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EINE NEUE EPOCHE BEGINNT

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Am Gang der Dinge auf diesem verträumten Flecken Erde ändert sich wenig – bis eines Tages der Holz- und Weizenhändler Higinio Scarpa (1794 – 1866) aus Fiume sich für das Terrain rund um die Abtei zu interessieren beginnt. Scarpa, Freimaurer und tüchtiger Geschäftsmann, zählt zu den Patriziern Fiumes und hat sich einen beachtlichen Wohlstand erarbeitet. Er will sein Geld sinnvoll investieren und kauft so zu Beginn der 1840er-Jahre einem gewissen Baron Haller von Hallerstein aus Triest in Abbazia ein Grundstück mit Gebäude ab, der Kaufpreis ist ein wahres Schnäppchen: Scarpa zahlt 700 Gulden für das gesamte riesige Areal – allein der heutige Park umfasst 3,64 Hektar. Er lässt das vorhandene kleine Gebäude, das Wohnsitz eines Abbazianer Seemanns namens Matija Justi ist, im Stil des späten Biedermeiers zur eleganten Sommerresidenz umbauen und nennt es nach seiner bereits 1832 verstorbenen Frau, einer geborenen Sartori, „Villa Angiolina“. Das Gebäude weist im oberen Stockwerk – im Unterschied zu heute – noch zwei offene Terrassen auf, von denen sich ein herrlicher Blick auf den Quarnero bietet.


Das Herrenhaus der Familie Scarpa: die Villa Angiolina.

Die besondere Aufmerksamkeit Scarpas gilt der Gestaltung des Parks, für den er zahlreiche exotische Pflanzen nach Istrien bringen lässt, darunter Magnolien, Libanonzedern, Himalayazypressen und die japanische Kamelie (Camelia japonica). Um mit seiner Jacht bequem unmittelbar vor dem Ort vor Anker gehen zu können, investiert Higinio Scarpa auch noch in den Ausbau des Hafens, genannt „Porto Herdt“ – eine Verballhornung des Wortes rt (= „Landzunge“). Der leutselige Unternehmer führt ein offenes Haus und lädt immer wieder Gäste ein, für die er sogar einen eigenen Pendelverkehr mit Zweispännern zwischen Abbazia und Fiume einrichtet. Seine glanzvollen Feste erfreuen sich in der Fiumaner Gesellschaft großer Beliebtheit und bald kann er sich spektakulärer Besuche rühmen: 1854 kommen der Banus von Kroatien, Josef Freiherr von Jellačić, und seine Frau; 1860 hält sich Kaiserin Maria Anna zur Kur in Abbazia auf – die Villa Angiolina wird zum beliebten Anlaufpunkt der Ersten Gesellschaft des Reichs und mit ihr rückt auch die Region am Quarnero allmählich immer deutlicher ins Blickfeld des österreichischen und ungarischen Adels. Noch ist Abbazia ein Geheimtipp, doch langsam beginnt das einst so verschlafene Fischerdorf sein Gesicht zu verändern: Gegen Ende der 1860er-Jahre werden erste private Hotels und Gästehäuser errichtet und die Zahl der Besucher steigt. Unter jenen nicht allzu vielen „Touristen“, die in dieser Zeit bereits den Weg in den österreichischen Süden finden, ist auch der bayrische Reiseschriftsteller Heinrich Noe (1835 – 1896). Auf seinen Wanderungen durch die Karstlandschaften Istriens und Dalmatiens kommt der polyglotte Münchner – angeblich kann er sich in 18 Sprachen verständigen – auch in das kleine Fischerdorf Abbazia und genießt hier die Gastfreundschaft der Familie Scarpa.


Im alten Hafen: Ein „Barcarole“ wartet auf Ausflügler. Foto, um 1885.


Scheitert an der Wiener Bürokratie: Georg Mathias Šporers visionäres „Programm“ aus dem Jahre 1872 zur Errichtung einer „Balnear und Inhalations Heilanstalt“ in Abbazia.

Paolo Ritter von Scarpa, „Gutsbesitzer, Besitzer mehrerer hoher Amten, Consul mehrerer Mächte, Patrizier und Gemeinderath von Fiume“, pflegt wie sein Vater sorgfältig die gesellschaftlichen Verbindungen der Familie; 1855 heiratet er Maria von Bruck, die Tochter des angesehenen Wirtschaftsfachmanns Karl Ludwig von Bruck, der eben in diesem Jahr von Franz Joseph auf den Posten des Finanzministers berufen wird. Bruck, ein glühender Patriot, tatkräftiger Reformer und eifriger Verfechter des Culturfortschritts in allen Bereichen, wird 1860 durch ungerechtfertigte Anschuldigungen in den Selbstmord getrieben; sein Schwiegersohn trägt diesen unruhigen Geist jedoch weiter, seine große Vision: der Ausbau Abbazias zu einem Bade- und Kurort.1869 gründet Paolo von Scarpa eine Aktiengesellschaft, die „Elisabeth Bad Aktiengesellschaft“. Ihr Ziel es ist, in Abbazia ein maritimes „Badeinstitut“, das „Elisabeth Bad“, zu errichten. Dafür sollen weitere, an seinen Besitz angrenzende Grundstücke erworben werden, die allesamt der Kirche gehören. Es gelingt ihm sogar, die Zustimmung der kirchlichen Autoritäten zum Kauf dieser Grundstücke zu erlangen, allerdings scheitert die Aktiengesellschaft, die mit Entscheidung vom 12. August 1870 ihre Konzession erhält, am Auftreiben der entsprechenden Geldmittel. Auch in Wien, wo er seinen Plan möglichen Geldgebern vorlegt, findet dieser wenig Anklang – noch scheint die Zeit nicht reif dafür. Nach 1874 gerät das visionäre Projekt Scarpas in Vergessenheit.


Heinrich Noe

Unabhängig von Paolo von Scarpa verfolgt auch der aus Karlovac stammende Schriftsteller und Arzt Dr. Georg Mathias Šporer (1795 – 1884) den Plan, in Abbazia ein Sanatorium zu errichten. Protomedicus und k. k. Gubernial Rath Šporer hat als Arzt in Laibach gearbeitet und ist nach seiner Pensionierung an die Adriaküste übersiedelt; er empfiehlt vor allem für „anämische und schwächliche Individuen, namentlich für blutarme Kinder“ einen Aufenthalt in Abbazia, positive Effekte möchte er aber auch bei lungen-, magen- und herzkranken Menschen sowie bei Patienten mit einem Nervenleiden erkennen. Hartnäckig unternimmt er einige Anläufe zur Verwirklichung seiner Idee; 1872 schafft es Šporer immerhin, ein Consortium zur Gründung der Balnear und Inhalations Heilanstalt in Abbazia zu bilden, bestehend aus wohlhabenden und einflussreichen Bürgern aus Fiume, Abbazia und Volosca. Statuten werden ausgearbeitet und ein ambitioniertes „Programm“ zur Finanzierung des Instituts, das beim Innenministerium in Wien eingereicht wird. Šporers Idee dabei ist es, eine Aktiengesellschaft mit einer humanitären Non-profit-Organisation zu verbinden – die Mühlen der Wiener Bürokratie mahlen jedoch derart langsam, dass auch Šporer sein Projekt schließlich aufgeben muss. Die Verwandlung Abbazias zum Kur- und Badeort bleibt also vorerst ein Wunschtraum.

Nachdem Paolo von Scarpa mit einem Geschäft Schiffbruch erlitten hat, ist er durch Geldnot 1875 gezwungen, die Villa Angiolina um 80.000 Gulden an den mährischen Adeligen Graf Viktor von Chorinsky (1838 – 1901) zu verkaufen. Ein Jahr später, 1876, schreibt Dr. Šporer einen Brief an den bedeutenden Wiener Laryngologen Leopold Schrötter Ritter von Kristelli, in dem er dem Kollegen seine Pläne mit Abbazia schildert. Der Versuch, endlich einen Verbündeten in der Hauptstadt zu gewinnen, gelingt tatsächlich – Schrötter verspricht, Abbazia seinen Patienten zu empfehlen, geht aber dann noch weiter: In seinen Schriften verweist er erstmals auf die „hervorragende Konzentration des Areosols in der Luft Abbazias“ und ruft damit auch das Interesse seiner Kollegen wach.

Damit ist der verträumte Ort an den Felsufern des Quarnero endgültig ein Thema in Wiener medizinischen Kreisen geworden; dazu tragen nicht zuletzt auch die enthusiastischen Schilderungen Heinrich Noes bei, der, nunmehr in der Hauptstadt als Herausgeber der Alpenzeitung tätig, in den Salons das Loblied Abbazias singt. Es sei dies eine Örtlichkeit geeignet zum „Seebad und zum Wintergarten von Wien“, zu einem „maritimen Vorort der Metropole“. Angesichts dieser Elogen wird ein Mann hellhörig, der es üblicherweise nicht bei Worten belässt: Friedrich Julius Schüler (1832 – 1894). Der aus Buchsweiler (Bouxwiller) im Elsass stammende Manager hat eine wahre Blitzkarriere im Eisenbahngeschäft hinter sich: mit 29 Jahren Generalinspektor der Südbahn und mit 39 deren Betriebsdirektor, seit 1878 Generaldirektor der Südbahngesellschaft, des größten österreichischen Bahnkonsortiums. Schüler ist unermüdlich auf der Suche nach besonderen Attraktionen für die Fahrgäste der Gesellschaft, denn er hat klar erkannt, dass mit der Schaffung neuer touristischer Ziele auch ein Ansteigen des Bahnreiseverkehrs erzielt werden kann und damit eine weitere Konsolidierung der angespannten Finanzen – die Südbahn lebt vor allem vom Personenverkehr.


Nach Triest der wichtigste Handelshafen Österreich-Ungarns: die Hafenmole von Fiume. Photochromdruck, um 1890.

Inspiriert von einem Vortrag Noes über die Bucht des Quarnero, greift Schüler daher dessen Idee begeistert auf und entwickelt sein eigenes Konzept: Hier, wo jetzt nur Fischerhütten stehen und grüne Lorbeerwälder, soll für die Reichen der Monarchie eine neue Attraktion aus dem Boden gestampft werden, ein „Brighton im Sommer und ein Cannes im Winter“, wie es Noe formuliert. Nach dem Vorbild der großen Eisenbahnhotels am Semmering und in Toblach soll nun auch an der Adria ein neues Tourismuszentrum entstehen, die „Gesellschaftlichen Hotels“ am Quarnero sollen Kristallisationspunkte für den wachsenden Trend zum Meer werden und entsprechend Geld in die Kassen spülen. Der notwendige Bahnanschluss ist bereits vorhanden: 1873 hat die Südbahn die Strecke von St. Peter in der Krain (Pivka) nach Fiume fertiggestellt; von der Station Mattuglie sind es noch sieben Kilometer mit dem Pferdefuhrwerk nach Abbazia, das so von Wien aus direkt und bequem „über Nacht“ erreicht werden kann.


Verwitterte Erinnerung: das Denkmal für Südbahn-Generaldirektor Friedrich Julius Schüler im Angiolina-Park.


Abbazia wird zum „maritimen Vorort der Metropole“ Wien: Die 1873 fertig gestellte Südbahn knüpft die entscheidende Verbindung. Aus: Heinrich Noe, Österreichische Südbahn. Von der Donau zur Adria (Zürich o. J.).

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