen Ländern getötet werden, ist hoch; genaue Zahlen sind etwa aus dem Land ob der Enns überliefert, wo etwa in der Herrschaft Steyr im Jahr 1751 insgesamt 510 Spatzenköpfe abgeliefert werden.


Kaiser Franz II. proklamiert innere Erneuerung

Wenige Wochen nach Austerlitz (siehe 2. Dezember). Napoleon und seine Grande Armée sind abgezogen, Mitte Januar 1806 kehrt Kaiser Franz I. zusammen mit Johann Philipp Graf Stadion (1763 – 1824), seit Weihnachten neuer Leiter der Staatskanzlei, aus dem „Exil“ im ungarischen Holics zurück nach Wien. Nach der Unterzeichnung des bitteren Friedens von Pressburg am 26. Dezember 1805, der dem Habsburgerreich den Verlust von Tirol und Vorarlberg sowie von Vorderösterreich, Venetien, Istrien und Dalmatien gebracht hat, sind Reformen dringend notwendig. Kaiser Franz ist zwar nicht unbedingt ein Mann von großer Tatkraft, doch er hört auf seinen Kanzler, den Grafen Stadion. Und dieser rät ihm, sich mit einer Proklamation an das Volk zu wenden; Stadion arbeitet wohl auch am Text mit, der einige für Habsburg ungewohnte Töne anschlägt. In der Stunde der Not ist Franz auch bereit, „alle Volksklassen mitwirken“ zu lassen – was immer das auch heißen mag:


„Ich kenne kein anderes Glück, als das Glück dieser Völker, keinen höheren Ruhm als Vater dieser Völker zu seyn, die an Biedersinn, an fester und unerschütterlicher Treue, die an reiner Liebe zu ihrem Monarchen und ihrem Vaterlande keiner Nazion (sic!) Europas nachstehen. Sie haben durch schöneren Nazional-Charakter selbst dem Feinde eine unwillkürliche Achtung abgezwungen … Die Wunden, welche der Krieg schlug, sind tief … Die Staatsverwaltung hat mehr als jemals große und schwere Pflichten zu erfüllen; sie wird sie erfüllen, aber sie hat auch mehr als jemals die höchsten Rechte auf die Mitwirkung aller Volksklassen … Durch das wechselseitige Band des Vertrauens und der innigsten Liebe mit meinen Unterthanen verbunden, werde ich nur dann erst glauben, meinem Herzen als Fürst und Vater genug gethan zu haben, wenn Österreichs Flor fest gegründet, wenn vergessen ist, was seine Bürger litten und nur das Andenken an meine Opfer, an ihre Treue und an ihre hohe unerschütterliche Vaterlandsliebe noch lebt.“

Große Worte und große Versprechungen, die allerdings nicht so schnell verwirklicht werden können; Stadion gibt immerhin die Richtung vor: Straffung der Wiener Zentralverwaltung, Förderung der Entwicklung in den Provinzen und Errichtung einer „Nationalmiliz“, wie dies auch von Erzherzog Carl gefordert wird. Man will Napoleon in einem Entscheidungskampf gegenübertreten …


Der Lucona-Skandal

Ein herrlicher Tag wölbt sich über den Indischen Ozean. Ein leichter Wind weht aus Nordost, das Meer weist kaum Wellengang auf. Da Sonntag ist, haben die Matrosen auf dem Massengutfrachter „Lucona“ dienstfrei; das Schiff, das zu Mittag die Position 8.50° nördliche Breite, 70,30° östliche Länge erreicht, fährt mit automatischer Kurssteuerung und hält auf die Südspitze der Insel Minicoy zu. Ziel der „Lucona“ ist Hongkong, die Ladung: eine angeblich 212 Millionen Schilling (= etwa 15,4 Millionen Euro) teure Uranerzaufbereitungsanlage, die im italienischen Chioggia im Auftrag der Schweizer Firma Zapata AG verladen worden ist – tatsächlich handelt es sich um Schrott. Persönlich anwesend bei den Verladungsarbeiten ist der Drahtzieher dieses Geschäfts, der Prokurist der Wiener Hofzuckerbäckerei Demel, Udo Proksch (1934 – 2001), Gründer des Clubs 45 und umtriebiger Netzwerker. Zusammen mit seinem Komplizen, dem deutschen Staatsbürger Hans Peter Daimler, hat Proksch dafür gesorgt, dass die Fracht der „Lucona“ bei der Bundesländer-Versicherung auf diesen vorgetäuschten Wert versichert worden ist; mit an Bord werden in Chioggia auch Sprengstoff und ein entsprechender Zündmechanismus geschmuggelt …


Riss bei seinem Untergang sechs Menschen mit in den Tod: der Frachter Lucona.

Um 14 Uhr verlässt Kapitän Jacob Puister aus Holland das Steuerhaus und legt sich schlafen; seine Frau Adriana, genannt „Janette“, nimmt auf der Brücke ein Sonnenbad; das Steuer übernimmt der 1. Offizier Jacobus Nicolaas „Joop“ van Beckum. Als dieser um 16 Uhr in den Kartenraum geht, um die Position zu bestimmen, zerreißen plötzlich zwei gewaltige Explosionen die Stille – Vorder- und Mittelschiff sind schwer beschädigt, das Leck so riesig, dass die „Lucona“ bereits nach einer Minute zu sinken beginnt. Der Kapitän, seine Frau, der 1. Offizier und weitere drei Besatzungsmitglieder können im letzten Moment über Bord springen und sich in ein Dingey retten; sechs Menschen sterben.

Der so raffiniert eingefädelte Coup scheitert: Die Bundesländer-Versicherung schöpft Verdacht und zahlt die Versicherungssumme nicht aus; die Ermittlungen gegen Proksch stocken jedoch, da seine Freunde in eder Politik ihn jahrleang abschirmen. Erst die peniblen Aufdeckungsarbeiten der Journalisten Gerald Freihofner und Hans Pretterebner – 1987 erscheint dessen Bestseller Der Fall Lucona – führen zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses und zur Verhaftung von Proksch und Daimler; ein Tauchroboter spürt das Wrack der „Lucona“ auf. 1992 wird Udo Proksch wegen sechsfachen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt; er stirbt 2001 in der Haftanstalt Graz-Karlau.


Der „Herrgott von Auschwitz“ und die „Bestie“

Das Montelupich-Gefängnis in Krakau. Ursprünglich als Kaserne für die k. u. k. Armee Ende des 19. Jahrhunderts erbaut, wird das düstere Gebäude am nördlichen Rand des Stadtzentrums 1905 Sitz eines Militärgerichts, bald darauf adaptiert man es auch als Gefängnis. Während der deutschen Besatzungszeit dient es der Gestapo als „Sicherheitspolizeigefängnis“, Mord und Folter sind an der Tagesordnung; auch Oskar Schindler, mit Hilfe von „Schindlers Liste“ der Retter von 1.000 Juden aus dem KZ Pł​aszów, wird hier zweimal kurz festgehalten. Nun jedoch ist für die Polen der Tag der „Abrechnung“ gekommen: Gleich 21 Hinrichtungen stehen an diesem Wintertag des Jahres 1948 an: 19 SS-Männer und zwei Frauen finden sich auf der Todesliste, alle in den Krakauer Auschwitzprozessen zum Tode verurteilt. Unter den 21 Delinquenten sind auch ein Österreicher und eine Österreicherin: Maximilian Grabner, der Leiter der Politischen Abteilung im KZ Auschwitz, genannt der „Herrgott von Auschwitz“, und Maria Mandl, genannt „die Bestie“, die als „Arbeitsdienstführerin“ von August 1943 bis Januar 1944 gemeinsam mit dem „Schutzhaftlagerführer“ Franz Hößler im Frauenlager Auschwitz über Leben und Tod bestimmt hat.

Maria Mandl, 1912 als Tochter eines Schuhmachermeisters im oberösterreichischen Münzkirchen geboren, beginnt ihre „Karriere“ als Aufseherin im Oktober 1938 im KZ Lichtenburg; am 15. Mai 1939 wird sie „Kommandoführerin“ im KZ Ravensbrück und beeindruckt die vorgesetzten SS-Stellen durch die grausame Misshandlung von inhaftierten Frauen. Anfang Oktober 1942 wird sie ins KZ Auschwitz-Birkenau versetzt, wo sie ein wahres Schreckensregiment errichtet. Da sie Musik liebt, fördert sie das Mädchenorchester von Auschwitz, in dem Alma Rosé, die Nichte Gustav Mahlers, als Dirigentin mitwirkt.

Maximilian Grabner, 1905 in Wien geboren, verdient sich in den 1920er Jahren seinen Lebensunterhalt noch als Holzfäller; 1932 tritt er der NSDAP bei, 1938 der SS und wird 1940 nach Auschwitz versetzt. Sein „Aufgabenbereich“: das Verhören und Foltern von Häftlingen und die berüchtigten „Bunkerentleerungen“, bei denen Häftlinge willkürlich erschossen werden – Grabner entwickelt dabei eine Mordlust, die selbst der SS unheimlich wird: Er wird am 1. Dezember 1943 von seiner Funktion entbunden und von SS-Richter Konrad Morgen wegen Korruption und der Erschießung von 2.000 Häftlingen ohne Exekutionsbefehl angeklagt. Der Prozess der SS gegen ihn verläuft im Sande; nach Kriegsende wird Grabner in der Nähe von Wien verhaftet. Bei einer Gegenüberstellung mit dem ehemaligen KZ-Häftling Hermann Langbein meint er: „Ich habe nur mit Rücksicht auf meine Familie mitgewirkt an der Ermordung von 3 Millionen Menschen.“


Der Bergsturz am Dobratsch

Es ist zwischen 15 und 16 Uhr, Vesperzeit, ein Wintertag „bei hell scheinender Sonne“. In der Villacher Domkirche feiern etwa 500 Gläubige mit einem Nachmittagsgottesdienst das Fest Pauli Bekehrung, als sich plötzlich der Himmel mit „finsterem Gewölk“ überzieht und die Erde zu beben beginnt. Der Hauptstoß dauert etwa zwei Minuten – lang genug, um das Gotteshaus in den Grundfesten zu erschüttern und einstürzen zu lassen; alle Besucher der Messe kommen ums Leben, ganz Villach liegt in Trümmern. Auf dem Hauptplatz „bricht Wasser in solcher Menge auf“, dass es scheint, „als ob ein Fluss die Fläche erfüllt hätte“, in den zerstörten Häusern wütet eine Feuersbrunst und zerstört „allen Besitz“; zudem fallen „viele starke Burgen in sich zusammen: Federaun, Kellerberg, Hollenburg und andere Festen, die man gar nicht nennen kann“.

Gleichzeitig „zerspaltet“ sich „der Berg vor dem Gesichte gegenüber Mitternacht“, der Dobratsch. 150 Millionen Kubikmeter Fels stürzen von der südöstlichen Flanke des Berges ins Gailtal und verschütten, wie es in einem alten Bericht heißt, „17 Dörfer, 3 Gschlösser und 9 Gotteshäuser“; das herabgestürzte Geteinsmaterial bewirkt, dass die Gail aufgestaut wird und ein etwa drei Kilometer langer See entsteht, „Häuser und Dörfer, Güter und Leute“ ertrinken darin. Nach einigen Tagen durchbricht die Gail die Gesteinsmassen und überflutet nun das Land flussabwärts, wieder ertrinken zahlreiche Menschen – insgesamt, so schätzt man, fordert die Katastrophe an die 10.000 Menschenleben.


150 Millionen Kubikmeter Fels stürzen zu Tal: der Bergsturz am Dobratsch.

Viele glauben das Ende der Welt für gekommen, setzt doch danach auch in anderen Teilen Kärntens im Gefolge der schweren Pestepidemie dieses Unglücksjahres ein „großes jämmerliches Sterben“ ein, in welchem „kaum der vierte Teil der Menschen“ übrig bleibt: Es seind gächling junge und alte, gesund und frölich mit selzamen reden gestorben, auf allen strassen hat man tote cörper ligen funden. Dazu „regnet es auch Blut“ und etliche Flüsse färben sich „rotfarb wie Blut, sonderlich die Gurcken, Drau und die Glan“ – für die Menschen ein Zeichen für Umkehr und Buße, die Geißlerzüge finden immer mehr Zulauf. Und als man in Wolfsberg angeblich „blutige Hostien“ findet, richten sich Wut und Hass wieder einmal gegen die Juden – im September 1349 kommt es in Niederösterreich zu Pogromen.


Der Friede von Karlowitz

Knapp nach Mitternacht, als die Sterne nach Meinung der türkischen Unterhändler am günstigsten stehen, wird im hölzernen Konferenzhaus nahe den Ruinen von Karlowitz (Sremki Karlovce) der Schlusspunkt hinter einen beinahe 16 Jahre lang währenden Krieg gesetzt: Rami Mohammed, der Reis Effendi der Hohen Pforte, akzeptiert mit Siegel und Unterschrift die harten Bedingungen des Kaisers und seiner Verbündeten, es sind dies Polen, die Republik Venedig, der Kirchenstaat und Russland.


Der „Konferenzsaal“ in Karlowitz. Stich eines unbekannten holländischen Meisters.

Der „Große Türkenkrieg“, von Großwesir Kara Mustafa und Sultan Mehmed IV. vom Zaun gebrochen, ist zu Ende. Nach dem glorreichen Sieg vor den Toren Wiens am 12. September 1683 hat dieser die kaiserlichen Heere immer weiter nach Osten geführt, am 2. September 1686 ist die ungarische Hauptstadt Ofen (Buda) gefallen, 1688 erobert Kurfürst Max Emanuel von Bayern ein erstes Mal Belgrad für den Kaiser und schließlich ist es der neue Oberbefehlshaber über die Armeen Habsburgs in Ungarn, Prinz Eugen von Savoyen, der am 1. September 1697 bei Zenta einen vernichtenden Schlag gegen die Streitkräfte der Hohen Pforte unter Sultan Mustafa II. und Großwesir Elmas Mohammed Pascha führt. Was man Schlacht für Schlacht dem türkischen „Erbfeind“ abgerungen hat, wird nun im „Frieden von Mitternacht“ vertraglich festgeschrieben: Die Habsburgermonarchie erhält den größten Teil Ungarns mit Siebenbürgen sowie Teile Sloweniens und Kroatiens zugesprochen; die Halbinsel Peloponnes (Morea) sowie Teile Dalmatiens und der Herzegowina fallen an die Serenissima. Die Gefahr eines türkischen Angriffs, jene Bedrohung, die jahrhundertelang die Politik des Reichs und der Habsburgerherrscher bestimmt hat, ist damit für immer geschwunden, das Osmanische Reich auf den Balkan zurückgeworfen. Im Juli 1683 hat Kaiser Leopold I. vor dem auf Wien vorrückenden Riesenheer Kara Mustafas noch kläglich Reißaus genommen, jetzt sieht er sich und sein Haus auf einem neuen Höhepunkt der Macht; seine siegreichen Heerführer, allen voran Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden, der „Türkenlouis“, und Prinz Eugen von Savoyen, werden als Helden gefeiert.


Der Internationale Holocaust-Gedenktag

Im Herbst 1941 wird in Auschwitz erstmals Cyanwasserstoffgas zur Tötung von Menschen eingesetzt; erste Opfer sind vor allem sowjetische Kriegsgefangene. Am 26. März 1942 trifft der erste „Sammeltransport“ mit Juden ein. Noch arbeitsfähige Menschen werden von SS-Ärzten „selektiert“, die übrigen, vor allem alte Menschen und Kinder, schickt man sofort „ins Gas“. Insgesamt werden im KZ Auschwitz-Birkenau etwa 1,35 Millionen Juden ermordet, weiters etwa 20.000 Roma und Sinti, 1.700 sowjetische Kriegsgefangene sowie 83.000 Menschen aus politischen und anderen Gründen.

Hinter diesen Opferzahlen verbirgt sich die Ermordung Tausender Österreicherinnen und Österreicher. So fährt der am 17. Juli 1942 vom Aspangbahnhof abgehende „32. Transport“ mit ungefähr 1.000 Menschen direkt nach Auschwitz; 212 Frauen werden als Häftlinge ins Lager eingewiesen, die übrigen vermutlich ermordet. Zahlreiche österreichische Opfer gelangen aus anderen Lagern in die schlesische Vernichtungsstätte: Mehr als 4.100 Österreicher werden von Theresienstadt, ca. 500 Personen in Einzeltransporten hierher gebracht. Weiters werden mehr als 3.700 österreichische Juden aus französischen Lagern, ca. 350 aus Italien und etwa 260 aus den Niederlanden nach Auschwitz transportiert. Auch aus anderen Ländern werden Menschen mit österreichischer Staatsbürgerschaft hierher verschleppt; ihre genaue Zahl kann nicht mehr festgestellt werden.


Trostloser Ort des Grauens: das Vernichtungslager Auschwitz im Januar 1945.

Vor dem Eintreffen der Roten Armee versuchen die Nazis die Spuren zu verwischen: Ab November 1944 demontiert man die Krematorien; die Häftlinge werden auf „Todesmärschen“ Richtung Westen getrieben. Als die ersten Rotgardisten am 27. Januar 1945 das Lagergelände erreichen, befinden sich hier nur noch etwa 7.500 Häftlinge.

Im November 2005 beschließt die Generalversammlung der UNO, den Tag der Befreiung von Auschwitz als „Internationalen Holocaust-Gedenktag“ zu begehen. Bereits 1996 entscheidet man sich in Deutschland dafür, diesen Tag als nationalen Gedenktag zu feiern. Am 19. Januar 1996 erklärt Bundespräsident Roman Herzog vor dem Deutschen Bundestag: „Zunächst darf das Erinnern nicht aufhören; denn ohne Erinnerung gibt es weder Überwindung des Bösen noch Lehren für die Zukunft. Und zum andern zielt die kollektive Verantwortung genau auf die Verwirklichung dieser Lehren, die immer wieder auf dasselbe hinauslaufen: Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte, Würde des Menschen.“


Die letzte Schubertiade

Gastgeber Joseph von Spaun (1788 – 1865), wohlbestallter 3. Assessor bei der allgemeinen Hofkammer, ist mit Franz Schubert seit den gemeinsamen Studienzeiten an der Universität Wien befreundet. Immer wieder hat er den aufstrebenden Komponisten mit finanziellen Zuwendungen unterstützt und mit Angehörigen der Wiener Gesellschaft, mit Künstlern und Schriftstellern wie Leopold Kupelwieser, Moritz von Schwind, Johann Mayrhofer und Franz von Schober bekannt gemacht. An diesem Abend hat Spaun, der es später bis zum Leiter der Lotteriendirektion und des Generalhoftaxamtes bringen wird, zu einer Privataufführung in seiner geräumigen Wohnung in den sogenannten „Klepperställen“, heute das Haus Teinfaltstraße 8/​8A, geladen. Drei Tage vor seinem 31. Geburtstag ist Schubert bester Laune; die zahlreich erschienenen Freunde und Gäste, es sind etwa 50, verbringen mit ihm zusammen einen anregenden Abend: Höhepunkt ist die Uraufführung seiner neuen Komposition, eines Klaviertrios in B-Dur, dem man später die Opuszahl 99 beifügen wird. Gespielt wird von seinen Freunden Ignaz Schuppanzigh (Violine), Joseph Lincke (Violoncello) und Carl Maria von Bocklet (Klavier); die drei Musiker haben bereits wenige Wochen zuvor, am Stephanitag 1827, bei einer Veranstaltung des Musikvereins sein Klaviertrio in Es-Dur zur Aufführung gebracht. Das Stück, eines der großen Meisterwerke der Kammermusik, findet bei den Zuhörern begeisterte Aufnahme.

Der Abend wird zu einem vollen Erfolg; es wird gesungen und rezitiert, gescherzt und diskutiert – noch ahnt niemand, dass es die letzte „Schubertiade“ sein wird …

Acht Jahre später, 1836, erscheint Schuberts Klaviertrio erstmals im Druck; von Robert Schumann ist dazu folgender Ausspruch überliefert: „Ein Blick auf das Trio und das erbärmliche Menschenreich flieht zurück und die Welt glänzt wieder frisch.“


Schubertiade bei Joseph von Spaun. Kolorierter Holzstich nach einem Gemälde von Hans Temple.


Der Auschwitz-Erlass

Bei der Kriminalpolizeileitstelle Wien trifft ein Schnellbrief des Reichskriminalpolizeiamts (RPKA) von Berlin ein. Gerüchte schwirren schon seit einigen Wochen herum, doch nun haben die Beamten den berüchtigten Befehl Heinrich Himmlers vom 16. Dezember 1942, bekannt als „Auschwitz-Erlass“, schwarz auf weiß vor sich: „Zigeunermischlinge, Rom-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft“ sind nach „bestimmten Richtlinien auszuwählen und in einer Aktion von wenigen Wochen in ein Konzentrationslager einzuweisen. Dieser Personenkreis wird im nachstehenden kurz als, zigeunerische Person‘ bezeichnet. Die Einweisung erfolgt ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad familienweise in das Konzentrationslager Auschwitz.“

Dieser zusammenfassenden knappen Anweisung folgen detaillierte Durchführungsbestimmungen, ausgenommen von der Deportation sollen „reinrassige Sinte- und Lalleri-Zigeuner“ bleiben, aber auch „zigeunerische Personen, die mit Deutschblütigen rechtsgültig verheiratet sind“ sowie „sozial angepasst lebende zigeunerische Personen, die bereits vor der allgemeinen Zigeunererfassung in fester Arbeit standen und feste Wohnungen hatten“ – Bestimmungen, die in ihrer Monstrosität Himmlers Ringen mit dem Thema „Zigeuner“ und seinen Rassenwahn spiegeln: Die Verfolgung soll – hier macht sich der Einfluss des „Zigeunerforschers“ Robert Ritter auf Himmler deutlich bemerkbar – den „Mischlingen“ gelten, von denen Ritter so wenig hält: Wer nicht in ein KZ eingewiesen wird, sei daher zur „Unfruchtbarmachung“ angehalten, das gelte für alle Personen über zwölf Jahre. Die Profitmöglichkeiten werden dabei nicht vergessen: Das Eigentum der Deportierten, so Himmler, sei in „geeigneter Weise“ sicherzustellen, mitnehmen dürfen sie allenfalls Wäsche zum täglichen Bedarf und „verderblichen Mundvorrat“, die Ausweispapiere sind ihnen abzunehmen und bei den zuständigen Polizeistellen zu hinterlegen.

Unmittelbar nach Erhalt des Schnellbriefs beginnt die Kriminalpolizeileitstelle Wien mit den Vorbereitungen zur Deportation, man versucht die Vorgaben Himmlers buchstabengetreu umzusetzen; ist man sich über die „rassische Einordnung“ eines „Zigeuners“ nicht im Klaren, fordert man Gutachten von der Forschungsstelle Robert Ritters an. Insgesamt sind es acht Transporte, die im Frühjahr 1943 2.348 österreichische Zigeuner ins Auschwitzer „Zigeunerfamilienlager“ bringen; darunter sind auch Häftlinge aus den Lagern in Lackenbach und Salzburg. Kathi Horwath, die Tochter eines Spenglers aus Oberwart, die in Auschwitz ihre Mutter und zwei Geschwister verliert, erinnert sich später: „Und so kamen wir alle auf Viehwaggons, je 50 Personen, darauf stand, Auschwitz‘. Fast ohne Aufenthalt fuhren wir, drei Tage und Nächte, wir litten Hunger und Durst … “

Im August 1944 wird das Auschwitzer Familienlager aufgelöst, wer nicht mehr arbeitsfähig ist, wird in die Gaskammer geschickt, so sterben allein in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 2.897 Männer, Frauen und Kinder.


Die Tragödie von Mayerling

Das Jagdschloss der Habsburger in Mayerling im Wienerwald, 29. Januar 1889, etwa 22 Uhr. Kronprinz Rudolf, der am Abend noch mit seinen Freunden Josef Graf Hoyos und Prinz Philipp von Coburg soupiert hat, zieht sich mit der 17-jährigen Mary Vetsera in sein Schlafzimmer zurück; Kammerdiener Loschek, der im Nebenzimmer schläft, erhält strengste Anweisung, niemanden vorzulassen. Nur er weiß Bescheid über die Anwesenheit des Mädchens. Er hört, wie er später aussagt, die beiden die ganze Nacht über in ernstem Ton sprechen, kann aber nichts verstehen. Folgt man der gängigen Version des Mayerling-Dramas, so nützen Mary und Rudolf die letzten Stunden zum Verfassen von Abschiedsbriefen, die man später im Zimmer der Toten findet. Rudolf schreibt insgesamt sechs Abschiedsbriefe: an seine Frau Stephanie, an seine Schwester Marie Valerie, an seine Mutter Kaiserin Elisabeth, an Loschek, an den Sektionschef Szögyeny und an den Prior von Heiligenkreuz. Nur wenige Zeilen sind es, mit denen Rudolf von seiner Frau Abschied nimmt: „Liebe Stephanie! Du bist von meiner Gegenwart und Plage befreit. Werde glücklich auf Deine Art. Sei gut für die arme Kleine, die das einzige ist, was von mir übrig bleibt. Allen Bekannten, besonders Bombelles, Spindler, Latour, Szögyeny, Gisela, Leopold etc. etc. sage meine letzten Grüße. Ich gehe ruhig in den Tod, der allein meinen guten Namen retten kann. Dich herzlichst umarmend, Dein Dich liebender Rudolf.“ Auf einen Brief an seinen Vater, den Kaiser, verzichtet Rudolf; angeblich, so erzählt später Marie Festetics, die Hofdame Kaiserin Elisabeths, habe er im Abschiedsbrief an seine Mutter festgehalten, dass er es nicht wage, an seinen Vater zu schreiben. Und wörtlich habe es dann geheißen: „Ich weiß sehr gut, dass ich nicht würdig war, sein Sohn zu sein.“

Mary Vetsera richtet ihre vier Abschiedsbriefe an ihre Mutter und ihre Geschwister Hanna und Feri sowie an Marie Larisch. An ihre Mutter schreibt sie: „Liebe Mutter! Verzeiht mir, was ich getan; ich konnte der Liebe nicht widerstehen. In Übereinstimmung mit ihm will ich neben ihm am Friedhof von Alland begraben sein. Ich bin glücklicher im Tode als im Leben. Deine Mary.“

Am frühen Morgen des 30. Januar, es ist 6.10 Uhr, erscheint der Kronprinz, vollständig angezogen, bei Loschek und befiehlt ihm, einspannen zu lassen. Der Kammerdiener eilt in den Hof, hört aber plötzlich zwei „Detonationen“. Er läuft zurück ins Haus, findet das Schlafzimmer Rudolfs jedoch versperrt vor: „Was nun machen, ich holte sofort Graf Hoyos, und mit einem Hammer bewaffnet, schlug ich die Türfüllung ein, so dass ich gerade mit der Hand hineinkonnte, um die Tür von innen aufzusperren. Welch grauenhafter Anblick – Rudolf lag entseelt auf seinem Bette angezogen, Mary Vetsera ebenfalls auf ihrem Bette vollständig angekleidet. Rudolfs Armeerevolver lag neben ihm. Beide hatten sich überhaupt nicht schlafen gelegt. Beiden hing der Kopf herunter. Gleich beim ersten Anblick konnte man sehen, dass Rudolf zuerst Mary Vetsera erschossen hatte und dann sich selbst entleibte.“


Auf dem Nachtkästchen findet Loschek den an ihn gerichteten Abschiedsbrief vor: „Lieber Loschek! Holen Sie einen Geistlichen und lassen Sie uns in einem gemeinsamen Grabe in Heiligenkreuz beisetzen. Die Pretiosen meiner teuren Mary nebst Brief von ihr überbringen Sie der Mutter Marys. Ich danke Ihnen für Ihre jederzeit so treuen und aufopferungsvollen Dienste während der vielen Jahre, welche Sie bei mir dienten. Den Brief an meine Frau lassen Sie ihr auf kürzestem Wege zukommen. Rudolf.“


Das Grab Mary Vetseras in Heiligenkreuz.

Graf Hoyos übernimmt es, nach Wien zu fahren und die kaiserliche Familie zu informieren; Loschek wird beauftragt, den Hofarzt Widerhofer in das Jagdschloss zu rufen. Philipp von Coburg bleibt am „Tatort“ zurück, um die Toten bis zum Eintreffen des Arztes und der Hofbeamten zu schützen. Hoyos und Loschek lassen sich von Bratfisch nach Baden bringen, wo der Kammerdiener auf Dr. Widerhofer wartet, während der Graf einen Eilzug aus Triest anhalten lässt und mit diesem nach Wien weiterfährt. Knapp nach 10 Uhr trifft Hoyos in der Hofburg ein, der Erste, der von ihm informiert wird, ist Graf Bombelles, der Obersthofmeister des Kronprinzen. Gemeinsam spricht man dann mit Baron Nopcsa, dem Obersthofmeister der Kaiserin, anschließend mit dem Grafen Paar, dem Generaladjutanten des Kaisers. Über die Hofdame Ida Ferenczy will man Kaiserin Elisabeth informieren, legt sich dafür aber eine neue Version der Ereignisse zurecht: Mary Vetsera hätte Rudolf vergiftet.

Elisabeth fällt die Aufgabe zu, Franz Joseph die Todesnachricht zu überbringen, auch er wird zunächst in dem Glauben gelassen, dass Mary Rudolf ermordet hätte …

In Mayerling ist inzwischen Dr. Widerhofer eingetroffen, der eindeutig feststellt, dass Mary den Kronprinzen nicht ermordet haben kann. Er versorgt den toten Rudolf mit einem Notverband um den Kopf und bereitet die Leiche für den Abtransport nach Wien vor; die „zweite Leiche“, die der Wiener Hof am liebsten heimlich verschwinden lassen möchte, versteckt man unter Kleidern.

Während seine Geliebte am 1. Februar heimlich auf dem Friedhof in Heiligenkreuz beerdigt wird, warten auf den toten Thronfolger die Aufbahrung in der Hofburg und ein festliches Begräbnis in der Kapuzinergruft, das nur dadurch möglich wird, dass man Rudolf für zum Zeitpunkt des Selbstmordes „geistig umnachtet“ erklärt.


Slalom-Gold für Toni Sailer in Cortina

Olympische Winterspiele in Cortina d’Ampezzo 1956. Als zweiter Alpinbewerb der Herren steht der Slalom am Programm. Die eisige Piste ist schlecht präpariert, man befürchtet ein Startnummernrennen. Respekt flößt den Läufern vor allem der Steilhang unmittelbar nach dem Start ein – blankes Eis, darunter Fels.

Der Start zum 1. Durchgang erfolgt pünktlich um 10 : 30 Uhr. Zuvor noch ein peinlicher Moment: Als die österreichische Technikertruppe am Startgelände in 1748 m Höhe eintrifft, bemerkt man plötzlich, dass man die Startnummern im Hotel „Croce bianca“ vergessen hat. Die Startrichter verteilen freie Nummern an die vier ÖSV-Läufer; ihre vorgesehenen Startplätze dürfen sie behalten – Toni Sailer bekommt die Nummer 135.


Das Rennen beginnt so gar nicht nach dem Geschmack der rot-weiß-roten Fans: Nach Stürzen von Josl Rieder und Anderl Molterer sowie einem verbremsten Lauf von Othmar Schneider ruhen alle Hoffnungen auf Toni Sailer, der sich auch durch die Ausfälle in seiner totalen Konzentration nicht beirren lässt: Elegant zieht er seine Schwünge, die Anzeigetafel weist für ihn schließlich Bestzeit aus: 1 : 27,3, knappe drei Sekunden Vorsprung. Aber noch ist die Konkurrenz nicht geschlagen: Adrien Duvillard aus Megève fährt trotz eines Absitzers 1 : 27,5, der Amerikaner Brooks Dodge 1 : 27,5 – Spannung für den von Trainer Fred Rößner ausgesteckten 2. Lauf ist garantiert. Wieder studiert Sailer den Kurs genau, wieder legt er sich seinen „Plan“ für die diesmal 92 Tore zurecht.

Die Hektik vor dem Start ist groß, Fred Rößner befiehlt: „Tonei, lass tuschn, der Duvillard wartet nicht!“ – und Toni gehorcht: Sailer lässt es wieder so richtig „tuschen“. Die Bestzeit hält zu diesem Zeitpunkt der Japaner Chiharu Igaya mit1 : 48,5 – Sailer, dem es auf dem Eis immer wieder die Ski verschlägt, behält die Nerven: Er erzielt mit 1 : 47,4 wieder die schnellste Zeit, das bedeutet klare Gesamtbestzeit. Dann die beiden schärfsten Konkurrenten: Adrien Duvillard riskiert zu viel und stürzt im Steilhang; US-Boy Brooks Dodge fährt „auf Leben und Tod“, kommt jedoch bei weitem nicht an Sailers Zeit heran – das ist die zweite Goldene für Sailer bei diesen Spielen, eine dritte im Abfahrtslauf am 3. Februar 1956 wird noch folgen – das Land, das auf dem Weg ist, eine Nation zu werden, hat seinen ersten großen Schihelden gefunden …

365 Schicksalstage

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