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Februar
ОглавлениеDie „Mühlviertler Hasenjagd“
Das Thermometer in dieser Nacht vom 1. auf den 2. Februar 1945 zeigt acht Grad unter null. Im Block 20, dem „Todesblock“ des KZ Mauthausen, bereiten sich etwa 500 „K-Häftlinge“, vor allem kriegsgefangene Offiziere der Roten Armee, auf den Ausbruch vor. Alle wissen: Es besteht nur eine kleine Chance zu überleben – bleiben sie jedoch im Block, so ist ihnen der Tod gewiss; die Lebenserwartung hier beträgt nur wenige Wochen. Für den Angriff auf die zwei Wachtürme haben die Häftlinge Steine, Kohlenstücke, Holzschuhe und Feuerlöscher vorbereitet; mit feuchten Bettdecken und Kleidungsstücken der 75 kranken Mithäftlinge, die im Block zurückbleiben, wollen sie den elektrischen Zaun kurzschließen, der zusammen mit einer 2,5 Meter hohen Steinmauer den „Todesblock“ vom übrigen Lager trennt. Wenige Minuten vor dem Ausbruch hält ein russischer General eine Ansprache: „Im letzten Kampf werden viele von uns oder alle fallen.“
Um 1 Uhr früh beginnt die verzweifelte Aktion: Zunächst erdrosselt man den Blockältesten und seine Stubendienstleute, dann bildet man zwei Kampftrupps, der erste greift die Wachtürme an, der zweite sorgt für den Kurzschluss und das Ausgehen des Lichts im Lager. Tatsächlich gelingt es der ersten Gruppe, den östlichsten Wachturm zu erobern; mit dem hier befindlichen Maschinengewehr schalten sie auch den SS-Posten auf dem nächsten Turm aus. 419 Häftlinge können die Mauer und das Lagerareal überwinden und erreichen freies Gelände, vielen fehlt jedoch die Kraft, um weiter in die Wälder zu fliehen, sie werden rasch wieder aufgegriffen und so wie die Kranken im Block 20 sofort getötet. Eine Großfahndung nach „500 Schwerverbrechern“ wird eingeleitet; neben der SS beteiligen sich auch Einheiten der Wehrmacht, des Volkssturms und Hitlerjugendgruppen sowie zahlreiche Mühlviertler an der „Treibjagd“ auf die Geflohenen; der Befehl lautet: „Sie müssen sofort unschädlich gemacht werden. Niemand darf gefangen werden, alle sind sofort umzulegen!“
Johann Kohut, Kommandant des Gendarmeriepostens Schwertberg, vermerkt nach Kriegsende in seiner Chronik: „Ein großes Morden begann, ein richtiges Blutbad. Der Schneematsch färbte sich rot mit Blut der Erschossenen.“ Es sind wohl nur elf entflohene Häftlinge, die überleben, unter ihnen Michael Rjabschtinskij und sein Freund Nikolaj Zemkalo, die von der Familie Langthaler auf ihrem Bauernhof im Dorf Winden bei Schwertberg bis Kriegsende versteckt werden. Die Bäuerin Maria Langthaler, die selbst fünf Söhne bei der Wehrmacht hat, rechtfertigt später ihr Tun: „Der Herrgott ist für die ganze Welt, nicht nur für die Deutschen.“
Aufstand in Kärnten
Den Kärntner Bauern reicht es endgültig: Schon wieder will Kaiser Friedrich III. die Steuerlast erhöhen – für jeden „Agleier“ (= Pfennig aus Aquileia) Steuerschuld will sein Verwalter nun zwei neue Pfennige einheben, sie sind aber höchstens bereit, drey helbling, also drei Halbpfennige, für den „Agleier“ zu geben. Vorwand für die 1469 einsetzenden Erhöhungen der Abgabenlast sind die Türkeneinfälle – erstmals plündert und mordet eine türkische Streifschar im September 1473 in Kärnten – und gerade das schürt die Wut der Bauern, denn die für ihr gutes Geld angeworbenen Söldner schützen vielfach nur die Grundherren auf ihren Burgen. Da die vorgesehenen Sperren und Bollwerke nur unzureichend oder gar nicht mit Truppen besetzt werden, sind sie und ihre Familien schutzlos den „Rennern und Brennern“ ausgeliefert. So hat etwa der Kaiser im Kloster Millstatt mit großem Pomp eine „Filiale“ des St.-Georgs-Ritterordens ins Leben gerufen, die tapferen Ritter ziehen es aber vor, hinter den sicheren Klostermauern zu verweilen. Zu Maria Lichtmess 1476 beschließen die Bauern deshalb, zur Selbsthilfe zu greifen – der Chronist Jakob Unrest, ab 1466 Pfarrer in St. Martin am Techelsberg, berichtet in seiner Österreichischen Chronik über diese Vorkommnisse: Indem besambten (versammelten) sich die pawren an die 40 und machten ainen pundt. Und der obrist was ein pawr, genannt Peter Wunderlich. Derselb pundt wuechs in kuertz als ain klains wasser von ainem grossen Wolckhenpruch.
Bauern beim Schneiden des Korns mit der Sichel.
Friedrich III. hat zwar kayn gevallen an dem Aufstand, unternimmt jedoch wie gewohnt nichts und schickt nur einen Brief, in dem er bei Todesstrafe verbietet, diesem Bund beizutreten – die pawren verachten das schreyben gantz mit spottlichen worten. Peter Wunderlich, dem Anführer des „Bundes“, gelingt es, eine kleine Streitmacht von etwa 3.000 Bauern zu sammeln, mit der er am 25. Juni 1478 auf der „Goggauer Wiese“ bei Coccau in der Nähe von Tarvis einer türkischen Reiterschar entgegentritt. Der Großteil der Bauern verliert jedoch angesichts des bevorstehenden Kampfes den Mut und flieht, die verbleibenden, etwa 600 Mann, werden von Türken umzingelt und getötet oder gefangen genommen.
Die verheerende Niederlage auf der Goggauer Wiese bedeutet auch das Ende des Bundes; die obersten pundtleut fallen schließlich in die Hände der kaiserlichen Häscher und werden hingerichtet; Peter Wunderlich, der bei Gmünd gefangen genommen wird, findet ein schreckliches Ende: Er wird beim Schloss Litzlhof in Lendorf durch Vierteilen bei lebendigem Leib gerichtet.
Die Peter-Wunderlich-Straßen in Klagenfurt und Spittal erinnern heute noch an den unglücklichen Bauernführer.
Kapitulation in Stalingrad
Die letzten Einheiten des XI. Armeekorps der Wehrmacht stellen im Nordkessel den Kampf ein; um 8.40 Uhr wird ein letzter Funkspruch an General Hube bei der Heeresgruppe „Don“ abgesetzt: „XI. AK. hat mit seinen 6 Divisionen in schwerstem Kampf bis zum letzten Mann seine Pflicht getan. Es lebe der Führer! Es lebe Deutschland!“ Die Schlacht von Stalingrad, die seit dem 13. September 1942 tobte, ist zu Ende, die Wehrmacht hat eine katastrophale Niederlage erlitten, der Mythos ihrer Unbesiegbarkeit ist endgültig zerstört. Etwa 10.000 überlebende Soldaten der Wehrmacht und verbündeter Truppen geraten in Gefangenschaft, unter ihnen viele Österreicher. Von den ursprünglich etwa 230.000 Soldaten der Wehrmacht im Kessel sind 50.000 aus der „Ostmark“, die vor allem bei der 44. und der 297. Infanteriedivision sowie bei der 100. Jäger-Division für den „Führer“ kämpfen und sterben. Nur 1.200 österreichische Stalingrad-Kämpfer werden nach dem Krieg aus sowjetischer Gefangenschaft zurückkehren.
Bereits am 22. Jänner 1943 hatte Generaloberst Paulus in einem Funkspruch an Hitler um die Genehmigung zur Kapitulation gebeten. Darin hatte er kurz die verzweifelte Lage zusammengefasst: „44., 76., 100., 305., 384. Infanteriedivision vernichtet, Front infolge starker Einbrüche vielseitig aufgerissen. Stützpunkte und Deckungsmöglichkeiten nur noch im Stadtgebiet. Weitere Verteidigung sinnlos. Zusammenbruch unvermeidbar. Armee erbittet, um noch vorhandene Menschenleben zu retten, sofortige Kapitulationsgenehmigung.“ Das Leben seiner Soldaten ist jedoch für Hitler kein Argument – er lehnt ab: „Kapitulation ausgeschlossen! Die Armee erfüllt damit ihre historische Aufgabe, den Aufbau einer neuen Front beiderseits Rostow zu ermöglichen, Kampf bis zur letzten Patrone!“
Tag für Tag, Stunde für Stunde hatte sich sich die Lage im Kessel verschlimmert. Mit dem Aussetzen der Versorgungsflüge war die Verpflegung der Truppen völlig zusammengebrochen; jede Einheit lebte von ihren letzten eisernen Reserven. Es gab kein Verbandsmaterial und keine Medikamente mehr, in den als Notfeldlazarette eingerichteten Schulen, alle überfüllt mit Schwerverwundeten, fehlte es an Ärzten; die Toten wurden an den Außenseiten der Gebäude einfach aufgeschichtet. General Walther von Seydlitz-Kurzbach, Kommandeur des LI. Armeekorps, wird später in seinen Erinnerungen vermerken: „Unvorstellbar, was hier das Auge sah: Es war die Hölle auf Erden!“
Der 25. Jänner bringt noch einmal eine Kampfpause, doch am nächsten Tag macht die Rote Armee ernst: Geschütze fahren auf, belegen die Stellungen mit Trommelfeuer, Panzer und Infanterie greifen in breiter Front an; am 26. Jänner wird der Kessel in drei Teile zerschlagen. Tausende sterben täglich, doch Friedrich Paulus lehnt eine Gesamtkapitulation ab und überlässt es seinen Kommandeuren, den Kampf einzustellen – er will nun zumindest formal dem Durchhaltebefehl Hitlers gehorchen. Am 31. Jänner geht Paulus, von Hitler noch rasch zum Generalfeldmarschall ernannt, zusammen mit dem Armeestab in Gefangenschaft; vom Nordkessel, so Hitler in einem Funkspruch an das XI. Armeekorps am 1. Februar um 17.25 Uhr, erwarte er sich, dass er sich „bis zum Letzten“ halte – apokalyptischer Wahnsinn, so ganz nach dem Geschmack des „Führers“: Zwei Tage später, am 3. Februar, wird die zynische Verklärung des „Heldenkampfs“ um Stalingrad zum „größten Heldenlied der deutschen Geschichte“ beginnen, sinnloses Sterben wird umgedeutet zur „historisch europäischen Mission“.
Den Autoren österreichischer Schulbücher ist Stalingrad heute kaum mehr eine Erwähnung wert; in einigen dürren Zeilen wird über den Untergang der „deutschen“ 6. Armee berichtet, die Schlacht als angeblicher Wendepunkt des Krieges und Symbol der Niederlage herausgehoben. Vergessen und verdrängt wird, dass es vor allem auch österreichische Soldaten waren, die die Fehler Hitlers und seiner Generäle mit dem Leben bezahlen mussten. Das Sprechen über die Tragödie fällt offenbar schwer, ja, es scheint nicht opportun zu sein – zu groß ist die Angst, in bedenkliche alte „Erinnerungsmuster“ zu verfallen. Die Mythisierung Stalingrads durch das NS-Regime wirkt so noch immer nach.
Eine „eiskalte Wüste des Wahnsinns“ (Franz Dopf): Am 3. Februar 1943 meldet das Oberkommando der Wehrmacht: „Sie starben, damit wir leben.“
Das Rohrbomben-Attentat von Oberwart
Es ist knapp vor Mitternacht. Vier Männer der Oberwarter Romasiedlung, der 40-jährige Josef Simon und seine jüngeren Freunde Peter Sarközi (27) sowie Karl (22) und Erwin Horvath (18), befinden sich noch auf einem kleinen Rundgang. Da entdecken sie auf einer Kreuzung, etwa 250 Meter von der Siedlung entfernt, ein merkwürdiges „Ding“, etwas, das aussieht wie ein Verkehrszeichen. Als sie näher treten, erkennen sie, dass das vermeintliche Verkehrszeichen keines ist: Aus einem Kunststoffsockel ragt ein etwa 1,20 m hohes Rohr empor, an dem eine Tafel befestigt ist: „Roma zurück nach Indien“, steht da zu lesen. Eine rassistische Schmähung, die sie nicht dulden können – sie versuchen das Rohr mit dem Kunststoffsockel hochzuheben und von der Kreuzung zu entfernen. In diesem Moment löst ein Zündmechanismus aus, der im oberen Drittel des Rohres befindliche Sprengstoff – 150 Gramm gedämmtes Nitroglycerin – explodiert, die Splitter töten die vier Männer auf der Stelle. Der Knall der Explosion wird zwar von den Bewohnern der Romasiedlung gehört, die vier verstümmelten Leichen werden aber erst am Morgen gefunden. Das Entsetzen über die Morde ist im Lande groß.
Die polizeilichen Ermittlungen können bald einen Zusammenhang mit den Briefbomben herstellen, die seit 1993 von einer mysteriösen „Bajuwarischen Befreiungsarmee“ (BBA) verschickt werden, u. a. auch an den Wiener Bürgermeister Helmut Zilk, der am 5. Dezember 1993 an der linken Hand schwer verletzt wird: Es ist der gleiche Sprengstoff. Über den oder die Täter tappt die Polizei jedoch lange im Dunkeln, dann ist es eine Routinekontrolle, die endlich zur Festnahme eines Verdächtigen führt: Am 1. Oktober 1997 stoppen Gendarmeriebeamte den Wagen des aus Gralla in der Südsteiermark stammenden Franz Fuchs – anstatt seine Papiere zu zeigen, zündet Fuchs, der sich entlarvt glaubt, eine Rohrbombe, die Explosion reißt ihm beide Unterarme weg, zwei Beamte werden verletzt. Am 2. Februar 1999 beginnt am Grazer Landesgericht der Prozess gegen Franz Fuchs, der mit dem lauten Schreien von Hasstiraden gegen Staat, Justiz und „Ausländer“ auf sich aufmerksam machen will und daraufhin durch Richter Heinz Fuhrmann von den Verhandlungen ausgeschlossen wird. Weitere Indizien haben inzwischen seine Täterschaft beim Oberwarter Attentat erhärtet – so kann nachgewiesen werden, dass das beim Bombenbau verwendete Wasser aus der Gegend von Gralla stammt. Ein Geschworenensenat verurteilt ihn wegen vierfachen Mordes zu lebenslanger Haft und Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher – am 26. Februar 2000 begeht Franz Fuchs in der Justizanstalt Graz-Karlau Selbstmord.
So wirr das Geschichts- und Weltbild des Franz Fuchs auch sein mögen – in manchen Versatzstücken spiegelt es in erschreckender Weise Gedankengut wider, das noch immer in manchen Köpfen präsent ist. Franz Fuchs mag als Einzeltäter gehandelt haben, seine Parolen sind leider so manchen Österreichern nicht völlig fremd …
Olympiagold für Franz Klammer
Die Situation im ÖSV-Abfahrtsteam vor den Olympischen Spielen in Innsbruck 1976 ist nicht einfach: Die Niederlage von Grenoble gegen Jean-Claude Killy und die „Schmach“ von Sapporo, bedingt durch den Ausschluss von Karl Schranz, sind noch in bester Erinnerung – die Last des Siegenmüssens liegt nun auf einem Mann: auf Franz Klammer, dem „Teufelsbuam“ aus Mooswald in Kärnten, der die letzten beiden Saisonen im Weltcup dominiert hat. Startzeit am Patscherkofel ist 12 : 30 Uhr und alle wollen dabei sein, wenn der Franz „es macht“. Titelverteidiger Bernhard Russi, der Sieger vom Mont Eniwa in Sapporo 1972, legt mit Startnummer 3 eine beinahe fehlerlose Fahrt hin: 1 : 46,06 lautet die neue Bestzeit, eine Marke, an der die nachfolgenden Läufer klar scheitern: Mit Nummer 12 startet Österreichs Nachwuchshoffnung Anton „Jimmy“ Steiner. Als für den 17-jährigen Draufgänger die beste Zwischenzeit gemeldet wird, scheint Russis Führung erstmals gefährdet – doch dann stürzt Steiner knapp vor dem Ziel, eine mögliche Medaille in Sichtweite. Auf den zweiten Platz schiebt sich der Südtiroler Herbert Plank, aber auch er liegt deutlich hinter Russi zurück.
Alle rot-weiß-roten Hoffnungen ruhen nun auf der Startnummer 15, Franz Klammer. Er kennt die Zeit von Russi und schwört sich, eine 1 : 45er-Zeit zu fahren. Gleich der erste Streckenabschnitt gelingt dem Kärntner jedoch nicht optimal und die erste Zwischenzeit weist dies auch unbarmherzig aus: 19 Hundertstel Rückstand auf Russi, 3 Hundertstel auf Herbert Plank: Die Zuschauer halten entsetzt den Atem an, als Klammer beim dritten Tor im „Ochsenschlag“, einem Rechtsschwung, zu direkt fährt und beim darauf folgenden Sprung nur mit wildem Rudern der Arme einen Sturz vermeiden kann. Er muss querstellen, verliert neuerlich Zeit. In diesem Moment scheint die Goldmedaille bereits verloren, doch Franz Klammer behält die Nerven: Er wählt im unteren Streckenabschnitt eine neue Linie, fährt zwei Kurven höher an und „sticht“ dann, das höhere Tempo perfekt mitnehmend, Richtung Ziel hinunter – ORF-Reporter Edi Finger zählt die Sekunden laut mit, es ist ein unbeschreiblicher Moment der Spannung, dann der erlösende Schrei: „1 : 42, 1 : 43, 1 : 44, 1 : 45 – jawohl! Bestzeit!“ Franz Klammer schaut nur ins Publikum, sieht die Menschen jubeln und weiß in diesem Augenblick, dass er gewonnen hat – mit ihm triumphieren „wir Österreicher“.
Deportation nach Riga
In den späten Abendstunden herrscht am Aspangbahnhof wieder einmal hektische Betriebsamkeit: Der „16. Transport“ wird verladen, Fahrziel des „Sonderzugs“ ist das „Reichsjudenghetto“ Riga. Die Gestapobeamten sorgen dafür, dass alles ruhig und konzentriert abläuft: 1.003 Menschen, alle aus Wien, besteigen die Waggons dritter Klasse, unter ihnen 23 Kinder, die unter zehn Jahre alt sind, die Frauen und drei Männer, die älter als achtzig sind, das Durchschnittsalter der Deportierten: 54 Jahre. Es ist nach den Zügen vom 3. Dezember 1941 (1.001 Deportierte) sowie vom 1. Januar (1.000 Deportierte) und 26. Januar 1942 (1.201 Deportierte) bereits der vierte „Transport“ von Wien nach Riga. Kommandiert wird der „Transport“ dieses Mal von Eichmanns Mitarbeiter Alois Brunner selbst, der besonders einen der deportierten Juden an Bord im Visier hat: den ehemaligen Bankier und Börsenspekulanten Siegmund Bosel, der es durch seine Verwicklung in den Postsparkassenskandal des Jahres 1926 zu zweifelhaftem Ruhm gebracht hat. Bosel, der inzwischen einen Großteil seines Vermögens verloren hat und 1938 ohnmächtig zusehen muss, wie die Nazis das Mobiliar seiner Villa in der Gloriettegasse 15 im Dorotheum zwangsversteigern, wird das Ziel der „Reise“ nicht erreichen: In der zweiten Nacht, der Zug befindet sich irgendwo in Polen, lässt ihn Brunner an den Einstiegsstufen des ersten Waggons, gleich nach der Lokomotive, anketten und beginnt, ihn „auf unflätige Weise“ zu beschimpfen, nach etwa einer Stunde erschießt Brunner den Wehrlosen. Zur „Ohrenzeugin“ des Mordes wird auch die 14-jährige Gertrude Hirschhorn, die zusammen mit ihrer 1-jährigen Schwester Rita und ihren Eltern in einem Abteil des ersten Waggons untergebracht ist …
Am 10. Februar erreicht der Zug die Station Skirotava in Riga, es herrscht klirrende Kälte – 42 Grad unter null. Das Ghetto, so erklärt ihnen der „zum Empfang“ angetretene SS-Obersturmführer Gerhard Maywald, sei sechs Kilometer entfernt, für alle, die nicht zu Fuß gehen möchten, habe man einige Autobusse bereitgestellt. Etwa 700 der aus Wien angekommenen Juden stellen sich daraufhin bei den Autobussen an, die anderen, darunter auch die Familie Hirschhorn, wählen den Fußmarsch zum, Ghetto. Ihre Leidensgenossen werden sie nie mehr sehen: Die 700 werden direkt zum Exekutionsplatz in den Bikernieki-Wald gefahren und dort erschossen; einer der „Autobusse“ ist ein Gaswagen, in dem die Opfer mit Auspuffgasen erstickt werden. „Wir hatten uns selbst selektiert“, wird Gertrude Hirschhorn, die zusammen mit ihrer Schwester und ihrer Mutter das Ghetto in Riga überlebt, in ihren Erinnerungen – sie erscheinen unter ihrem späteren Namen Gertrude Schneider – feststellen. Die Rote Armee befreit sie, die dem Tode nahe ist, aus einem Außenlager des KZ Stutthof bei Danzig; am 1. Juni 1945 kommen die drei Frauen am Südostbahnhof in Wien an – doch hier empfängt man sie keineswegs mit offenen Armen. – „Wegen der Behandlung, die uns in Wien zuteil wurde“, beschließen sie 1947, in die USA zu emigrieren.
Die Abschaffung der Todesstrafe
Plenarsitzung des Nationalrats im Parlament. Am Rednerpult steht der SPÖ-Abgeordnete Dr. Christian Broda (1916 – 1987), ehemals Justizminister im dritten Kabinett von Julius Raab und zukünftiger Justizminister in den Alleinregierungen Bruno Kreiskys. „Die Entfernung des überflüssigen Wortes, Todesstrafe‘ aus unserer Verfassung und Rechtsordnung“, sagt Broda, „ist ein Augenblick für innere Einkehr.“ Es ist zwar nur ein schlichter Satz, der vom Nationalrat beschlossen wird: „Der Artikel 85 des Bundes-Verfassungsgesetzes hat nunmehr zu lauten:, Die Todesstrafe ist abgeschafft‘“ – mit seiner Aufforderung zum Innehalten und Besinnen unterstreicht Broda, der schon 1965 eine entsprechende Gesetzesänderung vorgeschlagen hat, die Bedeutung dieses Beschlusses jedoch völlig zu Recht. Die Zweite Republik holt damit endlich nach, was sie schon längst hätte tun müssen. Die Todesstrafe, so das klare Bekenntnis, das hinter dem Artikel 85 B-VG steht, hat in der modernen österreichischen Demokratie nichts mehr verloren. Gelebte Praxis wird in Recht gegossen, liegt die letzte Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe nach österreichischem Recht doch schon 18 Jahre zurück: Am 24. März 1950 wurde im Wiener Landesgericht der zweifache Raubmörder Johann Trnka gehängt; wenig später, am 24. Mai 1950, schaffte der Nationalrat die Todesstrafe im ordentlichen Strafverfahren ab; es blieb allerdings die – sehr theoretische – Möglichkeit eines Todesurteils im standgerichtlichen Verfahren. 100 Todesurteile waren bis zu diesem Zeitpunkt in der Zweiten Republik ausgesprochen worden, 46 Menschen durch Hinrichtung gestorben, davon 30 nach Urteilen der Volksgerichte aufgrund des Kriegsverbrecher- und NS-Verbotsgesetzes.
Ein engagierter Gegner der Todesstrafe: Justizminister Christian Broda im Jahre 1963.
Gestützt auf diesen „Grundkonsens der Zweiten Republik“, engagiert sich Broda weiter: 1978 legt er der Justizministerkonferenz des Europarates ein Memorandum vor, in dem er vorschlägt, die Frage nach der Abschaffung der Todesstrafe in das Arbeitsprogramm des Europarates aufzunehmen – er stößt damit eine Entwicklung an, die im 6. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention, unterzeichnet am 28. April 1983 in Straßburg, ihren Abschluss findet. Der Artikel 1 des 6. Zusatzprotokolls lautet: „Die Todesstrafe ist abgeschafft. Niemand darf zu dieser Strafe verurteilt oder hingerichtet werden.“
Der Schranz-Rummel
Bei den Olympischen Winterspielen in Sapporo 1972 will Karl Schranz, Österreichs Schiheld dieser Jahre, der Gesamtweltcupsieger 1969 und 1970, endlich Abfahrtsgold holen. Doch da ist sein „Intimfeind“, der greise IOC-Präsident Avery Brundage, der auf den Amateurstatus der Olympia-Starter pocht. Nach seiner Ankunft in Tokyo gibt Schranz „schonungslose“ Interviews, Brundage, so seine Argumentation, habe die Entwicklungen im Spitzensport „einfach verschlafen“ – ein provokanter Ton, der im IOC auf wenig Verständnis stößt: Am 31. Januar 1972 wird Gold-Hoffnung Schranz durch die Vollversammlung des IOC mit 28 : 14 Stimmen wegen „Missachtung des Geistes der olympischen Tradition“ von den Spielen ausgeschlossen.
Großer Empfang für den „Ski-Märtyrer“: 52 Karl Schranz am Heldenplatz.
Heftige rot-weiß-rote Emotionen sind die Folge: Unterrichtsminister Fred Sinowatz schickt ein Telegramm nach Sapporo, in dem er das ÖOC auffordert, „schärfstens“ gegen den Ausschluss von Schranz zu protestieren, sollte dieser aufrecht bleiben, so empfehle er einen Rückzug der Alpinen von den Olympiabewerben. Aussichtsreiche Läuferinnen und Läufer wie die große Goldfavoritin Annemarie Pröll sind gegen eine Abreise; in einer Erklärung vom 1. Februar 1972 sagt Schranz schließlich: „Ich als Einzelperson möchte nicht der Anlass sein, dass Österreich als Skiland von diesen Spielen ausgeschlossen bleibt.“ Die Skikollegen bleiben daraufhin trotz dieser „Riesenschweinerei“ in Japan – Schranz packt jedoch die Koffer.
Zu Hause plant man für den „Ski-Märtyrer“ den großen Empfang. Bundeskanzler Bruno Kreisky sieht sich eins mit der wütenden Schination und dem ORF, der auf Anweisung von Generalintendant Gerd Bacher gekonnt Regie führt: Zehntausende sind am 8. Februar 1972 auf den Beinen, um ihren Ski-Volkshelden zu empfangen, die Fahrt im offenen Wagen vom Flughafen in Schwechat bis zum Bundeskanzleramt am Ballhausplatz wird zu einem einzigartigen Triumphzug, der am Balkon des Kanzleramts zu einem beinahe beängstigenden Finale kulminiert: „Wie hypnotisiert vom Anblick der Massen, fühl’ ich mich für einige Augenblicke geradezu wie ein Volkstribun, wie ein Imperator. Caesar mag es so ergangen sein, oder Nero“, wird Schranz später in seiner Autobiografie erzählen. Am 12. Februar 1972 verkündet er in einem offenen Brief an ÖSV-Präsident Karl-Heinz Klee seinen Rücktritt.
Franz Ziereis wird Lagerkommandant im KZ Mauthausen
Im KZ Mauthausen, seit August 1938 in Betrieb – die ersten 300 Häftlinge sind am 8. August aus dem KZ Dachau angekommen –, steht eine Änderung bevor: Lagerkommandant Albert Sauer, der ehemalige Tischler aus Misdroy in Pommern, soll wegen „Nachlässigkeit und zu großer Milde“ abgelöst werden. Der Nachfolger steht schon bereit: Es ist der Münchner Nazi SS-Obersturmführer Franz Ziereis, der Ausbildner der SS-Totenkopfstandarte III Thüringen. Theodor Eicke, der Inspekteur der Konzentrationslager, hält große Stücke auf den 1905 geborenen Ausbildner und Ziereis wird ihn nicht enttäuschen: Bis Ende 1938 sind über 1.000 Häftlinge nach Mauthausen eingewiesen worden, doch nun, im Frühjahr 1939, steigen die Häftlingszahlen rasch weiter. Es kommen die politischen Gegner der Nazis aus dem Sudetenland, dann erstmals auch als „asozial“ diskriminierte „Zigeuner“ aus dem Burgenland und erste jüdische Häftlinge. Und mit den Siegen Hitlers auf dem Kontinent ab dem Herbst 1939 wird Mauthausen zum Sammelbecken für Opfer des Nazi-Terrors aus ganz Europa: Polnische Intellektuelle und sowjetische Kriegsgefangene, republikanisch gesinnte Spanier und holländische Juden, Angehörige von insgesamt 30 Nationen, sehen sich Tag für Tag mit der Unmenschlichkeit, der Brutalität und dem Sadismus der Schergen Hitlers konfrontiert. In der Nazi-Bürokratie wird Mauthausen die Kategorie „Lagerstufe III“ zugewiesen, das heißt, hier werden Menschen in „Schutzhaft“ genommen, deren Rückkehr in die Gesellschaft „unerwünscht“ ist; offiziell sind dies „schwerbelastete, unverbesserliche, auch gleichzeitig kriminell vorbestrafte und asoziale, das heißt kaum noch erziehbare Schutzhäftlinge“, tatsächlich aber befinden sich 93 Prozent der Insassen auf Grund ihrer nationalen, rassischen, religiösen Zugehörigkeit oder ihrer politischen Orientierung im Lager.
Franz Ziereis, der 1942 auch Betriebsdirektor der Granitwerke Mauthausen wird und in der SS-Hierarchie bis zum SS-Standartenführer aufsteigt, verantwortet als Lagerkommandant von Mauthausen und seinen Nebenlagern die Ermordung von etwa 105.000 Menschen. Über seinem Schreibtisch hängt eingerahmt sein Wahlspruch:
Ein Pfui dem Mann,
der nicht schlagen kann. Noch lebt das Gebot: Schlag’ tot, schlag’ tot!
Zwei Tage vor der Befreiung Mauthausens, am 3. Mai 1945, flieht Ziereis mit seiner Frau zu einer Jagdhütte am Pyhrn; am 22. Mai wird er von US-Soldaten aufgestöbert und bei einem Fluchtversuch schwer verwundet: In seiner „Beichte“ am Totenbett spricht er von 4.000 Häftlingen, die er persönlich getötet hätte. Am 25. Mai 1945 erliegt Franz Ziereis seinen Verletzungen.
Hungerunruhen
Vielfach ist das Thema „Hunger“ bereits aus unserer Wahrnehmung verschwunden. Zu Unrecht, wenn man genauer hinblickt: So kommt es am Höhepunkt der Nahrungsmittelkrise nach dem Ersten Weltkrieg in ganz Österreich zu Plünderungen und Unruhen. So auch im steirischen Leoben, wo am 10. Februar 1920 Donawitzer Arbeiter in das Gebäude des „Bezirkswirtschaftsamtes“ eindringen und die zusätzliche Ausgabe von Mehl und Lebensmitteln fordern. Als die Beamten dieser Forderung nicht nachkommen und die Klagen der Arbeiter über die schlechte Ernährungslage nicht ernst nehmen, eskaliert die Situation:
Die Arbeiter erhalten Unterstützung von „kommunistischen“ Demonstranten; es kommt zu blutigen Zusammenstößen mit der Gendarmerie. Die erschreckende Bilanz: fünf Tote und 45 Verletzte.
Der Vorfall sorgt in der ganzen Steiermark für großes Aufsehen und heizt das Gemüt der ausgehungerten Bevölkerung weiter an. Offiziell werden – man ist versucht zu sagen: wie gewohnt – die Kommunisten als Schuldige angeprangert: „Von kommunistischen Elementen aufgehetzt, rotteten sich heute Nachmittag zahlreiche, vorwiegend aus der Umgebung der Stadt erschienene Personen, Männer, Frauen und halbwüchsige Burschen, in Leoben zusammen und zogen vor das Gebäude des Bezirkswirtschaftsamtes, dessen Eingang bereits von Gendarmerie bewacht war“, teilt der Steiermärkische Landespressedienst über den Vorfall mit.
Der Bürgermeister von Leoben versucht die Stimmung zu beruhigen: „Der Bürgermeister von Leoben erließ an die Bevölkerung von Leoben einen Aufruf, worin darauf hingewiesen wird, dass die Gemeindevertretung alles Menschenmögliche getan habe, um Lebensmittel herbeizuschaffen.
Sie werde auch fernerhin ihre Pflicht erfüllen und der Bürgermeister hoffe, dass die Bemühungen wenigstens insofern einen Erfolg haben werden, als es gelingen werde, der Bevölkerung über die schwere Zeit hinwegzuhelfen. Die Bevölkerung wird aufgefordert, alles zu unterlassen, was zu weiteren Ruhestörungen führen könnte“, zitiert ihn die Arbeiter-Zeitung am nächsten Tag. Sofort nach diesem Zwischenfall werden alle Funktionäre der großen Parteien und Gewerkschaften zu einer Versammlung gebeten, um die Lage zu besprechen und Lösungen zu finden.
Es brodelt jedoch nicht nur in der Steiermark zu dieser Zeit. Auch in Oberösterreich und Wien kommt es zu heftigen Hungerunruhen, die im Winter 1920/1921 ihren Höhepunkt erreichen: Hotels, Restaurants und Cafés, in denen sich, wie man glaubt, vorwiegend die „Reichen“ aufhalten, werden geplündert und demoliert. Auch das berühmte Café Sacher bekommt die Auswirkungen der Hunger- und Teuerungsunruhen zu spüren: Fenster werden eingeschlagen, die „Randalierer“ können nur mit Mühe im Zaum gehalten werden.
Der Matrosenaufstand in Cattaro
Österreich-Ungarns Natur-Kriegshafen Cattaro (Kotor) an der Südspitze Dalmatiens, Stützpunkt der k. u. k. Kriegsmarine. Es ist 6 Uhr 50 am Morgen. An der Friedhofsmauer der Stadt stehen vier Männer: der Bootsmannmaat Franz Rasch von der Küstenflugstation Kumbor, der Deckmatrose 1. Klasse Anton Grabar vom Panzerkreuzer „SMS St. Georg“ und die beiden Geschützmeister Jerko Sisgoric von der „St. Georg“ und Mate Bernicevic von der „SMS Gäa“ – alle vier vom Standgericht des k. u. k. Kriegshafengerichts Cattaro des „Verbrechens der Empörung nach § 157 M. St. G.“ für schuldig befunden und zum Tode durch Erschießen verurteilt. Die vier sühnen als „Rädelsführer“ stellvertretend für ihre Kameraden: Etwa 6.000 Matrosen auf 40 Schiffen haben sich an der Meuterei vom 1. Februar beteiligt, ausgelöst durch unerträgliche Missstände auf den untätig in der Bucht liegenden Stahlkolossen: Die Matrosen hungerten, von den Offizieren um einen Teil ihrer Menage betrogen, gequält mit harten Strafen für jede kleinste Verfehlung; nur selten gab es die Erlaubnis zum Landgang oder gar Heimaturlaub. Die Nachrichten von den Aufständen der russischen Soldaten und Matrosen und dem Streik in den Wiener Neustädter Daimler-Motorenwerken hat auch sie, die „Gedemütigten und Getretenen“ (Julius Braunthal), zum Widerstand bewogen. Vor dem Standgericht beweist vor allem der aus dem mährischen Prerau (Přerov) stammende Arbeiter Franz Rasch Mut und bekennt sich offen zu seinem Tun: „Ich wüsste nicht, welche mildernde Umstände ich für mich geltend machen könnte. Ich wollte den Frieden, ich bereue es nicht. Ich wusste, dass es mich das Leben kosten würde. Aber schließlich sterbe ich dann für meine eigene und nicht für eine fremde Sache […]“ Ein Gnadengesuch, das der zivile Verteidiger der Verurteilten an Kaiser Karl richtet, bleibt unbeantwortet.
Ausgangspunkt der Revolte: der Panzerkreuzer „SMS St. Georg“.
Vor den vier Männern nimmt das Erschießungskommando Aufstellung; Franz Rasch lehnt die ihm angebotene Augenbinde ab, seine letzten Worte sind: „O, dass so viel Blut fließen muss!“ – dann krachen die Schüsse …
Eine Gedenktafel in der Festung Kotor, heute Montenegro, erinnert an die Hingerichteten.
Die Februarkämpfe
Das traditionsreiche Café Central im Palais Ferstel in der Wiener Herrengasse. General a. D. Theodor Körner, der Vorsitzende des Bundesrates, genießt an diesem Montagmorgen wie jeden Tag seinen Kaffee, als plötzlich ein Schutzbündler ins Lokal stürzt und meldet: „In Linz wird geschossen. Die Polizei lässt eine Waffenbeschlagnahme durchführen und der Schutzbund wehrt sich dagegen.“ Körner, der 1930 aus dem Schutzbund ausgetreten und ein scharfer Kritiker des „Pseudomilitärs“ ist, eilt daraufhin ins Parlament und bespricht sich mit seinem Parteifreund Adol Schärf; dann sucht er Bundespräsident Wilhelm Miklas in der Hofburg auf. Der Bundespräsident zeigt sich besorgt über die Lage, meint aber: „Ich kann gar nichts machen. Dollfuß sagt mir nichts, selbst wenn ich um Auskunft oder Orientierung ersuche. Er weist mich direkt ab.“ Miklas verweist Körner an den niederösterreichischen Landeshauptmann Alfred Reither, vor dem Dollfuß noch „einigen Respekt“ habe. Inzwischen hat jedoch der sozialdemokratische Landeshauptmann-Stellvertreter Oskar Helmer bereits vergeblich versucht, Reither zu konkreten Taten zu überreden.
Der „Aufmarschplan“ des Schutzbundes sieht für Wien einen „Sturmangriff“ aus den Gemeindebauten auf die Innenstadt vor, wobei auch die Regierungsgebäude besetzt werden sollen. Der sozialdemokratische Parteivorstand zögert jedoch und wartet zu, Parteichef Otto Bauer will erst losschlagen, nachdem die Regierung das Feuer eröffnet hat. Als man sich um 1.30 Uhr endlich entschließt, den Generalstreik zu proklamieren, ist es zu spät, denn nun haben Dollfuß und Major Fey, der am Vortag bei einer Heimwehr-Übung mit dem Ausspruch „Wir werden morgen an die Arbeit gehen und … ganze Arbeit leisten!“ provoziert hat, die Initiative bereits an sich gerissen. Der Generalstreik wird kaum befolgt und entfaltet keine Wirkung, einzig der Strom kann abgeschaltet werden. Die Initiative bleibt auf Seiten der Regierung, der Schutzbund sieht sich von Beginn an in der Defensive. Die Innenstadt wird von Polizei und Bundesheer abgeriegelt; unterstützt von Heimwehreinheiten geht die Exekutive gegen die Schutzbund-Stellungen in den Gemeindebauten vor; auch leichte Artillerie wird mit ausdrücklicher Zustimmung des Kanzlers zum Einsatz gebracht. In den Bundesländern sind inzwischen Kämpfe ausgebrochen, in Steyr, St. Pölten, Weiz, Eggenberg bei Graz, Kapfenberg, Bruck an der Mur, Wörgl und anderen Orten kommt es zu blutigen Auseinandersetzungen.
Die Kämpfer des Schutzbundes wehren sich mit dem Mut der Verzweiflung, stehen jedoch auf verlorenem Posten, da die Verbindung zwischen den einzelnen Gruppen bald unterbrochen ist. Bereits in der Nacht zum 13. Februar wird von den Regierungseinheiten der Ahornhof am Wienerberg in Favoriten umstellt, in dem die „Kampfleitung“ des Schutzbundes ihren Sitz hat; die Arbeiter im Goethehof in Kaisermühlen, im Karl-Marx-Hof in Heiligenstadt oder im Reumannhof in Margareten müssen nach zähem Widerstand der Übermacht weichen. Zu schweren Kämpfen kommt es noch am 13. Februar beim Schlingerhof in Floridsdorf, wo das Bundesheer zwei Panzer einsetzt, um die Barrikade der Arbeiter auf der Brünner Straße zu durchbrechen. Nach Artilleriebeschuss fällt der Schlingerhof am Nachmittag in die Hände des Heeres, das nicht verhindern kann oder will, dass ein LKW mit gefangenen Schutzbündlern von Angehörigen der Heimwehr unter Feuer genommen wird – mehrere Arbeiter werden erschossen.
Im Morgengrauen des 13. November flieht Otto Bauer in die Tschechoslowakei; die letzten Schutzbündler ergeben sich am 15. Februar; an diesem Tag verlässt auch der durch Granatsplitter verletzte Schutzbundobmann Julius Deutsch das Land. Nach offiziellen Angaben haben die „Februarkämpfe“ 314 Tote, davon 196 Schutzbündler, und über 800 Verletzte gefordert, tatsächlich liegen die Opferzahlen wohl bei über 1.000 Toten.
Die Innenstadt ist abgeriegelt: Soldaten des Bundesheeres auf der Ringstraße gegenüber dem Café Heinrichshof, Höhe Wiener Staatsoper.
Engelbert Dollfuß sieht die Stunde gekommen, um mit den verhassten „Roten“ ein für allemal abzurechnen: Neun Schutzbündler werden von Standgerichten zum Tode verurteilt und hingerichtet, unter ihnen Koloman Wallisch (siehe 19. Februar), Georg Weissel, der Wachkommandant der Wiener Berufsfeuerwehr, und Karl Münichreiter, der Schutzbundkommandant von Wien. Die Sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften sowie alle sozialdmokratischen Arbeiterorganisationen werden verboten; alles, was an die Verdienste der Sozialdemokratie erinnern könnte, wird getilgt: Kruckenkreuzfahnen verhüllen das Republikdenkmal an der Wiener Ringstraße, später ersetzt man die Büsten von Hanusch, Adler und Reumann durch Bilder von Fey, Dollfuß und Starhemberg. In Wien werden die Schulreformen von Otto Glöckel zurückgenommen, ebenso die von Hugo Breitner eingeführten Steuern und Abgaben, das bahnbrechende soziale Wohnbauprogramm wird eingestellt; die Bibliotheken werden von „gefährlichem Schrifttum“ gesäubert. Und nicht zuletzt nimmt nun auch die Diskriminierung jüdischer Mitbürger im „Ständestaat“ immer drastischere Formen an: Jüdische Ärztinnen und Ärzte werden aus dem Dienst entlassen, jüdische Beamte werden zwangspensioniert, mit allen Mitteln versucht man die Juden aus dem kulturellen und wirtschaftlichen Leben zu verdrängen.
Hermann Maiers Sturz in Nagano
Herrenabfahrt bei den Olympischen Spielen in Nagano 1998. Über dem Olympic Course I von Happo One, dem Schauplatz der alpinen Wettkämpfe, scheint endlich wieder die Sonne. Das letzte Training hat vor sechs Tagen stattgefunden, inzwischen haben sich jedoch die Bedingungen auf der 3289 m langen Piste völlig geändert – es ist deutlich schneller geworden. Österreichs Skistar Hermann Maier, den blonden Kraftlackel aus Flachau, kümmert das wenig, er will gewinnen. Mit der niedrigen Nummer vier drückt er vom Start weg aufs Tempo, nach einer ersten harmlosen Gleitpassage und dem „Alpen-Jump“ kommt nach etwa 17 Fahrsekunden eine lang gezogene Rechtskurve, die der „Herminator“ auf einer möglichst engen Linie ansteuert. Er gibt Druck, um die Kurve „zuzumachen“ – da passiert’s: Er streift mit dem Schischuh den Schnee, der Außenski rutscht weg, Maier drückt dagegen, eine „Trampolinwirkung“ ist die Folge: Genau auf der Kante hebt er ab, rudert mit den Händen, um den Körperschwerpunkt noch einmal nach vorne zu bringen, doch es ist zu spät: „Ich liege schräg in der Luft, da sehe ich unter mir das Richtungstor. Umlegen! Noch ist nix passiert. Ich bin schon öfter so schräg in der Luft gelegen und wieder auf den Füßen aufgekommen. Okay, das Tor krieg ich nicht mehr. Dafür lande ich ordentlich. Ich lass’ also dem Körper in der Luft Zeit. Mit Gewalt geht da nichts. Ich beobachte alles von oben und will meine Landung dem Gelände anpassen. Ich glaube noch immer an ein Happy End und denk’ mir:, Wenn ich weiterflieg, fallen die Ski durch die Schwerkraft wieder nach unten, und dann fahr ich wieder.‘ (…) Da wird mir auf einmal bewusst:, Wahnsinn, jetzt schau ich schon senkrecht nach unten. Ich seh ja alles verkehrt!’
Ein Bild, das um die Welt geht: Hermann Maiers Sturz in Nagano 1998.
Nach 1,7 Sekunden in der Luft kracht Hermann Maier mit Schlüsselbein und Schulter in den Schnee, durchschlägt zwei Fangzäune und bleibt nach einigen Purzelbäumen kopfüber im Tiefschnee stecken. Aufatmen bei den Fans zu Hause, als er sich aufrappelt und in die Fernsehkamera winkt; ÖSV-Teamarzt Toni Wicker, ist der erste Helfer, der sich durch den Schnee zu ihm durchkämpft, und plötzlich steht auch noch der Fotograf Carl Yarbrough von Sports Illustrated neben Maier und freut sich über seinen Great Shot!
Drei Tage später, am 16. Februar 1998, gewinnt Hermann Maier, der mit diesem Sturz endgültig zum Medienstar und „Außerirdischen“ (Heinz Prüller) wird, auf dem Olympic Course I die Goldmedaille im Super-G, es ist die erste für Österreich in dieser Disziplin.
Leben und Sterben der Sozialistin Stefanie Kunke
Unter ihrem Mädchennamen Jelinek ist sie so wie der um drei Jahre jüngere Bruno Kreisky Mitglied im Vorstand der „Sozialistischen Arbeiterjugend“ und nach dem Februar 1934 zusammen mit ihrem Mann Hans Kunke Mitglied des Zentralkomitees der „Revolutionären Sozialistischen Jugend“: Stefanie „Steffi“ Kunke, umgekommen in Auschwitz, ist heute vergessen, Bruno Kreisky wurde Bundeskanzler und zu einem „großen Österreicher“.
Aus Wien-Mauer stammend, Jahrgang 1908, arbeitet Stefanie Kunke als städtische Hilfslehrerin an der Mädchen-Volks- und Hauptschule in der Feldmühlgasse 26 im 13. Wiener Gemeindebezirk. Zusammen mit ihrem Mann organisiert sie die Landesleitung der RSJ. Ihre Tätigkeit bleibt bei den Polizeistellen des Schuschnigg-Staates nicht lange unbemerkt: 1936 verhaftet man das Ehepaar. Stefanie Kunke wird am 8. Juli 1936 zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt, Hans zu 18 Monaten – in der Urteilbegründung wird ihnen das Verteilen „illegaler sozialdemokratischer Schriften“ vorgeworfen.
Das Amnestiegesetz bringt ihnen zwar die Freiheit, doch dann erfolgt der „Anschluss“ und die Gestapo braucht nicht lange, um sich auf die Spur der beiden zu setzen: Am 20. Mai 1938 werden sie wegen Betätigung für die „Revolutionären Sozialisten“ wieder verhaftet; Hans Kunke wird nach Buchenwald verschleppt und dort am 31. Oktober 1940 erschossen; Stefanie Kunke weist man zunächst ins Frauen-KZ Lichtenburg in Sachsen ein, dann kommt sie nach Ravensbrück und von dort schließlich nach Auschwitz. Die genauen Umstände ihres Todes in Auschwitz am 14. Februar 1943 sind unbekannt, wahrscheinlich stirbt sie an Typhus. Eine Urne mit ihrer Asche gelangt nach Wien und wird am 30. März 1943 am Hietzinger Friedhof beigesetzt. Nach „heldenhaftem Ringen“ sei sie „fern der Heimat gestorben“, lässt ihre Tante Flora Jelinek am Partezettel vermerken.
In Ravensbrück erinnert heute ein Gedenkraum an Stefanie Kunke, in Wien-Mauer würdigte die Stadt Wien den Opfergang des Ehepaars Kunke mit der Kunkegasse.
Der Friede von Hubertusburg
Im Herbst 1762, nach über sechs Jahren Krieg gegen Friedrich II., sind die Truppen Habsburgs am Ende ihrer Kräfte angelangt, die Ressourcen des Reichs erschöpft, die letzten Schlachten gegen die Preußen gehen allesamt verloren, die bisherigen Verbündeten Russland, Schweden und Frankreich gehen bereits eigene Wege. Maria Theresia befürchtet, wie sie in einem Brief an Staatskanzler Fürst Kaunitz schreibt, den „Ruin der Armee“, jeden Tag verschlechtere sich die Lage, all das mache sie „zittern“; unterstützt wird sie von Feldmarschall Graf Daun, der offen auf Friedensverhandlungen drängt, da „nach obwaltenden Umständen sehr zu besorgen, daß die Armee nicht einmal den Winter hindurch erhalten sein wird“. Das Kriegsziel, die Rückgewinnung Schlesiens, kann trotz aller Opfer, darüber gibt es keine Illusionen, nicht mehr erreicht werden. Über 300.000 Soldaten sind dafür in den Tod gegangen.
Durch Vermittlung des sächsischen Kronprinzen Friedrich Christian wird am 24. November 1762 ein Waffenstillstand mit Preußen geschlossen, am 30. Dezember beginnen im Jagdschloss Hubertusburg bei Wermsdorf in Sachsen die Friedensverhandlungen. Als Unterhändler schickt Maria Theresia den Hofrat Heinrich Gabriel von Collenbach nach Sachsen, einen braven Beamten, dem nichts anderes übrig bleibt, als dem wenig ruhmvollen „Remisfrieden“ auf Grundlage der Friedensschlüsse von Breslau 1742 und Dresden 1745 zuzustimmen: Schlesien sowie die Grafschaft und Festung Glatz bleiben bei Preußen, dafür sichert Friedrich II. in einem geheimen Zusatzartikel seine Kurstimme bei der Kaiserwahl Erzherzog Joseph, dem Sohn Maria Theresias, zu und verpflichtet sich, die habsburgische Erbfolge im Herzogtum Modena zu unterstützen.
Schloss Hubertusburg. Teilkolorierter Kupferstich von Gottlieb F. Riedel. Foto: H.-P. Haack.
Im Artikel 1 der Friedensbestimmungen heißt es: Es wird fortan ein unverletzlicher, beständiger Friede, ebenso ehrliche Eintracht und vollkommene Freundschaft herrschen zwischen ihrer Majestät der Kaiserin, Apostolischen Königin von Ungarn, Königin von Böhmen einerseits und Seiner Majestät dem König von Preußen andererseits, ihre Erben und Nachkommen sowie ihre Staaten und Untertanen eingeschlossen. Folglich werden die beiden hohen vertragschließenden Parteien künftig nicht gestatten, daß sich irgendeine Feindseligkeit, heimlich oder öffentlich, mittelbar oder unmittelbar, ereignet. Sie werden nichts, unter welchem Vorwand es auch immer sein möge, vornehmen, was dem anderen zum Schaden gereicht. Vielmehr werden sie ihre größte Aufmerksamkeit dahin richten, ihre Freundschaft und ihr gegenseitiges Einvernehmen zu bewahren, und alles vermeiden, was in Zukunft die glücklich wiederhergestellte Eintracht stören könnte. Sie werden danach trachten, sich gegenseitig bei jeder Gelegenheit zu Ehre, Nutzen und Vorteil zu dienen.
Der Grazer Damen-Bicycle-Club
Konservativ-reaktionär denkenden Kritikern sind sie ein Dorn im Auge: die sportlich-elegant gekleideten Frauen im Sattel schnittiger Bicycles, die sich so selbstbewusst dem Rausch von Freiheit und Geschwindigkeit hingeben. Beim munteren „Pedalieren“ schütteln die Damen alles ab, was sie bisher beengt hat: den Mief des alten bürgerlichen Frauenbildes, vor allem aber das Korsett. Es empfehle sich, so das von der Redaktion der Wiener Mode herausgegebene Vademecum für Radfahrerinnen, dem „Radfahren ohne Corsett zu huldigen“, ein „Leibchen oder ein Büstenhalter“ würden es auch tun und die „wohlthätigen Wirkungen“ des Radfahrens nicht behindern.
Die passende Kleidung ist wichtig: Sonntagsausflug mit dem Rad, um 1900.
Gleichgesinnte Frauen schließen sich zusammen und empfinden dies durchaus als Akt der Emanzipation: Am 16. Februar 1893 findet im Gasthof „Zum goldenen Steinbock“ in der Jakominigasse 59 die Gründungsversammlung des Grazer Damen-Bicycle-Clubs (GDBC) statt. Es ist der zweite Frauenradfahrverein im deutschen Sprachraum, erst ein Jahr später erfolgt in Wien die Gründung des Ersten Wiener Bicycle-Clubs. Zur Vorsitzenden wird Elise Steininger gewählt, die zusammen mit Vicenza Wenderich die Idee zu diesem Frauenclub hat. Das Amt der „Fahrmeisterin“ übernimmt Louise Sorg, die Tochter eines Fahrradhändlers – sie ist für alle fahrtechnischen Belange zuständig: vom Fahrunterricht für Neueintretende bis zur Gestaltung von sogenannten „Clubpartien“. Besonders wichtig für die Damen ist die einheitliche Klubkleidung: Ein „Fahrdress“ mit Strohhut und ein „Galadress“ mit Schirmmütze werden beschlossen – die Schirmmütze ist der letzte Schrei und für ewig gestrige Männer eine echte Provokation.
Im ersten Vereinsjahr, so die stolze Klubstatistik, werden insgesamt 8.700 Kilometer auf fünf Clubpartien und Tourenfahrten bewältigt; im zweiten Vereinsjahr kann der Damen-Bicycle-Club immerhin auf 27 Frauen verweisen, die ihm angehören, darunter auch die Malerin Sidonie Baltl und die 1852 geborene Adelige Josa Matzner, Edle von Heilwerth, die bald darauf nach Berlin übersiedelt und hier 1897 das „Damensportblatt“ Die Radlerin gründet, das sich zum „unerreicht dastehenden tonangebenden Weltblatte“ des Damenradsports emporschwingen wird.
Der Olympiasieg Toni Innauers in Lake Placid
Für Skisprung-Star Toni Innauer ist es die zweite Chance, Olympiagold zu holen. Bei den Spielen in Innsbruck 1976, mit siebzehn Jahren, hatte er gegen seinen Teamkameraden Karl Schnabl verloren, „nur“ Silber gewonnen und sich „als einziges Opfer in einer wogenden Masse von Tätern“ gefühlt. Jetzt, vier Jahre später, will er „noch einmal einen Matchball haben und ihn spielen, ohne mir nachher etwas vorwerfen zu müssen“.
Der Wettkampf auf der kleinen Schanze im Intervale-Komplex von Lake Placid ist für 13 Uhr Ortszeit angesetzt. Das Thermometer zeigt minus 14 Grad, es ist wärmer geworden, der Wind weht aus West mit etwa 16 Stundenkilometern. Innauer hat am Vortag das interne Qualfikationsspringen des ÖSV-Teams gewonnen und ist für den ersten Wertungsdurchgang zuversichtlich: „Ich fühlte mich sauwohl, locker und happy“, wird er später in seinem Buch Der kritische Punkt über den ersten Sprung schreiben, der ihm hervorragend gelingt:
Höchstnoten für Toni Innauer: Der Vorarlberger 62 gewinnt auf der Normalschanze überlegen Gold.
89 Meter werden für ihn angezeigt – die Führung nach dem ersten Durchgang. In der Pause erinnert sich der 21-Jährige an die bitteren Stunden von Innbruck, er weiß, dass er es dieses Mal besser machen kann. Tatsächlich gelingt ihm der zweite Sprung genauso gut wie der erste: „Geist, Wille und Körper paßten zusammen.“ Wieder erwischt der Vorarlberger den Absprung perfekt, wieder landet er mit einem perfekten Telemark: „Ich hatte das Gefühl, vor Freude zerspringen zu wollen, und gleichzeitig riesige Angst, daß sie verkürzen werden.“
Doch an diesem Tag gibt es niemanden im Springerzirkus, der mit Toni Innauer mithalten könnte. Höchstweite mit 89 und 90 m in beiden Durchgängen, dazu entsprechend hohe Haltungsnoten bedeuten am Ende 266,3 Punkte und 17,1 Punkte Vorsprung auf die beiden ex aequo Zweitplatzierten Manfred Deckert aus der DDR und Hirokazu Yagi aus Japan. DDR-Sportkommentator Klaus Ullrich meint zur Leistung des Österreichers: „Wäre es nur um den Olympiasieg gegangen, hätte man Innauer nach Boxerregeln in diesem Augenblick durchaus zum Sieger durch Abbruch wegen sportlicher Überlegenheit erklären können.“
In der Stunde seines großen Sieges denkt Toni Innauer an den Mann, der ihn auf dem Weg zum Erfolg entscheidend begleitet hat: „Oben stand ganz verloren Baldur Preiml mit seinen roten Fäustlingen. Ich winkte ihm zu. Er blieb unbewegt stehen und schaute mich an. Ich wollte ihm in die Arme fallen, dann sah ich erst, daß er weinte.“
Die Mordtat des Don Julius d’Austria
Es ist Faschingsmontag, doch in Krumau (Cesky Krumlov) ist niemandem zum Lachen zumute, als die Schreckensnachricht aus dem Schloss sich in der Stadt verbreitet. Der Täter trägt einen pompösen Namen: Don Julius Caesar d’Austria, der älteste uneheliche Sohn Kaiser Rudolfs II. und seiner Geliebten Katharina Strada, geboren 1584 oder 1586. Der kaiserliche Vater hat ihm eine sorgfältige Erziehung und Ausbildung zuteil werden lassen und ihm als Residenz im Jahre 1605 das Schloss in Krumau zugewiesen, das er wenige Jahre zuvor Peter Vok, dem letzten Rosenberger, abgekauft hat. Den Sommer 1606 hat der Prinz – zeigt schließlich auch er eine besondere Leidenschaft für mechanische Uhren – auf Wunsch des Vaters im niederösterreichischen Kartäuserkloster Gaming verbracht, dann kehrte Don Julius nach Krumau zurück, wo er wohl schon 1607 Margarete Pichler, die Tochter des Baders Sigmund Pichler und der Lucie Pichlerová, kennenlernte. Mit Zustimmung der Eltern zieht das Mädchen in die ehemalige rosenbergische Residenz und lebt mit dem jungen Habsburgerspross zusammen, schon bald werden aber die dunklen Seiten des offenbar an Schizophrenie leidenden Prinzen sichtbar: Es kommt zu einem Gewaltexzess, Don Julius verprügelt Margarete, verletzt sie durch Messerstiche und wirft sie schließlich, „schrecklich verhenkert und verstochen“, aus dem Schlossfenster.
Der Schauplatz des Fenstersturzes: das Schloss in Krumau.
Das Mädchen hat Glück, fällt auf einen Misthaufen und überlebt den „Fenstersturz“. Als der Vater Margaretes es ablehnt, sie nach ihrer Wiederherstellung neuerlich zu ihm zu bringen, lässt Don Julius den Bader ins Gefängnis werfen und droht ihm mit dem Galgen; nach fünf Wochen Haft ihres Gatten gibt schließlich die Mutter nach und führt ihre Tochter doch ins Schloss. Es ist Faschingssonntag – bereits am nächsten Tag kommt es zur Tragödie: In einem Wutanfall verletzt Don Julius einen Diener, der gerade noch fliehen kann, und erschlägt dann seine Geliebte, die er verstümmelt und zerstückelt, die Leichenteile verteilt er im Schloss.
Das Entsetzen in den europäischen Herrscherhäusern über die Tat des „grausamen Tyrannen“ ist groß, Kaiser Rudolf II. verhängt über seinen Sohn lebenslange Haft im Krumauer Schloss. Don Julius, dessen Geisteskrankheit rasch voranschreitet und der in „Schmutz und Unordnung“ versinkt, stirbt am 25. Juni 1609; der Kommentar des Chronisten Václav Brezan: „Das Teufelein hat ihn erwürgt!“
Der Tod des Koloman Wallisch
Für Kanzler Engelbert Dollfuß ist es die Erfolgsmeldung im Kampf gegen die „Aufständischen“: Am 18. Februar kann der Nachrichtensprecher der RAVAG vermelden, dass der gesuchte Sozialist Koloman Wallisch, Führer der Schutzbundkämpfer in der Obersteiermark, auf den ein Kopfgeld von 5.000 Schilling ausgesetzt gewesen wäre, mit seiner Frau Paula auf der Flucht von Leoben nach Admont von der Polizei angehalten und festgenommen worden sei. Am nächsten Tag, dem 19. Februar, steht Koloman Wallisch zusammen mit dem Bezirkskommandanten des Schutzbundes Hubert Ruhs vor dem Standgericht. Die Anklage lautet auf „Aufruhr“ nach Paragraf 73 Strafgesetzbuch. Der Staatsanwalt, den es wenig kümmert, dass er einen ehemaligen Abgeordneten zum Nationalrat vor sich hat, nennt Wallisch in seiner Anklagerede „den bösen Geist von Obersteiermark“ und behauptet, dass Wallisch den Putsch von langer Hand vorbereitet habe. In seinem Schlussplädoyer, aus dem unverhüllt der Geist des Faschismus weht, fordert er den Schuldspruch, denn die „ganze Figur des Wallisch“ sei nicht nur ein Name, sondern „ein Programm“. Und: „Wallisch ist eine Eiterbeule am gesunden Volkskörper der Obersteiermark und diese muss ausgeschnitten werden, um den Volkskörper wieder gesund zu machen.“ Dann darf Koloman Wallisch seine Verteidigungsrede halten. Noch einmal skizziert der Arbeiterführer in wenigen Sätzen die Entwicklung seit der „Selbstausschaltung“ des Parlaments bis hin zum Verbot des Schutzbundes und zur offenen Bewaffnung der Heimwehr. Eindringlich weist er auf das Elend der Arbeitslosen hin, das diesen „Aufschrei der Massen“ unvermeidlich gemacht habe. Und er gibt sich keiner Illusion über sein Schicksal hin, weiß, dass er das auserkorene Opfer des Dollfuß-Regimes ist: „Ich weiß genau, dass ich verurteilt werden muss. Ich bettle nicht um Gnade und über den 19. Februar 1934 wird die Weltgeschichte, wird die Arbeiterschaft urteilen! Dieser Tag wird allerdings nicht in Ehrenlettern in der Geschichte der Leobener Justiz eingetragen sein. … Ich habe mein ganzes Leben der Arbeiterschaft gewidmet, ihr zu dienen, und zwar mit Erfolg, war mein Ideal. Weil ich ehrlich für die Arbeiter kämpfte und mit Erfolg mit ihnen tätig war, darum ist der Hass der Gegner so groß!“
Während die Verhandlung noch andauert, wird man am Wiener Ballhausplatz schon ungeduldig. Bundeskanzler Engelbert Dollfuß kann angeblich das Todesurteil gegen Wallisch kaum abwarten – um sieben Uhr abends lässt er schließlich telefonisch beim Leobener Gericht anfragen, warum die Verhandlung gegen den Sozialistenführer so lange dauere und er noch nicht zum Tode verurteilt sei. Das Gericht beeilt sich und muss auch nicht lange beraten, es geht schon längst nicht mehr um Gerechtigkeit – das Todesurteil ist gleichsam ein Auftrag des offiziellen Österreich an die Richter. Um 20.30 Uhr wird das Urteil verkündet: Es lautet auf Todesstrafe für beide Angeklagte. Im Publikum wird Zustimmung laut – man freut sich offen. Ruhs bittet um Gnade; Wallisch lehnt dies ab, sein Verteidiger versucht es der Form halber dennoch telefonisch in Wien, wie zu erwarten ohne Erfolg. Wallisch bleibt gefasst, eine letzte Bitte bringt er noch vor: Er möchte eine Verlängerung der Frist bis zur Hinrichtung um drei Stunden und dies wird ihm auch gewährt.
Koloman Wallisch wartet im Gefängnishof von Leoben auf seine Hinrichtung.
Die letzten Minuten seines Lebens verbringt Konrad Wallisch im Hof des Gefangenenhauses. Exakt um 23 Uhr 40 wird er zur Hinrichtung geführt. Der Holzhof wird von Scheinwerfern beleuchtet; eine Abteilung des Bundesheers ist angetreten. Da sich in Leoben niemand gefunden hat, der bereit gewesen wäre, den Galgen aufzustellen, zwingt man Häftlinge zu dieser Arbeit. Ein Loch wird gegraben, das Todesgerüst darin fixiert. Als Henker amtiert ein Fleischhauer aus Wien namens Spitzer; schon am Nachmittag hat er in den Leobener Wirtshäusern damit angegeben, dass er „den Wallisch“ hängen werde. Von ihren Zellenfenstern aus können die gefangenen Schutzbündler sehen, wie Koloman Wallisch mit festem Schritt unter die Schlinge tritt. Als der Henker sie ihm um den Hals legt, ruft er aus: „Es lebe die Sozialdemokratie! Hoch! Freiheit!“
Als der Leichnam in den Sarg gelegt wird, kann sich Spitzer, der Henker, einen höhnischen Kommentar nicht verkneifen. Eine Verbeugung vor dem Toten machend, feixt er: „Herr Wallisch, bei Ihnen war es mir ein ganz besonderes Vergnügen!“ Noch in der Nacht wird der Leichnam auf den Leobener Zentralfriedhof gebracht und begraben, die Spuren verwischt. Man befürchtet einen Märtyrerkult, niemand soll die Stelle kennen, doch einige Arbeiter haben die nächtliche Szene beobachtet; bereits am nächsten Morgen liegt deshalb ein Kranz auf der Grabstätte. Angehörige der Heimwehr lassen ihn wegbringen, doch gleich liegen wieder neue Blumen auf dem Grab. Daraufhin setzt man Paula Wallisch unter Druck – sie solle den Leichnam ihres Mannes einäschern lassen. Die Witwe lehnt ab. So tragen die Arbeiter weiterhin ihre Liebe und ihre Racheschwüre zum heiligen Grab des Märtyrers. „Der Hass der Besitzenden, der Hass der Reaktionäre, der ihn viele Jahre verfolgte, hatte sein Ziel erreicht.“ Erst im Jahre 2008 erhält der hingerichtete Arbeiterführer sein Denkmal: Am Leobener Koloman-Wallisch-Platz wird ein 4 Meter hohes und 1,5 Meter breites Monument des Leobener Künstlers Herbert Lerchegger aufgestellt.
Die Erschießung Andreas Hofers
Mantua, die alte österreichische Festung in der Lombardei, nunmehr unter französischer Herrschaft. Seit 5. Februar sitzt im Al-Vaso-Turm am sogenannten „Mühlendamm“ bei der Porta Nuova ein prominenter Gefangener: der Sandwirt Andreas Hofer, durch Verrat des Grubhofbauern Franz Raffl auf der Pfandleralm in die Hände der Franzosen gefallen. Napoleon Bonaparte, der die Niederlagen am Bergisel nicht verwinden kann, will das Blut des Tiroler Freiheitshelden fließen sehen und seine Offiziere sind willfährig: In der Nacht vom 19. auf den 20. Februar 1810 wird Andreas Hofer von einem französischen Kriegsgericht im Palazzo des Grafen von Arco-Chieppio Ardizzoni zum Tode verurteilt; die Exekution für 1 Uhr angesetzt. Die „Schuld“ des Sandwirts: Er habe nach der Proklamation vom 12. November 1809, die ja die Begnadigung aller Anführer der „Rebellen“ vorsah, noch einmal zu den Waffen gegriffen, sei damit wortbrüchig geworden und habe damit für sich jede Schonung verwirkt. Hofers Verantwortung, dass er von seinen Kampfgefährten unter Androhung des Todes „umgedreht“ worden sei, findet kein Gehör; sein Pflichtverteidiger Gioacchino Basevi kann in dieser Farce eines Gerichtsverfahrens nichts mehr für ihn tun. In Wien hat zwar Kaiser Franz I. am 12. Februar Staatskanzler Metternich angewiesen, „alle tunliche Verwendung“ für die Befreiung und Rettung Hofers zu unternehmen; da man Napoleon jedoch so knapp vor der Hochzeit mit Erzherzogin Marie-Louise nicht „wehtun“ will, verschleppt man geschickt die Angelegenheit und informiert zu spät den österreichischen Botschafter in Paris, den Fürsten Schwarzenberg; auch Erzherzog Johann, an den Hofer einen letzten Hilferuf gerichtet hat, „vergisst“ einfach seinen Tiroler Mitstreiter – die beiden Habsburger opfern ihn für das Staatsinteresse.
Andreas Hofer zeigt sich bei der Verkündung des Urteils ruhig und gefasst; seinen letzten Brief schreibt er an den ehemaligen Schützenmajor Josef Pühler in Neumarkt, darin nimmt er Abschied von seiner Familie und schließt mit den Worten: Ade meine schnede Welt, so leicht khombt mir das Sterben vor, das mir die Augen nass werden, geschrieben um 5 Uhr in der freue, Und um 11 Uhr Reiss ich mit der Hilfe aller heilig zu gott.
Um 10.45 Uhr treffen die Grenadiere des Exekutionskommandos im Gefängnis ein. „Fest und aufrecht, wie der Tapfere sich stets gezeigt“ (Egmont Fehleisen), begleitet von seinem Beichtvater Propst Giovanni Manifesti, tritt Hofer aus seiner Zelle. In den Händen hält er ein mit Blumen geschmücktes Kruzifix. Er bittet noch, seinem Mitgefangenen und Sekretär Kajetan Sweth etwas Geld – sechs italienische Scudi – und ein paar Zeilen schicken zu dürfen, was ihm auch gestattet wird: Auf einen Zettel notiert er: Lieber Kajetan, empfange das letzte Vermögen, das ich habe. Lebe wohl und bete für mich. Abgelehnt wird dagegen seine Bitte, nochmals seine inhaftierten Landsleute sehen zu dürfen. Vor dem Gefängnis übergibt Hofer, so erzählt es sein Biograf Fehleisen, seinem Beichtvater noch einen 500-Gulden-Bancozettel, den dieser den gefangenen Tirolern übergeben soll, sie mögen, so seine Bitte, für seine Seelenruhe beten. Der Weg führt an den Zellen der gefangenen Landsleute vorbei; viele knien nieder und bitten um seinen Segen oder strecken ihm auch nur die gefesselten Hände entgegen.
Nachdem sie auf der Bastei der Porta Ceresa angekommen sind, bilden die Grenadiere ein Viereck; in der Mitte nimmt Andreas Hofer Aufstellung. Das Todesurteil wird noch einmal verlesen. Er weigert sich niederzuknien, auch die angebotene Augenbinde weist er entschieden zurück – er sieht den sechs Soldaten, die nun ihre Gewehre auf ihn anlegen, in die Augen und kommandiert selbst: „Gebt Feuer!“ Nach den ersten sechs Schüssen sinkt er nur auf die Knie, auch nach weiteren sechs Schüssen lebt er noch immer; der kommandierende Offizier, ein Luxemburger namens Michel Eiffes, tötet ihn schließlich mit einem Gnadenschuss aus nächster Nähe.
Der Leichnam Hofers wird auf dem Friedhof der Kirche San Michele in Mantua beerdigt; in der Nacht zum 10. Jänner 1823 exhumieren Tiroler Kaiserjäger aus Bozen die sterblichen Überreste und bringen sie nach Innsbruck, wo sie in der Hofkirche beigesetzt werden – Kaiser Franz I. reagiert mit strenger Bestrafung der an dieser „Aktion“ beteiligten Offiziere und Soldaten. Das Lied Zu Mantua in Banden (Text: Julius Mosen/Musik: Leopold Knebelsberger), das die Hinrichtung beschreibt und Hofer zu einem deutschen (!) Nationalhelden stilisiert, wird 1948 zur offiziellen Hymne des Landes Tirol erklärt; bis heute scheint diese eigentümliche deutschnationale „Färbung“ der Landeshymne niemanden zu stören.
Napoleon selbst ordnete die rasche Hinrichtung an: der „Märtyrertod“ Andreas Hofers in Mantua.
Gründung der theologischen Fakultät an der Universität Wien
Als Papst Urban V. am 18. Juni 1365 in Avignon die Errichtung des studium generale in Wien bestätigt und die aufstrebende habsburgische Residenz damit in die Reihe der Universitätsstädte Europas tritt, haftet diesem Gründungsakt ein schwerer Schönheitsfehler an: Die Alma Mater Rudolphina hat keine theologische Fakultät zugesprochen bekommen – das Wichtigste fehlt also, die neue Universität in Wien ist unvollständig, wohl ein Schachzug Kaiser Karls IV. aus dem Hause Luxemburg, der die 1348 gegründete Universität Prag vor der unliebsamen Wiener Konkurrenz schützen will.
Es ist nun Herzog Albrecht III. (1349/1350 – 1395), einer der jüngeren Brüder Rudolf „des Stifters“, aufgrund seiner eigenwilligen Haartracht besser bekannt als „Albrecht mit dem Zopf“, der im Jänner 1384 bei Papst Urban VI. in dieser Causa vorstellig wird: Der Pontifex möge doch auch für Wien eine theologische Fakultät zulassen. Urban VI., der im Gegenzug auf die Unterstützung der Habsburger angewiesen ist, kommt der Bitte aus Wien rasch nach: Am 21. Februar 1384 unterzeichnet er in Neapel eine Bulle, in dem er die Gründung von 1365 bestätigt und zusätzlich die Errichtung einer theologischen Fakultät bewilligt. Durch Vermittlung seines Kanzlers, des Bischofs Berthold von Wehingen, gelingt es Herzog Albrecht III., zwei angesehene Universitätslehrer für die neue Wiener Fakultät zu gewinnen: den Hessen Heinrich Heimbuche von Langenstein (1325 – 1397) und den aus Niedersachsen stammenden Heinrich Totting von Oyta (ca. 1330 – 1397). Heinrich von Langenstein, ein treuer Parteigänger Urbans VI., der bis 1382 den Lehrstuhl für Philosophie an der Sorbonne innehatte, zeichnet sich, dem Vorbild Paris folgend, als Reformator der Wiener Universität aus; beinahe noch mehr als die Theologie interessieren ihn jedoch Mathematik und Astronomie, so veröffentlicht er 1386 eine Studie Quaestio de cometa, in der er sich scharf gegen den Aberglauben der Astrologen ausspricht. Sein Freund Heinrich Totting von Oyta, auch er Lehrer an der Sorbonne und einst während einer Professur in Prag der „Ketzerei“ verdächtigt, gilt als mitreißender Prediger; beide „Gründungsprofessoren“ der Wiener theologischen Fakultät treten für ein Konzil ein, das die dringend anstehende Reform der Kirche in die Wege leiten soll; beide sind sie im Stephansdom begraben.
Die General-Zensur-Verordnung
Aufgerüttelt von den Ereignissen im revolutionären Frankreich, reagieren Kaiser Franz II. und seine Polizeibeamten mit dem Versuch einer totalen Überwachung aller publizistischen Äußerungen: Das Hofdekret betreffend die Zensurs Vorschrift, später allgemein bekannt als General-Zensur-Verordnung, enthält eine erschöpfende Aufstellung aller Zensurregelungen der damaligen Zeit und wird zur Grundlage der Zensurpraxis in den folgenden Jahrzehnten – kein Buchdrucker und kein Buchhändler soll sich mehr an den bestehenden Gesetzen „vorbeischleichen“ können, wie es in der Präambel heißt.
So sieht die neue Verordnung in Censurssachen vor, dass Buchhändler, die ein verbotenes Buch ohne eigenen Erlaubnisschein des General-Direktoriums verkaufen, eine Strafe von 50 Gulden pro verkauftem Exemplar zu bezahlen haben, im Wiederholungsfall droht ihnen neben dieser Geldstrafe auch der Verlust der Gewerbeberechtigung. Und für die Buchdrucker und damit für die Verlage gilt, dass sie nicht das Mindeste in Druck legen dürfen, ohne zuvor das Manuscript in einer leserlichen Schrift und richtig paginiert, auch mit einem weiß gelassenen Rande versehen beim Revisionsamte eingereicht, und die Zulassung vom Zensurdepartement erhalten zu haben. Unterlässt es ein Buchdrucker, das Imprimatur einzuholen, drohen drakonische Strafen: Die gesamte Auflage des Druckwerkes wird konfisziert und eingestampfet, der Übertreter verliert sein Gewerbe und muss für jedes in Umlauf gebrachte Exemplar 50 Gulden Strafe zahlen, verfügt er über dieses Geld nicht, wird er mit Arrest und am Leibe gestrafet – dabei gilt: ein Tag Arrest für jeden Gulden!
Das Misstrauen der Zensoren ist so groß, dass auch jedes zum Nachdruck vorgesehene Buch wieder bei ihnen eingereicht und mit dem Reimprimatur versehen werden muss, ja, selbst für Kupferstiche, Landkarten und Rissen von Städten, Festungen, Gränzen, Küsten etc. ist die Zensurbewilligung einzuholen. Und noch eine Schikane: Wer Verzeichnisse von verkäuflichen Büchern den Zeitungen beilegen möchte, muss auch diese in zwei gleichlautenden Handschriften beim Bücherrevisionsamt einreichen. Streicht der Zensor ein Buch, muss ihm die Liste vor Drucklegung noch einmal vorgelegt werden. Auch alle importierten Bücher müssen selbstverständlich die Zensur passieren und unerlaubtes Publizieren im Ausland steht unter Strafe – für kritische Geister bleibt nur die Flucht.
Dass damit ein harter Schlag gegen die Bildung seiner „Untertanen“ geführt wird, scheint Franz II. nicht zu stören, noch gilt der mündige Bürger wenig, das Duckmäusertum viel. Für die Zensoren bedeutet die Zensurs Vorschrift Schwerarbeit: Nicht nur die eingelangten Manuskripte werden beurteilt, man sichtet auch noch einmal die Werke, die unter Joseph II. und Leopold II. erschienen sind – diese Rezensurierung, geleitet von Regierungsrat Johann Bernhard Fölsch, führt dazu, dass etwa 2.500 Bücher nachträglich verboten werden. Insgesamt werden bis zu 40.000 Titel auf den österreichischen Verbotslisten stehen, das Damnatur! wird zu einem Signum der Epoche.
Absturz über dem Bodensee
Es ist 9 : 36 Uhr, als in Wien-Schwechat eine zweimotorige Gulfstream Aero Commander 90 der „Rheintalflug“ startet. Mit an Bord sind neun Passagiere, darunter Sozialminister und ÖGB-Vizepräsident Alfred Dallinger sowie Richard Wonka, der Zentralsekretär der GPA. Die beiden Gewerkschafter sind auf dem Weg nach Bregenz zu einer Sitzung der sozialistischen Fraktion der GPA. Es herrscht gutes Flugwetter, pilotiert wird die Maschine von Brigitte Seebacher, der Chefin der „Rheintalflug“; ihr Kopilot ist Johann Rainer. Beide sind äußerst erfahrene Leute.
Zielort ist Hohenems, geplante Ankunftszeit: 10.30 Uhr. Da über dem Bodensee eine dichte Nebeldecke liegt, entscheidet sich Brigitte Seebacher dafür, den schweizerischen Flugplatz St. Gallen-Altenrhein anzufliegen. Die Maschine befindet sich bereits im Landeanflug auf Altenrhein, als sie plötzlich vom Radarschirm des Towers verschwindet. Rätselraten – um die Mittagszeit, als man einige Trümmer im Wasser entdeckt, wird klar:
Die Gulfstream Aero Commander 90 ist in den See gestürzt. Am Abend orten schließlich die Suchmannschaften den Flugzeugrumpf mitten im Bodensee, der an der Absturzstelle 76 Meter tief ist. Zwei Tage später kann das Wrack mit den elf Toten geborgen werden.
Tragisches Ende am Bodensee: Sozialminister Alfred Dallinger.
Die Unfallursache ist bis heute nicht geklärt. Brigitte Seebacher war mit dem Luftraum über dem Bodensee gut vertraut, ein Pilotenfehler kann dennoch nicht ganz ausgeschlossen werden. Genaue Untersuchungen des Wracks an der TU Zürich bringen keine Gewissheit – möglicherweise zeigte der Höhenmesser eine falsche Flughöhe an.
Die Nachricht vom Tod Alfred Dallingers erschüttert ganz Österreich. Seit 1974 ist der 1926 geborene Wiener Abgeordneter im Nationalrat, 1980 wird er von Bruno Kreisky in die Regierung berufen und gilt allgemein als kämpferischer Gewerkschafter, als die treibende Kraft am linken Flügel der SPÖ. Visionen wie die Einführung einer „Maschinensteuer“, einer Wertschöpfungsabgabe zur Sicherung des Sozialversicherungssystems, oder die 35-Stunden-Woche kann er allerdings nicht verwirklichen. In einem Nachruf würdigt Manfred Scheuch, der frühere Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung, die Verdienste des verunglückten Bundesministers für Soziales. „In Dallinger war die Ungeduld eines heißen Herzens verbunden mit dem Sinn für das Mögliche und Machbare.“
Ein Wohnheim für Behinderte, das seinen Namen trägt, und der Alfred-Dallinger-Platz im 3. Wiener Gemeindebezirk erinnern an ihn.
Die Rede Schuschniggs vor dem Bundestag
Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg, von Hitler beim Treffen am Berghof am 12. Februar 1938 schwer gedemütigt, durch brutale Drohungen in die Enge getrieben und zur Unterzeichnung des „Berchtesgadner Abkommens“ gezwungen, das den Nazis praktisch freies Spiel gibt, kämpft verzweifelt um den Erhalt der Souveränität Österreichs. In einer zweistündigen Rede vor dem zu einer außerordentlichen Sitzung einberufenen Bundestag rechtfertigt er sein Vorgehen am Obersalzberg.
In den Zeitungen wird die Rede Schuschniggs ausführlich zitiert.
Die Sitzung ist für 19 Uhr angesetzt. Schuschnigg wird von den Abgeordneten mit stürmischem Applaus begrüßt; er trägt die Uniform eines „Frontführers“ und ist durch den „triumphalen Empfang sichtlich bewegt“. Seine Darlegungen, die, wie die Neue Freie Presse schreibt, ein „flammendes Bekenntnis zum freien, deutschen, christlichen Österreich“ werden, offenbaren jedoch noch einmal das tragische Dilemma, in das dieser Mann verstrickt ist: Noch immer ist er verfangen in der Vorstellung, Österreich habe eine „deutsche Mission“ zu erfüllen, noch immer spricht er vom „deutschen Volk in Österreich“, das ein „wertvoller Teil“ des „gesamten deutschen Volkes“ sei, und vom „deutschen Österreicher“, obwohl er genau damit den Nazis in die Hände arbeitet. Noch immer beharrt Schuschnigg auf einem Idealbild österreichischer Kultur, das sich aus dem „vollendeten Zusammenklang klassischhumanistischer, nationaldeutscher und christlich-abendländischer Elemente“ ergäbe, und bemerkt nicht, dass er im Vergleich mit den handfesten Blut-und-Boden-Parolen der Nazis längst auf verlorenem Posten steht. Und auch jetzt noch rückt er keinen Millimeter von der Maiverfassung 1934 ab – die neue Regierung mit dem Nazi Arthur Seyß-Inquart als Innen- und Sicherheitsminister „verkauft“ er als „Konzentration aller positiven Kräfte“, noch immer will er keine Parteien dulden, sondern beschwört die „einige, geschlossene Front unseres Volkes in allen seinen sozialen Schichten und Ständen“. Berchtesgaden, so Schuschnigg in seltsamer Verkennung der Realität, sei daher, wie er „in Übereinstimmung mit dem Reichskanzler und Führer des Deutschen Reiches“ hoffe, „ein Markstein des Friedens“. Schuschnigg gelingt es, die Abgeordneten in seinen Bann zu ziehen: Als er seine Rede mit dem pathetischen Ruf: „Rotweiß-rot bis in den Tod!“, schließt, entlädt sich, so die Reichspost, ein „Orkan unbeschreiblicher Begeisterung und genzenloser Freude“, die „kraftvollen Führerworte“ würden neue Hoffnun geben. Kampfstimmung, von der zwei Wochen später kaum mehr etwas zu spüren sein wird (siehe 11. März).
Die Ermordung Wallensteins
Anno Domini 1634. In Mitteleuropa herrscht Krieg, es sind jene furchtbaren und endlosen Kämpfe, die später unter dem Begriff „Dreißigjähriger Krieg“ zusammengefasst werden. Die Sache des Kaisers in Wien steht nicht schlecht, doch nun ist im Lager Habsburgs ein erbitterter Machtkampf ausgebrochen: Ferdinand II. misstraut seinem mächtigen Generalissimus Herzog Albrecht von Wallenstein, bestärkt durch die Einflüsterungen seiner Berater kommt er zur Überzeugung, dass sein Feldherr ungehorsam sei, ja: ein „Hochverräter“ – und das könne unter keinen Umständen geduldet werden. Wallenstein müsse abgesetzt werden.
Das Fass zum Überlaufen bringt ein Bericht des kaiserlichen Generals Octavio Piccolomini, des Vertrauten Wallensteins, der „Sensationelles“ enthüllt: Wallenstein wolle seine Armee mit den Feinden vereinigen, die Erblande erobern und sich des Kaisers bemächtigen. Ja, so die blühende Fantasie Piccolominis, Wallenstein wolle zur Neuordnung Europas schreiten, und zwar ohne die Habsburger, er selbst möchte König von Böhmen werden. Daraufhin erlässt Ferdinand ein streng geheimes Patent, mit dem Wallensteins Unterführer Gallas, Piccolomini, Rudolf Graf Colloredo und Johann von Aldringen als „Exekutoren“ ermächtigt werden, mit Gewalt gegen ihn vorzugehen – wenn nötig auch, ihn zu ermorden.
Piccolomini übernimmt es, jene Männer zu finden, die bereit sind, Wallenstein, der krank ist und sich in Eger (Cheb) aufhält, zu töten. Unter den Obristen, die er für die Verschwörung gegen ihren Feldherren gewinnen kann, scheint ihm der irische Katholik Walter Butler der richtige „Regisseur“ für die Extinguierung Wallensteins und seiner Getreuen zu sein, dazu kommen John Gordon, der Festungskommandant von Eger, und dessen Stellvertreter, der Oberstwachtmeister Walter Leslie. Dieser ist es auch, der die Initiative ergreift: „Töten wir die Verräter!“, lautet die Devise, die Leslie ausgibt und mit der er sich auch durchsetzt. Zur Unterstützung werden zwei Kompanien der Butler’schen Dragoner herangezogen, dreißig zuverlässige Leute unter dem Befehl von Oberstwachtmeister Robert Geraldin; dessen Stellvertreter ist ein Hauptmann Walter Deveroux. Zunächst, so beschließt man, müsse man die Getreuen Wallensteins ausschalten und hat dafür bald auch einen heimtückischen Plan: Gordon lädt Feldmarschall Ilow, die Grafen Trčka und Kinsky sowie Rittmeister Niemann für den Abend des 25. Februar 1634 zu einem Fastnachtsschmaus zu sich auf der Burg ein. Nachdem sich die vier Männer an der reich gedeckten Tafel niedergelassen und ihre Waffen abgelegt haben, fällt man über sie her – die vier Männer haben keine Chance und werden ermordet.
Der kranke Generalissimus ist seinen Mördern hilflos ausgeliefert: Hauptmann Deveroux führt den tödlichen Stoß. Gemälde von unbekanntem Künstler. Heeresgeschichtliches Museum, Wien.
Gordon, Butler und Leslie, noch im Blutrausch, beschließen, keine weitere Zeit zu verlieren und auch Wallenstein sofort zu töten. Walter Butler stellt ein Mordkommando aus sechs Dragonern zusammen; er selbst wird sie begleiten. Es ist zwischen 20 und 21 Uhr, als die sechs Dragoner, angeführt von Hauptmann Deveroux, in das Haus, in dem sich Wallenstein einquartiert hat, eindringen. Oberst Butler bleibt vor dem Gebäude und beobachtet das Fenster von Wallensteins Schlafzimmer. Brennende Kienspäne in den Händen, stürzen die Soldaten die Treppe hinauf in den ersten Stock, verletzen den Mundschenk des Herzogs, der sich ihnen entgegenstellt, am Arm, wenden sich zu den Gemächern Wallensteins und stoßen im Vorzimmer seinen Kammerherrn nieder, der verzweifelt versucht sie aufzuhalten.
Die Tür zum Krankenzimmer ist verriegelt, für die Attentäter jedoch kein Hindernis. Die Männer brechen sie auf, drängen in den Raum, Deveroux brüllt den Herzog an: „Oh, Ihr verräterischer Schelm! Gott selbst kommt jetzo Rache nehmen ob Eurer gottlosen Pläne und Verrätereien. Von dieser Hand empfanget Euren Lohn und verdiente Strafe!“ Wallenstein, im leinenen Nachthemd, schafft es von seinem Bett noch zum Tisch in der Mitte des Zimmers, versucht um Gnade zu bitten, doch da stößt ihm Deveroux bereits die Hellebarde in die Brust, reißt die Waffe nach oben, zerfetzt Lunge und Hauptschlagader, nach wenigen Sekunden ist der Oberbefehlshaber der habsburgischen Armeen tot.
Der Leichnam wird in einen roten Teppich gewickelt, dann schleift man ihn die Treppe hinunter, wirft ihn vor dem Haus auf einen Leiterwagen und bringt ihn zur Burg, wo er neben den anderen Ermordeten seinen Platz findet. Walter Butler schreibt selbst einen Brief an den Kaiser, befürchtet er doch, dass man in Wien seine „Verdienste“ nicht richtig einzuschätzen weiß. Doch Ferdinand, tief erleichtert über das Gelingen der „Exekution“, wird sich nicht lumpen lassen …
Das Februarpatent
Der junge Kaiser Franz Joseph ist kein Freund der Verfassung. So erklärt er im Ministerrat vom 29. Juni 1860, „keine Beschränkung der monarchischen Gewalt durch eine Verfassung zu gestatten und lieber allen Stürmen entgegentreten zu wollen“. Starke Worte, die jedoch rasch überholt sind. Die schwierige Lage der Monarchie nach der Katastrophe von Solferino (siehe 24. Juni) zwingt ihn zu einem Umdenken, der Weg zur konstitutionellen Monarchie zeichnet sich immer deutlicher ab.
Eine neue Verfassung für den österreichischen Kaiserstaat: das Februarpatent (Titelseite).
Am 20. Oktober 1860 erlässt er das „Oktoberdiplom“, das als „beständig unwiderrufliches Staatsgrundgesetz“ die Einheit des Reiches sichern soll und einen „Reichsrat“ vorsieht, der für die Staatsfinanzen, Zölle, Verkehr und Militärwesen zuständig sein soll; für Ungarn soll die alte ständische Verfassung aus der Zeit vor 1848 in Kraft treten, neue „Landesordnungen“ sollen für die anderen Königreiche und Provinzen gelten – ein Kompromiss, der schnell auf heftige Kritik stößt. Franz Joseph beauftragt daher den großdeutschen Liberalen Anton Ritter von Schmerling (1805 – 1893) mit der Ausarbeitung einer neuen „Verfassung“. Auch Schmerling hält am zentralistischen Grundgedanken fest, erstmals wird jedoch für den Reichsrat ein Zweikammernsystem festgeschrieben: Das „Herrenhaus“ besteht aus erblichen oder ernannten Mitgliedern, das „Abgeordnetenhaus“ wird dagegen durch die direkte Wahl der einzelnen Landtage bestellt, wobei das sogenannte „Kurienwahlrecht“ gilt: Großgrundbesitzer, Handels- und Gewerbekammern, Städte und Märkte sowie die Landgemeinden wählen jeweils ihre Vertrter; wahlberechtigt ist nur der direkt Steuer zahlende Bürger. Vorgesehen sind 343 Abgeordnete, davon allein 120 für die ungarischen Länder – sie sollen mit dem „engeren Reichsrat“ der österreichischen Reichshälfte über wichtige gemeinsame Interessen entscheiden.
Am 26. Februar 1861 wird die neue Verfassung publiziert; rasch zeigen sich ihre Schwächen: Die von Schmerling vernachlässigten Tschechen protestieren prompt gegen die vorgesehene Mandatsverteilung, verlassen den Reichsrat und bleiben ihm 17 Jahre lang fern. Aber auch die Ungarn, Kroaten und Italiener boykottieren den Reichsrat, der so ein „Rumpfparlament“ darstellt.
Bauernaufstand in Niederösterreich
Anno Domini 1597 entfällt in Niederösterreich der Fasching. Im Most- und Waldviertel haben sich die Bauern gegen die Grundherren erhoben; Landesherr Erzherzog Matthias verbietet daher alle „Lustbarkeiten“ und rüstet zum Kampf gegen seine widerspenstigen „Untertanen“, die es wagen, wegen drückender Abgaben zu den Waffen zu greifen. Er befiehlt die Rekrutierung eines Söldnerheers, das Kommando über die etwa 3.000 Mann starke Truppe überträgt er dem berüchtigten böhmischen Heerführer Wenzel Morakhsy, der mit dem Titel „Generalobrist der niederösterreichischen Stände“ ausgestattet wird und am 10. Februar 1597 – die Aufständischen, unter denen sich auch viele Handwerker befinden, haben zwei Tage zuvor unter ihrem „Oberhauptmann“ Hans Markgraber Ybbs an der Donau erobert und rücken gegen Melk vor – den Auftrag erhält, vom Sammelpunkt Leitzersdorf aus mit seiner Truppe in Richtung Krems zur „Strafexpedition“ gegen die aufsässigen Bauern aufzubrechen. Die Männer Morakhsys sind kampferprobte Landsknechte, eine „Elitetruppe“, gegen die zu bestehen den schlecht bewaffneten und unerfahrenen „Rebellen“ unmöglich ist. Die Anführer der „Bauernhaufen“ wissen, dass ihnen damit ein Kampf auf Leben und Tod droht, viele ihrer Gefolgsleute ziehen es daher vor, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen, andere vertrauen den sehr geschickten Unterhändlern des Erzherzogs, die all jenen Straffreiheit zusichern, die die Waffen niederlegen und friedlich nach Hause zurückkehren würden.
Nicht so die aufständischen Waldviertler, die von Andreas Schrembser, einem 75jährigen (!) Bauern aus Dobersberg, und einem Schmied namens Angerer geführt werden – man will, so der Plan, die Söldner in der Nähe von Langenlois zum Kampf stellen. Als man am 27. Februar erfährt, dass in Hadersdorf eine Abteilung Reiter Morakhsys eingetroffen ist, zögern sie daher nicht und greifen an: Es gelingt ihnen, die Söldner zu überraschen; 15 Soldaten werden getötet, die Bauern erbeuten 40 Pferde und zahlreiche Waffen. Der Jubel über den „Sieg“ währt jedoch nur kurz: Einige Reiter, die dem Überfall entkommen sind, benachrichtigen die Hauptabteilung von Morakhsys Kavallerie und diese nimmt nun blutige Rache für den Tod ihrer Kameraden: Die Bauern werden noch am selben Tag bei Straß im Straßertale gestellt und vernichtend geschlagen, etwa 200 Aufständische verlieren in dem Blutbad ihr Leben, die Überlebenden, unter ihnen auch Schrembser und Angerer, fliehen in die Weinberge; wer verdächtig ist, mit den „Rebellen“ zusammenzuarbeiten, wird kurzerhand am nächsten Baum gehängt oder man schneidet ihm Nase und Ohren ab; Straß und mehrere Dörfer werden von den Reitern Morakhsys niedergebrannt.
Schrembser und Angerer versuchen zwar, den Kampf wieder aufzunehmen, und erlassen noch einmal ein „Aufgebot“, ein Vorstoß auf Krems scheitert jedoch, ebenso der Versuch Markgrabers, St. Pölten zu erobern. Der Aufstand bricht Anfang April 1597 zusammen. Wenzel Morakhsy und seine Henker ziehen in der Folge eine blutige Spur durch das Land.
Der Horea-Aufstand
Er heißt eigentlich Vasile Ursu Nicolae, die Menschen in den Tälern des westkarpatischen Apuseni-Gebirges nennen ihn jedoch nur „Horea“ oder „Horia“. Er ist um 1740 im abgelegenen Dorf Albac geboren, Zimmermann und ursprünglich leibeigener Bauer gewesen, hat sich jedoch freikaufen können. Horea zimmert hölzerne Kirchen für die Siebenbürgener Dörfer und ist auch ansonsten ein wacher Geist, sogar beim Kaiser in Wien, so munkelt man, soll er schon gewesen sein, um für die Sache der rumänischen Bauern ein Wort einzulegen; er glaubt aus tiefstem Herzen daran, dass der „Reformkaiser“ sie nicht im Stich lassen werde. Als Joseph II. im Sommer 1784 eine Militär-Konskription zur Aufstellung neuer Grenzregimenter durchführen lässt, sieht Horea seine Stunde gekommen: Er erklärt seinen Landsleuten, dass jeder, der sich zum Dienst beim Militär melde, von der verhassten Leibeigenschaft – deren Aufhebung hatte Joseph ja schon 1781 verkündet – befreit sein werde und noch dazu ein Stück Land bekomme.
Die Beamten, die in Alba Iulia die Konskriptionslisten führen, sind zunächst schockiert – es dauert eine Weile, bis sie begreifen, dass sie die Bauern zurück auf ihre Höfe schicken müssen. Doch nun hat die Landbevölkerung bereits Unruhe erfasst: Die rumänischen Bauern halten sich für frei und verweigern den ungarischen Adeligen die Robot; Horea und zwei weitere Bauernführer, Gheorge Marcul, genannt Crişan, und Ion Orga, genannt Cloşca, rufen Versammlungen ein, schließlich kommt es Anfang November 1784 zum offenen Aufstand gegen die ungarischen Herren; Schlösser und Gutshöfe werden geplündert und in Brand gesteckt, zahlreiche Adelige ermordet – die Gutsherren rüsten daraufhin Banden aus, die auf eigene Faust gegen die Bauern Krieg führen, zahlreiche Gefangene werden hingerichtet. Die Aufständischen beweisen indes revolutionären Geist: Sie agieren mit gefälschten kaiserlichen Befehlen, die die Enteignung der Magnaten anordnen, ja, in seinem „Programm“ vom 1. November 1784 fordert Horea, dass „kein Adel mehr sein soll“ und ihre Besitzungen unter dem Volk verteilt werden sollen. Horea betont wieder, dass dies „in Gemäßheit eines erfolgenden Allerhöchsten kaiserlichen Befehls“ erfolgen müsse. In tragischer Verkennung ihrer Lage glauben Horea und seine Anhänger, mit diesen Forderungen den Willen des Kaisers auszuführen. Joseph II., der sehr wohl die „vielfältigen Bedrückungen“ der Gutsherren gegen die Bauern als Ursache des „Empörungsgeists“ erkennt, setzt nun Truppen gegen die Aufständischen ein, die in wenigen Wochen besiegt sind; Horea und Cloşca flüchten sich in die Wälder. Da 300 Dukaten Kopfgeld auf sie ausgesetzt sind, werden sie am 27. Dezember 1784 von Bauern aus Albac an die Häscher verraten; einen Monat später wird auch Crişan verhaftet.
Joseph II. kann seine Reformen in Siebenbürgen kaum durchsetzen, um die Bestrafung der gefangenen Bauern kümmert sich der Kaiser allerdings persönlich: 37 Todesurteile werden gefällt, 83 Aufständische kommen mit Gefängnisstrafen davon, 180 Bauern, die sich an den Plünderungen beteiligt haben, werden ausgepeitscht und anschließend freigelassen. Joseph II. zeigt guten Willen und begnadigt alle zum Tode Verurteilten mit Ausnahme von Horea, Cloşca und Crişan – an diesen „Bösewichtern“, so befiehlt er, muss ein „einprägsames Beispiel“ gegeben werden. Die Richter halten sich daran, auf die drei Bauernführer wartet, das 18. Jahrhundert neigt sich dem Ende zu, eine aus dem finsteren Mittelalter stammende Hinrichtungsmethode: Sie sollen gerädert und gevierteilt, ihre Körperteile zur Abschreckung an verschiedenen Orten öffentlich zur Schau gestellt werden. Crişan begeht aus Angst vor dieser Tortur im Gefängnis Selbstmord; Horea und Cloşca sterben am 28. Februar 1785 in Alba Iulia so, wie der Kaiser in Wien es will: bei lebendigem Leib mit dem schweren Rad in Stücke gehackt; sie sind noch nicht tot, als ihnen die Eingeweide herausgerissen werden. 2.500 Bauern, die man aus den Dörfern der Region zusammengetrieben hat, müssen zusehen, wie jene qualvoll zugrunde gehen, die ihnen noch vor wenigen Monaten die Befreiung aus der Leibeigenschaft verheißen haben. Joseph II. versucht in der Folge, die siebenbürgischen Bauern durch genaue schriftliche Festlegung ihrer Pflichten vor Willkür- und Racheakten des Adels zu schützen, so ordnet er etwa für das Komitat Zlatná, das Zentrum des Aufstands, die Herabsetzung der Handrobot an – die Großgrundbesitzer verstehen es allerdings, diese Anordnung zu verschleppen, bis zum Tode des Kaisers gibt es für die Bauern keine Erleichterung.
Ein „großes Trauerspiel“, das Kaiser Joseph II. zu verantworten hat: die Hinrichtung der „Rebellen“.
Der British-Eagle-Flug 802/6
Der British-Eagle-Flug 802/6 startet um 12.04 Uhr in London Heathrow und ist auf dem Weg nach Innsbruck Kranebitten. Die Maschine hat 75 Passagiere und 8 Besatzungsmitglieder an Bord. Noch ahnt niemand, dass sich bald der schwerste Flugzeugabsturz der Geschichte in Österreichs Luftraum ereignen wird.
Bis Kempten erfolgt der Flug ohne Probleme, doch dort ändern die Piloten auf Grund der schlechten Sichtverhältnisse plötzlich ihren Flugplan.
Der Anflug auf Innsbruck soll im Sichtflug durchgeführt werden. Um 15 : 12 Uhr Ortszeit gibt es den letzten Kontakt mit der Flugsicherung Innsbruck. Zu dieser Zeit befindet sich die Maschine in einer Höhe von 3050 m – das letzte Lebenszeichen der Piloten.
Man vermutet, dass das Flugzeug innerhalb kurzer Zeit etwa 600 Meter Höhe verloren hat und genau unterhalb des Gipfels in 2600 m Seehöhe in die Flanke des Glungezer gekracht ist.
Der Aufprall löst eine ziemlich schwere Lawine aus, durch die große Teile der zerstörten Maschine in die Tiefe gerissen werden. Die Bergung der Todesopfer kann so erst am nächsten Tag nur mit Hilfe von Hubschraubern beginnen. Niemand der 83 Passagiere überlebt.
Den 40 Alpingendarmen, die beauftragt werden, die Leichen zu finden, bietet sich ein furchtbares Schauspiel. Franz Ebler, Pilot eines der Rettungshubschrauber, berichtet: „Es ist grauenhaft. Die Szenerie könnte aus einem Gruselfilm stammen. Verbogene Trümmer, Kleidungsstücke, Leichenteile auf dem Schnee, und darüber, wie zum Hohn, strahlender Sonnenschein und blauer Himmel, schon seit Sonntag.“
Schauplatz der Katastrophe: der Glungezer von Osten.
Unter den Toten ist eine einzige Österreicherin, ein junges Mädchen namens Rotraut Lackner, alle anderen sind britische Staatsbürger. Rotraut war in London bei einer Gastfamilie, um ihre Englischkenntnisse zu verbessern. Doch ihr starkes Heimweh treibt sie zurück in ihre Heimat, aber leider auch in den Tod.
„Ich hatte gleich ein ungutes Gefühl, als sich die Landung der Maschine verzögerte“, erzählt Rotrauts Stiefvater Karl Dubsek.
Als Unfallursache gilt offiziell ein Pilotenfehler. Der Pilot, Edward Williams, gilt eigentlich als erfahren und vernünftig, der Vorwurf: Er soll die unter den gegebenen Wetterbedingungen vorgeschriebene Mindestflughöhe unterschritten haben. Am selben Tag fliegen auch eine Schweizer und eine österreichische Maschine diese Strecke; beiden ist es möglich, ohne Probleme zu landen. Es bleibt ein Rätsel, wieso Williams nicht vorausschauender handelte und es zu diesem Unglück kommen musste.